Fates Warning - Theories Of Flight

Review

Die Progressive-Urgesteine FATES WARNING sind seit rund 33 Jahren auf musikalischen Reisen unterwegs und haben eine beachtliche, jedoch nicht immer beachtete Karriere hingelegt. Entlang ihrer NWOBHM-Wurzeln der ersten Stunden, der prägenden Stilformung, die die Band in eine Reihe mit Gruppen wie DREAM THEATER und QUEENSRYCHE stellte und einer – in Anbetracht der Länge des Bandbestehens – noch durchaus überschaubaren Anzahl von Besetzungswechseln, imponierten die Amerikaner stets insbesondere mit Wandlungsfähigkeit. Die Alben von FATES WARNING stehen für sich, jedes mit eigenem Charakter und Thematik, mit Weiterentwicklung, aber eben auch einer klaren Handschrift. Vom 2004-er Release „FWX“ zu „Darkness In A Different Light“ aus dem Jahr 2013, ließen sich die vier Herren reichlich Zeit und legen nun in der Besetzung des Vorgängeralbums deutlich zügiger den FATES WARNING-Longplayer Nummer zwölf vor.

Sinnsuche, Entscheidungsfindung, Ohrwürmer

„Theories Of Flight“ ist nicht im engeren Sinne ein Konzeptalbum, beschäftigt sich aber mit der Leitthematik des bevorstehenden Wandels, mit Entscheidungen, Sinnsuche und Rückschau in die eigene Biografie. Schweres Material also, bei dem gerade eine Prog-Band Gefahr läuft, sich mit zu viel Kitsch und Text-Schnörkeln zu überfrachten – ein Kliff, das FATES WARNING geschmeidig umschiffen.

„From The Rooftops“ eröffnet das Album im gediegenen Tempo und mit schmachtender Gitarre. Wenn nach 45 Sekunden erstmals die Stimme von Ray Alder zu hören ist, hat er dem Track durchaus noch nicht gefehlt. Der Song gewinnt langsam an Tiefe, wird mit emotionalen Gitarrenparts und schließlich einer proggig-wohlplazierten Wendung hin zu härteren Riffs und einem Ohrwurmrefrain aufgebaut. Das Ganze geht auf einer ICE-Fahrt von Hannover nach Köln gut ins Ohr – zu gut, protestiert mein Hirn gereizt und fordert, dass Musik mit Tiefgang doch beim ersten Anhören irgendwie knarzen muss und bitteschön das Mitwippen schwerer fallen sollte. Doch aller Protest hilft nichts – auch die folgenden Titel „Seven Stars“ und „SOS“ liefern erstklassiges Ohrwurmmaterial, das schon beim ersten Anhören mitreißt. Einen vorläufigen Höhepunkt nimmt „Theories Of Flight“ dann mit dem über zehnminütigen Kracher „The Light And Shade Of Things“, das Alder über Minuten ruhig und melancholisch vor sich hin haucht, ohne das Ohr in eine Kennichschon-Pause zu entlassen, bevor sich der Titel in härteren Riffs, energetischer Harmoniewendung und – erneut – einem unwiderstehlichen Refrain entlädt. Das Ganze wird komplettiert von erstklassigen Solo-Passagen und endet in der Ruhe vom Anfang, ohne dass dem Song an irgendeiner Stelle die Puste ausgegangen wäre. „Like The Stars Our Eyes Have Seen“ darf wenig später den Härteregler höher stellen und mit „The Ghosts Of Home“ servieren FATES WARNING einen weiteren über zehnminütigen Brocken, der in der Hälfte der Zeit durch die Ohren zu rauschen scheint.

War das nicht zu einfach? Nö.

Irgendwo bei Bielefeld rümpfe ich mein verwöhntes Prog-Näschen. Das geht doch alles irgendwie zu leicht, das kann doch spätestens beim dritten Hören nur noch nerven. Aber bis Köln haben wir einige Kilometer vor uns und ich somit genug Zeit, diese Hypothese auf die Probe zu stellen. Meine anschließende Lauscherfahrung zeigt die eigentliche Größe, die FATES WARNING mit  „Theories Of Flight“ an mein Ohr getragen haben: Wie so häufig offenbart sich die wahre Komplexität des Albums erst nach mehrmaligem Anhören. Während manche Platten jedoch sperrig im Raum hängen, ehe sich das Ohr durch die unterschiedlichen Klangschichten gewühlt hat und andere schon beim ersten Durchlauf ihr gesamtes Pulver verschießen, servieren die Amerikaner  ihr Werk mit einem Schokoladenüberzug aus Melodie und Struktur, unter dem sich  Komplexität, spielerische Glanzleistungen und insbesondere ein Zusammenspiel der Musiker verstecken, wie wir es eben nur selten zu hören bekommen. Paradebeispiel ist der Titel „SOS“, der zunächst als gefällige Rocknummer anmutet und in dem sich auch nach zigfachem Anhören immer neue Wendungen und Nuancen finden lassen. Jim Matheos hat sowohl beim Songwriting, als auch an der Gitarre – hier teilweise unterstützt durch „Gelegenheitsmitglied“ Frank Aresti und Tourmitglied Michael Abdow – (mal wieder) den Nagel auf den Kopf getroffen. Und wenn dies auch ein Lob ist, das FATES WARNING sich im Allgemeinen verdient haben, möchte ich hier doch ein Fleißsternchen extra vergeben – gerade auch im Vergleich zum Vorgänger „Darkness In A Different Light“, der ab und zu in der Tiefe schwächelte.

Für Dauerrotation geeignet

Trotz meiner unverhohlenen Skepsis nach dem ersten Hören, haben FATES WARNING mit „Theories Of Flight“ meinen CD-Player vorläufig fest gebucht. Das zwölfte Album der Prog-Veteranen bietet zugänglichen Rock mit vielen Ohwürmern und einer angenehmen Mischung aus Härte und der gewohnten Melancholie. Wem das reicht, der kann es dabei belassen. Wer aber gerne auch beim x-ten Hörvorgang auf neue Finessen stoßen möchte und sich über faszinierende Schlagzeug- oder Gitarrenkapriolen freut, der sollte sich „Theories Of Flight“ erst recht anhören – am besten immer wieder.

06.07.2016
Exit mobile version