Decapitated - Anticult

Review

Album Nummer drei nach der Zeitenwende. Der Tag des verheerenden Tourbus-Unfalls im Jahr 2007 ist für Waclaw „Vogg“ Kieltykain weit in die düstere Vergangenheit gerückt. Aber dennoch: Seit dem Tod von Drummer Vitek sind DECAPITATED nicht mehr dieselben – weder personell, noch musikalisch.

Carnival Is Forever“ überraschte 2011 mit einer weniger technischen, dafür vermehrt rifflastigen Death-Metal-Herangehensweise, spätestens mit „Blood Mantra“ legten DECAPITATED einen olympiareifen Weitsprung gen Groove Metal hin. Wird der polnischen Vierer mit seinem nächsten Studioalbum das Genre-Kartenhaus also endgültig zum Einsturz bringen? Wird dem blutigen Todesmantra die volle Modern-Schiene oder doch eine überraschende Back-To-The-Roots-Frickelparade folgen?

Ein Monument des Stillstands.

Tatsächlich, keines der beiden genannten Szenarien trifft zu. Was ja erst einmal absolut in Ordnung geht. Denn „Anticult“ ist spielerisch anspruchsvoll, „Anticult“ ist groovy und „Anticult“ ist schön fett produziert. Kurz gesagt: „Anticult“ ist ein Monument des Stillstands.

Macht das hallige Filter-Intro zu „Impulse“ noch Hoffnungen auf zeitgenössisch epische Post-Anleihen der Sorte FALLUJAH, stellen sich nach 70 Sekunden E-Bow-Geheule auch schon die ersten abgedämpften Palm-Mute-Riffs ein, die im weiteren Verlauf nur selten aus dem Klangbild weichen sollen. Ein angedeutet vertrackter Breakdown im Opener, ein paar beliebige Pinch-Harmonics in „One Eyed Nation“, dann zurück ins Geknüppel. Drums, Vocals, Gitarren feuern aus allen Rohren. Tighte Brutalität steht auf der Tagesordnung, wie sie Vogg in den letzten Jahren als alleiniger Gitarrist auch live perfektioniert hat – klinisch sauberen Aktiv-Pickups sei Dank.

Mit einer Gitarre kaum Mehrwert.

Und wenngleich sich DECAPITATED mit ihren Live-Qualitäten nach wie vor nahtlos neben ihren polnischen Kollegen BEHEMOTH und VADER einreihen, läuft einem beim Gedanken an die notwendige Auslassung einiger Leadspuren auch schon ein eiskalter Schauer über den Rücken. Oder einfacher gesagt: Ohne die uninspirierten, aber zumindest halbwegs markanten Tapping-Einschübe würden Songs wie „Deathvaluation“ jeglichen Mehrwerts beraubt.

„Anticult“ mangelt es ganz klar an Variation. Wirkliche prägnante Leitmotive, wie Vogg sie in seinen frühen Zwanzigern noch mühelos aus dem Ärmel schüttelte („Spheres Of Madness„) und wie sie auf „Blood Mantra“ zumindest noch kurzzeitig aufblitzten („Nest“) sind passé, als effektivste Leitmotivik entpuppen sich da allenfalls noch simple Dauer-Groove-Riffs à la „Kill The Cult“. Dieses Rezept funktioniert ja auch – dann aber bitte nur für einen einzigen Track pro Album.

Stumpf ist Trumpf? Nicht bei DECAPITATED.

Ja, Monotonie als Death-Metal-Stilmittel kann durchaus Spaß machen, aber dann doch bitte, bitte nicht gleich das Spiel mit der Dynamik vergessen. Von ein paar dissonanten Einsprengseln ganz zu schweigen. „Stumpf ist Trumpf“ war vielleicht das Erfolgsrezept für viele Genre-Klassiker, aber alleine dank ihrer vorbildlichen Soundansprüche – und eben auch ihrer technischen Vergangenheit – taugen DECAPITATED natürlich nicht als CANNIBAL CORPSE-Rumpelensemble.

Vereinzelte Lichtblicke: Die schleppende Melo-Death-Doom-Hommage „Amen“ und das wenigstens etwas mutigere „Earth Scar“. Erinnert der Auftakt wieder einmal an LAMB OF GOD minus Lead-Gitarre, kommt in der zweiten Hälfte noch etwas melodischeres KATAKLYSM-Twin-Guitar-Geschick durch. Bezeichnend, teilen DECAPITATED und ihre kanadischen Kollegen derzeit doch ein und dieselbe Problematik: Zu viele neue Alben mit zu wenigen Ideen.

06.07.2017
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