Excrementory Grindfuckers
Tourtagebuch 2018

Special

Die EXCREMENTORY GRINDFUCKERS sind aktuell in Deutschland und Osteuropa unterwegs. Wer die Jungs kennt, weiß, dass Abenteuer, Spaß und Alkohol garantiert sind. Für euch fassen die Herren ihre Erlebnisse in einem Tourtagebuch zusammen.

EXCREMENTORY GRINDFUCKERS-Tourtagebuch Teil 0 – Hannover

Bevor es auf in den Ostblock geht, erst mal eine quasi Warmup-Show in unser Heimatstadt Hannover, genauer gesagt im alternativen Multi-Kulti-Viertel „Nordstadt“. Ein Sammelbecken an linksautonomen Hausbesetzern, jungen Familien und feierwütigen Studenten. Zugemüllte, zugekotze, zugeparkte und mit Hundehaufen übersäte Bürgersteige, alle 30 Minuten geben Trunkenbolde ihre Brunftlaute ab – kurzum der geilste Stadtteil Hannovers. Hier habe ich selbst noch bis vor kurzem gewohnt.

Inmitten unzähliger Kiosks und Kneipen versucht sich seit einigen Monaten der gemütlich eingerichtete Club „Subkultur“ zur festen Live-Größe zu etablieren. Ich drück feste die Daumen, denn das Liveclub-Sterben verschont auch Hannover nicht. Leider hat es an diesem Abend (wie in Hannover häufiger) an Publikum gemangelt. Gerade mal ungefähr 50 Besucher, mehr oder weniger. Auf jeden Fall zu wenig. Lag’s am Termin mitten in der Woche? An der Grippewelle? Oder an der neuen Staffel „Frauentausch“? Oder daran, dass wir erst Ende letzten Jahres in Hannover gespielt haben? Wahrscheinlich war’s das miese, nasskalte Wetter, das die Hannoveraner am heimischen Kamin verharren lässt. Ich selbst kam aus dem Büro vom Spätdienst direkt zum Club. Hatte sogar noch den Arbeitsausweis um den Hals, entspannt ist anders. Donnerstag halt.

Die Vorband EVERLASTING CARNAGE sah aus wie eine bekloppte Mischung aus Kinderfasching und Geisterbahnanimateur. Scarecrow am Mikro, Predator am Bass, ein Nackedei mit Feinripp und Schweinsmaske an den Drums… kann man darunter überhaupt was sehen, geschweige denn atmen?! Die Musik war solider, grooviger Death-Metal und ging voll in Ordnung, auch wenn das Publikum am Donnerstagabend nicht zu Euphoriesalven aufgelegt war. Bei uns war das anfangs auch nicht so viel anders, wir mussten selbst den Arbeitstag abschütteln, bis man die richtige Laune gefunden hat. Donnerstag halt.

Mike und Kai brüllen sich die Arbeitswoche aus der Seele.

Ein Tablett Mexikaner, das von CRIPPER-Britta serviert wurde und zur Hälfte in Kai verschwunden ist, hat da ebenso geholfen wie das „Braune-Lagune-Swimteam“, das sich regelmäßig bei unseren Shows blicken lässt. Ertrinken konnten wir also nicht, aber betrinken wäre schon schön gewesen. So erschreckend nüchtern waren wir selten auf der Bühne. Das ist unserem Mischer Flo auch nicht entgangen. Er war schockiert, dass wir ausnahmsweise mal tight waren. Keine Spielfehler, knackige Ansagen, alles auf den Punkt gespielt. Wenn das so weiter geht, werden wir noch als seriöse Metalband gehandelt. Dann gebe ich Gitarre-Clinics auf Musikmessen, und Musikerfachblätter veröffentlichen Gitarren-Tabs zu unseren als Meisterwerk betitelten Megaseller-Alben. Das wäre ja ein Albtraum. Nein, dann lieber wieder am Wochenende rotzevoll von der Bühne kippen. Wenn ich Glück hab, fängt mich das Swimteam dann auf.

Die Superstars müssen posieren und künstlich lächeln.

EXCREMENTORY GRINDFUCKERS-Tourtagebuch Teil 1 – Schimmel

Heute spielen wir in Marienberg an der tschechischen Grenze. Wir wissen nicht, was uns erwartet: Chrystal Meth, Nazis, seltene tundrische Flachland-Berggorillas oder vielleicht sogar so etwas wie Zivilisation? Werden wir die einzigen Homo Sapiens vor Ort sein, oder gibt es dort intelligentes Leben? Dass letzteres vorhanden ist, bezweifeln wir. Immerhin haben uns die Marienberger höchst offiziell gebucht. Der Bürgermeister selbst hat nämlich den Vertrag mit uns unterzeichnet.

Stadthölle Marienberg

Wie dem auch sei: In Hannover haben wir für relativ schlanke 200 Euro Schnaps und ungesunde Snacks aus Weißmehlpampe eingekauft, um die nächsten drei Tage möglichst beschadet zu überstehen. Was Christus allerdings gar nicht gefällt, ist, dass ich dieses Wochenende nichts trinken will. Ich musste regelrechte Rechtfertigungsorgien abliefern, um ihn zu besänftigen. Es bereitet ihm nämlich auf aufrichtigste Art und Weise Sorgen, dass es mir möglicherweise nicht gut gehen könnte. Dabei will ich nur nicht so enden wie er. Hätte er nicht das Reflexionsvermögen eines Steines, sollte das mehr als nachvollziehbar für ihn sein.

Im Erzgebirge angekommen stellen wir wieder einmal fest, dass alle viel zu nett zu uns sind und einen echt drolligen Dialekt haben. Auf der anderen Seite haben sie nicht unbedingt den schwarzen Gürtel in Partymachen. Das liegt aber auch an der Location, der riesigen Stadthalle Marienberg. Egal, wir haben natürlich wie immer ein absolutes Feuerwerk von Heavy-Metal-Überperformance abgeliefert, das sich mit keinem Superlativ im gesamten Universum beschrieben ließe, und noch eine extralange Extended-Edition-Ultraversion von unserem Megaklassiker „Hallo Bomme“ abgeliefert. Rob hatte zwar keine Hose dabei, aber das hat uns noch nie aufgehalten.

Die Grindfuckers kurz vor der Show

Nach der Show ging es dann ins Hotel „Zum weißen Ross“. Man hätte auch einfach Schimmel schreiben können, das wäre auch passender gewesen. Aber so ist das natürlich ein fast schon zynischer Euphemismus. Wobei das Hotel eigentlich echt gut war, aber ich wollte diesen Kalauer nicht auslassen. Merkwürdig war nur, dass Christus und ich neben Schlafzimmer und Bad noch einen dritten, gefliesten, aber unverputzten Raum hatten, in dem absolut nichts drin war. Wir haben ihn das „Sex-Zimmer“ getauft – und für wen wäre das sinnvoller als für Christus und mich?

Mike, Rob und der geflieste, nicht verputzte, kleine Sexraum

Am nächsten Morgen ging es dann noch schön in die Sauna, alle verunreinigenden Elemente ausspülen, die unseren Körper an einem gepflegten Höllensuff hindern könnten. Immerhin fahren wir heute in die Welthauptstadt des Saufens, wie Kai es genannt hat. Auf nach Prag.

EXCREMENTORY GRINDFUCKERS-Tourtagebuch Teil 2 – Träume

Meine Güte… in 90 Minuten waren wir schon Prag. Eine erstaunlich kurze Fahrt, allerdings muss man nochmal 90 Minuten hinzuplanen, um einen Parkplatz zu finden. Aber nur, wenn es wirklich gut läuft. Immerhin konnte man die hübsche Ost-Metropole vom Auto aus bestaunen. Quasi wie in einer Stripbar: gucken, aber nicht anfassen. Für einen kurzen Moment erschien es vernünftig, die Suche abzubrechen und einfach wieder zurück nach Deutschland zu fahren, dort den untermotorisierten und überstrapazierten Schwerbehindertenbus an einer Autobahnpissrinne zu entsorgen und im Anschluss zu Fuß nach Prag zu latschen. Man hätte sicherlich Zeit und Nerven gespart.

Leider war unser Fahrer Kai (der nebenbei Sänger bei den unglaublichen Excrementory Grindfuckers ist) beharrlich auf der Suche. Bon Scott war übrigens auch jahrelang Bandbusfahrer für AC/DC. Ist der nicht in einem Swimming Pool an seiner eigenen Kotze erstickt? Hat die Band nicht danach mit neuem Sänger ihre Karriere auf ungeahnte Höhen gebracht? Wäre „Back in Black“ auch ein solches Jahrhundertalbum geworden, wenn Bon Scott noch gelebt und darauf gesungen hätte? Es macht keinen Sinn, diese Idee weiterzuspinnen. Einen Pool hatten wir im Prager Hotel ohnehin nicht, nicht mal eine Badewanne. Und wer soll auch den Bandbus fahren? Christus verwechselt die Pedale mit seiner Fußmaschine. Mike hat schon eine Schramme in den Bus gefahren, ohne dass wir dafür Hannover verlassen mussten. Und dem Rest traue ich schon aufgrund ihres Drogenkonsums nicht. Mir selbst sowieso nicht.

Während ich an das promotechnische Ausschlachten eines Bandmitglied-Ablebens nachgedacht habe, fand sich nach gefühlten drei Stunden ein Parkplatz inmitten der Prager Stadtmitte. Uns hat ein Wirtshaus mit unaussprechlichem Namen durch sein Angebot an böhmischer Koch- und Braukunst wie ein Magnet angelockt. Eisbein, Kirmes-Ente, Wildschweingulasch, Rotkohl mit Klößen. Großartig, aber in solchen Mengen, dass selbst Tage danach meine Fürze nach tschechischer Landluft riechen.

Was nicht fehlen durfte, war der Besuch der Karlsbrücke, die man dank der Vielzahl an Touristen gar nicht sehen konnte. Das sah aus wie in World War Z, wo die Zombies übereinander hinweg geklettert sind. Nur ohne Brad Pitt.

Nach absolviertem Touriprogramm ging’s zum Club, dessen Namen ich vergessen habe: irgendwas wie Czrsmszs Kraszisnsz oder so. Ernüchterung trat ein, als eine heruntergekommene Bretterbude am Rande der Stadt sich als unsere Konzertlocation herauskristallisierte. Doch der Schein trügt wie so häufig. Kaum drin, entpuppte sich der Club als gemütliche und klanglich hervorragend geeignete Bretterbude am Rande der Stadt. Es gab sogar innovative Wohnkonzepte: die Klobrille wurde an die Wand übers Klo gehängt und konnte bei Bedarf entwendet werden. Ob die Mädels sich diese aus dem Männerklo holen mussten?

Apropos Mädels, die Vorbands waren allesamt brutalste Prügelbands, die den Club zerlegten und uns wie Spinal Tap aussehen ließen. Ich liebe Spinal Tap. Die Band direkt vor uns waren drei Franzosen samt einer Frontfrau, die beängstigend krakelen konnte, und einem Drummer und Gitarristen, die beide dank Speed drei Tage lang wach waren und ihren Grind bei im Schnitt 300 BPM performten. Leider wurde das Publikum geblitzdingst, als die Sängerin ihr Top auszog. Schade.

Dann war es Zeit für uns, so zu tun, als ob wir zum restlichen Grindcore-Rahmenprogramm passen würden. Entweder hat das Publikum das bei unser Performance nicht gemerkt oder es war allen egal. Der Laden hat jedenfalls gebebt, alle am ausgelassen abhotten und mitgrölen, wo die doch gar kein Deutsch verstehen. Vielleicht denken die, wir vertonen Hitler-Reden. Das denkt der Rest der Welt auch von Rammstein. Zum Glück blieb der rechte Arm bei allen unten.

Mit zunehmender Spielzeit wurde es immer ausgelassener, wärmer und gefährlicher. Der Boden im Club wurde durch eine Mischung aus Schweiß und Bier zum Curling-Trainingsplatz. Beim Versuch eines Fans, Kai zum Stagediven von der Bühne zu heben, haben sich beide der Schwerkraft ergeben müssen. Für einen kurzen Moment habe ich unser „Back in Black“ vor Augen gehabt. Man wird ja nochmal träumen dürfen.

EXCREMENTORY GRINDFUCKERS-Tourtagebuch Teil 3 – Flutschi

Leider haben wir heute keine Möglichkeit, uns Prag genauer anzusehen, da wir relativ zügig weiter müssen Richtung Budapest. Das ist vor allem deshalb schade, weil es in Prag die Möglichkeit gibt, in Bier zu baden. Kai hat davon erzählt, dass er das mal im Urlaub gemacht hat. 30 Minuten in einer heißen Wanne, das Wasser ist mit Hopfen und Malz versetzt und das beste: In der Wanne hat man einen Zapfhahn, aus dem eiskaltes Bier kommt. Genau das Richtige für uns Trottel. Angeblich hat Kai in dieser halben Stunde sechs halbe Liter gekillt. Ich glaube, er hat mal wieder versucht, cool zu sein. Aber ich lasse mich nicht lumpen und halte das genauso sehr für ein Märchen wie die Geschichte, dass er angeblich mal lange Haare hatte. Ein Foto habe ich bis heute nicht gesehen, und wer Kais wunderschönen, aalglatt rasierten Eierkopf kennt, weiß, wie unglaubwürdig das ist. In etwa so glaubwürdig, wie dass ich mal Klavierunterricht gehabt hätte.

Kais Eierkopf

Jedenfalls können wir es alle kaum erwarten, endlich wieder sieben Stunden im Auto zu sitzen und nichts zu machen, außer uns zu langweilen. Ich weiß nicht, ob andere Bands das anders machen und sich sowas wie Bücher oder Unterhaltungselektronik mitnehmen oder in der Lage sind, Gespräche zu führen. Wir sind hingegen meisterhaft darin geworden, uns so lange anzuschweigen, bis jemand die einzig relevanten Fragen stellt: „Haben wir noch Snacks“ und „Ihhh, wer war das?“ Generell leidet man im Tourbus unter einer gewissen Reizunterflutung, weshalb salzige oder süße Snacks ein gern gesehener Impuls oder zumindest irgendeine Form von Sinneswahrnehmung sind, die herzlich willkommen sind.

Ungesunde Pampe

Übrigens sind wir auf dieser Tour nicht nur zu fünft unterwegs, sondern haben auch unseren eigenen Mischer mit dabei. Nicht falsch verstehen: Er kümmert sich um unseren Sound bei den Shows, nicht um eiskalte Drinks – leider. Dafür hat er aber einen wunderschönen Strahl gelassen. Sein Magen hat dem Vorabend irgendwie nicht standgehalten, sodass wir nach einer halben Stunde Fahrt bereits rechts ranfahren mussten, um den vollgekotzten Müllbeutel zu entsorgen. Glücklicherweise hatte dieser ein Loch, sodass viel von der halbverdauten, säuerlichen Magenpampe auf dem Boden des Tourbusses gelandet ist. So Flo, jetzt hast du es auch ins Tourtagebuch geschafft. Aber um es mal mit den Worten von Christus zu sagen: „Man wird ja wohl nochmal einen Strahl lassen dürfen.“

Abgesehen von den Schlaglöchern verlief die Fahrt dann allerdings weitestgehend unspektakulär. Überrascht haben mich nur die Preise an den tschechischen Tankstellen: Eine Flasche Wodka für sechs Euro, für drei Kaffee habe ich zwei Euro bezahlt. Hier lässt es sich leben. Da wir den Namen der tschechischen Währung nicht kannten, haben wir sie einfach Lumpi genannt. Also: Eine Flasche Wodka für 150 Lumpi. Schnäppchen.

In Budapest sind wir erst mal ziemlich beeindruckt von der Stadt. Megaimposante und schöne Gebäude stehen in der Metropole – das ist fast noch geiler als in Prag. Der Club, in dem wir spielen, ist in einem riesigen Kulturzentrum. Auch das ist in einem imposanten Gebäude mit Studios und Proberäumen im Keller und mehreren Hallen für Konzerte. Das Ganze hat einen alternativen Touch und macht insgesamt einiges her. Der Raum, in dem wir spielen, ist ulkig verziert mit aztekisch angehauchten stilisierten weiblichen Geschlechtsmerkmalen. Oder um es anders auszudrücken: Riesige Brüste zierten die Wand und gewaltige gespreizte Schenkel umrahmen das Mischpult und machen es zu einer Art Altar. Das gefällt dem Flo.

Brüste

Da wir an einem Sonntag spielen und es unser erstes Mal in Ungarn ist, wissen wir echt nicht, was uns erwartet. Der Eintritt kostet 1500 ungarische Flutschi (fünf Euro), was wir für megafair halten. Am Ende des Tages sind auch ordentlich Leute da – einige sagen, dass sie schon ewig darauf warten, dass wir endlich in Ungarn spielen. Was ich mich immer frage: Wie kommen die bitte auf uns? Ich meine: Wir singen zu 95 Prozent auf Deutsch. Aber offensichtlich sind wir einfach musikalisch so überwältigend, dass die Texte nur das i-Tüpfelchen sind, das Salz in der Suppe oder der Whiskey in der Rivercola. Was natürlich äußerst schade ist, so kommt das Publikum nicht in den Genuss tiefgründiger Textzeilen wie „ich kack zuhaus“ oder „Ohrensiff, Kartoffelfäule, vollgepisste Unterhose“.

Mit der wunderschönen Gewissheit, am nächsten Tag etwa 14 Stunden im Auto zu sitzen, um die Affenfahrt nach Hause (was in Hannover ist) zu überstehen, begeben wir uns in unsere Schlafunterkunft. So recht traut sich hier keiner zu duschen – abgesehen von Christus. Aber der hat es auch am meisten nötig. Selbst wenn wir direkt nach der Show losgefahren wären, rechnet Kai vor, hätten wir es nicht rechtzeitig zum Arbeitsbeginn am Montag nach Hause geschafft. Inwiefern mich das traurig machen soll, dass ich selbst, wenn ich wollte, am nächsten Tag nicht arbeiten könnte, weiß ich nicht. Aber was ich weiß, ist, dass eine dreitagelange Arbeitswoche vor uns liegt, in der wir vermutlich die Produktivität eines leblosen Toastbrotes erreichen werden. Nächste Woche geht es dann in den zweiten Teil unserer Osteuropa-Tour – nach Rumänien und Bulgarien. Wir werden berichten.

EXCREMENTORY GRINDFUCKERS-Tourtagebuch Teil 4 – Selbstgebrannter

Vom letzten Wochenende noch reichlich gescholten,  geht es für  unseren zweiten Tourblock glücklicherweise mit dem Flugzeug nach Rumänien. Um 09.00 Uhr treffen wir uns am Proberaum, um zum Flughafen in Berlin zu fahren. Um 09.04 Uhr ruft mich Christus wütend und genervt an, wo ich denn bleiben würde. Nach vier Minuten Verspätung  wohlgemerkt – ohne „hallo“ zu sagen und natürlich ohne irgendeinen Ansatz von Freundlichkeit. Die Laune ist also schon mal im Keller, perfekt, um auf Tour zu gehen.

Aber spätestens beim Flughafen steigt die natürlich wieder. Wir fliegen nämlich mit unserer Lieblingsairline „Wizz“. Hier kann man sich sicher sein, dass die Handgepäckstücke noch einmal mit dem Elektronenmikroskop untersucht werden, ob sie nicht doch vielleicht 0,3 Nanometer zu groß sind und die dafür fällige Gebühr abverlangt werden kann. Dasselbe gilt für das Gewicht des Gepäcks. Aber wenn man das Portemonnaie ausleert, ist alles leicht genug.

Nach rund zwei Stunden Flug kommen wir dann auch im rumänischen Cluj Napoca an und werden vom Veranstalter am Flughafen abgeholt. Später erfahren wir, dass der Kerl einen Doktor in Chemie hat, sich aber seit einigen Jahren als Booker hauptberuflich sein Geld verdient. Wieso auch nicht – mit einem hohen akademischen Bildungsgrad in Naturwissenschaften lässt sich heutzutage ja auch kein Geld mehr verdienen. Dann doch lieber beschissene Undergroundbands von sonst wo her buchen. Das ist so, wie sich jahrelang mit Musik zu beschäftigen und Instrumente zu lernen, um dann am Ende des Tages doch Grindcore-Sondermüll zu produzieren. Ähm, Moment mal… Jedenfalls verdeutlicht dieses Gleichnis: Der Typ tickt wie wir.

Der Veranstalter holt uns am Flughafen ab

Beim Club begrüßen uns dann Fans aus Deutschland. Die leben in Rumänien, um hier Medizin zu studieren. Es ist dann nämlich doch etwas leichter, hier einen Studienplatz zu bekommen, da man keinen ganz so guten Schulabschluss benötigt. Als Opfergabe für ihre Grindcoregötter haben sie uns Pfeffi aus Deutschland mitgebracht, ein rares Produkt in diesen Gefilden. Auf diese offensichtlichen, fadenscheinigen Anschmeichelungsversuche fallen wir natürlich rein und hauen das Zeug weg. Christus haut auch noch ganz andere Dinge weg. Weil seine Aufrichtigkeit und Höflichkeit es ihm verbieten und nicht zuletzt, weil er ein starkes Alkoholproblem hat, kann er den selbstgebrannten Apfel-, Pflaumen- und Himbeerschnaps nicht ablehnen. Das soll noch bitterböse enden.

Mikes Pub – so hieß der Club in Cluj Napoca. Mike muss mit Mike posen.

Die Show ist geil. Es wird wieder einmal deutlich, dass die Leute hier zu Konzerten gehen, um Spaß zu haben und nicht nur, um zu gucken. Etwa eine Milliarde Mal bekommen wir zu hören, dass sich die Leute unfassbar auf uns gefreut haben und wie gern sie unsere Musik mögen. Schön, dass man 2.500 Kilometer fliegen muss, um das Lob zu erhalten, das einem gebührt. Wir werden hier echt behandelt wie Halbgötter und haben selber keine Ahnung, wieso wir hier in Rumänien so gut ankommen. Es ist unser drittes Konzert, das wir in Rumänien gespielt haben, und langsam meinen wir, dass die Leute ihre Begeisterung nicht nur vorgaukeln. Unser erster Gig hierzulande war 2016 auf dem Rockstadt Extremfest – und das war ein regelrechter Türöffner.

Genug geschleimt. Alle haben sich maximal weggeschossen nach dem Konzert, alle Rumänen laden uns ununterbrochen zu Jägermeistershots ein, und am Selbstgebrannten wird auch das eine oder andere Mal genascht. Die Unterkunft, in der wir schlafen, offenbart sich als riesiges, schickes Appartment mit Badewanne und großer Terrasse. Wir machen noch bescheuerte Gruppenfotos, ich bade noch mit Christus, und dann geht es ab ins Bett. Ach ja, irgendwer hat noch ins Waschbecken gekotzt, aber keiner weiß, wer das war.

Nach der Show

EXCREMENTORY GRINDFUCKERS-Tourtagebuch Teil 5 – Christus‘ erstes Mal

Dass rumänische Autobahnen das Raum-Zeit-Gefühl ein bisschen durcheinander würfeln, haben wir bereits bei unserem ersten Aufenthalt feststellen dürfen. „Entspannt – nur 240 Kilometer, also rund zweieinhalb Stunden brauchen wir“, haben wir uns damals gedacht. Pustekuchen. Unwegsame Einöde und Straßen in stark bemitleidenswertem Zustand machen so eine auf den ersten Blick überschaubare Distanz zu einem fünfstündigen Kacktrip. Das nervigste dabei war damals das permanente Gefühl von „gleich sind wir da“, weil wir die Distanz eben als recht kurz empfanden. Darauf waren wir diesmal besser vorbereitet. Um acht Uhr morgens treten wir die Achtstunden-Fahrt nach Bukarest an, um rechtzeitig angekommen.

Wie immer sind wir bestens ausgestattet mit einer soliden Grundversorgung von Snacks. Dass Weißmehlpampe, Glutamat und Zucker aber nicht unbedingt geeignet sind, um sich einen ganzen Tag zu ernähren, sollte jedem einleuchten. Also machen wir Halt an einer Art Autobahnrestaurant, um etwas halbwegs vernünftiges zu frühstücken. Der Schlafmangel in Kombination mit der Alkoholüberdosis auf der anderen Seite hat halt seine Spuren hinterlassen.

Wer allerdings denkt, dass man hier mal eben etwas snacken kann, irrt sich. Wer hier etwas essen will, sollte Zeit mitbringen. Die Zubereitungszeit für die Gerichte beträgt 15 bis 20 Minuten – wohlgemerkt handelt es sich hierbei nicht um argentinisches Rinderfilet nebst karamellisierten Zuckerschoten und frisch gekochten Kartoffeln, sondern um geschmierte Brote und ein Omelette. Die gleiche Wartezeit gilt im Übrigen auch für Kaffee, sodass wir uns über kalte Cappuchinos und Espressos, Espressi oder weiß der Geier, wie auch immer der Plural lautet, ich bin gerade auch zu faul, um nachzusehen, und nehme diesen Fehler billigend in Kauf, freuen.

Da das Essen echt lange braucht, um zu kommen, bestellen wir ein Getränk und einen Kaffee nach dem anderen. Bei meinem „Rote-Bete-Salat“ wurden keine Mühen gescheut: Etwa acht Scheiben roter Bete wurden aus dem Glas genommen, in eine Schale getan und mit etwas Paprikapulver garniert. Ein Meisterwerk! Diese lächerlich-dekadente Sause, bestehend aus zwei Gerichten, zwei Kaffee und zwei Getränken pro Person, kostet uns absurd günstige 30 Euro. Für das gleiche Geld sollen wir später im Flughafen Dortmund jeder einen Kaffee bekommen. Rumänien gewinnt.

Gegessen wie die Könige – für 30 Euro

Gegen 16 Uhr trudeln wir in Bukarest in der Location ein. Rob und ich geben noch ein Interview für irgendeinen rumänischen Youtuber, und nach dem Soundcheck haben wir noch ein bisschen Zeit, um uns umzusehen und Tourischeiße zu machen. Christus hat es hierbei zum ersten Mal in seinem Leben geschafft, ein Dosenbier schal werden zu lassen, und schüttet den Rest weg. Wir werden seinen Kindern und Kindeskindern davon erzählen, auf dass sie sich für Opa schämen. Wir entscheiden uns jedenfalls dafür, uns den Palast des Volkes anzusehen, den Diktator Rumanesco damals bauen ließ. Wie wir hören, hat er die Fertigstellung dieses Riesenklotzes nicht mehr lebend mitbekommen. Das Ding kann man angeblich auch vom Mond aus sehen – unglaublich, wie viele körperliche und geistige Defizite man wohl damit kompensieren kann.

Vor dem Palast des Volkes – den kann man angeblich vom Mond aus sehen.

Zurück im Club bereiten wir uns auf unsere Show vor, die natürlich wieder unbeschreiblich gut ist. Mehr als 200 Leute kommen zu unserem Konzert. Das sind Zahlen, die wir uns auch in Deutschland manchmal wünschen würden. Skurril, dass das hier so gut funktioniert. Die Leute reißen uns das Merch aus der Hand und erzählen uns abermals, wie sehr sie sich auf die Show gefreut haben. Als Profis und Superstars reagieren wir natürlich mit absoluter Arroganz und Unnahbarkeit – so wirken wir gewiss wie NOCH bessere Musiker.

Am Ende bedankt sich auch noch der Barkeeper bei uns für die tolle Darbietung unserer Künste. Er schenkt uns einen Shot ein und sagt, dass das typisch Rumänisch sei, sehr süß und einfach nur lecker. In der Erwartung, einen etwa 16-prozentigen Likör zu trinken, machen wir natürlich kurzen Prozess. Daraufhin zeigt uns der Penner die Flasche: 72 Prozent. Das miese Schwein. Wenn du das liest: Nächstes Mal bist du dran!

Der Veranstalter hat extra wegen unseres Konzertes noch eine Aftershowparty organisiert, auf der wir uns natürlich erstens aus Höflichkeit blicken lassen müssen und zweitens aufgrund unserer Trinkwut sehen lassen wollen. Aber da wir es kaum erwarten können, am nächsten Tag wieder sechs Stunden mit dem Auto durch die Gegend zu gurken, und alle schon schweinemäßig müde sind, machen wir uns gegen drei aus dem Staub. Christus gönnt sich noch, um besser zu schlafen, eine Mischung Whiskey Cola, und dann geht es in die Heia. Ich halte das so sinnvoll, wie kurz vor dem Geschlechtsverkehr aus Gründen der Performance- und Leistungssteigerung noch einmal zu masturbieren, aber leben und leben lassen. Oder kurz: Yolo.

Der Club in Bukarest. Hier wurden wir böse abgefüllt.

EXCREMENTORY GRINDFUCKERS-Tourtagebuch Teil 6 – 2 x 3 Stunden Schlaf

Der Bukarest-Besuch war wie ein One-Night-Stand. Nachts von Scheinwerfen bestrahlt hat die Stadt uns bezirzen können, aber der Morgen danach entblöst vor unserem Hotelfenster eine Reihe trister Plattenbauten, die sogar die finstersten ostdeutschen Wohnblocks wie die blühenden Landschaften wirken lassen, die einst Helmut Kohl zur Wende allen DDR-Bürgern versprochen hat. Und so, wie’s hier ausschaut, so fühlen wir uns auch – schön ist anders. Schuld daran ist sicher auch die allseits präsente Fast-Food-Weißmehlpampe, die an diesem Morgen mal wieder als Frühstück herhalten soll. Immerhin ist der Franchisenehmer gütig und gönnt uns ein halbes Salatblatt pro Sandwich. Es wird für die nächsten zwölf Stunden die einzige Mahlzeit bleiben.

Schön hier

Im Anschluss sieben Stunden Fahrt durch die Walachei, und das ist nicht mal ’ne Redewendung. Unser Fahrer war davon unbeeindruckt und wirkte gut gelaunt, was sich auch darin manifestierte, dass er uns eine Tüte Snacks mitgebracht hatte. An Herzlichkeit mangelte es also nicht, auch wenn die Snacks selbst nichts an unserem ramponierten Zustand zu bessern vermochten. Kaum hinter der Grenze hielten wir zur Pinkelpause an und stellten fest, dass Bulgarien gar nicht so viel anders als Rumänien ist. Die Straßen sind gleichsam schlaglochig und zugemüllt, nur halt mit kyrillischer Schrift geziert.

In Sofia angekommen blieb diesmal keine Zeit für Sightseeing. Schnell das Equipment im Club entsorgt und ab ins Hostelbett. Wir bildeten einen Think-Tank, um rauszufinden, wie sich die Betten allein mit zwei Laken beziehen lassen. Nach 180 Sekunden geistigen Scheiterns war der Schlaf schneller und die Betten unbezogen. Nach drei Stunden ineffizienter Bettruhe ab in den Club „Live and Loud“, der unerwartet schick anmutete und mit guter Besucherzahl glänzte. Schon komisch, 1800 km weit weg von zuhause, in einem Land, in dem wir noch nie gespielt haben und trotzdem kommen die Leute, um uns zu sehen. Entweder müssen die uns mit Tokio Hotel verwechselt haben, oder wir haben uns bei der Adresse vertan. Egal, wenn wir schon mal hier sind, spielen wir auch gleich.

Die Stromversorgung sieht schon mal vertrauenswürdig aus.

Im Backstage zogen sich auf 3,5 qm (und das ist keine Untertreibung) mehrere Bands gleichzeitig um. Mittendrin eine scheinbar hoffentlich nur zu Showzwecken stark menstruierende Geigenspielerin und drei Typen mit grotesken Masken. Warum verkleiden sich so viele unserer Vorbands? Vielleicht aus Scham, sich mit uns eine Bühne teilen zu müssen… da bleiben viele lieber inkognito. Dabei gab es nichts, wofür man sich an dem Abend schämen hätte können, außer, dass ich mal wieder nur in Unterhose spielen musste. Ich habs nicht so mit Hosen.

Unsere Performance hat natürlich nicht darunter gelitten, im Gegenteil ein würdiger Tourabschluss ohne statische Routine oder einen alkoholinduzierten Filmriss. An dem Abend waren wir das, was uns nach wie vor viele nicht zutrauen: eine richtige gute Band. Wäre ich kein Teil der Band, ich wäre spätestens an dem Abend Fan der EXCREMENTORY GRINDFUCKERS geworden, so sehr haben wir vor Spielfreude gestrotzt.

Natürlich ist der Eindruck auch dem Publikum geschuldet, das wie auch schon in den letzten Tagen extrem dankbar jeden akustischen Sondermüll wie eine Manowar-Comeback-Single gefeiert haben. Sogar unser letzter Merch wurde uns mit Freudenstrahlen aus den Händen gerissen. Wahrscheinlich haben uns die ganzen Tschechien, Ungarn, Rumänen und Bulgaren mit Spielgeld-Banknoten verarscht. Aber egal, sie hatten die ganze Tour über für eine euphorische Grundstimmung gesorgt. Dafür liebe ich die Osteuropäer, sie feiern die Konzerte, anstatt sich passiv belustigen zu lassen. Und all das rechtfertigt auch die Strapazen, welche noch folgen.

Bodenständige Superstars: Rob und Kai beziehen mit Freude ihre Betten selbst

Kurz nach Mitternacht ging’s zurück ins Hostel für Snacks, alternative Tabakwaren, lauwarme Jackie-Cola und knapp drei Stunden Schlaf. Um 4 Uhr morgens warteten schon die Taxis zum Flughafen. Stehend K.O. checkten wir zum Flug ein und hatten Glück, dass um 5 Uhr morgens nicht mal die Wizz-Air-Mitarbeiter den Elan haben, uns wie üblich mit Übergepäck-Diskussionen zu schikanieren. Vielleicht wars auch nur aus Mitleid, denn in unseren Gesichtern wars zu erkennen: 4000 km Fahrt, 100 Liter alkoholischer Getränke, 0,1 Tonnen Snacks, vier verschlissene Mietwagen, die nach dieser Tour auf eine Abwrackpremiere hoffen, Sodbrennen, Halsschmerzen, Husten und vier vernachlässigte Spielerfrauen daheim.

War es das wert? Diese Frage stellt sich gar nicht. Wir nehmen von dieser Tour eine Menge mit, und damit meine ich nicht die ganzen Lutschis, Klatschis, Lumpis oder wie diese komischen Ost-Währungen alle heißen. Wir bedanken uns bei allen, die uns auf dieser Tour begegnet sind, und hoffen, uns mit unserer Bühnenpräsenz für die gute Zeit ein wenig dafür revanchiert zu haben. Es wird nicht der letzte Abstecher in Sachen Osteuropa bleiben. Wir kommen sowieso wieder, auch wenn alle uns scheiße fanden.

Quelle: meike@excrementory.de
12.04.2018
Exit mobile version