Anthrax
Listening Session zu "We've Come For You All"

Special

Ende der 80er/Anfang der 90er erfreuten sich Anthrax in Metallerkreisen riesengroßer Beliebtheit, weswegen mit Sicherheit jeder von uns, der nicht erst seit gestern den Klängen harter Gitarren wohlgesonnen ist, schon einmal zu Songs wie „Medusa“, „Caught In A Mosh“ oder „Indians“ die Matte hat kreisen lassen. Auf dem Album „Sound Of The White Noise“ aus dem Jahre 1993 nahmen die Jungs um Gitarrist Scott Ian dann eine kleine Kurskorrektur weg von speedig-thrashigem Metal hin zu mehr groovendem Material vor, was mit Sicherheit auch am Ausstieg des damaligen Shouters Joey Belladonna gelegen hat, dessen Platz von nun an John Bush (auch bekannt von Armored Saint) einnahm. Die beiden Folgealben „Stomp 442“ und „Volume 8 – The Threat Is Real“ konnten zwar überzeugen, aber das gewohnte Bandniveau nicht ganz halten, weswegen meinereiner umso gespannter auf das Material des neuen Albums „We’ve Come For You All“ (VÖ: 17.2.2003) der Amis war, das mir und einer ca. 15-köpfigen Gruppe anderer Redakteure auf Einladung von Nuclear Blast am 22.10. in Göppingen in einer gemütlichen Metalkneipe namens Treffpunkt präsentiert werden sollte.

 

Da mich mein Routenplaner mit einer angebenen Fahrzeit von drei Stunden bis zum NB-Office aber erstmal gehörig verarscht hatte (im Endefekt waren es nämlich nur etwas mehr als zwei), hieß es erstmal warten. Diese Zeit wurde ausgiebig zum Tischfußball spielen genutzt. An dieser Stelle möchte ich liebe Grüße an meinen Kollegen vom Legacy loswerden. Bei der nächsten Möglichkeit kannst Du gerne eine Revanche fordern. 🙂 Irgendwann nahmen wir aber doch samt Band, von der Scott Ian (g), Charlie Benante (dr) und der neue Klampfer Rob Caggiano erschienen waren, im Nuclear Blast-Transporter Platz und ab ging es ins benachbarte Göppingen.

Dort angekommen wartete auch schon der Rest der Meute auf uns und die Listening-Session konnte beginnen:

What Doesn’t Die:
Überraschend thrashig brettert das erste uns vorgespielte Stück aus den Boxen. Härtetechnisch steckt dieser Song alles auf dem Vorgängeralbum locker in den Schatten, was u.a. auch an einem unheimlich treibenden Schlagzeugspiel liegt, das diesen Track, der, wie sich im Laufe der Session heraustellte, auch der härteste des Tages bleiben sollte, einfach nur unaufhaltsam nach vorne treibt. Zudem sticht hier sofort eine brachiale, glasklare, äußerst druckvolle Produktion ins Auge.

Superhero:
Extrem groovig, aber nicht so hart wie noch das erste, präsentiert sich dieses Stück, dem vor allem starke Steigerungen und Spannungswechsel innewohnen. Am ehesten ist „Superhero“ deswegen wohl mit „Inside Out“ vom Vorgängeralbum vergleichbar, wenn man dessen ruhige Zwischenparts mal außer Acht lässt. Gänzlich im Midtempo gehalten dürfte dieser Song live einen heftigen Banger abgeben. Sollten Anthrax planen, eine Single zum Album zu veröffentlichen, stünde „Superhero“ auf dieser Liste mit Sicherheit ganz weit oben.

Refuse To Be Denied:
Nach kurzem akustischen Intro bricht einmal mehr eine brachiale Gitarrenarbeit aus den Boxen, die mit einer schönen Melodielinie gesegnet ist und von einem brutalen Schrei John Bushs, wie man ihn in seiner Zeit bei Anthrax noch nie vernommen hat, begleitet wird. Auch fällt hierbei auf, dass der Sänger stark an sich gearbeitet hat, denn so überzeugend wie in diesem sehr stark von den Vocals getragenen Song mit herrlich melodiösem Refrain klang der gute Herr schon lange nicht mehr. Tempomäßig bewegt man sich wieder in gemäßigten mittleren Regionen.

Safe Home:
Eingeleitet durch einen vom Schlagzeug bestimmten Stakkatopart entwickelt sich dieser Song mit seiner getragenen Bridge zum bisher ruhigsten Stück. Auffällig ist hier vor allem der lange Instrumentalmittelteil, bei dem am meisten einige fast schon Maiden-artige Gitarrenläufe hervorstechen. Ungewohnt, aber gut.

Any Place But Here:
Ebenfalls mit akustischer Einleitung versehen steigert sich dieser Song mit einsetzender Bass Drum zu einem wahren Groovemonster mit schönem Abgehrefrain. Dieser rief bei mir übrigens aufgrund seiner „Come On, Come On“-Sprechchöre sofort Assoziationen zu ebendiesen Stellen in AC/DCs „Moneytalks“ hervor. Musikalisch haben beide Songs aber nichts gemein.

Nobody Knows Anything:
Das letzte uns heute vorgespielte Stück besticht vor allem durch wahnwitziges Drumming, das die Klampfenarbeit ganz klar in den Hintergrund drängt. Hier steht die geballte Rhythmussektion im Vordergrund und verweist die sechs Saiten eher auf einen „schrubbenden“ Platz in den hinteren Reihen.

Somit bleibt als Fazit zu sagen, dass das bisher gehörte Material des neuen Langeisens „We’ve Come For You All“ einen härteren, groovigeren und vor allem besseren Eindruck macht, als dass noch auf „Volume 8 – The Threat Is Real“ der Fall gewesen war. Die Truppe präsentiert sich wieder wesentlich frischer und mit mehr Mumm in den Eiern. Ob das an dem zurückliegenden Streit, dem daraus resultierenden Austieg bei S.O.D. und den dadurch aufgestauten Agressionen bei den beiden Hauptsongwritern Scott Ian und Charlie Benante liegt? Wer weiß. Aber einen kleinen Teil wird diese unerfreuliche Angelegenheit, die die beiden immer noch mächtig ankotzt, wie man ihren Mienen, wenn das Thema angeschnitten wurde, ansehen konnte, mit Sicherheit zum deutlich höheren Abgehfaktor des neueren Materials beigetragen haben. In diesem Sinne darf sich jeder, wirklich jeder, auf den 17.2.2003 freuen. Denn, auch wenn man an Klassiker wie „Spreading The Disease“ oder „Among The Living“ (wohl auch wegen des vollzogenen Stilwechsels) nicht mehr herankommen wird, wird an diesem Tag das beste Anthrax-Album seit „Sound Of The White Noise“ das Licht der Welt erblicken. Da bin ich mir sicher.

26.10.2002
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