Machine Head - Unto The Locust

Review

Auf den Titeln der September- und Oktoberausgaben jener Musikmagazine, die sich in irgendeiner Form härterer Musik verpflichtet fühlen, prangen heuer zwei Konterfeis. Das eine gehört(e) einem blondsträhnigen Endzwanziger, der vor 20 Jahren mit einem Knall namens „Nevermind“ die Musikwelt revolutionierte und kurz darauf seinen Legendenstatus mit einem Knall eigenhändig zementierte. Das andere ist das eines bärtigen, etwas waldschratigen Mittvierziegers, der seit 1994 Knall auf Knall (mit Abstrichen) folgen lässt und noch aktiv an seinem Legendenstatus feilen kann. Ein Treppenwitz der Geschichte, dass just in dem Jahr, als Kurt Cobain dem Klub 27 beitrat, Robb Flynn „Burn My Eyes“ veröffentlichte …

… und einer mit mächtig vielen Stufen. Denn dass zwei Dekaden, nachdem sich Grunge in den Rauschwaden einer frisch abgefeuerten Schrotflinte aufgelöst und fruchtbaren Ascheboden für den Phoenix Metal hinterlassen hat, die stärkste Konkurrenz, die MACHINE HEAD dieser Tage um die Aufmerksamkeit der rockophilen (Mainstream-)Leser- und Hörerschaft fürchten müssen, immer noch ein totes Rockidol zu sein scheint, spricht Bände, zumal sich dessen musikalischer Nachlass längst überlebt hat. Während also der Rockolymp eines alten, mystifizierten Mitglieds in medialer Trauerzeremonie gedenkt, nimmt er in seine Riege ein neues auf, das nach Meinung vieler mittlerweile als das Role Model zeitgenössischen Metals zu definieren ist. Glaubt man zumindest einigen Fachpostillen, die „Unto The Locust“ bereits jetzt zum Album des Jahres küren. Oder reichweitenstarken Nachrichtenmagazinen, die es in ihren monatlichen Kanon der wichtigsten Hartwurst-Alben aufnehmen. Oder dem einflussreichen Metal Hammer UK, der „The Blackening“ die Weihe des „Albums des Jahrzehnts“ zusprach. Die Frage scheint also weniger ob, sondern wie weit es für MACHINE HEAD noch gehen kann. Weiter als Chartplatz 12 hierzulande für „The Blackening“? Weiter als Wacken-Headliner vor 60.000 Fans? Würden solche Dimensionen heute noch realistisch sein, bedürfte es gar nicht eines angestrengten Blicks in die verstaubte Glaskugel, um zu erkennen, dass sich der Bay Area-Vierer auf den Spuren des großen Ms des Metal befände. Nur langsamer. Das Tal der Tränen (mit dem streckenweise sträflich unterschätzten „Supercharger“) haben MACHINE HEAD bereits zur Jahrtausendwende durchschritten und sich mittlerweile auf einen klug gewählten Vierjahresturnus eingependelt, an dessen Ende ihnen ziemlich alles aus den Händen gerissen wird, das das schwarzgelbe Rautenlogo trägt.

Vielleicht schwirrte auch dieser Freiheitsgedanke einer kreativ verflucht komfortablen Position etwas im Oberstübchen Phil Demmels rum, als er sich befleißigt fühlte, „Unto The Locust“ eine „große Abkehr“  vom gewohnten Sound zu bescheinigen. Angst vor der eigenen Courage? Dabei sind weder Kindergesang und Geigen („Who We Are“) noch gregorianische Choräle und plötzliche Akustik-Interludes („I Am Hell (Sonata in C#)“) verpönt, solange sie zweckdienlich eingesetzt werden. Und wer MACHINE HEAD heute noch immer zu viel Progressivität attestiert, verwechselt verkopfte Rhythmik mit Entwicklung. Denn letztlich werden nur die bereits am Horizont von „The Blackening“ sichtbaren Grenzen weiter verschoben, bei sieben Songs über knapp 50 Minuten aber komprimierter ausgelotet: mehr Gewicht auf Clean-Vocals, ohne trantütig zu wirken. Ein gefühlter Anstieg an Doppel-Lead-Duellen, ohne die Stoßrichtung aus den Augen zu verlieren. Und das fast schon lächerlich starke Selbstbewusstsein, unter dem dreigestrichenen C erst gar nicht mit dem Riffen anzufangen (Rhythmus wohlgemerkt, nicht Lead). Mit Ausnahme vom seltsam flachen „Pearls Before The Swine“ beweisen MACHINE HEAD abermals ein todsicheres Gespür für Melodien, deren einzige Hürde darin besteht, dass man erst nach ein paar Durchläufen vor den Boxen auf die Knie sinkt und ob einer sich gerade offenbarenden Erleuchtung Danksagungen gen Himmel schießt.

Hightlights bietet „Unto The Locust“ nach kurzer Zeitverzögerung also en masse. Aber der Gänsehaut-Moment, welcher in Zukunft mit Sicherheit als Pflicht-Zitat in das kollektive Gedächtnis des MACHINE HEAD-Kosmos‘ eingehen wird, ist „The Darkness Within“, Bruder im Geiste mit „Descend The Shades Of Night“ und „A Farewell To Arms“ und doch anderen Blutes:

We build cathedrals to our pain
Establish monuments to attain
Freedom from all of the scars and the sins
Lest we drown in the darkness within
,

treibt sich Flynn hier selbst die Dämonen aus und stärkt das MACHINE HEAD-Denkmal mit einem weiteren Pfeiler. Zum Einstürzen bringen können sie es wohl nur noch selbst.

22.09.2011
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