Tanzwut - Schattenreiter

Review

TANZWUT hatten schon immer eine Sonderposition im Mittelaltergenre inne – allein schon weil es die einzige Band war die tatsächlich auch elektronische Spielereien in die Songs einbauen konnte, ohne den typischen Spielmannscharme zu verlieren. Dass jenes nicht immer gut gegangen war, sieht man zwar an den durchwachsenen ersten beiden Alben, doch spätestens seit „Ihr wolltet Spaß“ ist definitiv alles Gold was aus Berlin glänzt. Umso größer ist die Vorfreude wenn nun mit „Schattenreiter“ ein klassisches Doppelalbum angekündigt wird, das nach 3 Jahren Abstinenz nun 19 neue Songs unters Volk werfen will.

Wobei man den Begriff „Doppelalbum“ nicht so euphorisch aufnehmen sollte wie ich es am Anfang tat, denn wie schon bei vielen anderen Doppelalben (letztes Beispiel: „Keeper of the Seven Keys 3“), wäre es technisch auch durchaus möglich gewesen, beide Platten auf einen einzigen Rundling zu pressen. Relativierend muss man aber sagen, dass ich bis jetzt auch noch kein so langes Mittelalteralbum wie „Schattenreiter“ gehört hab – und nebenbei auch, dass ich bis jetzt auch noch kein so geniales Mittelalteralbum wie „Schattenreiter“ hören durfte. Man sollte es nicht meinen, aber bei dem was TANZWUT hier runterzocken, dürfte der gesamten Konkurrenz der Dudelsack im Halse stecken bleiben.

Bevor es zu einer Detailanalyse geht, sei gesagt dass hier wirklich für jeden Fan etwas dabei ist. Von mittelalterlich hüpfbarem wie wir es aus dem „Labyrinth der Sinne“ gewohnt sind, über der Verschmelzung von 50 Jahren Rockgeschichte, bis zu technoidem Riffgeschrammel mit hymnischen Superrefrains, wird hier die Quintessenz aus 7 Jahren TANZWUT dargeboten. Und mehr. Denn bereits der Titeltrack und Opener haut ein arschgeiles Industrialgewitter aus den Boxen, das man so bisher noch nie von dem Septett gehört hat. Wenn die vielen Breakbeats auf der Platte tatsächlich live eingetrommelt wurden, gebührt der Rhythmusabteilung allerhöchsten Respekt. Weitere Neuheiten im Tanzwutsound: RocknRoll („Im tiefen Gras“), Uptempo Trash („Geisterstunde“) und rhythmisch aufwendiger Punk („Du sagst“).
Der Opener der zweiten CD hat es nebenbei auch in sich: Hier rockt Bachs „Toccata in d-moll“ mit größter Moshgarantie ins Gehörzentrum und profitiert auch von der echten Orgel, die professionell in einer Kirche aufgenommen wurde. Ebenfalls zukünftige Livesets wird wohl „Vulkan“, „Der Arzt“, „Spieler“ und „Seelenverkäufer“ bereichern. Faszinierend wie es die Band aber gleichzeitig schafft, in ihrer völligen Eingängigkeit dennoch ungemein filigran zu klingen. Über einem ohrwurmigen Akkordgerüst erstrecken sich jede Menge feinfühliger Arrangements elektronischer und altertümlicher Art, weswegen die Nummern auch nach längerer Zeit nicht langweilig werden. Top.

Damit bleibt nur noch SCHANDMAUL zu erwähnen, die auf „Immer noch wach“ ein kleines Gastspiel geben, bevor das Review seinen finalen Abschluss findet. TANZWUT haben mit „Schattenreiter“ ein Album rausgehauen, an dem sich SUBWAY TO SALLY, IN EXTREMO, sowie sämtliche Konkurrenz erstmal ordentlich die Zähne ausbeißen werden. Und eigentlich müssten die Berliner auf der nächsten Platte auch diverse Stilkorrekturen vornehmen um nicht selber zu stagnieren. Doch freuen wir uns erstmal auf die kommende Tour – sonst vergisst noch jemand woher sich der Name der Band ableitet…

04.04.2006
Exit mobile version