Ayreon - Transitus

Review

Arjen Lucassen lädt wieder ein zu einer groß angelegten Metal-Oper mit Starbesetzung. „Transitus“ heißt das neue Album und in den gesanglichen Hauptrollen sind dieses Mal Cammy Gilbert (OCEANS OF SLUMBER) sowie Tommy Karevik (KAMELOT) zu hören, während Tom Baker, bekannt aus Doctor Who, als Over The Top-Erzähler der Geschichte wirkt. Weitere SängerInnen sind u. a. Dee Snider (TWISTED SISTER), Johanne James (THRESHOLD), Simone Simons (EPICA) und Marcela Bovio (MAYAN). Das Sujet hat diesmal nichts mit Sci-Fi zu tun, sondern ist mehr eine Art Melange aus Romanze und Geistergeschichte mit historischem Backdrop.

Herzschmerz, Cheese und Geister – Willkommen im „Transitus“

Wenn man als nicht AYREON-Vorgeschädigter wie Unsereins in „Transitus“ hereinfinden möchte, gilt es als aller erstes, die typische Cheese-Schicht abzuarbeiten, die sich üblicherweise bei Rockopern mit Musical-Appeal über das Gesamtwerk legt. Dankbarerweise ist Arjen Lucassen kein Tobias Sammet, sodass man sich beim Hören nicht in Agonie und unter Überzuckerung leidend vor lauter Kitsch und Krempel die Fußnägel abnagen möchte. Dennoch heißt es [zumindest für mich]: Zähne zusammenbeißen beim ersten Hördurchgang. Denn der Cheese springt einem direkt ins Gesicht durch Tom Bakers Erzählstil.

Als „Transitus“ wird direkt zu Beginn der Geschichte eine Zwischenwelt zwischen Leben und Tod vorgestellt, in welcher sich der männliche Hauptcharakter, der zu Lebzeiten gut betuchte Daniel (Karevik) auch direkt wiederfindet. Sinnierend darüber, wie er in diese Lage gekommen ist, hat dies alles mit seiner verbotenen Liebe zur Dienerin Abby (Gilbert) zu tun. In Form einer Rückschau, die er gewissermaßen als Geist an der Seite des Engels von Leben und Tod (Simons) nachempfindet, wird das Dilemma genauer geschildert. Mehr sei dazu erst einmal nicht verraten, nur so viel: Herzschmerz und Drama sind vorhanden und werden Musical-typisch ausgekostet.

AYREON zieht alle Musical-Register

So richtig scheint „Transitus“ besonders in den explosiven Momenten, wenn beispielsweise der Charakter einer Statue (Mike Mills, TOEHIDER) in „Dumb Piece Of Rock“ zu sprechen kommt, oder wenn Dee Snider als Daniels Vater die Kulisse in „Get Out! Now!“ regelrecht zerkaut. „The Human Equation“ zählt ebenfalls dazu, in dem Simons an der Seite von Carolin Westendorp (THE CHARM THE FURY) richtig aufblühen kann. Zu den stärkeren Momenten zählen aber auch atmosphärischere Passagen, wie etwa das von köstlich käsigen Geisterchören und pompösen Orgelwänden begleitete „Daniel’s Funeral“.

Dazwischen liefert Baker immer wieder erzählende Überleitungen, die mal mehr, mal weniger subtil ausfallen. Zumeist dienen sie als Einleitungen in die Handlung, die sich im jeweiligen Song zuträgt, sind dabei teilweise aber etwas zu sehr überspitzt geraten. Unterhaltsam ist es allerdings, jedenfalls um Längen genießbarer als anderorts. Musikalisch geben sich AYREON keine Blöße, aber abseits der Highlights von „Transitus“ tummelt sich auch ein bisschen Filler in der Trackliste, der zwar sinnvoll genutzt wird, um die Geschichte voranzutreiben. Musikalisch wäre hier aber ein bisschen mehr Substanz herauszuholen gewesen.

Teilweise dann doch zu viel des Guten

Denn der Opener „Fatum Horrificum“ beginnt nach dem stimmungsvollen Prolog und der Vorstellung eines der wiederkehrenden Motive mit TRANSATLANTIC-artigem Retro-Prog zum Einschlafen, der aus der zuvor so köstlich aufgebauten Spannung komplett die Luft rauslässt. Erst mit dem folgenden Bombast-Part nimmt die Intensität wieder zu und leitet über in einen deftigeren Rocker. Das PINK FLOYD-eske „Two Worlds Now One“ gerät leider auch etwas fad und vergessbar. Und nicht immer treffen die Vokalisten den emotionalen Kern der jeweiligen Situation, sondern schießen gerne mal weit über das Ziel hinaus.

Am Ende macht „Transitus“ aber dennoch Spaß. Und auch wenn die Story etwas klischeebehaftet und vorherversehbar gerät, so ist sie allemal unterhaltsam in Szene gesetzt. Musikalisch stimmt das meiste und ist auch ansprechend umgesetzt, mal mit sakralen Orchestral-Parts, mal mit folkigen Versatzstücken. Dramatische Kniffe sorgen zudem für die richtige Würze, wie das klimaktische „She’s Not Guilty“, oder auch, wie das Ende des Albums die eingangs vorgestellten Motive wieder aufgrieft und sie im Rahmen der Story fast ein bisschen zu spiegeln scheint. Also: Gewohnt gute Qualität aus dem Hause AYREON, für Käse-Connaisseure allemal empfehlenswert.

18.09.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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