Running Wild - Port Royal

Review

Mit “Under Jolly Roger” hatten Rock ‘n Rolf und RUNNING WILD die Piratenthematik für sich entdeckt und mit “Port Royal” ihren Stil endgültig gefunden. Warf der Vorgänger mit dem unkaputtbaren Titelsong und der Hymne “Raise Your Fist” gerade mal zwei überdurchschnittliche Stücke‌ ab und war noch sehr im rohen Stil der ersten beiden Alben gehalten, konnten RUNNING WILD durch die Zugänge von Bassist Jens Becker (heute GRAVE DIGGER) und Stefan Schwarzmann (später bei ACCEPT und U.D.O.) sowie den stark verbesserten, melodischeren Gesang von Rolf ihr musikalisches Niveau und ihr Abwechslungsreichtum erheblich steigern. Zudem ist “Port Royal” (noch) ein echtes Bandalbum, bei dem Rolf zwar logischerweise den Löwenanteil der Songs schrieb, aber insbesondere von Gitarrist Majk Moti (Musik und Texte) und Schwarzmann (Texte) einige Unterstützung bekam. Jedes daran beteiligte Bandmitglied hat auf “Port Royal” mindestens einen Songwriting-Credit, was dem Album im positiven Sinne anzuhören ist.

“You wanna know where you are? In Port Royal, hahahahahaha …”

Bleibt fraglich, ob RUNNING WILD im Zuge des ersten “Fluch der Karibik”-Filmes, in dem der historische Ort “Port Royal” eine Rolle spielt, mehr Einheiten von ebendiesem Album absetzen konnten. Vermutlich eher nicht, denn wie fast alle klassischen Bands auf Noise Records lag auch der Katalog der RUNNING-WILD-Klassiker lange Zeit brach. Zum Glück gibt es inzwischen wieder formidable Re-Releases, denn diese Vernachlässigung absoluten Kulturguts ist für die Allgemeinbildung heranwachsender, junger Metalfans katastrophal.

Mit “Port Royal” begann die goldene Ära von RUNNING WILD, die mindestens bis “Black Hand Inn”, großzügiger gerechnet vielleicht auch bis “The Rivalry” zehn Jahre später anhielt. Warum golden? Nun, der Band wird ja häufig nachgesagt, immer den gleichen Song zu schreiben. “Port Royal” jedoch klang in keiner Weise wie einer seiner drei Vorgänger (außer, dass Rolfs Signature-Lick bereits seit dem Debüt etabliert war und auf “Port Royal” lediglich drei Mal zum Einsatz kommt) und auch die starken Nachfolger “Death Or Glory”, “Blazon Stone” und “Pile Of Skulls” hatten eine je eigene Identität. Obwohl Rolfs Stil im Laufe der Jahre natürlich immer unverkennbarer und rigider wurde und er die Kontrollzügel innerhalb der Band immer autokratischer an sich riss.

RUNNING WILD im Jahre 1988 noch eine echte Band

Sicher, die Klassiker aus der ersten Reihe dieses Albums – “Conquistadores”, “Uaschitschun” und das Titelstück – sind allesamt Nummern aus der Feder von Rolf Kasparek. Was “Port Royal” zu einem der langlebigsten (und auch rückblickend noch überraschendsten) Alben der RUNNING-WILD-Geschichte macht, sind gerade die etwas abseitigeren Nummern der anderen Bandmitglieder. Das Gemeinschaftswerk  “Raging Fire” (Kasparek, Moti, Schwarzmann) ist eine Live-Hymne erster Güte, die auch ACCEPT gern geschrieben hätten. Die Moti-Kompositionen “Blown To Kingdom Come” und insbesondere “Into The Arena” sorgen für Abwechslung, indem sie die typisch pentatonischen Rock-‘n-Rolf-Riffs umschiffen und mitunter neoklassische Bezüge integrieren. Obwohl es bei “Into The Arena” immer etwas klingt, als hätte Rolf eigentlich keine Lust gehabt, den Song zu singen.

Auch auf der B-Seite stehen mit dem Grower “Mutiny” und dem ersten Versuch eines Longtracks “Calico Jack” (eine weitere Gemeinschaftsarbeit von Kasparek, Moti und Schwarzmann) Nummern, die nicht zur Standard-Setlist der Hamburger gehören und dennoch Perlen der Bandgeschichte geworden sind. Jedenfalls lassen diese Songs immer noch die kompletten Alben von “The Brotherhood” bis “Resilient” mit höhnischem Gelächter über die Planke gehen.
Nichtsdestotrotz kann die Klasse der größten Albumhits “Conquistadores” (Was für ein Drive!) und der naiv-liebenswürdig formulierten Hommage an die Amerikanischen Ureinwohner “Uaschitschun” (Was für ein Intro! Welch ein Refrain!) nicht alle Tage erreicht werden. Muss sie ja auch nicht.

“Port Royal” bereitet den größten Klassiker aber nur vor

Nach ähnlicher Formel – sehr auf Abwechslung bedacht, immer noch als Band komponiert – sollte auch der Nachfolger, DER Klassiker der Band schlechthin, “Death Or Glory”, arbeiten und sich dabei als kohärenter und runder herausstellen. “Port Royal” wies bereits gut darauf hin, in welche Richtung die Entwicklung gehen sollte (und mit dem Nach-Nachfolger “Blazon Stone” umgekehrt wurde). Diesem Jahrhundertalbum kann es natürlich nicht ganz das Wasser reichen. Sämtliche Karnevals-Piraten der gegenwärtigen Metalszene mit Alibi-Gitarren würden RUNNING WILD selbst mit einer dreißig Jahre alten Scheibe noch immer auf den Grund des Ozeans kanonisieren. Denn trotz des Piraten-Images waren RUNNING WILD in ihrer Hochphase immer nur eins: metal as fuck.

“Take your pompous words and stick ‘em where the sun don’t shine. I swear we meet again. Bye.” (aus: “Calico Jack”).

(Anm. Johannes Werner: Aus Copyright-Gründen steht an dieser Stelle eine zeitgenössische Live-Version des Titelstücks. Tut euch den Gefallen und hört euch das Original-Album auf den einschlägigen Plattformen an, solltet ihr es noch nicht kennen.)

16.06.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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