At The Gates
Pre-Listening-Session zum neuen Album

Special

Im Sommer werden die schwedischen Nice Guys des Death Metal ihr siebtes Studioalbum mit dem Titel “The Nightmare Of Being” veröffentlichen. Dadurch, dass die Göteborger sich im Jahre 1996, nach nur sechsjährigem Bestehen aufgelöst hatten, gehören sie augenscheinlich nicht zur Speerspitze des Genres.

Umso enthusiastischer wurden einst die Re-Union-Konzerte in den Nuller-Jahren aufgenommen, immerhin zählten AT THE GATES von jeher zu den experimentierfreudigeren Bands im Lager der Todesmetaller. Das die Musiker sich während ihrer aktiven Schaffenszeit weiterentwickelten, beweist das Abhören der Diskografie eindrucksvoll. Schepperte es auf dem ersten Longplayer “The Red In The Sky Is Ours” noch ordentlich, überschritten AT THE GATES auf “With Fear I Kiss The Burning Darkness” Genre-Grenzen nicht zuletzt durch Tomas Lindbergs Gekeife und Black-Metal-lastiges Schlagzeug-Spiel. Auf “Terminal Spirit Disease” wurde erstmals das HM 2 aufgedreht, wenngleich die Songstrukturen doomige Züge der mittleren PARADISE LOST aufwiesen.

Mit “Slaughter Of The Soul” gelang der Band letztlich ein essentielles Album im Bereich des Death Metal. Man hörte der Platte die nordeuropäische Herkunft genauso an, wie eine damals fast beispiellose Vorliebe für angepisstes Schreien und rhythmische Finessen. “Slaughter Of The Soul” ließe sich vielleicht am besten als eine Pre-Metal-Core-Platte mit durchdringenden Harmonien und waghalsigen Taktwechseln beschreiben.

Danach verschwanden AT THE GATES dann bekanntlich von der Bildfläche und legten nach den erwähnten Live-Auftritten anno 2014 mit “At War With Reality” nach. Das Album weist einige Parallelen zum Vorgänger auf, wirkt aber noch etwas angepisster und rotziger. “To Drink From The Night Itself” hingegen, beinhaltet die bis dato verspieltesten Songs der Schweden, die sogar ein paar der besseren Thrash-Riffs verwursteten.

Mit “The Nightmare Of Being” melden sich AT THE GATES nun endgültig zurück und beenden auf den zehn Tracks ihre Metamorphose zu einer progressiven Death-Metal-Band mit Rock-n-Roll-Attitüde der alten Schule.

Wir wurden zu einem exklusiven Pre-Listening-Event eingeladen und konnten uns zusammen mit weiteren Pressevertretern einerseits von der hohen Qualität des Albums und den geänderten Vorzeichen in Sachen Arrangements, Gesang und Gesamtkonzept mit eigenen Ohren überzeugen.

“Spectre Of Extinction” eröffnet den Reigen mit einem klassischen Auftakt an der Nylongitarre, bevor flächige Gitarren düster bis pechschwarze Vibes versprühen. Der Song bäumt sich zwischendurch zu einem Groove-Monster auf, während Tomas Lindberg scheinbar noch etwas heiserer krächzt als ohnehin.

“The Paradox” braut Inhaltsstoffe wie Hard-Core-Kläffen, ein virtuoses Solo und Duelling-Guitars zu einer Dampfwalze aus Old School Death Metal zusammen. Eins ist schon jetzt klar: Es werden keine Gefangenen gemacht.

“The Nightmare” hebt sich als Song erstmals weitestgehend von allen bekannten Band-Trademarks ab und geht mit einem progressiven Anstrich sofort unter die Haut. Zweifler, die Lindbergs Gesang gerne als gewöhnungsbedürftig bezeichnen, werden von abgründigen Spoken-Words-Passagen überrascht.

“Garden Of Cyrus” ist nichts für schwache Nerven. Die Band verlässt mit dem Song endgültig die Sicherheit des heimischen Terrains mit beiden Beinen. Dabei legt das Stück mit Indie Rock los, der zu einem Stadionrock-Riffing im Stile der FOO FIGHTERS anwächst. Nebenher entsteht ein herablassender Unterton, wie man ihn von den QUEENS OF THE STONE AGE kennt. Als wenn diese Verwandlung noch nicht reichen würde, kommen im Verlauf des Songs erneut Sprechgesang und ein Saxophon zum Einsatz. Ähnlich kopflastige Arrangements tauchen ab und an auf Veröffentlichungen von Bandkumpel OLA ENGLUND (FEARED, THE HAUNTED, SIX FEED UNDER) auf.

“Touched By The White Hands Of Death” stellt das Gleichgewicht nach diesem Progressive-Umschmeisser wieder her, indem Stakkato-Geknüppel auf Dynamik trifft. Erstmals sind Flöten, Cello und Bratsche zu hören.

“The Fall Into Time” vereint die verschiedenen Stilmittel der vorherigen Songs unter einem Dach, dass mit der Orchestrierung an die Stimmung gewisser Horror-Streifen aus den 1970ern erinnert.

“Cult Of Salvation” beginnt in bester IRON-MAIDEN-Manier, nur um in einem Ungetüm aus Hass und Nihilismus unter dem Banner des Black Metal aufzugehen.

“The Abstact Enthroned” – Ein Lied das wieder vieles unter einen Hut bringt. Großartige Riffs, durchgehende Atmosphäre und ein ekstatisches Solo am Ende.

“Cosmic Pessimism” entwickelt mit dem anschiebenden Beat und dem Sprechgesang eine sehr düstere Botschaft, die bisweilen an Dark Wave erinnert. Das beste am Song ist jedoch das schlichtweg geile Lick an der Gitarre.

“Eternal Winter Of Reason” beendet ein abwechslungsreiches Album mit einem unvorhersehbaren Clavinova-Outro wieder im klassischen Retro-Gewand.

Die Chat-Funktion poppte während der gesamten Listening-Session im Sekundentakt auf und enthielt überschwängliche Lobeshymnen am laufenden Band. Die teilnehmenden Journalisten waren sich ausnahmsweise mal einig und sprachen am Ende vom bisher besten Album in der Bandgeschichte. Um dieses Bauchgefühl nachhaltig bestätigen zu können, müssen die hochkomplexen Stücke aber zwingend genauer unter Lupe genommen werden, ein einmaliges Abhören genügt einfach nicht.

Im Anschluss an die Session standen Tomas Lindberg und Martin Larsson noch für einige handverlesene Fragen aus dem Plenum bereit, wobei sich der Sänger sehr zugänglich und bescheiden zeigte, während der Mann an der Gitarre eher wortkarg blieb.

Ihr veröffentlicht ein Album während der Pandemie, ohne die Möglichkeit auf Tour zu gehen und es dabei zu promoten. Befürchtet Ihr da nicht, dass das Album im Nichts verschwinden könnte?

TL: Man kann natürlich schwer vorhersehen, wie sich ein neues Album derzeit entwickeln wird. Wir waren mitten im Songwriting-Prozess als klar wurde, dass wir nicht auf Tour gehen können. Dennoch wollten wir es fertigstellen, damit die Leute zumindest DAS während der Pandemie bekommen. Für uns macht es mehr Sinn, die Songs zu veröffentlichen so lange sie frisch sind. Sobald das Touren wieder möglich ist, veröffentlichen vielleicht hunderte Bands ihre Alben und dann besteht die Chance unter all diesen Veröffentlichungen unter zu gehen genauso.

ML: Wir freuen uns ziemlich auf das Album. Jedenfalls geht mir das so. Darum wollen wir es den Leuten auch so schnell wie möglich zugänglich machen.

Um noch ein wenig beim Thema Covid zu bleiben… Inwiefern hatte die Pandemie Einfluss auf die Aufnahmen “The Nightmare Of Being”?

TL: Ich würde sagen, gar keinen. Aber als wir merkten, dass wir nicht direkt auf Tour gehen können, wollten wir ein Album veröffentlichen, dass wir uns von unserer Lieblingsband während einer Pandemie gewünscht hätten, das – so hoffen wir zumindest – 45 Minuten Spaß und Inspiration bringt. Darauf haben wir uns noch mehr konzentriert. Andererseits haben Jonas (Björler, Anm. d. Red.) und ich das Album genauso geschrieben, wie sonst auch. Adrian (Erlandsson, Anm. d. Red.) lebt in London und natürlich hatten wir deshalb nicht ganz so viel Zeit miteinander.

Wo und zu welchem Zeitpunkt haben die Aufnahmen stattgefunden und wie seid Ihr in dieser Zeit von A nach B gereist?

ML: Wir waren in vier verschiedenen Studios. Die Drums wurden in Stockholm aufgenommen, die Gitarren und Strings in Valborg. Die Vocals in Göteborg…

TL: Die Vocals und das Saxofon…

ML: Oh ja, stimmt. Und dann waren da noch die Orchester-Hörner in Örebro im Soundlab.

TL: Die meisten wissen vielleicht, dass der Lockdown in Schweden viel lockerer war, als in den meisten anderen Ländern. Also war das Reisen innerhalb Schwedens nicht wirklich ein Problem. Wenn man seine Dienstreisen frühzeitig geplant hat, war das kein Thema. Das Hauptproblem für uns war, dass Adrian in London lebt.

ML: Aber wir schafften es, ihn zwischen den Spitzen der Ansteckungswellen nach Schweden zu holen.

TL: Aber letztlich waren Reisen und Treffen uneingeschränkt möglich, so lange man keine Krankheitssymptome hatte. Insofern hatten wir Glück.

Das Cover von “The Nightmare Of Being” erinnert an Gustav Dores Illustration zu Dantes Göttliche Komödie. Wer hat es angefertigt?

TL: Es ist ein Werk von Eva Nahon, einer holländischen Künstlerin. Das erste Mal bin ich auf Ihre Kunst auf dem Roadburn Festival aufmerksam geworden und war wie weggeblasen. Sie arbeitet in Schichten und mit Collagen und das Cover weist auch einige Radierungen auf. Letztlich kann der Einfluss natürlich von Dore stammen, aber das ist ihre Sache. Sie erhielt alle Lyrics und eine Grund-Vorstellung was sie portaitieren sollte, hatte aber ansonsten freie Hand bei der Umsetzung. Neben dem Front-Cover gibt es für jeden Track ein individuelles Artwork. In jedem Fall sind wir sehr glücklich mit Evas Arbeit.

Das Cover hebt sich auch etwas von den beiden Vorgänger-Alben ab, oder?

TL: Wir wollten etwas, dass auf einem großen Format wie Vinyl oder auf Postern gut aussieht. Mit solchen Sachen wir IRON MAIDENs “Powerslave” sind wir aufgewachsen. Natürlich gab es auch Gegenstimmen, dass das Cover für gewisse digitale Formate auf Postkartengröße geschrumpft wird und die Details dann ohnehin verloren gehen. Aber das Gesamtpaket gibt es nunmal am am besten auf Vinyl. Wären wir die Konsumenten unserer eigenen Platte, würden wir auch genau diese Version kaufen. Natürlich kann man das Album auch digital hören… Aber kauft das Vinyl Leute (lacht).

Verkörpert das Cover vielleicht auch ein wenig die neuen Songs im Sinne von “lasst uns die Vergangenheit niederbrennen”?

TL: Martin hat eine Theorie, oder?

ML: Ich finde, das neue Cover passt zu den beiden davor. Die Vorderseite ist rot und die Rückseite blau.

TL: Nun, was wir am Anfang unserer Karriere immer sein wollten, können wir jetzt endlich sein. Mit den Prog-Einflüssen von KING CRIMSON und so weiter. Jetzt haben wir die musikalischen Möglichkeiten, das umzusetzen. Damit meine ich nicht, dass all unsere früheren Alben schlecht waren, aber wir spielten außerhalb unserer Möglichkeiten mit. Das könnte man auch als charmant bezeichnen (lacht).

Bezieht sich der Albumtitel “The Nightmare Of Being” auch ein Stück weit auf die heutige Zeit?

TL: Eigentlich ist jedes unserer Alben eine Art Spiegel von der Welt die uns gerade umgibt. Ich verstehe natürlich, dass Leute bei diesem Album-Namen vielleicht denken, dass es deshalb eine pessimistische Platte ist. Aber die Idee zu “The Nightmare Of Being” ist schon vor der Pandemie entstanden. Für mich ging es los, als ich Thomas Ligottis “The Conspiracy Of The Human Race” las. Das Buch führt einen recht überzeugend in das Thema Pessimismus ein. Es ist nicht so, dass sich AT THE GATES aus lauter Pessimisten zusammensetzen würde. Aber die Idee ein ganzes Album zu diesem Thema zu schreiben war einfach zu gut. Und das passt ja auch perfekt zu einer Musik wie Death Metal.

Letztlich zielt dieses Thema auch auf die menschliche Psyche. Die Menschheit ist ja quasi die einzige Gattung, die sich ihrer Sterblichkeit bewusst ist. Das wollen wir mit aller Macht aus unseren Gedanken verbannen und erfinden dafür Dinge wie beispielsweise Religion, die uns vor dem endgültigen Tod bewahren soll. Das ist ja wie ein Albtraum.

Wer hat das Saxophon eingespielt und warum wolltet Ihr dieses Instrument überhaupt auf dem Album haben?

TL: Wie gesagt, wir sind Fans von Bands wie KING CRIMSON. Eigentlich wollten wir das auch schon auf “To Drink From The Night Itself” machen. Aber das hat leider nicht geklappt. Anders (Björler, Anm. d. Red.) spielt das Saxophon, übrigens auch auf seinem Solo-Album. Er hat das Instrument hier in Göteborg studiert und wenn man bedenkt wie sehr wir KING CRIMSON lieben… Wir mögen auch JOHN COLTRAINE, insofern basieren die Sax-Spuren auf Improvisationen. Wir vergleichen uns hier also mit Künstlern, die in einer musikalisch ganz anderen Liga spielen als wir es tun (lacht). Echte Musiker die Noten lesen können…

ML: …und spielen können (lacht)!

Konntet Ihr für die Aufnahmen echte Orchester-Musiker gewinnen oder handelt es sich um Synthesizer? 

ML: Die sind echt.

TL: In der Deluxe-Edition wird es eine Collage mit allen Musikern geben. Einige der Künstler kannten wir noch von den Sessions zu “To Drink From The Night Itself”. Aber wir wollten es dieses Mal noch größer aufziehen, mit Hörnern, Flöten und einem String-Quartett. Es gibt Instrumente, die einfach einen unvergleichbar natürlichen Klang besitzen.

Wer hat die klassischen Parts komponiert?

TL: Jonas hat diese Sachen geschrieben. Aber es ist natürlich erstaunlich, dass jemand der gleichzeitig auf AUTOPSY steht, sowas komponieren kann.

Wie seid Ihr an die Aufnahmen zu “The Nightmare Of Being” herangegangen? Immerhin ward Ihr ambitioniert genug ein Album auf technisch höchstem Niveau zu liefern…

ML: Oh ja. Es gibt Riffs, mit denen musste ich jeden Tag kämpfen. Aber das ist eigentlich eine gute Sache, weil es anspornt. Letztlich ist die Vorgehensweise im Studio aber immer gleich. Man verfolgt einen Plan von A bis Z, bis alles unter Dach und Fach ist.

TL: Natürlich sind die Prog-Sachen etwas ganz anderes, als das was AT THE GATES normaler Weise ausmacht. Aber genau diese Sachen hören wir selbst ja täglich und sind daran gewöhnt.

“Cosmic Pessimism” sticht unter den neuen Liedern besonders hervor. Was hat es mit dem Track auf sich?

TL: Der Titel ist eine Art Wortspiel. Denn einerseits beinhaltet er natürlich das zentrale Thema der Platte. Andererseits wurde Kraut-Rock aus Deutschland in den 1970ern gerne als kosmische Musik bezeichnet. Wir sind halt Nerds, darum hat uns besagtes Wortspiel gefallen.

ML: Der Song selbst ist eigentlich nicht einmal so schwer. Die Herausforderung lag eher darin, den richtigen Sound dafür zu finden.

TL: Ja. “Cosmic Pessimism” ist so ein Song, bei dem man viel Zeit mit dem Mixing verbringen muss um alle Feinheiten heraus zu kitzeln.

Welche Erwartungen habt Ihr an 2021?

TL: Zunächst einmal freuen wir uns auf das Feedback zum neuen Album. Wir hoffen zwar auch, Shows spielen zu können…

ML: Das wäre dann ein Bonus.

TL: Ich meine, wir sprechen hier über ein pessimistisches Album (lacht). Wenn man nichts erwartet, kann man nicht enttäuscht werden.

Immer wieder ließen Tomas Lindberg und Martin Larsson ihre Vorliebe für die Band KING CRIMSON hindurchschimmern. Lindberg erzählte, wie er das Roadburn Festival im niederländischen Tilburg kuratierte und dabei eine Menge progressiver Künstler kennenlernen konnte. Auch hatten AT THE GATES damals die Gelegenheit ein Set auf dem Festival zu spielen, auf das sie eigentlich nicht so recht passten. Genau das gab der Band aber den Mut, eine neue Ära in der eigenen Diskografie einzuläuten. Martin Larsson verriet auch, dass die Musiker letztlich nicht ausschließlich Metal-Heads seien, sondern sich generell als Musik-Liebhaber verstehen.

 

30.04.2021

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