
Miskatonic Theater
Horror Musical Sommer 2025
Special
Interview zu „Frankenstein – Mary Shelleys Monster“
Wir fangen Nisan Arikan und Lars Henriks direkt nach dem Stück für ein Interview ab. Die beiden stehen nicht nur für „Frankenstein – Mary Shelleys Monster“ auf der Bühne, sondern haben das Miskatonic Theater mitgegründet und bringen deswegen einen ganz besonderen Einblick hinter die Kulissen mit – und in die Psyche ihrer Charaktere.
Ich komme von metal.de, deswegen frage ich euch natürlich zuerst: Seid ihr selber an Metal interessiert?
L: Ich habe in der Schule mal in einer Metal-Band gespielt. Mit 13 waren wir alle Punk-Bands und dann mit 15 mussten es Metal-Bands werden.
N: Ich hätte gedacht, es war andersrum.
L: Nein, es war erst Punk, dann Metal, dann wieder Punk. Hier im Landkreis, wie überall in den Dörfern und in der Provinz, ist Metal einfach ein riesiges Ding. Und das hat schon immer Überschneidungen gehabt mit Affinität zum Horror-Genre.
Das waren durchaus die Abende und Partys von den Metal-Leuten, wo die abgefahrenen Horrorfilme gelaufen sind. Aber grundsätzlich mit der Schauspielschule bin ich dann mehr aus dem Musikbereich in den Theater- und Filmbereich rübertransitioniert und dann hat man nur noch am Rande Berührungspunkte gehabt.
Wenn man sich mit Horror befasst, dann ist das einfach eine der wesentlichen Szenen. Metal – und Gothic auch und Punk natürlich auch immer noch. Aber die Ästhetik der sich so nennenden „schwarzen Szene“, die ist damit viel verbunden. Und jetzt gerade, wo wir Horror-Theater machen, merken wir auch an unserem Publikum, dass die Überschneidung und die Affinität da ist.
N: Bei mir eher nicht. Aber ja, unser Publikum mag Metal.
Wenn Victor Frankenstein eine Band hätte, welches Genre würde die spielen?
L: Victor Frankenstein ist arrogant, es gibt eine hohe Wissenschaftsaffinität, aber der hat eher keine Zeit für Kram wie Okkultismus oder Folk. Also scheiden die meisten Genres aus. Er ist ein bisschen selbstmitleidig, von daher sage ich Suicidal Black Metal. Das wäre sein Genre. Er redet viel darüber, wie arm er dran ist, ohne dass das tatsächlich so ist.
Du (Lars) bist bei „Frankenstein – Mary Shelleys Monster“ hauptsächlich für die Musik zuständig gewesen. Was war dir wichtig bei der musikalischen Umsetzung? Hast du irgendwelche Inspirationen, auf die du zurückgreifst?
L: Dass wir das Stück entwickelt haben, ist länger her. Was hatten wir zu den Liedern anfangs konzeptionell gesagt?
N: Ich glaube, das hat so angefangen, weil wir diese Geschichte schon immer für die Bühne adaptieren wollten, aber es war nicht immer die Idee, dass wir ein Musical daraus machen. Aber als wir überlegt haben, wen wir casten… Letztes Jahr hat jemand anderes Lars‘ Rolle gespielt und der kann auch sehr gut Klavier spielen.
L: Auch.
N: Du spielst ja auch gut Klavier. Ich wollte jetzt höflich sein. Und Chiaras Rolle stand auch auf jeden Fall fest und da hatten wir zwei sehr musikalische Schauspieler:innen im Cast. Und dann hast du daraus ein Musical gemacht.
L: Ja, genau, deshalb sollten Songs rein. Konzeptionell war die Idee, sich eher an Chansons zu orientieren, Kurt Weill und solche Sachen. Jascha, der das letztes Jahr gespielt hat, kann Klavier spielen, also wollte ich gerne, dass es auf Klavier ist. Die ganze Idee spielt in diesem Saal, in dieser Kammer.
Wie wäre das gewesen? Da hätte dann jemand das auf dem Klavier gespielt. Das ist der ganz ursprüngliche Impuls gewesen, diese alten klassischen Theaterchansons. Und dann merkt man, dass ich beim Aufwachsen viel DIE ÄRZTE gehört habe, wenn man hört, wie die Songs geworden sind. Oder dann später Pop-Punk-Sachen, dann wird das ein bisschen hymnisch.
Oder auch die ERSTE ALLGEMEINE VERUNSICHERUNG, da ist „Fata Morgana“ von denen mit drin. Also fun, textgetragene, deutschsprachige Pop-Sachen vermischen sich mit klassischen Chanson-Geschichten. Und dann hoffentlich irgendwie mit Gröl-Sachen.
Welche kreativen Freiheiten habt ihr euch im Umgang mit der Geschichte genommen?
L: Keine, das ist zu 100% akkurat. Lord Byron war ein Vampir. Also ist, er lebt noch. Und er hat uns das so erzählt.
N: Das sind tatsächlich alles Recherchen. Sogar der flammende Totenschädel ist nicht etwas, das wir uns ausgedacht haben. Es war tatsächlich so, dass John Polidori eine komische Idee über einen Totenschädel hatte und es auch im Text irgendwo steht, dass Mary Shelley sich darüber lustig gemacht hat. Und auch, dass Lord Byron ein Vampir ist. Das war ja auch ein Gerücht.
L: Diese Nacht ist ja berühmt. Es gibt ein richtiges Metal-Musical darüber. Das habe ich nicht komplett gesehen, aber es gibt Ausschnitte auf YouTube und es gibt viele Verarbeitungen davon. Wir beide hatten die Idee schon sehr lange, dass wir was mit dieser Nacht machen. Und dann zum Schreiben des Stückes habe ich ganz, ganz viel darüber gelesen.
Die grundsätzlichen Fakten, die alle wissen: Es war 1816, da ist ein Vulkan ausgebrochen und dementsprechend war das Wetter das ganze Jahr lang scheiße. Da waren Lord Byron und Percy Shelley, beides Leute, die man jetzt gar nicht mehr so kennt für ihre Literatur, die aber damals damit totale Popstars waren. Und dann war da noch John Polidori, der „Der Vampyr“ geschrieben hat, das auch keiner mehr gelesen hat, aber das ist die große Inspiration für „Dracula“ gewesen.
Das ist das erste Mal, dass der Adelige in der westlichen Literatur als Vampir auftaucht – und das eben basierend auf Lord Byron. John Polidori war sauer auf Lord Byron und hat das deshalb geschrieben und es war auch noch basierend auf einer Idee, die Lord Byron in dieser Nacht hatte. „Frankenstein“ ist natürlich das, was groß rausgekommen ist. Dann habe ich geguckt, was es an Texten über diese Nacht gibt.
Und was es gibt, ist das Tagebuch, das John Polidori während dieser Tage in dieser Villa geschrieben hat. Das ist viel in dem Stück drin, was John Polidori geschrieben hat, da habe ich das her mit dem flammenden Totenschädel. Du hast gesagt, das steht auch in einem Vorwort von Mary Shelley.
N: Nicht bei „Frankenstein“, aber ich habe auch irgendwo gelesen, dass Mary Shelley sehr überheblich erzählt hat, dass John Polidori irgendwie so eine komische Idee von einem Totenschädel hatte.
L: Sein Tagebuch ist traurig, weil er die ganze Zeit darüber schreibt, wie die anderen ihn ärgern und nicht ernst nehmen. Da sind lauter verschiedene Details drin. Zum Beispiel, dass diese Vampir-Idee ursprünglich von Lord Byron gekommen ist. Ganz viel, was an Details in dem Stück ist, ist tatsächlich recherchiert.
Welche Facetten von Mary, aber auch von Frankensteins Monster wolltet ihr besonders herausstellen?
N: Zu Frankensteins Monster müsste Sascha was sagen. Aber Mary habe ich als als eine junge Frau gesehen, die von Männern umtrieben ist. Und das nervt. Ihre Mutter war die erste Feministin. Ich glaube, ihre Schwester liebt sie und sie mag das nicht – so habe ich das gelesen und gespielt – dass ihre Schwester nicht ernst genommen wird, aber sie nimmt sie auch nicht ernst.
Byron und auch Percy sieht sie auf Augenhöhe. Es gibt auch ein anderes Buch von Mary Shelley, „Der Letzte Mensch“. Sie hat viel länger gelebt als Byron und Percy und sie hat ein Buch über deren Freundschaft geschrieben, also über die drei. Sie muss die irgendwie also auch geliebt haben, aber ich glaube bei dem, was man für Geschichten über die beiden liest, war es ihr bestimmt auch klar, dass das teilweise problematische Männer bzw. Menschen waren.
L: Für ihre Zeit waren die alle sehr, sehr progressiv. Ich glaube, was ich beim Schreiben und Inszenieren wichtig fand war genau das, was du sagst, dass die alle ziemlich problematische Leute waren. Es ist schon auffällig, dass den Shelleys die ganze Zeit Kinder gestorben sind. Clara war das erste Mal, aber der besagte William ist kurz danach auch gestorben, und zwar weil Percy Shelley keine Lust hatte, Medizin aus der Apotheke zu holen.
N: Dann haben sie nochmal eine Tochter bekommen, die haben sie auch Clara genannt und die ist auch gestorben. Auch nach ungefähr zwölf Tagen.
L: Das setzt sich bei denen fort. Wenn man sich John Polidoris Tagebuch durchliest, dann klingen die gemein. Das ist das eine, und das andere ist, dass die wirklich diese sehr, sehr starke Freundschaft untereinander hatten.
Diese schlechten Menschen haben sich gegenseitig wirklich lieb gehabt. Also so sehr, dass Mary Shelley, nachdem die beiden anderen tot waren, ein Buch darüber geschrieben hat, wie cool das wäre, wenn die jetzt als Geister da wären und sie noch mit ihnen reden könnte. Und ich glaube, das ist das, was uns auch in der Inszenierung wichtig war.
Dieser Widerstreit aus dieser Kälte, die die haben und dann gleichzeitig dieser starken Verbindung, die zwischen denen ist. Und das Monster ist, glaube ich, so eine Sache. „Frankenstein“ ist ja viel adaptiert worden, aber nie wirklich buchgetreu. Also dieser ganze lange Teil im Wald und dieser ganze Orientalismus-Abschnitt, der total von Byron inspiriert ist, der wird nie irgendwo mit adaptiert.
Und das Monster hat man aus klassischen Filmen fast als stumm im Kopf. Das ist aber Quatsch. Zwei Drittel des Buches sind Dialog vom Monster. Das ist sehr eloquent. Und da war uns wichtig, mal ganz doll ans Buch zu gehen und zu sagen, okay, nicht nur hat das Monster keine Schwierigkeiten zu sprechen, spricht nicht komisch, sondern ist super eloquent und redet ganz, ganz, ganz viel.
Und auch diese Sache mit dem „er wird zusammengesetzt aus den schönsten Teilen“. Es wird immer so ein großes, breites Monstrum gezeigt mit Schrauben im Kopf. So ist es überhaupt nicht beschrieben. Das fanden wir interessant, diese Aspekte hochzuholen, die selten an dem Text adaptiert werden.
Gab es irgendeine Szene, die euch künstlerisch besonders herausgefordert hat?
L: Die letzte.
N: Ja, wahrscheinlich.
L: Am Ende die Szene zwischen Mary und Percy ist der emotionale Kern des Ganzen, weil die These des Stückes natürlich ist, dass das ist, worum es in „Frankenstein“ geht. Das hatte Mary Shelley auch in irgendeinem Vorwort geschrieben, diesen Traum über ihre Tochter Clara, den sie da beschreibt. Sie hat das selber auf „Frankenstein“ zurückgeführt.
Jetzt, ein Jahr nachdem ich das geschrieben habe, lese ich viel über Mary Shelleys Vater, William Godwin, und die Beziehung, die die beide miteinander hatten. Ich höre in dem Dialog von dem Monster, der sich mit seinem Vater auseinandersetzt dann: „Warum liebst du mich nicht, Vater?“ Dinge, wo ich denke, wenn ich es jetzt adaptieren würde, würde ich da nochmal reingehen, weil das in einer Situation geschrieben ist, wo Mary und ihr Vater gerade völlig zerstritten waren. Aber genau, das ist der Kern.
Und der flammende Totenschädel. Das ist eine Herausforderung. Ein schwer zu performendes Lied mit einem schwer zu performenden Tanz.
N: Ich weiß auch nicht, ob wir das jemals fehlerfrei gemacht haben.
L: Aber jedes Mal lustig.
Horror ist idealerweise eine Mischung aus Schock und Tiefe, das zeigt auch die Szene, die ihr als künstlerische Herausforderung charakterisiert habt. Ist das etwas, das ihr bewusst kontrastieren wollt?
L: Ja, das ist uns auf jeden Fall sehr wichtig. Wir haben hier drin auch die Szene, wo Byron und Mary miteinander brainstormen und dann sagt Claire: „Warum seid ihr jetzt am Philosophieren?“ und Mary sagt: „Wir müssen uns ja überlegen, was gruselig ist.“ Das ist schon ein Mission-Statement.
Eigentlich haben alle Stücke, die wir machen, irgendwann den Moment, wo es emotional ans Eingemachte geht. Das hängt auch damit zusammen, dass wir ansonsten meistens H.P. Lovecraft adaptieren und der macht kosmischen Horror, da geht es immer um Existentialismus und es geht immer irgendwie um Philosophie oder Philosophien, die aufeinanderprallen. Da muss man sich die ganze Zeit mit sehr tiefen Fragen auseinandersetzen.
Ich glaube, das ist auch das Einzige, wie Horror nachwirkt. Meistens geht es um die Dinge, vor denen man existenziell Angst hat und wenn man die ernst nimmt, dann werden die immer emotional sein.
Es passiert immer viel auf der Welt, aber auch zu der Zeit, als Mary Shelley „Frankenstein“ geschrieben hat. Seht ihr Parallelen zur heutigen Zeit oder Themen, die immer noch oder wieder Relevanz haben?
N: Ich habe nicht so wirklich an die Welt gedacht. Ich denke dann eher an mein Leben, wenn ich sowas lese und versuche, Parallelen zu mir zu finden, um mich irgendwie darauf vorzubereiten.
L: Interessant an dieser Clique ist, dass die relativ woke waren.
N: Ja, woke, aber auch wirklich problematisch. Vielleicht ist das eigentlich eine gute Parallele zu den woken Menschen heute.
L: Tatsächlich sind sie die ersten, die über bestimmte Sachen überhaupt geredet haben. Sie waren Vegetarier, was zu dem Zeitpunkt wahnsinnig radikal war. Percy Shelley, Mary glaube ich auch, waren Anarchisten und Lord Byron war auch ziemlich politisch. Mary Godwin, die Mutter von Mary Shelley, war die erste als solche bekannte intellektuelle Feministin und hat das erste Grundlagenstandardwerk geschrieben.
Ihr Vater war auch Anarchist und Feminist und das waren die ersten, die diese Ideen überhaupt mal reingebracht haben. Wenn wir sie nach jetzigen Standards, die erarbeitet worden sind, in ihrem Erbe messen würden, würden sie völlig durchfallen. Aber vor allem Mary Shelley eigentlich wenig.
Das ist auch ganz erfrischend, wenn man sich mit Horror beschäftigt und mit Horror-Autoren. „Frankenstein“ ist sehr wenig problematisch, wenn man Lovecraft liest, dann gibt es das öfter, dass man sich denkt „aaaaah“. Das gibt es bei Mary Shelley wenig. Von daher weniger Parallelen zu dem, was jetzt in der Welt passiert, aber ich sehe viele moderne Gedanken, die sehr progressiv waren, die sich einfach durchgesetzt haben.
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Louisa Esch





























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