Carach Angren
Listening Session zu "Franckensteina Strateamontanus"

Special

Dichter Nebel hängt über der Stadt. Er lässt die Hügel im undurchsichtigen Nichts verschwinden und die Kälte bis in die Knochen fahren. Wir sammeln uns im Tal und bereiten uns auf den Aufstieg zur Burg vor, denn wir wissen, dass nicht ein, sondern gleich zwei Monster dort auf uns warten…

Fotos von Stefan Heilemann (Heilemania)

Ganz so, wie in Mary Shelleys Buch – oder eher den zahlreichen Verfilmungen dazu – ist die Sache dann aber doch nicht. Statt mit Fackeln und Mistgabeln sind wir mit Stift und Papier bewaffnet, als wir schließlich vollzählig sind und uns auf den Weg zur Burg Frankenstein machen. Der Nebel ist allerdings echt und passt wunderbar zu unserer Mission, uns das neue Album von CARACH ANGREN zu Gemüte zu führen. „Franckensteina Strateamontanus“ lautet der zugegeben etwas sperrige Titel, den sich die Niederländer für den Nachfolger von „Dance And Laugh Amongst The Rotten“ ausgesucht haben, doch hierzu später mehr. Ab 26.06.2020 könnt ihr das Album übrigens erstehen [Anm. 10.04.2020: Geplant war der 29.05.2020, aufgrund der Corona-Krise und den damit einhergehenden Einschränkungen in den Presswerken musste der Release jedoch verschoben werden].

Auf zu CARACH ANGREN!

Langsam geht es in der (motorisierten) Kutsche die Serpentinen des kleinen Berges hinauf, auf dessen Gipfel die Burg steht. Der dichte Nebel verschluckt dabei die Bäume jenseits der Straße. Alle sind sich einig: Besseres Wetter hätten wir für diese Listening Session von CARACH ANGREN nicht haben können. Bereits oben angekommen sind Clemens „Ardek“ Wijers und Dennis „Seregor“ Droomers, die uns „Franckensteina Strateamontanus“ vorstellen und später ein wenig aus den Nähkästchen plaudern werden.


Bei unserer Ankunft bietet sich uns ein Anblick, wie man ihn sonst eher aus Filmen kennt. Wie zu erwarten, liegt auch Burg Frankenstein in dichtem Nebel, sodass Türme und Mauern gespenstisch aus dem Dunst hervorragen. Das gedämpfte Licht der Wintersonne umspielt die Jahrhunderte alten Mauern und scheint durch leere Fenster. Menschenleer ist zudem der Hof und es herrscht Totenstille, als hätte der Nebel auch sämtliche Geräusche verschluckt. Doch so verlockend die Ruine auch sein mag, der Grund unseres Besuches ist ein anderer. Noch verlockender ist der Ruf des neuen CARACH ANGREN-Albums. So begeben wir uns alsbald in das zur Burg gehörende Restaurant, wo bereits ein Séparée für uns hergerichtet ist.

Wir werden freundlich von Ardek und Seregor begrüßt, die ihr typisches Corpsepaint, das sie für eine Fotosession am Morgen aufgelegt hatten, leider nicht mehr tragen. Zu lustig wären die Reaktionen der Rentnergruppe im Nebenraum gewesen. Nachdem alle mit Getränken versorgt sind, schließen sich die Türen und es beginnt ohne viel Vorgeplänkel die eigentliche Listening Session. Unter den wachsamen Augen der Musiker fliegen die Stifte über das Papier und werden erste Eindrücke hungrig aufgesogen.

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Album Facts zu „Franckensteina Strateamontanus“

Track List:
1. Here In German Woodland (01:35)
2. Scourged Ghoul Undead (05:38)
3. Franckensteina Strataemontanus (03:03)
4. The Necromancer (04:08)
5. Sewn For Solitude (03:52)
6. Operation Compass (06:00)
7. Monster (03:33)
8. Der Vampir von Nürnberg (06:00)
9. Skull With A Forked Tongue (05:56)
10. Like a Conscious Parasite I Roam (08:16)
11. Frederick’s Experiments (02:40) – Bonus

Gar märchenhaft kündigt sich das Intro „Here In German Woodland“ an, denn es klingt beschwingt atmosphärisch und ein Sprecher erzählt von „once upon a golden day“. Schnell werden jedoch sowohl Musik als auch Story düsterer und entführen uns in die dunkle Welt, die CARACH ANGREN für uns kredenzt haben. Auch „Scourged Ghoul Undead“ beginnt mit dem Erzähler, der nun nicht mehr so Märchenhaftes spricht, und bricht in teils wirres, aber für CARACH ANGREN vergleichsweise zugängliches Geballer aus. Bombastische Orchesterarrangements im DIMMU BORGIR-Stil, einige CRADLE OF FILTH-Anwandlungen und coole Horror-Details, wie die sehr grafischen Lyrics, vollenden den Gruseltrip.

Der Titeltrack „Franckensteina Strateamontanus“ überrascht mit einem Industrial-Intro, zu dem sich ein Piano gesellt und das durch stampfige Drums samt Riff abgelöst wird. Der Titel ist gleichzeitig der Refrain, und die Zeile „I am God“ offenbart das Innenleben des Protagonisten. Unter anderem ist er ein „Necromancer“, was der darauffolgende Track aufgreift. Böses Gelächter und kleine Elektro-Effekte läuten das Stück ein, das die obligatorische Zeile „it’s alive“ enthält, sowie etwas Text auf Deutsch. Ist die Kreatur erst mal erwacht, leidet sie unter ihrem Dasein, wie in „Sewn For Solitude“ erzählt wird. Eine einzelne Fiedel, überraschend emotionaler Klargesang und erhaben klingende Orchesterarrangements machen diesen Track klanglich zu einer kleinen Überraschung.

Ganz anders geht es in „Operation Compass“ weiter. Nicht nur die Szenerie, sondern auch die Musik ändern sich. Eine Tonbandaufnahme bringt uns in die Moderne, ihr Inhalt in ein Kriegsgebiet. Die Lyrics erzählen die Geschichte des Dippel-Öls sehr prosaisch, untermalt von einen moderneren Black-Death-Sound mit militärischem Flair. Die sonst üblichen, musikalischen Spielereien werden jedoch direkt von „Monster“ wieder aufgegriffen. Diesen Track eröffnen eine schräge Geige und ein Xylofon, begleitet von Drums, die an das Musical „Stomp“ erinnern. Insgesamt ein eingängigeres Stück mit wenig vertrackten Parts, das einen gewissen Groove versprüht.

„Der Vampir von Nürnberg“ beginnt mit unverständlichem Geflüster, gefolgt von gruseliger Jahrmarktstimmung. Als einer der längeren Songs bietet er CARACH ANGREN viel Spielraum, sich auszutoben. Dies zeigt sich in zahlreichen Tempowechseln und eingesprenkelten Details. Ein wenig zum Schmunzeln bringt die Zeile „die Leiche ist noch frisch, ich trinke ihr Blut. Gottverdammt, das tut richtig gut“. Details finden sich auch im folgenden „Skull With A Forked Tongue“, dessen Zähneklappern Zahnschmerzen auszulösen droht. Mit einigem Geballer und Chaos ist auch hier viel los, nicht zuletzt auch inhaltlich, geht es doch unter anderem um „alchemy, grave robbery, necromancy“.

Der offiziell letzte Titel des Albums ist mit über acht Minuten gleichzeitig sein längster. „Like A Conscious Parasite I Roam“ beginnt überraschend mit Geklimper, Flöte, Harfe und so gar nicht fürchterlich. Nach einem erhaben klingenden Orchesterpart setzen die Instrumente schleppend ein. Die Zeile „Here In German Woodland“ schließt den Kreis der Erzählung, bevor ein ausgedehnter Instrumentalteil auf eine Reise durch verschiedene Stimmungen mitnimmt. Wer allerdings die Version mit dem Bonustrack „Frederick’s Experiments“ ersteht, kommt noch in den Genuss eines weiteren Highlights. Der Track lohnt sich trotz seiner Kürze und bietet eine letzte Runde, eine letzte Wahnsinnsfahrt.

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Im Anschluss an die Listening Session stellen sich Ardek und Seregor den Fragen aus der Runde. Zu Beginn erzählt uns Ardek, wie es zu diesem Themenalbum kam. Wie man sich anhand des Titels „Franckensteina Strateamontanus“ unschwer denken kann, befasst sich der Langspieler mit dem Thema Frankenstein. Jedoch, anders als man erwarten würde, nicht wirklich mit dem eigentlichen Buch, sondern mit dem Mann, der einst Mary Shelley als Inspiration dafür diente.

In einem Alptraum vor etwa zwei Jahren schwebte Ardek durch ein Haus, durch das dissonante Pianoklänge hallten. Ein Sog zog ihn zu einem Gemälde hin, auf dem ein zornig aussehender Mann zu sehen war. In diesem Moment wachte Ardek auf und setzte sich direkt ans Piano, um seine Eindrücke musikalisch festzuhalten. Monate später, zum hundertjährigen Jubiläum von Shelleys Buch „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“, las er dieses und bemerkte dabei all jene Details, die in den meisten Verfilmungen fehlen.

Einer der ihm wichtigsten Punkte war dabei das darin beschriebene wissenschaftliche Bestreben. Weitere Recherchen brachten ihn schließlich auf Johann Konrad Dippel, der auf Burg Frankenstein geboren wurde und die Vorlage für den Wissenschaftler Viktor Frankenstein war. Zu Ardeks Entsetzen entsprach dessen Portrait dem Gemälde des zornigen Mannes aus seinem Traum. Dippels Leben und seine Erfindungen bilden die Basis für dieses Album von CARACH ANGREN, und Dippels Beiname aus Universitätszeiten, Franckensteina-Strataemontanus, wurde zum Titel.

Die Story…

… beginnt mit der (erfundenen) Geschichte eines Jungen, der am Fuße der Burg Frankenstein in den Wäldern spielt, als ihn etwas überkommt. Eine Krankheit rafft ihn dahin. Doch nachdem ihn seine Familie begraben hat, kehrt er als Untoter zurück. Weiter geht es mit den Experimenten des Johann Conrad Dippel, speziell mit seinen Bestrebungen, ein Lebenselixier zu entwickelt. Eine von Dippels Erfindungen führt uns nach Nordafrika, zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, wo die Italiener gegen die Briten kämpften. Die Basis für diesen Text bildet ein Dokument aus Kriegszeiten, das den Einsatz des sogenannten Dippel-Öls (Knochenöl) beschreibt, mit dem das Wasser der Brunnen ungenießbar gemacht wurde.

Im weiteren Verlauf werden Dippel und seine Experimente begleitet, bis die Geschichte beim Vampir von Nürnberg, einem realen, nekrophilen Serienmörder, der – für die Story, mit ein wenig künstlerischer Freiheit seitens CARACH ANGREN – durch Dippels Experimente inspiriert wurde. Das Album endet damit, dass der Protagonist versucht, ewiges Leben zu erlangen, was allerdings nach hinten losgeht. Sein Körper verrottet, doch sein Geist bleibt erhalten. Auf der Suche nach einem neuen Körper wandert er umher und stößt auf einen Jungen, der am Fuße der Burg Frankenstein im Wald spielt. Und so schließt sich der Kreis.

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Die Musik

Wie Ardek erzählt, hatten CARACH ANGREN schon einige Stücke (oder Teile davon) geschrieben, als das Konzept aufkam. Als es dann Ende 2018 Gestalt annahm, wurden Texte und Musik immer stärker miteinander verwoben. Dabei ergaben sich stilistische Unterschiede, die den inhaltlichen Gegebenheiten der Stücke geschuldet sind, unter anderem zu hören in „Operation Compass“. Dabei waren sich Ardek und Seregor nicht immer auf Anhieb einig und mussten sich stellenweise, wie beispielsweise beim Industrial-Intro zum Titeltrack „Franckensteina Strataemontanus“, erst mal mit den Ideen des anderen anfreunden.

Auch wenn Konzept und Musik miteinander einhergehen und eine stilistische Einheit bilden, soll das Album aus einem Guss sein, den Hörern aber auch die Möglichkeit geben, sich gezielt einzelne Songs herauszupicken und diese außerhalb des Gesamtzusammenhangs zu genießen. Der Anspruch war also, ein Konzeptalbum zu machen, in dem die einzelnen Stücke nicht untergehen. Als Lieblingsstücke nennen CARACH ANGREN „Franckensteina Strataemontanus“ und „Monster“. Stimmlich hat Seregor auf diesem Album eine neue Varianz angenommen und sich vor allem weiter in die tiefen Sphären vorgewagt, worauf er besonders stolz ist. Dafür wurden lange verschiedene Mikrofone verglichen, bis das ideale gefunden war.

Die Hintergründe

Besonders angetan waren CARACH ANGREN vom Dissidententum Dippels, der, noch bevor das Zeitalter der Aufklärung in Deutschland Einzug hielt, kirchenkritisch auftrat und wissenschaftliche Forschung sowie Alchemie betrieb. Die Gegend um die Burg Frankenstein war der Zufluchtsort Dippels, an den er zurückkehrte, wenn er aufgrund seiner Einstellung und seines Wirkens verfolgt wurde. Zu Deutschland pflegen CARACH ANGREN zudem enge Beziehungen, und vor allem Seregor spricht gerne Deutsch und konnte sich in „Der Vampir von Nürnberg“ richtig austoben. Der aktuelle Besuch auf Burg Frankenstein ist allerdings auch für CARACH ANGREN der erste.

CARACH ANGREN haben sich teils außergewöhnliche Aufnahmetechniken einfallen lassen, um einige der etwas spezielleren Sounds auf „Franckensteina Strataemontanus“ einzufangen. Bei „Der Vampir von Nürnberg“ sind beispielsweise Schluckgeräusche zu hören, die mit einem an Seregors Hals gepressten Mikro aufgenommen wurden. Ein Geräusch, das sogar die Band so eklig fand, das es unbedingt in den Song aufgenommen werden musste. Im Song „Skull With A Forked Tongue“ wiederum kommt Zahlgeklapper zum Einsatz, das einen sprechenden Schädel symbolisiert.

Nachdem der offizielle Teil nun zu Ende ist, bleibt noch etwas Zeit zum Erkunden der Burg, Fotos und Gespräche, in denen es natürlich um Horrorfilme geht. Was auch sonst?

Quelle: Carach Angren
23.02.2020

headbanging herbivore with a camera

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