Frankreich
Black Metal Special

Special

Klar kennen wir alle die alten Helden, die Black Metal geboren, gebrochen, redefiniert und zu dem gemacht haben, was es heute ist: Aus einem der vormals konservativsten Metal-Genres, wo noch viel Wert auf Tradition und Reinheit gelegt wird, hat sich mittlerweile ein Strauß so vieler unterschiedlicher Stile gebildet, der einfach nur noch paradox zu nennen ist. Von VENOM und BATHORY als kultiger Anfang über die zweite Welle, die vornehmlich von Norwegen mit Bands wie EMPEROR, ULVER, DARKTHRONE  und vielen mehr geprägt wurde, bis zur heutigen sehr weit gefächerten Szene.

Die beinhaltet Post-Black-Metal von Bands wie AGALLOCH oder DEAFHEAVEN, atmosphärisch und naturverbunden wie bei PANOPTICON oder WOLVES IN THE THRONE ROOM, und die ganzen orthodoxen Mantelträger und Weihrauchschwenker wie SCHAMMASCH, BATUSHKA oder NIGHTBRINGER.

Doch mir geht es vor allem um die meiner bescheidenen Meinung nach momentan spannendsten Szenen im Black Metal in Europa: Osteuropa (allen voran Polen), Frankreich und Island. Im Gegensatz zu anderen (auch guten) Bands anderer Länder haben diese gefühlt eine große, vernetzte Szene, gewisse Alleinstellungsmerkmale im Sound und größtenteils hochqualitative Bands am Start. Skandinavien hat logischerweise mit Bands aus Schweden, Finnland und Norwegen, die auch immer noch großartige Musik hervorbringen, ebenfalls Gewicht. Die dortige Szene weist aber nicht dieselbe Innovationskraft oder Eigenständigkeit auf, die sie noch in den 90ern und frühen 2000ern gehabt hat. Die Musikinnovation spielt längst wo anders.

Im dritten und vorläufig letzten Teil des Specials kommen unsere westlichen Nachbarn an die Reihe. Das Special über Island findet ihr hier. Das Special über Polen hier.

Shades of Grey? – Shades of Black wohl eher!

Frankreich gilt bei uns Kartoffeln auch heute wohl hauptsächlich noch als romantisches Land: Paris als die Stadt der Liebe, die kulinarische Seite der Franzosen, die weich klingende Sprache, die kleinen Autos und Dörfer, die schönen Strände in Marseille, St. Tropez und der Côte d’Azur, das alles hat etwas Niedliches und Kosmopolitisches und Friedliches an sich. Wie also von da den Bogen zu Satan, lautem Lärm und Geschrei und Menschenhass schlagen? Na ja, historisch ist Frankreich auch ein Land der Gewalt und der Revolutionen, der Umstürze gewesen, denken wir an historische Figuren wie Napoleon oder die heilige Johanna von Orleans, dem Ende von Monarchie und dem sich blutigen Erheben der unteren Stände, vom Imperialismus Frankreichs mal ganz zu schweigen.

Heute sind da eher nur Weiße-Fahne-Jokes am Start. Auch wenn die Aufklärung heute quasi in „Liberté, égalité, fraternité“ gipfelte, darf nicht vergessen werden, dass die Guillotine eine Erfindung aus Frankreich ist, ironischerweise zur humaneren Exekution, im kollektiven Gedächtnis aber eher mit Gewalt und Tribunalen in Verbindung gebracht wird. De Sade hat den Begriff des „Sadisten“ philosophisch geprägt und den Exzess zur Lebensweisheit auserkoren. Es ist also nicht alles Eitel Sonnenschein bei Wein und Käse dort. Die Faszination für das abgründige und unmenschliche gab es aber nicht nur bei Philosophen und Schriftstellern zu finden. Auch musikalisch ist Frankreich definitiv ein Land mit einem vielfältigen Schleier der Dunkelheit – eher Shades of Black als Shades of Grey.

Von entspanntem Black-Gaze zu radikalstem Menschenhass

Zusätzlich gibt es mit dem Hellfest und dem Motocultor heute große, internationale Festivals in der extremen Musikszene. Frankreich war lange, zumindest im extremen Metal, eine weiße Landkarte. Dabei gab es vor den ersten Bands in den 90er Jahren mit Osmose und Debemur Morti bereits zwei absolute Kultlabels für den rumpeligen und ominösen Untergrund. Ebenfalls gab es mit LES LEGIONES NOIRE (LNN) eine entsprechende Bewegung ähnlich zum norwegischen inneren Zirkel in den 90er Jahren, ohne allerdings so geschichtsträchtigen und skandalös-kriminellen Einfluss gehabt zu haben.

Charakteristisch waren damals noch Einflüsse aus dem Thrash, eine raue, untergrundige Produktion bei Bands wie VLAD TEPES und MÜTIILATION, die prägend für den Lo-Fi-Sound und die Ästhetik eines ganzen Genres wurde. Ende der 90er Jahre und zu Beginn des neuen Milleniums schossen auf einmal Bands und mit ihnen zig unterschiedliche Stile wie Pilze aus dem Boden. Während Paris damals noch hauptsächlich Dreh- und Angelpunkt der Szene war, kommen Bands heute aus ganz Frankreich mit lokalen Eigenheiten und Sounds daher. Die Experimentierfreude der Bands, welche Einflüsse aus Doom, Shoegaze, Folk, Post- und Hardcore mitnahmen, wurde später auch von den Magazinen und Fans international gewürdigt und brachte  – auch relativ leicht verdauliche  – Bands wie ALCEST oder AMESOEURS auch in die Stereoanlagen von Metalheads aus Europa, Amerika und Asien.

Aber was macht die französische Szene so besonders? Es gibt eigentlich kein übergeordnetes Narrativ oder bestimmtes musikalisches Stilmittel, klingen doch THE GREAT OLD ONES gänzlich anders als VLAD TEPES, AOSOTH oder MÜTIILATION. Als zusammenfassendes Charakteristikum kann somit eher die lokal unterschiedliche Ästhetik in Bildsprache und Sound herangezogen werden, da eine Band aus Nantes oder Bordeaux möglicherweise andere musikalische Vorbilder hat(te) und somit auch anders klingt als eine aus Paris. Ganz objektiv bleibt da natürlich noch die Sprache übrig. Klingt das französische sonst eher sehr singend und angenehm, bekommt es im metallischen Kontext beinahe eine ungewohnt harte, kratzige und raue Schlagseite – was dem Mysterium Black Metal da durchaus nicht abträglich ist.

Aber die meisten Bands singen heutzutage ja eh in Englisch, auch wenn es da einige Ausnahmen gibt. Auch die romantische Seite des Landes, die sich vielleicht als Stereotyp im Kopf bei uns Deutschen festgesetzt hat, mag bei der Faszination mitspielen. Themen wie Schönheit und Vergänglichkeit spielen nicht nur bei Bands wie AOSOTH oder CELESTE in den Lyrics, sondern durchaus auch in Artwork eine Rolle und komplementieren somit die Musik.

Die Stärke der französischen Metalszene ist also eher die große Diversität als ein übergeordneter, verbindender Sound, eine Ideologie oder spezielle Folklore, die sich lokal durchs ganze Land zieht.

DEATHSPELL OMEGA

Die Band, die wohl die größte Aufmerksamkeit im extremen Untergrund und bei den (musikalischen) Vordenkern bekommen hat und gleichzeitig mit ihrem Komponierstil und Sound am meisten Einfluss auf heutige Bands aus dem Death- und Black Metal in Europa und mittlerweile auch Amerika hat(te), dürfte DEATHSPELL OMEGA sein. Kaum eine andere Band hatte einen ähnlich immersiven Sound, ein solch ausgeklügeltes Konzept, atmete solche Bösheit und erhob die Dissonanz, das Chaos und die Unvorhersehbarkeit zur neuen, unheiligen Trinität im neuen Black-Metal-Sound. Oft kopiert, selten, für einige Hardcorefans nie, erreicht. Diese Dissonanz inkorporieren längst nicht mehr nur französische Bands. Aber die Eigenheiten im Sound sind etwa bei isländischen Bands anders als beim französischen Black Metal.

Musikalisch recht produktiv, gibt sich die Band ansonsten nebulös. Ehemals gar keine Interviews, mittlerweile gibt es ganze zwei. Liveauftritte schließt sie kategorisch aus, zur Identität eines Großteils der Musiker findet man online keine Informationen. Einerseits soll angeblich hinter dem Mikro dabei der nicht unbekannte Mikko Aspa stehen. Im Falle DEATHSPELL OMEGAs aber kann ausgeschlossen werden, dass die Band selbst eine politische Agenda hat. Die philosophisch und theologisch anspruchsvollen Lyrics, die zudem auch eine beachtliche sprachliche Qualität aufweisen, unterscheiden sich deutlich von den sonstigen Betätigungsfeldern des indiskutablen Mikko Aspa. Vermutlich dient er der Band als rein instrumentelles Werkzeug.

In wiefern man die Musik also hören kann oder will, ganz abgesehen vom Kauf (und der finanziellen Unterstützung) durch Tonträger und Merch, muss jeder mit sich und seinem Gewissen ausmachen.

Weniger Persönlichkeiten, vielmehr lokale Gemeinschaften

Große französische Persönlichkeiten ähnlich zur polnischen Szene gibt es eher nicht. Auch hinsichtlich beinahe inzestuösen Bandgefügen oder Zusammenarbeit im Untergrund hinsichtlich Labelarbeit und Veranstaltungen ist die französische Szene nicht so aufgeteilt wie in Island oder Polen. Es gibt nicht DIE große Black-Metal-Band aus Frankreich, die den Stellenwert von etwa BEHEMOTH hätte. Auch prominente Köpfe sind eher rar gesät und in den Subgenres in Form mehrerer Bandbeteiligungen präsent. Stéphane Paut, besser bekannt als „Neige“, wäre etwa eine solche Persönlichkeit im Blackgaze. Der dürfte dem durchschnittlichen Metalhead, der vielleicht nicht gerade täglich Blackgaze hört, aber eher weniger ein Begriff sein als ein Nergal.

Leider ist auch onlineseitig oder in Form von Fanzines oder ähnlichem nicht sehr viel speziell über französischen Black Metal zu finden. Die Tapetrading-Szene in den Tagen vor dem Internet wird auch in Frankreich existiert haben, Aufzeichnungen historischer Art zu jener sind aber eher weniger zu finden. Auch die Geschichte des LLN (dem französischen „Inner Circle“) erschöpft sich auf ein paar Interviewaussagen, Bandbeziehungen, deren Familienverhältnisse der Bandbesetzungen einen Kreis ergeben und so weiter. Kennt man ja alles. Von daher kann ich hier leider auch mangels Insiderwissen oder Zugang nicht so ausführlich wie bei den vorigen Specials werden. Selbst in Interviews bleibt eine Band wie etwa AOSOTH meist äußerst wortkarg. Die Szene bleibt im allgemeinen eher unter sich, sowohl individuell als auch was Vernetzungen angeht. Natürlich gibt es einige Überschneidungen zwischen Projekten oder Freundschaften, aber nicht in dem Rahmen und der Größenordnung, wie es in Polen oder etwa Island (natürlich auch lokal bedingt) der Fall ist.

Labelseitig sieht es da anders aus. Season of Mist dürfte heute auch einer der ganz großen bekannten Namen sein, hat doch mittlerweile alles, was Rang und Namen im dunklen und extremen Metal hat, in dem Stall ein neues Zuhause gefunden. Von Black Metal hat man sich mittlerweile gelöst, es gibt auch Bands aus so unterschiedlichen Bereichen wie Sludge (HYBORIAN), Mathcore (THE DILLINGER ESCAPE PLAN), Deathgrind (BENIGHTED) und Proto-Folk (HEILUNG) auf dem Roster. Norma Evangelium Diaboli dürfte ebenfals für die meisten Düsterheimer ein Begriff sein (Zuhause von solchen Bands wie DRASTUS, ANTAEUS, FUNERAL MIST, TEITANBLOOD und mittlerweile sogar den Isländern MISÞYRMING), ebenso wie Les Acteurs de l’Ombre, die besonders in den letzten Jahre von sich Reden gemacht habe und wo heute mittlerweile etwa ARKHON INFAUSTUS und AU-DESSUS untergekommen sind. Wenn man den thematischen Überbau nun sehr weit auslegen will, könnte man natürlich noch die frankokanadischen Bands mit rein nehmen, aber das ist eher ein Thema für ein andermal, da insgesamt dann doch zu ausführlich werdend.

Zu den besten Bands aus Frankreich geht es hier: Klick mich.

12.03.2021
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