Cirith Ungol
Der große Diskografie-Check

Special

Die bereits in frühen 1970ern gegründeten CIRITH UNGOL zählen zu den großen Legenden im klassischen US-Heavy-Metal. Ähnlich wichtig dürften nur MANOWAR und MANILLA ROAD sein. Gemeinsam mit den zwei genannten Bands haben die Jungs aus Ventura, California den sogenannten Epic Metal entwickelt und maßgeblich geprägt. Der große Erfolg, wie zumindest MANOWAR ihn vor allem in Europa erreicht haben, blieb jedoch trotz musikalischer Klasse leider aus. Woran hat es gelegen? Viele (unter anderen sogar die Musiker selbst) vermuten, dass der charakteristische und ureigene musikalische Stil den Nerv der damaligen Zeit einfach nicht getroffen hat.

Auf der einen Seite stand der Hair Metal, der vor allem in den USA einen Großteil der Achtziger Jahre dominieren sollte und auf der anderen Seite die ufkommende Thrash-Bewegung. Zwischen diesen Stühlen wirkten CIRITH UNGOL mit ihren zumeist düsteren und schweren Songs sowie offensichtlichen Siebziger-Wurzeln für viele wie aus der Zeit gefallen und zu sperrig. Auch der charakteristische Kreischgesang von Sänger Tim Baker spaltet damals wie heute die Meinungen und ist weniger massenkompatibel als das Organ eines Rob Halford oder Bruce Dickinson.

Somit löste sich die Band nach vier Studioalben bereits wieder auf und verschwand jahrzehntelang in der Versenkung. Dabei wurden sie jedoch nicht vergessen und sind unter Kennern als Kultband bekannt. Der Ruf nach einer Reunion wurde im Lauf der Jahre durch das neu aufkommende Interesse an traditionellem Metal und den alten Legenden so stark, dass sich die Band 2016 für einen zweiten Anlauf wieder zusammengefunden hat. Unterstützung bekommen sie dabei von NIGHT DEMON-Frontmann Jarvis Leatherby.

Nach einem Livealbum und dem ersten neuen Studioalbum seit fast dreißig Jahren folgte jüngst das Album „Dark Parade“. Die Band hat kürzlich das Ende ihrer Live-Aktivitäten für 2024 angekündigt, womit es vielleicht sogar das letzte Werk von CIRITH UNGOL ist. Eine perfekte Gelegenheit, um sich dem gesamten Schaffen dieser lange übersehenen Band zu widmen und einer Legende den gebührenden Respekt zu zollen.

Frost And Fire, 1981

Zum einprägsamen Eröffnungsriff und der markanten Raspel-Stimme von Tim Baker reckt der „Eternal Champion“ Elric von Melniboné auf dem Cover sein verfluchtes Schwert „Stormbringer“ in die Höhe und lässt sofort heroische Stimmung aufkommen. Mit diesem Opener präsentieren die Amerikaner zum Einstieg direkt eine ihrer ewigen Kulthymnen.

Auch „I’m Alive“ verführt den Hörer dazu, in siegreicher Heldenpose die Faust recken und den Refrain mit stolzgeschwellter Brust hinausbrüllen. In „A Little Fire“ hat der Protagonist genug vom eintönigen Leben und verlangt nach Abenteuern, die er in „Edge Of A Knife“ auch bekommen soll. Hier wird von einem Leben voller Gefahr mit dem ständigen Messer an der Kehle erzählt.

Mit diesen Songs bauen CIRITH UNGOL das musikalische Grundgerüst für alles, was in ihrer weiteren Karriere noch folgen soll. Songs wie „What Does It Take“ und „Better Off Dead“ klingen zwar noch etwas stärker nach 70er-Hard-Rock und die Produktion im Vergleich zu den Nachfolgern etwas schwachbrüstig, aber die Grundeigenschaften der Band sind schon deutlich vorhanden. Die umstrittene, aber charismatische Stimme von Sänger Tim Baker, die epischen Riffs und donnernden Drums sowie der bereits erwähnte Elric auf dem Cover-Artwork.

Der Albino-Prinz aus der Feder des Kult-Autoren Michael Moorcock soll die Band während ihrer gesamten Karriere begleiten und quasi zu deren Maskottchen avancieren. So wie Eddie bei IRON MAIDEN  wird Elric jedes weitere Album-Cover von CIRITH UNGOL in Form eines Kunstwerks des renommierten Malers Michael Whelan zieren, bei dem auch Größen wie SEPULTURA, MEAT LOAF und SMOULDER anklopften.

Zum 40. Geburtstag wurde „Frost And Fire“ eine aufwendige Neuauflage spendiert, die neben einer remasterten Version der Originalaufnahmen auch noch einen wesentlich druckvolleren 40th-Anniversary-Remix bietet.

Sammlungswürdig: Ja, vor allem in der 40th-Anniversary-Neuauflage.

Anspieltipps: Frost And Fire, I’m Alive , Edge Of A Knife

Steffen Gruss

King of the Dead, 1984

Zwischen dem CIRITH UNGOL-Debüt „Frost & Fire“ und dem zweiten Album „King of the Dead“ lagen ganze drei Jahre. Für die frühen Achtziger eine recht lange Zeit, bedenkt man in welch sportlichen Intervallen manche Zeitgenossen ihre Alben damals herausfeuerten. Begründet liegt die lange Wartezeit im D.I.Y.-Ansatz der Band; CIRITH UNGOL wollten die komplette Kontrolle über die Entstehung des Albums behalten und übernahmen die Produktion und Finanzierung selbst. Das nahm natürlich viel Zeit in Anspruch, daher erschien „King of the Dead“ erst 1984.

Auf ihrem zweiten Album entwickelte die Band den Sound ihres Debüts konsequent weiter. Das Songwriting ist straffer, die Produktion differenzierter und der charakteristische Kreischgesang von Tim Baker kommt (für damalige Verhältnisse) noch etwas extremer und angriffslustiger rüber als auf „Frost & Fire“. Ansonsten bleiben die Kalifornier ihrer auf dem Debüt etablierten Formel aber grundsätzlich treu und machen weiterhin keine Zugeständnisse in Sachen Ohrenschmeichelei und Zugänglichkeit.

Die großen Stadien sollen den IRON MAIDENs, METALLICAs und DEF LEPPARDs dieser Welt vorbehalten bleiben; der Heavy Metal von CIRITH UNGOL ist düster, schrullig, beizeiten episch, aber auch immer wieder von psychedelischen Soloausschweifungen durchzogen, welche die Wurzeln der Band in den 70ern deutlich herausstellen.  Kein Wunder, „Atom Smasher“, „Cirith Ungol“ und „Death of the Sun“ wurden ja auch allesamt bereits Mitte der 70er geschrieben. Und obwohl so manch doomig schweres Riff dezent an BLACK SABBATH erinnert, klingen CIRITH UNGOL doch absolut einzigartig, was sich im Laufe ihrer Karriere als Fluch und Segen zugleich herausstellen soll.

Sammlungswürdig: Aber hallo, sowas gehört zur Grundausbildung.

Anspieltipps: Atom Smasher, Black Machine, Master of the Pit

Hans Völkel

One Foot In Hell, 1986

Als Nachfolger des wegweisenden Debüts und des Überalbums „King Of The Dead“ hatte „One Foot In Hell“ 1986 keine einfache Ausgangsposition. Zumal vor allem im Heimatland der Band der Hair- und Glam Metal weiterhin die Arenen dominierten und sich auf dem Höhepunkt befanden. Sogar eine alteingesessene Institution wie JUDAS PRIEST passt sich mit dem umstrittenem „Turbo“ diesem Trend an. Im Vergleich dazu wirkten CIRITH UNGOL mit ihrem charakteristischen Stil für die große Masse auch weiterhin zu sperrig und aus der Zeit gefallen. Doch die Jungs ließen sich davon nicht einschüchtern und wollten mit Brian Slagel sowie seinem Kultlabel Metal Blade Records als Rückendeckung weiterhin ihr ureigenes Ding durchziehen.

Wie eine Kampfansage prescht Opener „Blood And Iron“ ein gutes Stück schneller voran, als die zumeist düster-schweren Songs des kultigen Vorgängers „King Of The Dead“. Mit dem folgenden „Chaos Descends“ geht es dann aber auch direkt wieder in die epische Dunkelheit. Auf „Nadsokor“ betritt die Band wieder Michael Moorcock-Terrain und widmet sich der Stadt der Bettler aus der Elric-Saga. Hier zieht das Tempo bereits wieder etwas an und auf „100mph“ wird das Gaspedal passend zum Titel bis aufs Metall durchgetreten. Vielleicht der schnellste Song im gesamten Backkatalog.

Allgemein geht es auf „One Foot In Hell“ also ein gutes Stück härter und zackiger als auf den beiden vorherigen Alben voran. Vom Songwriting wird die Klasse des direkten Vorgängers zwar nicht durchgehend gehalten, aber CIRITH UNGOL liefern nichtsdestotrotz eine starken Nachfolger zu ihrem mächtigen Zweitwerk ab, der zwar leider immer etwas in dessen Schatten stehen wird, sich dort jedoch keinesfalls zu verstecken braucht.

Sammlungswürdig: Auf jeden Fall.

Anspieltipps: Blood And Iron, Chaos Descends, 100mph

Steffen Gruss

Paradise Lost, 1991

Aus der heutigen Perspektive wirkt das Album wie das letzte Aufbäumen, bevor es lange still wurde. Nachdem fünf Jahre zuvor „One Foot In Hell“ erschien, haben in der Zwischenzeit Gitarrist Jerry Fogle und Bassist Michael „Flint“ Vujea die Band verlassen. Rund um die Veröffentlichung des Albums gab es Probleme mit dem Label Restless Records, die den Vertrieb der Scheibe nicht hingekriegt hat, was auch seinen Teil zur ersten Auflösung der Band beigetragen hat.

Dabei gab es zumindest aus musikalischer Sicht keinen Grund, denn „Paradise Lost“ zählt nach wie vor zu den stärksten Alben der Band. Das stellen die Kalifornier direkt in den ersten Minuten mit der Hymne „Join The Legion“ und dem nicht minder aufregenden „The Troll“ klar. Das Crescendo „Chaos Rising“ und die Ballade „Fallen Idols“ fallen für die Band ungewohnt konventionell aus, können dem Album nochmal eine eigene Note geben. Das ARTHUR BROWN-Cover „Fire“ fällt in die Kuriositätenkategorie, wobei es sich problemlos in den Albumfluss einfügt.

Im Vergleich zum Vorgänger, fällt das Album ausgefeilter aus, was nicht zuletzt Neuzugang Jim Barraza zu verdanken ist. Sein virtuoses, mitunter maideneskes Riffing wird prominent in Szene gesetzt. Dank diesem eigenen Sound und einiger Hits ist „Paradise Lost“ der grandiose Schlusspunkt des ersten Lebens von CIRITH UNGOL.

Sammlungswürdig: Auf dem Cover steht CIRITH UNGOL, also ja.

Anspieltipps: Join The Legion, The Troll, Paradise Lost, Chaos Rising

Philipp Gravenhorst

I’m Alive, 2019

Normalerweise bleiben Live-Alben in unseren Diskografie-Checks außen vor, „I’m Alive“ nimmt aber gleich aus mehreren Gründen eine Sonderstellung im Schaffen von CIRITH UNGOL ein und soll daher nicht außen vor bleiben.

NIGHT DEMON-Chef Jarvis Leatherby, ausgewiesener CIRITH UNGOL-Fan, hatte jahrelang versucht, die Band zu einer Reunion zu überreden. 2016 war es dann schließlich soweit und CIRITH UNGOL reformierten sich in der Besetzung Tim Baker (Gesang), Robert Garven (Drums), Jim Barraza (Gitarre) und Greg Lindstrom (Gitarre) sowie Jarvis Leatherby am Bass für das zweite Frost and Fire Festival in Ventura, Kalifornien. 2017 folgten gefeierte Headliner-Gigs bei diversen europäischen Festivals, darunter das Hammer Of Doom in Deutschland sowie das griechische Up The Hammers. Diese beiden Auftritte wurden 2019 schließlich in fantastischer Qualität unter dem Titel „I’m Alive“ als üppiges Live-Boxset bestehend aus zwei randvollen CDs und zwei DVDs veröffentlicht.

Der Clou daran ist allerdings nicht nur der schiere Umfang dieses Pakets, sondern vor allem die bestechende Form, in der sich CIRITH UNGOL präsentieren. Besonders Tim Baker wirkt so, als hätte die über zwanzigjährige Pause seiner Stimme überhaupt nichts anhaben können. Im Gegenteil, der Mann klingt bei den Auftritten noch kräftiger, aggressiver und angepisster als je zuvor. Doch auch der Rest der Band spielt nicht nur unfassbar tight, grade den etwas angestaubten Stücken der ersten Alben haben die Wunder moderner Tontechnik hörbar gutgetan. Klassiker wie „Atom Smasher“, „I’m Alive“, „Black Machine“ oder die jeweiligen Titelstücke knallen mit einer bis dahin ungehörten Power aus den Boxen und das ohnehin schon knackige Material von CIRITH UNGOL erhält durch den druckvolleren Klang nochmal zusätzlichen schwermetallischen Wumms. Ein Hoch auf den Soundmenschen!

Zum DVD-Teil: Sicherlich zählen CIRITH UNGOL nicht zu den agilsten Live-Performern der Heavy-Metal-Szene, eine recht einzigartige Bühnenpräsenz strahlen sie aber dennoch aus. Die lässige Art und Weise, in der Tim Baker nur mit ein paar anfeuernden Gesten den Zeremonienmeister gibt und die Hingabe, mit der sich Gitarrist Jim Barraza in seine Solo-Eskapaden wirft, sind durchaus sehenswert. Für etwas mehr Bewegung im Hintergrund sorgt zudem das wie immer wild headbangende und ausufernd posende Bandküken Jarvis Leatherby.

„I’m Alive“ dokumentiert also nicht nur die triumphale Rückkehr einer Legende auf die Bühnen dieser Welt und gehört damit zum Pflichtprogramm jedes Fans, auch als Querschnitt für CIRITH UNGOL-Einsteiger eignet sich dieses Live-Monster bestens.

Sammlungswürdig: Unbedingt!

Anspieltipps: Alles! Ist ja schließlich ein Best-Of-Programm.

Hans Völkel

Cover Artwork von „Forever Black“ von CIRITH UNGOL

Forever Black, 2020

Die Wiedervereinigung 2016 war eine kleine Sensation. Neben drei Mitgliedern des letzten Line-Ups war Greg Lindstrom zum ersten Mal seit 1982 wieder Teil der Band und NIGHT DEMON-Chef Jarvis Leatherby, der die Reunion massiv vorangetrieben hat, war auch am Start. Nachdem die Gruppe diverse Undergroundfestivals betourt hat, sollte mit niemand geringeren als Metal Blade im Verbund die Rückkehr in die Plattenläden erfolgen.

Und wie das bei Comebackalben so ist, knüpft die Platte direkt an das 29 Jahre vorher erschiene „Paradise Lost“ an. Das flotte „Legions Arise“ wurde da sicherlich nicht zufällig als Opener ausgewählt.“The Frost Monstreme“ und „The Fire Divine“ zeichnen sich durch ihren Abwechslungsreichtum aus. Der Rest des Albums tendiert stark in Richtung Epic Doom. Was etwa bei „Fractus Promissum“ richtig Spaß macht und manchen Songs wie „Before Tomorrow“ unspektakulär gerät.

Aber trotz einiger Längen ist „Forever Black“ eine Rückkehr, die der hohen Qualität ihrer Diskografie gerecht wird. Das liegt nicht zuletzt an einem Tim Baker, der so klingt, als ob er in den fast drei Dekaden nicht gealtert ist. Wie auch der Rest der Band.

Sammlungswürdig: Comebackalben sind prinzipiell nicht sammlungswürdig, was hier aber von der Regel aufgehoben wird, dass alle CIRITH-UNGOL-Alben sammlungswürdig sind.

Anspieltipps: Legions Arise, The Fire Divine, Fractus Promissum

Dark Parade, 2023

Der aktuelle Dreher „Dark Parade“ ist das zweite CIRITH UNGOL-Album seit der Reunion im Jahr 2016. Da Gitarrist Jim Barraza die Band kurz vor Release aus gesundheitlichen Gründen verlassen hat und CIRITH UNGOL zudem das Ende ihrer Live-Aktivitäten ab Ende 2024 angekündigt haben, könnte es tatsächlich auch das letzte sein. Zum Glück ist aber noch nichts in Stein gemeißelt.

Überraschungen sollte man auf dem sechsten Album der Kalifornier freilich nicht erwarten, vielmehr fasst „Dark Parade“ die Essenz des Bandsounds zusammen und bringt diesen in knackiger Frische auf den Punkt. Die Stimmung bleibt natürlich finster und man kann hier durchaus von der wohl direktesten CIRITH UNGOL-Scheibe sprechen, ohne dass dabei irgendwelche Trademarks verloren gehen. Mit „Velocity (S.E.P.)“ geht es peitschend los, „Relentless“ sorgt für Nackenschmerzen, mit „Sailor on the Seas of Fate“ wird die Truppe ihrer psychedelischen Seite gerecht und der Titelsong sowie „Down Below“ zwingen mit tonnenschwerem, bitterbösem Doom Metal in die Knie.

Tim Baker hat auch in seinen Sechzigern nichts von seiner Bissigkeit verloren und der Rest der Band präsentiert sich ebenfalls in Topform; das Schlagzeug donnert und das Gitarrenduo Lindstrom/Barraza setzt immer wieder Akzente, besonders letzterer verzaubert mit so manch einem gefühlvollen, bluesigen Solo. Er wird bei den letzten über das Jahr 2024 verteilten Gigs mit Sicherheit fehlen.

In der Summe ist „Dark Parade“ nicht nur ein starkes Alterswerk, eine solche Platte würde auch so manch jüngeren Mannschaft zur Ehre gereichen. Bleibt zu hoffen, dass das letzte Kapitel von CIRITH UNGOL noch nicht geschrieben ist, sollte „Dark Parade“ aber tatsächlich das finale Album dieser legendären Band sein, so wäre es ein würdiger Abschluss einer langen, bisweilen etwas holprigen Karriere.

Sammlungswürdig: Definitiv, wie eigentlich jedes CIRITH UNGOL-Album.

Anspieltipps: Velocity (S.E.P.), Relentless, Down Below

Hans Völkel

07.11.2023
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