Soilwork - Övergivenheten

Review

Fangen wir doch einmal mal mit einer ÄRZTE-Paraphrase an: Ist das noch Melodic Death Metal? Diese Definition lässt sich ja schon seit geraumer Zeit im Falle SOILWORK sehr weiträumig abstecken. Möglicherweise seit „Figure Number Five“, spätestens aber mit „Verkligheten“ ist man wahrscheinlich mit dem etwas schwammigeren dafür aber (oder gerade deshalb) weniger an seine Grenzen stoßenden Überbegriff Modern Metal besser bedient. So richtig sagt einem das zwar auch noch nicht, was jetzt hinter dem neuen Album „Övergivenheten“ steckt, aber wer Björn Strids Hauptspielwiese bis hierhin noch nicht gehört hat, hat sich vermutlich auch nie über die Oberfläche oder die Charts hinaus mit härterer Gitarrenmusik auseinandergesetzt.

Spielen SOILWORK überhaupt noch Melodic Death Metal?

Falls sich eine von diesen Personen hierher verirrt haben sollte: SOILWORK spielen melodischen Metal mit Riffs, die eine melancholische Göteborg-Einfärbung haben, meist im etwas strammeren Midtempo unterwegs sind und sich dabei auf große, hymnische und meist klar gesungene Refrains hin aufbauen. Letzteres war nicht immer so, zumal die Schweden in ihrer Vergangenheit durchaus thrashigere, also sprich: noch wütender und rasender klingende Songs aufs Silber getrümmert haben. Doch mit der Zeit hat sich Strids Singstimme entwickelt (man höre hiesig nur „This Godless Universe“!) und liefert eine packende Mitsinghook nach der anderen. Man könnte sogar meinen: Seine Singstimme ist mittlerweile sein Alleinstellungsmerkmal, immerhin fußt der Erfolg seines zweiten, großen Projektes THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA ein Stück weit auch darauf.

Doch eine Band, die zwar durchaus treibenden Metal mit einer ordentlichen Ladung Druck auf dem Kessel spielt, aber eben mehr für Hits denn für das brachiale Riff, die Klang gewordene Dampframme oder das Hirn zerknetende Soundlabyrinth steht, sollte seine durchschnittliche Songlänge auf jeden Fall im Auge behalten. Denn sonst passiert das, was SOILWORK seinerzeit schon einmal auf „The Living Infinite“ passiert ist: Das Ergebnis wurde von Herrn Møller damals dergestalt beschrieben, dass die guten Tracks die Schnarcher zwar quantitativ locker ausstechen, man sich das alles aber bei einem derart überladenen Doppelalbum nicht unbedingt geben muss und sich dann lieber wenn überhaupt nur die Rosinen rauspickt.

„Övergivneheten“ zeigt die Schweden im Arena-Modus

„Overgivenheten“ bringt „nur“ 65 Minuten auf die Uhr, aber das ist auch schon viel länger, als ein Album der Schweden dauern sollte, zumindest wenn man ihren klassichen Sound im Ohr hat. Aber sie machen das beste daraus und binden ein ausgesprochen vielseitiges Bouquet aus Songs, was allerdings auch in einer ziemlichen Nulpe resultiert, namentlich „Death, I Hear You Calling“. Das ist ein Song, der so klingt als hätte sich ein NIGHT FLIGHT ORCHESTRA-Track versehentlich in den Proberaum von SOILWORK geschlichen. Gibt ja durchaus personelle Überschneidungen hier, wäre also gar nicht mal so abwegig. Aber der Track funktioniert so ganz ohne die Airline-Annas – äh, pardon: Aeromanticas hier einfach nicht und klingt wie KISS im Halbschlaf, aus dem Simmons und Co. bestenfalls durch ihre üppige Pyro-Show gerissen werden.

Generell findet man aber eine ausgesprochen hohe Hitdichte innerhalb der Trackliste, wobei SOILWORK speziell in der ersten Albumhälfte praktisch einen Kracher an den nächsten reihen. Los geht es mit dem epischen Titeltrack, der sich seine Zeit nimmt um die richtige Atmosphäre zu kreieren, ehe es dann loskracht. Schmachtende Gitarrenleads von Nachtflug-Co-Pilot David Andersson und Sylvain Coudret, die von Bastian Thusgaard in ein lockeres aber dennoch drückendes, rhythmisches Gerüst eingepasst werden, sowie melancholisch kühle Keyboard-Layer von Tastendrücker Sven Karlsson kreieren einen ziemlich pompösen, aber eben auch verdammt gelungenen Einstieg in dieses Album mit praktisch allen Trademarks, die den modernen Sound der Band ausmachen.

Zwischen modernen Rockern und klassischen Bangern

Bei „Nous Sommes La Guerre“ fragt man sich zwischenzeitlich, ob man noch SOILWORK hört, da sich der Song stilistisch fast schon in AOR-taugliches Melodic-Metal-Territorium vorwagt mit leichtem, verträumten SONATA ARCTICA-Einschlag gemäß ihrer lichteren Momente in ihrer Post-„Prog“-Phase. Die mehrstimmigen Gesangsschichten, die sich an Strids Stimme schmiegen, sind eine Wohltat und der Song drum herum einfach nur klasse, Melodeath-Abwesenheit hin oder her. „Electric Again“ und „Is It In Your Darkness“ lassen ja dafür dann die „Stabbing The Drama“-Phase fulminant aufleben. Hier bekommen die Hörer die bis hierhin fast schon zur Rarität gewordenen Blastbeats um die Ohren getrümmert, inklusive zackiger Backbeats und klassischer Göteborg-Riffs. Und die großen Hooks liefern natürlich den idealen Ankerpunkt, gerade „Is It In Your Darkness“ lässt diesbezüglich herzallerliebst im Viereck springen.

Bei „Vultures“ lässt Strid seine Refrain-Muskeln beeindruckend spielen. Es ist fast so, als ob sich dieser an sich recht stramme Stampfer für die Hook einer Wolkendecke gleich auftut, um seine Stimme wie Sonnenstrahlen durchscheinen zu lassen. Der Solopart arbeitet auch ein paar echt rockende Grooves ein, die sich durchaus schon für Hard Rock qualifizieren würden. Das Instrumental „Morgongåva / Stormfågel“ markiert dann einen gefühlten Cut zwischen den Hälften, an den sich der bereits erwähnte Durchhänger „Death, I Hear You Calling“, noch nicht einmal harmonisch oder anderweitig sinnig, anschließt. Doch sie fallen weich, einmal mit dem bereits erwähnten „This Godless Universe“, anschließend dann mit „Dreams Of Nowhere“ und seinen großflächig texturierten Riffs sowie dem durchgehenden rhythmischen Moment, das der Song beibehält.

Etwas Ausschussware ist bei dem Umfang leider unvermeidlich

Das Hauptmotiv von „Golgata“ ist der vielleicht ein bisschen holprige Versuch, etwas Prog in die Trackliste mit rein zu bringen, aber alles drum herum stimmt wiederum. Der Rausschmeißer „On The Wings Of A Goddess / Through Flaming Sheets Of Rain“ wirft von klassischem SOILWORK-Melodeath über ein rockendes Gitarrensolo bis hin zu Power-Metal-Fetzen, die sich im Sound wahrnehmen lassen, noch einmal eine ganze Menge in die Waagschale, kommt dadurch im Gesamten aber vielleicht ein bisschen unauffällig daher. Dem Track fehlt so ein bisschen der dramatische Kleber, der die einzelnen Elemente zusammen hält. Zwar gehen die einzelnen Passagen recht geschmeidig ineinander über, aber irgendwie fehlt es zumindest in der ersten Hälfte des Siebeneinhalbminüters an Spannung und Dynamik. Beim kernigen Hard-Rock-Solo platzt dann aber der Knoten ein bisschen.

Tja, lange Rede, kurzer Sinn: SOILWORK liefern ein ziemlich modernes, sogar für ihre eigenen Verhältnisse überdurchschnittlich poppiges Album ab, haben aber auch die stilistische Trajektorie mitgebracht, um dies über einen Großteil der Spielzeit gekonnt mit Spannung zu unterfüttern. Gerade in der zweiten Hälfte lässt der Dampf etwas nach, auch dank der Instrumentals, die etwas den Flow aus dem Album nehmen. Aber mit einer bärenstarken ersten Hälfte und den Hits, die sich zweifelsohne auch in der zweiten Hälfte der Platte tummeln, kippen die Schweden die Waage wieder deutlich zu ihren Gunsten hin. Am Ende sind es persönliche Disposition und Wohlwollen, die den Unterschied zwischen Kauf- und Streamemfpehlung ausmachen.

Doch SOILWORK gleichen mit einer hohen Hitdichte aus

Ich für meinen Teil habe lange gehadert, das Teil auch schon oft genug abgeschrieben. Aber nach einer längeren Pause hat unsereins festgestellt, dass dieses Album letzten Endes doch zündet, auch wenn die Melodeath-Anteile vermutlich mehr denn je in den Hintergrund gedrängt worden sind. Man erkennt SOILWORK hierhinter eindeutig wieder, muss sich aber ein Stück weit umgewöhnen, um bei diesem Album seinen Spaß zu haben. Die schwermütige Thematik – „Övergivenheten“ kann etwa als Verlassenheit übersetzt werden – spiegelt sich dabei allerdings ausschließlich in den Texten wider, weniger in den praktisch durchweg tanzbaren Songs per se.

Ob man den erhöhten Hymnen-Anteil als Einfluss des Nachtflugorchesters werten möchte oder nicht, fest steht: Bei „Övergivenheten“ dürfte für die meisten, die SOILWORK schon länger verfolgen, etwas dabei sein. Dabei managen die Schweden den Hit-Anteil über die lange Spielzeit wirklich beeindruckend gut, wobei Ausschuss unvermeidlich gewesen ist und sich eben hauptsächlich in Form von „Death, I Hear Your Calling“ und anteilig im Rausschmeißer manifestiert, zusätzlich auch mit der Positionierung der wenig spannenden Instrumentals mitten in der Trackliste, die das Moment der Platte etwas ausbremsen. Abseits dessen feuern sie aber aus allen Hit-Zylindern und servieren mit „Övergivenheten“ ein buntes, unterhaltsames Album, bei dem Langeweile selten eine Chance hat.

19.08.2022

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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