Off! - Free LSD

Review

Vermutlich wird der Punk so schnell nicht aussterben – weder als Einstellung noch als Musikrichtung. Zumindest lässt sich auf absehbare Zeit kaum ein Ende an diskutierwürdigen Themen ausmachen. Eigentlich der perfekte Nährboden für richtig griffigen Hardcore-Punk der politischen Sorte und damit die ideale Voraussetzung für die Kreativität von Bands wie eben OFF!, die sich nach acht Jahren wieder einmal in voller Länge ausrotzen. Angeführt vom CIRCLE JERKS-Fronter Keith Morris, an seiner Seite Bandmitgründer und Klampfer Dimitri Coats und heuer verstärkt durch Autry Fulbright II (… AND YOU WILL KNOW US BY THE TRAIL OF DEAD) am Bass sowie Justin Brown, einem Jazz-Schlagzeuger der unter anderem schon für Herbie Hancock und Thundercat getrommelt hat, lassen die Kalifornier nun „Free LSD“ übers Volk regnen.

OFF! verteilen „Free LSD“

Eine 20-gliedrige Trackliste schreckt auf den ersten Blick zunächst ab, aber nach nicht ganz 40 Minuten haben die Kalifornier ihr Album schon erstmalig über die Zielgerade gebracht. Also alles klar auf der Andrea Doria, was die Punk-Seite des Albums angeht, die im Kern recht nah an der alten Schule gebaut daher kommt. Die Songs kommen zackig aus der Reserve geschossen, bleiben kaum lange genug da, um irgendwie zu nerven und sind dann nach kurzem Aufbrausen meist auch schon wieder vorbei. Dass das Momentum dabei erhalten bleibt, verdankt „Free LSD“ seinem recht zwingenden Fluss, bei dem die Songs zwar nicht fließend ineinander übergehen, aber schon recht gedrängt aneinander gereiht sind. OFF! folgen also brav dem Gesetz der Energieerhaltung und halten den Grad der Intensität hoch.

Bei solchen, vignettenartigen Songs bleibt entsprechend wenig Zeit für songschreiberische Sophistereien. Das hält das Quartett allerdings nicht davon ab, hier und da doch mal kreativ zu werden. Dicke-Hose-Rock á la FU MANCHU kommt beispielsweise in „Peace Or Conquest“ zum Vorschein, das zuzüglich Bass-Gewummer locker von „The Action Is Go“ hätte stammen könnte. Selbst Morris‘ Gesang erinnert vor Stoner-lastigem Hintergrund ein wenig an einen etwas angepissteren Scott Hill. Auch der Titeltrack stopft in seine zweieinhalb Minuten eine Menge an musikalischen Wendungen hinein, von dramatischen Rock-Licks, zackigen, beinahe grindigen Punk-Backbeats und sogar melancholischen Riffs über Blastbeat-Geboller, was ein bisschen an Black-Metal-Pandas im Skatepark denken lässt. Schon erstaunlich, welch Maß an Vielschichtigkeit in so wenig Spielzeit hinein passt.

Statt farbenfroher Psychedelik gibt es jedoch zünftig auf’s Maul …

Doch über ein Großteil der Spielzeit regiert bei OFF! Hardcore-Punk der schweißtreibenderen Sorte. Hier stehen vor allem körperliche Instrumentalleistungen im Vordergrund, die an sich zwar präzise gespielt sind, aber dennoch nicht gerade das sind, was man als filigran beschreiben würde, inklusive einzelner schriller Saxofon-Jauler und käsigem Synth-Gequake frisch aus der Space-Rock-Grabbelkiste – dazu gleich. Da hilft auch die Produktion, dank der die Gitarren amtlich Fleisch auf den Rippen haben. Der heimliche Star der Instrumentalfraktion ist aber zweifelsohne Justin Brown, der praktisch im Fluge zwischen Grobschlächtigkeit und unglaublicher, rhythmischer Feinarbeit (man höre nur „Time Will Come“) wechselt, dabei stets songdienlich spielt. Es wäre wahrscheinlich übertrieben, zu sagen dass man ihm seinen Jazz-Background anhört, aber er wirbelt halt auch wie ein Vieh in seinen Fellen und Kesseln.

Das Album ist trotz der enormen Trackliste recht verbraucherfreundlich durchstrukturiert. Die Tracks kommen im Grunde in vier in etwa gleichgroßen Portionen unterteilt, die wiederum jeweils durch eine instrumentale, jazzig-krachige Improvisation („F“, „L“, „S“ und „D“, respektive) abgeschlossen werden. Diese Strukturierung erlaubt Assoziationen hinsichtlich des Aufbaus an die erste, größere Veröffentlichung der Band, bei der es sich um die Zusammenfassung ihrer ersten EPs gehandelt hat und die dadurch weiland recht zutreffend „First Four EPs“ getauft worden ist. Thematisch sind die hiesigen Häppchen durchaus sinnig in ihre Grüppchen verteilt, wobei irgendwie eine übergeordnete Sci-Fi-Thematik UFO-artig über allem hinweg zu schweben scheint. Das erste Viertel hat beispielsweise eine anarchistische, möglicherweise auch apokalyptische Art, die beiden folgenden Viertel haben mehr mit staatlicher Geheimnistuerei und Augenwischerei zu tun.

… mit gelegentlichem, wenn auch sympathischem Aluhut-Flair

Vielleicht scheint hier und da mal die Reflexion eines Aluhuts durch, speziell bei Songs wie „Murder Corporation“, wo die über dem gesamten Album hängende Sci-Fi-Thematik mit am stärksten durchscheint. Es geht zwar nie so weit, dass man sich Morris als splitternackten Hillbilly vorstellt, der was von Entführungen, durch Aliens in alle möglichen und unmöglichen Körperöffnungen eingeführte Sonden und derlei Verschwörungstheorien mehr faselt. Aber es ist teilweise schon etwas sonderbar. Ok, geschenkt. Fakt ist: „Free LSD“ ist richtig gut. Nicht nur ließe der Titel einen Hunter S. Thompson frohlocken, sondern in gehörter Form frohlockt hier auch auch jeder Testosteron-Bomber (und all jene, die es werden möchten), der im Pit mal wieder ordentlich Frisuren durcheinander wirbeln möchte. Wenn OFF! anno 2022 aufdrehen, dann kann man den Ellenbogen des Nachbarn schon richtig schmecken. Und manchmal sogar unerwartetes entdecken …

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25.10.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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