Belphegor
Interview mit Helmuth Lehner – 30 Jahre Tod und Teufel

Interview

(Der Bericht besteht aus drei Seiten.)

Wer bei Wikipedia nach dem Dämon Belphegor sucht, stößt auf eine Illustration aus der „Dictionnaire Infernal“-Auflage von 1863. Pose und Mimik könnten gut zum Bandkopf Helmuth Lehner passen, wenn er einige Interviewfragen liest. „Weil ich das sage und das wohl am besten beurteilen kann, da ich für das meiste Material verantwortlich bin“, beantwortet er die Frage, warum sie das neue Album „The Devils“ als ihre „vielfältigste und dynamischste Platte“ bezeichnen.

„Das Leben ist kurz und fragil“

Bleiben wir beim Neuwerk: Was macht „The Devils“ verglichen mit dem direkten Vorgänger denn anders? „Ich vergleiche keine Albumprojekte, jede der musikalischen 12 Atombomben steht für sich.“ Nur eine von vielen Kriegsmetaphern, die insbesondere derzeit auch mit zwinkerndem Auge schwer verdaulich sind.

Kommt man aus dem Alter solcher Vergleiche eigentlich irgendwann heraus – oder: Wie ist das mit dem Älterwerden im (extremen) Metal? „Gute Frage, aber keine Ahnung, was du da genau hören willst“, sagt Helmuth und bezeichnet das Leben zusammenfassend als „kurz und fragil“.

Seine Empfehlung lautet: „Treffe eigene Entscheidungen, lass dir bei deinen Visionen, Träumen und Zielen nicht reinreden, gehe deinen eigenen Weg und lass dir deinen Willen nicht brechen. Das ist eines meiner Hauptgesetze in meinem Reich.“ Da ist es wieder.

„Blasphemie gepaart mit schwarzer Romantik“

Seit 1992 sind BELPHEGOR aktiv. Und Helmuth ist von Beginn an dabei. „Fucking 2023 existieren BELPHEGOR 30 Jahre, unglaublich“, schwärmt der Bandkopf. In der Zeit ist viel geschehen – auf und neben der Bühne. Besonders stolz ist er auf die Beständigkeit seiner Band: „Wir haben nie eine Pause gemacht oder uns an einen Trend angehängt.“ Stagnation erkennt er aber nicht.

Ganz im Gegenteil: „Wir haben immer experimentiert“, resümiert er und beschreibt die musikalische Entwicklung von BELPHEGOR genauer: „Wir haben immer versucht, besser, eben intensiver zu werden, alles auf die nächste Stufe zu hieven, ohne unsere extremen Wurzeln zu verleugnen oder auszuwimpen“. Von einer Verweichlichung sind BELPHEGOR wahrlich weltweit entfernt. Das Experimentieren sehen viele aber sicherlich skeptisch, weil sich der grundsätzliche Kurs kaum verändert hat – was die Fans wiederum schätzen, denn auch eine musikalische Beständigkeit kann vorteilhaft sein.

Das höchste Gut sei für ihn Freiheit; das betont er mehrmals. Es gehe darum, einen eigenen Weg zu beschreiten – mit erhobenem Haupt und scharfem Verstand. „Wir haben uns immer als Atheisten, Antigod gesehen, mit Tendenzen zum Nihilismus. Blasphemie gepaart mit schwarzer Romantik, Tabu brechendem lyrischen Erguss und einem Hauch Perversion. Wir huldigen den Dämonen in Form von Besessenheit, Magic und bizarrer Leidenschaft.“

Abgesehen davon, dass sich die Begriffe „Atheisten“ und „Antigod“ widersprechen, ist das eine treffende Bezeichnung für alles, was BELPHEGOR seit 1992 liefern.

„Heftige exzessive Phasen“

Wenn man sich durch mehr als drei Jahrzehnte musiziert und viel Zeit auf Tour verbracht hat, füllt sich die Schatztruhe wertvoller Erlebnisse automatisch. Auf die Frage, was ihn am meisten beeindruckt hat, antwortet Helmuth diplomatisch: „Jede Zeitperiode hatte ihre Höhen und auch Tiefen. Das Leben ist wie Feuer und Wasser, das eine funktioniert nicht ohne das andere.“

Trotzdem: Gibt es denn eine Zeit, in die er gern noch mal zurückkehren würde? „Klar, als alter Nostalgiker gab es da schon heftige exzessive Phasen, die ich gern nochmals beschreiten würde – und vielleicht sogar das eine oder andere Ding anders handeln könnte, um es mal vorsichtig auszudrücken“, fügt er lachend hinzu.

Das verlangt nach Anekdoten. Doch leider verweist der Musiker nur auf seine Biografie, die er möglicherweise irgendwann schreiben wird. „Ich habe einiges zu erzählen, oft den Planeten bereist und viele interessante Charaktere kennenlernen dürfen. Natürlich auch viele Arschlöcher“, sagt er. Dann warten wir auf die Memoiren.

„Viel Hass und Zorn“

Zurück im Hier und Jetzt. Corona ist noch immer ein wichtiges Thema, doch zumindest ist wieder ein normaler Live-Betrieb möglich. Leider bezeichnet Helmuth die vergangenen rund zwei Jahre als „sogenannte Pandemie“ und präsentiert sich bei dem Thema auch weitergehend ungemütlich: „Man hat die letzten zwei Jahre gesehen, wie leicht es ist, weltumspannend die gesamte Menschheit zu manipulieren via Medien. Vor einem Jahr oder länger hieß es, wir werden alle sterben – irgendwas ist wohl schiefgelaufen.“

Klar, dass umso mehr „Hass und Zorn in dieses Album geflossen“ ist, doch ein derartiges Pauschalisieren und Verschwören hilft niemandem. Laut Helmuth ist dieser Frust jedenfalls überall auf „The Devils“ zu hören – angefangen beim Titelsong, der ketzerisches Liedgut präsentiere und einen der massivsten Songs darstelle, den BELPHEGOR je komponiert haben. Er hört sogar eine „neue Dimension an Brachialität.“

„Die Tierindustrie ist eine Schande“

Es ist deutlich zu spüren, wo sein Fokus liegt: auf „The Devils“. Logisch, das neue Werk möchte promotet werden, doch angesichts der Bandhistorie erschien ein Gespräch abseits der üblichen Albumfragen sinnvoll. Stattdessen liefert uns Helmuth ungefragte Details zu einzelnen neuen Liedern und spart nicht an Superlativen. Auch okay, denn mit „The Devils“ erhalten Fans durchaus wieder ein gutes BELPHEGOR-Album. Hier eine paar Auszüge:

Zu „Totentanz – Dance Macabre“:

„Das schnellste Liedgut, das wir je komponiert haben. Es beschreibt auch, wie der geldgierige Typ Mensch den Planeten aushungert und alles langsam, aber sicher zerstört, Tiere einsperrt und auf abscheulichste Weise in KZs ermordet. Die Tierindustrie ist eine Schande.“

Der Holocaust-Vergleich ist völlig unnötig, die Aussage an sich zu unterschreiben.

Zu „Glorifizierung Des Teufels“:

„Es geht um den sogenannten Osculum infame. Der Ziegenbock verführt und degradiert die Frau dazu, dass sie sich auf die Knie wirft und ihm das Hinterteil liebkost, um ihm totalen Gehorsam zu bezeugen. Auch schwärzeste Romantik und der morbide österreichische Humor darf bei dieser Abhandlung keinesfalls fehlen. Ich habe diese Thematik das erste Mal für ‚Walpurgis Rites – Hexenwahn‘ benutzt, aber es ist faszinierend und ich musste diesmal noch etwas tiefer graben. Amen!“

Zu „Kingdom Of Cold Flesh“:

„Diese dynamische Blastwalze ist eine wahre Geschichte und handelt von einem Mann, einem Grabräuber, der nächtens auf Friedhöfe rumgezogen ist und junge Mädchen ausgegraben, nach Hause mitgenommen und sie in Barbie-Kleider gesteckt hat. Ein hochinteressantes und bizarres Thema.“

„Gitarre ist mein Psychiater“

Schauen wir abschließend doch noch über den eigenen Tellerrand. Wir möchten wissen, ob Helmuth heute selbst neue Musik konsumiert. „Ich will jetzt eigentlich gar nicht sagen, dass ich den meisten neueren Bands in diesem Sektor nicht viel abgewinnen kann“, beginnt er wieder diplomatisch und zieht dann doch vom Leder. „Viele gute Musiker und Bands, ja, aber die billige Attitüde und deren Gehabe ist oft nicht meins. Die Essenz, die Rebellion und der Widerstand sind oftmals nicht gegeben. Hippies und dergleichen, die Death oder Black Metal spielen, will ich nicht ernst nehmen.“

Extremer Metal müsse aufregen, Tabus brechen und bizarr-brachial daherkommen. Andernfalls „ist es nur Abfall“. Musikalisch engstirnig ist er dabei nicht; vor allem, was Gitarrenmusik betrifft. „Von Rock über Metal bis hin zu extremen Sounds gibt es brillante Bands. Viele klassische Komponisten, virtuose Gitarristen, Flamenco-Gitarristen. Gitarre ist meine Leidenschaft, mein Psychiater.“ Ein gutes Schlusswort.

Quelle: Nuclear Blast Records
05.08.2022
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