Haken - Fauna

Review

Wer kann schon sagen, was der Prog-Trend von morgen sein wird? Gibt es überhaupt noch irgendetwas neu zu erfinden? Und wenn ja: Wie klingt das dann? Eins steht fest: Wenn es um klassischen Progressive Metal der modernen Schule geht, sind und bleiben HAKEN eine Konstante, die sich bis zum heutigen Tage (und hoffentlich darüber hinaus) treu geblieben sind. Andere zeitgenössische Bands haben in der jüngeren Vergangenheit vermehrt mit Pop, konventionellen Rock, Alternative oder Indie experimentiert und sind dabei teilweise auf Abwege geraten, aber die hiesigen Briten um Goldkehlchen Ross Jennings, Saitenhexer Charlie Griffiths und Alleskönner Richard Henshall sind sich treu geblieben, ohne dabei auch nur einen Meter zu stagnieren. Klar, hier und da gab es mal kleinere Anzeichen von Schluckauf, aber ansonsten sind die britischen Prog Metaller ein Garant für zugleich angenehm aus der Zeit gefallenen und doch brandaktuellen Progressive Metal.

Progressive Expedition ins Tierreich

Warum sollte sich das also mit dem neuen Album „Fauna“ ändern? Eine rhetorische Frage natürlich, ist „Fauna“ nach dem Zwei-Alben-Konzept „Vector“ und „Virus“ wieder ein alleinstehendes Album, das wiederum einem eigenständigen Konzept untergeordnet ist. Dieses ist weniger eine zusammenhängende Geschichte – zuvor genannte Alben vertieften die Geschichte des „Cockroach King“ – sondern mehr von struktureller Natur und damit „The Mountain“ näherstehend. Jeder Song der Platte hat ein Tier zugeteilt bekommen, anhand dessen auf metaphorischer Ebene gewisse, (zwischen-)menschliche Sachverhalte beleuchtet werden, seien es solche von politischer („Taurus“), philosophischer („Sempiternal Beings“) oder höchst persönlicher („Eyes Of Ebony“) Natur. Dadurch bildet sich natürlich kein zusammenhängendes Narrativ ab, aber es schweißt die Trackliste der neuen Platte dennoch bestens zusammen.

Während der Pandemie entstanden, haben sich HAKEN für die neue Platte unmittelbar nach Veröffentlichung von „Virus“ aufgrund der ausgesetzten Live-Aktivitäten alle Zeit der Welt nehmen können, um „Fauna“ auszuarbeiten und sich im Rahmen des Prozesses sogar ein Haus in Surrey gemietet, um die gesamte Band hierfür buchstäblich unter einem Dach versammeln zu können – Details dazu im kommenden Interview mit Richard Henshall! Das Ergebnis: pure Magie! „Fauna“ ist praktisch genauso großartig wie der Fan-Favorit „The Mountain“, das aber eben auf seine eigene, hochmoderne Art und Weise. „Fauna“ hat das Zeug zu einer Referenz des modernen Prog, auf der einen Seite komplex und technisch, aber auf der anderen Seite wunderbar songorientiert und eingängig. Es ist wahnsinnig eklektisch und doch so irrsinnig fokussiert inszeniert, dass man kaum den Eindruck von Heterogenität gewinnt.

HAKEN füllen ihr neues Album bis zum Rand mit Hits

Dabei klingt „Fauna“ zuvorderst nach HAKEN und nach nichts anderem. Es ist einfach dieser sensationelle, songschreiberische Feinschliff hinter „Fauna“, der das Album zu etwas ganz besonderem macht. Das geht bei den grobgelenkigen Riffs los, die „Taurus“ einleiten und den Hörer möglicherweise auf die falsche Fährte locken. Der Vers setzt dann aber über deutlich aufgeräumtere, mit Tremolo-Effekt versehene Gitarren ein und führt organisch in den ersten Refrain hinein. Im weiteren Verlauf werden die Motive wiederholt, aber in ihrer Intensität variiert hin zum finalen Refrain, in dem Jennings in die höheren Gesangsregionen vorstößt und den Song praktisch perfekt abschließt. Auch atmosphärische Cuts bleiben weiterhin ein Leckerbissen, man höre nur „Sempiternal Beings“, das düstere „Beneath The White Rainbow“ oder das emotionale „Eyes Of Ebony“, eine Widmung Jennings‘ an seinen verstorbenen Vater.

Die Briten bleiben aber weiterhin offen für neuere Einflüsse, nachzuhören in „The Alphabet Of Me“. Hier werden die retro-progressiven Neigungen der Band mit tanzbarem Indie-Rock á la EVERYTHING EVERYTHING in Einklang gebracht, inklusive jubilierender Chöre, die den Millennial Whoop tatsächlich einmal in erträglicher Manier inszenieren. Auch „Lovebite“ liebäugelt dank den Gesangslinien der Hook ein bisschen mit Indie-Rock der Spät-2000er/Früh-2010er inkl. „Oooeeeoooh“-Schlenkern, die erstaunlicherweise richtig Pepp in den Song reinbringen. Soulige Gitarrenlicks kommen ebenfalls zum Einsatz, wie auch wieder ein überlebensgroßer Refrain zum Dahinknien.

„Fauna“ kombiniert Klassisches mit Modernem

Doch auch klassische Referenzen werden in der eklektischen Art der Band weiterhin bedient und sich zu eigen gemacht. Das Paradebeispiel hierfür ist „Elephants Never Forget“, das nicht nur in dramatischer Manier fast einem QUEEN-Song gleich beginnt, sondern direkt danach in liebevoller Manier in einen polyphonen Vers nach bester GENTLE GIANT-Art übergeht, nur um dann mit einem geradezu verträumten Refrain aufgelöst zu werden. Im weiteren Verlauf kommen theatralische, fast schon Bariton-artige Gesangslinien zum Einsatz, einfach nur um den eklektischen Wahnsinn des Songs auf die Spitze zu treiben. Aber wieder gelingt es der Band, alles nachvollziehbar und homogen klingen zu lassen.

An dieser Stelle wirkt es fast wie eine Obligation, zu erwähnen, wie großartig sämtliche Einzelleistungen hier sind und wie sehr sie ineinander greifen, um „Fauna“ letzten Endes so gediegen klingen zu lassen. Jennings ist wieder einmal in gesanglicher Höchstform und das Gespann Henshall/Griffiths tut sein übriges, um seine kontrapunktischen Riffs rhythmisch und melodisch um die Harmonien herum tänzeln zu lassen. Aber auch Neuzugang Peter Jones am Keyboard fügt sich bestens ein, ohne das Geschehen mit nervtötendem Geklimper zu verunstalten. Seine Einsätze sind relativ subtil und pointiert, seine Zurückhaltung eine erfrischende Ergänzung des Bandsounds, was seine Leads wie die abschließenden Synth-Bläser von „The Alphabet Of Me“ umso kathartischer wirken lässt. Conner Greens Bass klingt jederzeit klar und angenehm, während Ray Hearnes Schlagzeugspiel alles elegant und nicht zu straff umschnürt.

HAKEN klingen anno 2023 nahezu verboten gut

Die Briten finden praktisch ständig Wege, um die Songs in Bewegung zu halten, sodass keine Stagnation einsetzt. Bei jedem Hördurchgang entdeckt man neue Details im Hintergrund, während sich die Hooks dank Jennings‘ Darbietung bereits beim Erstkontakt in die Hirnwindungen fräsen. „Fauna“ bleibt dadurch durchgehend dynamisch, aber eben auch nachvollziehbar. Die Kunst, solch ein Album aufzunehmen, ohne vom Hundertsten ins Tausendste (und wieder zurück) zu rutschen, ist ohnehin Bestandteil der HAKEN-DNA, wurde mit „Fauna“ aber einmal mehr nahe der Perfektion in Stein gemeißelt. Es werden keine Kompromisse oder Zugeständnisse gemacht wie seinerzeit auf „Affinity“, wo vereinzelte Gesangslinien mal in unpassenden Kitsch abgedriftet sind bzw. wo ein kompletter Song, seinerzeit „Earthrise“, mit seiner überzuckerten Art aus dem Rahmen gefallen ist und daher als vernachlässigbar betrachtet werden konnte.

Auf „Fauna“ passt einfach alles zusammen, steckt in praktisch jeder Note, jeder Phrase, jedem Stück so viel Liebe zum Detail und so viel Herzblut drin, dass es fast schon kriminell wird. Auch wie Pop-Einflüsse hier so elegant und nahtlos in den Sound integriert werden, ohne diesen weich zu waschen, gehört fast schon verboten. Jede einzelne Faser des Albums klingt befreit, kreativ, dynamisch und durchgehend spannend. Gleichzeitig verkommt die Technik und Komplexität zu keiner Zeit zum Selbstzweck, sondern dient immer dem Song. Die Eingängigkeit und Zugängigkeit wird keinem Egotrip geopfert, sondern steht bei jedem Track im Mittelpunkt. Es ist schlicht nicht weniger als das beste Album, was die Briten seit „The Mountain“ veröffentlicht haben. Und es bereitet unsereinem Freude, zu verkünden, dass dieses großartige Coverartwork von Dan Goldsworthy nicht an ein Mittelklassealbum verschwendet worden ist. Chapeau!

03.03.2023

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

Exit mobile version