Confess
Kein Märchen!
Interview
Die iranisch/norwegische Band CONFESS hat Ende Januar ihr viertes Album „Destination Addiction“ veröffentlicht. Nach dem wütenden Vorgänger „Revenge At All Costs“ ein vielschichtiges Werk, das nicht nur die ganz tiefen Tiefen mitnimmt, sondern auch von prominenter Seite eingetrommelt wurde. Wir haben uns mit Nikan „Siyanor“ Khosravi unterhalten, wobei immer wieder seine Inhaftierung im Iran, seine Flucht und seine drakonische Verurteilung in Abwesenheit eine Rolle spielte.
Zunächst geht es aber darum, warum „Destination Addiction“ so anders klingt.
Der gesamte Songwriting-Prozess begann während des Lockdowns 2020, das vorherige Album „Revenge At All Costs“ war noch nicht erschienen. Es war fertig, alles war bereit, wir warteten nur auf den richtigen Zeitpunkt für die Veröffentlichung. Aber wie jeder andere Musiker, der zu Hause festsaß, wollte ich einfach Musik schreiben. Ich merkte gleichzeitig, dass mein Interesse immer mehr in Richtung Death Metal geht. Ich habe es einfach geschehen lassen. Und nachdem ich vier oder fünf Songs hatte, wusste ich ungefähr, wie das Material für das nächste Album aussehen würde.
Und dann habe ich irgendwann angefangen, die Texte zu schreiben, Es gibt für mich die ungeschriebene Regel, dass ich mich weder textlich noch musikalisch wiederholen möchte. Ich möchte die Grundlage beibehalten, aber jedes Mal etwas anderes machen. Und ich hatte das Gefühl, dass ich textlich einige der mentalen Probleme ansprechen möchte, die nicht nur ich während dieser Zeit hatte, wegen Lockdowns und Quarantäne und Lockdown. Aber für mich war es auch das Trauma aus der Vergangenheit, weil es noch ziemlich frisch war.
Es war nicht einfach, denn wenn man sich entscheidet, ausdrucksvoller zu sein und über Dinge zu sprechen, bei denen man sich nicht wohl fühlt, kann das eine Herausforderung sein. Aber ich habe mich irgendwie dazu gezwungen, etwas mehr über mich selbst zu schreiben. Und meine Geschichte aus einer anderen Perspektive zu erzählen. All die Dinge, die mir passiert sind oder die ich getan habe, oder all die Dinge, die mich zu dem gemacht haben, der ich heute bin, sind Teil dieses Albums.
Das Album ist aber sehr vielseitig und verbindet mehrere Gefühle.
Ja, das Album beginnt mit dieser Aggression, der Schwere, der Wut, aber gleichzeitig ist da diese ständige Traurigkeit. Und am Ende wird es dann etwas hoffnungsvoller, aber beim letzten Song „Breathe in, Breathe out“ hört man immer noch dieses Gefühl der Hingabe. Es ist schwer zu erklären, aber ich denke, das hat gut geklappt, weil ich immer gerne etwas Raum für Hoffnung lassen möchte. Denn ohne Hoffnung – was sind wir? Ohne Hoffnung hat man nichts. Also, für etwas, das sich in Zukunft ändern könnte, wollte ich dem Album ein bisschen Hoffnung geben.

Dort sein, wo niemand sein möchte: „Destination Addiction“.
In der Mitte steht mit „Suicide Song“ ein Lied, das einen sehr direkten Text hat, der dieses Thema mehr oder weniger durchdekliniert.
„Suicide Song“ stammt aus der Zeit, als ich gerade nach Norwegen gezogen war. Was irgendwie verrückt ist, weil ich nicht mehr direkt in Gefahr war. Aber ich wollte diesen Text schreiben. Ich wollte diese Gedanken irgendwie festhalten. Und alles auf elf drehen, übertreiben. Weißt du, die meisten unserer Songs handeln vom Kampf gegen deine Probleme oder die Regierung oder all das Zeug. Aber ich dachte mir, in diesem einen Song möchte ich mir vorstellen, dass ich den Kampf aufgebe. Es spielt keine Rolle mehr. Ich bringe mich auf verschiedene Arten um. Ich dachte mir, ich will mich in diesem Song einfach musikalisch zerstören. Auf so viele unterschiedliche Arten wie möglich.
Ich erinnere mich, dass ich meiner Freundin schrieb: „Ich habe diesen Song gerade erst geschrieben. Ich möchte ihn dir einfach vorlesen und sehen, wie du darüber denkst.“ Und ich habe ihr ausdrücklich vorher gesagt: „Okay, hör zu, kein Grund zur Sorge. Das ist nur ein Song. Versteh mich nicht falsch. Mir geht es gut.“ Aber das ist eine Phase meines Lebens, die ich etwas übertreiben und ihr einen filmischen Effekt verleihen möchte.“ Nachdem ich ihn ihr vorgelesen hatte, waren wir uns beide einig, dass wir ihn mit einer Botschaft veröffentlichen müssen, einer Art Warnung. Denn ich möchte niemandem falsche Vorstellungen vermitteln.
Spielt ihr den Song auch live?
Ja, er stand auf unserer Liste.
Ich frage deswegen, weil ich an Aaron, den Sänger von MY DYING BRIDE denken muss. Der sagte mal in einem Interview, dass jedes Live-Erlebnis für ihn so ist, als würde er die Texte noch einmal erleben, all den Schmerz, der in ihnen steckt.
Ja, ich kann mich total mit dieser Aussage identifizieren, wenn man über seine eigenen Probleme und Dinge schreibt, die einem im Leben passieren. Beispielsweise in unserem Song „Evin“, geht es um das Gefängnis, in dem ich im Iran saß. Es ist nicht einfach, denn obwohl man den Song vielleicht hunderte Male spielt, löst er immer noch diese Perspektive aus und versetzt einen zurück in diesen Moment im Leben. Ich habe von vielen Künstlern gehört, dass sie dieses Album oder diesen Song lieber nicht spielen wollen. Das fordert einen wirklich.
CONFESS bekommen prominente Hilfe
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit George Kollias (u.a. NILE), der „Destination Addiction“ eingetrommelt hat?
Als wir 2023 mit NILE auf Tour waren, haben wir uns getroffen. Er kannte die Band und die Musik, und er hatte großen Respekt vor dem, was wir machen. Das ist unglaublich. Ich meine, wir sind mit seiner Musik aufgewachsen und er ist für mich definitiv einer der drei oder fünf besten Metal-Schlagzeuger aller Zeiten. Und seine Spielfähigkeit geht über jedes Genre hinaus. Er ist einfach unglaublich.
Wir haben also miteinander geredet, und wir haben über unsere Pläne vom neuen Album gesprochen, und dass unser Schlagzeuger gerade in die USA gezogen ist. Und er sagte nur: „Wenn ihr einen Schlagzeuger für das Album braucht, wisst ihr ja, wen ihr anrufen müsst.“ Ich habe ihn angeschaut, und er setzte nach: „Ja, wisst ihr, ich mag euch, ich mag die Musik, ich liebe es, etwas zu unternehmen.“
Nach der Tour habe ich ihm dann die Demosongs geschickt, und er brauchte keine Zeit, um die Songs einzustudieren. Er hatte auch ein paar Ideen für Neuarrangements. Schließlich hat er das ganze Album in vier Tagen in seinem Studio in Griechenland aufgenommen. Oh mein Gott! Er war so professionell, so präzise, ein großartiger Musiker, ein großartiger Mensch. Wir fühlen uns wirklich geehrt. Wie ich immer sage: Wenn du meinem vierzehnjährigen Ich sagen würdest, dass George Kollias eines Tages die Songs auf deinem Album spielen wird, pfffff.
Hat Euch das angespornt?
Oh ja. Ich dachte nur: Jetzt muss ich mich steigern. Es motiviert dich wirklich, selbst ein besserer Musiker zu werden, wenn man mit einem Weltklassemusiker zusammenarbeitet. Ich meine, das ist George Kollias, jeder kennt ihn. Aber ich bin noch ein junger Musiker und muss besser werden. Aber am Ende hat es dem Album wirklich geholfen, besser zu klingen. Und nicht nur, weil er Schlagzeug gespielt hat, sondern weil er uns auch dazu anspornt, bei jedem Song über unsere Grenzen hinauszugehen.
Aber er wird nicht als Teil von CONFESS auf Tour gehen?
Nein. Aber ich habe ihm gesagt: Wir haben jetzt das ganze Album zusammen gemacht und bereue es wirklich, dass wir nie zusammen gespielt haben. Und er meinte: Man kann nie wissen. Ich weiß nicht, was das bedeutet – vielleicht spielen wir ja eines Tages auf einem Festival zusammen oder so. Das wäre ein jedenfalls eine großartige Sache.
Eine andere großartige Sache war, dass Du bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an Nargis Mohammadi im Dezember 2023 eingeladen warst.
Ja, ich fühlte mich sehr geehrt. Der Friedensnobelpreis ist ja nicht physisch überreicht worden, weil Nargis Mohammadi im Iran im Gefängnis saß. Aber bei der Verleihungszeremonie hielt der norwegische Parlamentspräsident eine Rede, ihre Familie war hier, ein Haufen anderer Aktivisten, es war schon großartig. Klar, als Metal-Typ fühlt man sich auch ein bisschen fehl am Platz, aber gewissermaßen Anerkennung zu bekommen für die Arbeit, die wir für Meinungsfreiheit, Redefreiheit und Freiheit im Allgemeinen leisten – das ist schon großartig und eine große Ehre.
Du engagierst Dich auch für SafeMuse, eine Organisation, die sich für künstlerische Freiheit einsetzt und gefährdeten Künstlern sichere Plattformen bietet. Wie funktioniert das?
SafeMuse ist eine norwegische Non-Profit-Organisation, die verfolgten Künstlern aufgrund ihrer Veröffentlichungen in verschiedenen Ländern hilft. Sie kommen aus aller Welt, aus Russland, Weißrussland, dem Iran und vielen anderen Ländern. Künstler erhalten ein Visum, um nach Norwegen einzureisen und dort an Projekten zu arbeiten. Es war mir ein Vergnügen, mit ihnen zusammenzuarbeiten und beispielsweise Artikel für sie zu schreiben.
Hass und Inspiration
Eins der Hauptthemen in deinen Texten ist Hass. Ist das etwas, woraus du Kraft schöpfst?
Ich denke schon. Ich sage immer, wenn ich wütend bin, bin ich glücklich. Es mag komisch klingen, aber ich denke, Wut ist ein Treibstoff. Ich versuche immer, meine Wut und meinen Hass als Antrieb zu nutzen, um aufzustehen und etwas für mich, mein Leben und die Menschen um mich herum zu tun. Als Künstler braucht man Inspiration und Motivation. Und ich habe festgestellt, dass Hass ein großartiger Antrieb ist. Wenn man ihn positiv nutzt, um etwas zu verändern, kann das hilfreich sein. Aber ich denke, der Ursprung liegt in meinem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin, und in diesem ganzen ständigen Druck, den man hat. Texte sind im Allgemeinen ein Medium für mich, um meine Gefühle ausdrücken zu können, und Hass ist eines davon.
Ich fand es sehr überwältigend, sich vorzustellen, wie sehr Deine Vergangenheit auch Deine Gegenwart beeinflusst. Ich meine, im Iran herrscht ja immer noch das islamische Regime und dadurch, dass Du jetzt in Norwegen lebst, hört Deine Vergangenheit ja nicht auf, sondern sie wird immer einen Einfluss auf Dich haben.
Absolut! Für jemanden, der die Geschichte von einem Typen hört, der wegen seiner Art, seiner Musik oder was auch immer, ins Gefängnis kam, und am Ende ist er in Norwegen – das klingt wie ein Märchen. So nach dem Motto: Hey, der Abspann läuft, alle sind glücklich. Das stimmt aber nicht. Es ist nicht vorbei. Wir haben die Tatsache akzeptiert, dass unser Leben, der Rest unseres Lebens, komplett von diesen Ereignissen und diesen Menschen beeinflusst wird. Die Tatsache, dass wir hier nicht schikaniert werden, zumindest nicht physisch von der Regierung, dass wir hier sind und frei sind, musikalisch zu tun, was wir für richtig halten, ist großartig.
Aber: Wir sind zwar nicht im Gefängnis, haben jedoch so viel verloren, angefangen bei unseren Familien, die wir nicht zu Hause treffen werden. Zum Beispiel Silvester, alle hier, die in Norwegen leben, auch Einwanderer, kaufen ein Ticket zurück in ihre Heimat. Wir können das nicht. Ständig wird man daran erinnert, dass man fehl am Platz ist. Man erinnert sich ständig daran, dass diese Menschen einem etwas so Wertvolles genommen haben.
Das ist die Quelle von Deinem Hass?
Ja. Man hat ständig das Gefühl, dass einem etwas genommen wurde, und egal, wie sehr man dafür kämpft. Man wird es nicht zurückbekommen. Es ist irgendwie positiv und negativ zugleich. Und dieses ständige Paradoxon ist das Schlachtfeld für die Schaffung von etwas, das uns in erster Linie persönlich betrifft. Ich schreibe nie Musik, die mir nicht von ganzem Herzen gefällt. Sie muss mir zunächst etwas bedeuten. Es mag egoistisch klingen, aber ich denke, so sollte Kunst sein. Zuallererst musst du es dir selbst schenken. Du musst es selbst lieben. Du musst begeistert sein, wenn du es hörst. Du musst denken: Oh, das ist mein bisher bestes Werk. Und nachdem du es gespielt hast, musst du denken: Vielleicht war es das nicht. Vielleicht habe ich noch mehr zu sagen. Vielleicht habe ich noch mehr zu tun. Vielleicht kann ich es noch besser machen.
Und ja, dieses Exil ist eine erzwungene Verlassenheit, die wir erlebt haben, als wir weggehen und irgendwohin gehen mussten, Tausende von Kilometern weit weg. Heimat ist etwas, das immer beeinflusst, weißt du, irgendwie kommt es immer irgendwie in unserer Musik zum Ausdruck. Und ich denke, das ist das Besondere an CONFESS. Ich glaube nicht, dass viele Leute das erleben, was wir erleben.
Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb können viele Deine Texte nachempfinden?
Ja, ich bin immer froh, das zu hören. Als Künstler macht man Musik für sich selbst, aber es ist etwas, mit dem sich jeder identifizieren kann. Die Geschichte, im Leben ganz unten anzukommen oder vor einer Herausforderung zu stehen und sie zu überwinden. Jeder, der die Geschichte kennt und das Lied jetzt hört, sieht, dass dieser Mann all das durchgemacht hat und jetzt hier ist, um seine Geschichte zu erzählen. Das kann inspirieren, weil er nicht aufgegeben hat. Er ließ sich von niemandem verändern. Zumindest versuchte er, so gut es ging, seine Persönlichkeit zu bewahren. Und das ist eine positive Botschaft, denn vielleicht kann nicht jeder eine Geschichte nachvollziehen, in der man wegen seiner Musik ins Gefängnis kommt. Aber jeder kann eine Geschichte vom Comeback nachvollziehen, von dem, was man erlebt hat.
Und das ist die Hauptbotschaft der Band: Unsere Existenz und unser Überleben können eine Inspiration für jemanden irgendwo weit weg sein, der vielleicht nicht das erlebt hat, was wir erlebt haben. Aber jeder hat Herausforderungen in seinem Leben. Unsere oberste Priorität ist es, etwas zu veröffentlichen, das uns etwas bedeutet. Und die Botschaft ist klar und verständlich für den Zuhörer. Und er kann aus einem ganz anderen Umfeld kommen, aus einer ganz anderen Lebenssituation oder was auch immer. Und es ist großartig, das zu hören.
Bekommt Ihr auf Konzerte oder durch Nachrichten solches Feedback?
Viele, ich habe Nachrichten von Leuten bekommen, ich habe Leute bei den Shows getroffen, wir haben Bands getroffen. Es ist fantastisch, wenn man hört, dass die eigene Musik anderen hilft. Da war dieses Mädchen, sie meinte, sie hätte wegen ihrer Kindheit psychische Probleme und hätte durch unsere Musik ihren Schmerz überwunden und die Probleme überstanden. Es ist die beste Belohnung für mich, denn das hat die Musik auch für mich getan, es ist so, als ob all die Leute, deren Musik ich höre, mir geholfen hätten weiterzumachen. Sie haben mich dorthin gebracht, wo ich jetzt bin, und das für jemand anderen tun zu können, ist fantastisch.
Ein anderer Mann auf einem unserer Konzerte meinte auch mal, wir ließen ihn sich wieder jung fühlen. Er verglich uns mit SEPULTURA in den Neunzigern mit Max Cavalera, und er fühlte sich in diese Zeit seines Lebens zurückversetzt. Das zaubert uns ein Lächeln ins Gesicht, wenn wir so etwas hören. Es gibt einem das Gefühl, weitermachen zu wollen, denn für manche Leute ist es wichtig. Wenn es jemand da draußen braucht, wird es weitergehen.
Danke für das Interview!
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