
Soundcheck September 2025# 4
Die norwegischen Vorzeige-Melancholiker GREEN CARNATION hatten 2020 ihre Rückkehr auf die Bildfläche nach ihrer einstweiligen Auflösung mit dem großartigen „Leaves Of Yesteryear“ gekrönt, auf dem sie einerseits neues Material, aber auch alte Klamotten im neuen Gewand geschmackvoll inszenieren sollten. Mit dieser stilsicheren, konsistenten Umsetzung trotzten die Herren um Kjetil Nordhus und Stein Roger Sordal dem anfänglichen Anschein, einfach nur ein paar Reste aufgewärmt zu haben, und schickten ein glorreiches, angenehm Moll-lastiges Album in die Welt, mit dem sie ihre Wiedergeburt gebührend feierten. Dann sollte es schlappe fünf Jahre dauern, bis der Nachfolger „A Dark Poem, Part I: The Shores Of Melancholia“ (im Folgenden nur als „The Shores Of Melancholia“ bezeichnet) nun endlich erscheinen sollte.
Ein dunkles Gedicht in drei Teilen
Der Albumtitel verrät bereits, dass dies der erste Teil einer Reihe sein wird. Genauer ist „A Dark Poem“ als Trilogie über das Thema Selbstverfremdung geplant. Beim Blick auf die Trackliste fällt auf, dass „The Shores Of Melancholia“, der hier gegenständliche erste Teil, ähnlich wie der Vollzeitvorgänger auch nur eine spärlich möbilierte Trackliste sein eigen nennt. Das ist angesichts der Bandhistorie natürlich kein Grund zur Panik, war deren Zweitwerk „Light Of Day, Day Of Darkness“ schließlich sogar ein einziger Longtrack, der sich über eine Stunde erstreckte. Es zeigt andererseits auf, dass der Trend zu gehaltvolleren, vielschichtigeren Tracks im Gegensatz zu einem Werk vom Schlage eines „The Quiet Offspring“ weiterhin Bestand hat.
Aber was erwartet die Hörerschaft denn konkret auf „The Shores Of Melancholia“? GREEN CARNATION spielen weiterhin einen recht düsteren, herbstlichen und dank Nordhus‘ leidenschaftlicher, klarer Gesangsdarbietung ausgesprochen hymnischen Metal mit Gothic-Einschlag und dem ein oder anderen Retro-/Proto-Schlenker, der aufgrund seiner Vielschichtigkeit durchaus auch in Richtung Prog einsortiert werden kann, sich auf „The Slave That You Are“ aber auch mal seitwärts in heftigere Büsche schlägt – mehr dazu gleich. Über die meiste Zeit liefert „The Shores Of Melancholia“ einen recht emotionalen, mitreißenden, aber auch irgendwie intimen Sound. Man kann auch sagen: Es klingt ganz und gar nach GREEN CARNATION und wenig anderem.
GREEN CARNATION lassen ihren Sound abermals in zahlreichen Facetten aufblühen
Aber man kann durchaus auch interessante Referenzen zu anderen Bands in einzelnen Songs machen. Auf „In Your Paradise“ beispielsweise klingen die Norweger ein bisschen nach den neuzeitlichen AMORPHIS – also etwas mehr, als sie das sonst tun. „The Slave That You Are“ kommt dank Grutle Kjellson-Feature mit klanglicher ENSLAVED-DNA daher und hat den Verfasser dazu gebracht, die kleine, feine Kuriosität namens CHAIN COLLECTOR mal wieder zu entstauben, bei der sich Nordhus ein kurzzeitiges Stelldichein u. a. mit Anders Kobro und Svenn-Aksel Henriksen (beide IN THE WOODS …) gegeben hat. „Me My Enemy“ dreht den Prog-Faktor mit seiner Nähe zu PORCUPINE TREE, speziell dem Grundrhythmus von „The Start Of Something Beautiful“, und den inhärenten FLOYDismen indes weit nach oben.
Was „The Shores Of Melancholia“ bei allem jedoch im Speziellen auszeichnet, ist die vollkommene Natürlichkeit und damit einhergehend die weiter oben erwähnte Intimität des Dargebotenen, bei dem nichts künstlich straff gezogen wirkt, sondern jede einzelne Note geradezu entwaffnend ehrlich in Szene gesetzt ist. Quantisierungen, Pitch-Korrekturen und Trigger sind, sofern vorhanden, subtil genug eingearbeitet, sodass sie praktisch zu kaum einem Zeitpunkt negativ auffallen. Selten spielt die Gitarre schroffer als nötig auf, wenn sie nicht gerade in „The Slave That You Are“ in Black Metal-Gefilden wildert. Der Sound ist einfach wunderbar ausbalanciert und jederzeit transparent inszeniert, was ihm fast schon eine Art Dreidimensionalität verpasst – wie die Norweger Querflöte, Synths und Gitarre auf „In Your Paradise“ beispielsweise in harmonischer Eintracht nebeneinander existieren lassen, ist bemerkenswert.
Und wieder schaffen die Norweger ein packendes Album für Genießer
Und im Grunde kann man das Dargebotene auf Empfängerseite auch wunderbar über sich ergehen lassen ohne nennenswerte Skips. Dabei sei nur gesagt, dass „The Shores Of Melancholia“ durchaus ein bisschen Einarbeitungszeit benötigt. Denn zwar agieren GREEN CARNATION erwartungsgemäß zugänglich und sauber, aber die üppige Durchschnittsdauer von etwas über sieben Minuten pro Stück bedeutet, dass die Vielschichtigkeit der Songs allein die ungeteilte Aufmerksamkeit der Hörerschaft einfordert, allen voran der neunminütige Rausschmeißer „Too Close To The Flame“. Die Belohnung für die Investition ist aber erneut ein sahniges Stück herbstlichen Metals mit Ohrwurmcharakter, zu dem man sich wunderbar bei Regenwetter einmummeln kann. Die Norweger haben also wieder alles richtig gemacht.
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Michael































Die hatte ich so gar nicht mehr auf dem Zettel und dann hauen die so ein schickes Album raus.
Kann nur zustimmen. Das ist ein tolles Album und schrammt mit knapp an meiner Bestwertung vorbei