Accept
"Such dir ein Chaos aus"

Interview

Seit ihrer Reunion können sich ACCEPT wahrlich nicht beklagen. Jedes Album chartete in Deutschland in die Top-10. „Blind Rage“ erreichte 2014 sogar die Pole Position. Auch die neue Platte „The Rise Of Chaos“ überzeugt wieder mit zehn metallischen Hymnen. Da verwundert es nicht, dass sich Wolf Hoffmann im Skype-Telefonat als entspannter Gesprächspartner entpuppt, der für alles klare Worte findet.

Moin Wolf, hier ist Dominik von metal.de. Schön, dass du Zeit für uns hast!

Wolf: Hallo, ja, ich bin fünf Minuten zu spät, weil der letzte so lange gequatscht hat.

Sowas hatte ich mir schon gedacht.

Wolf: Viel geredet, dann noch das letzte Wort für die Fans. Da muss man dann irgendwann einfach abwürgen.

Gut, dann lass uns mal direkt loslegen, eure neue Platte „The Rise Of Chaos“ steht schließlich in den Startlöchern. Welches Chaos ist es denn, das da ansteigt?

Wolf: Joa, so das allgemeine Chaos in der Welt. Kannst dir eins aussuchen, sind ja genügend da. Ich meine, man kann das jetzt nicht so spezifisch sagen, es ist einfach inspiriert, denn Chaos liegt in der Luft. Das hat uns als Albumtitel gut gefallen, weil er so in die Zeit passt.

Würdest du denn sagen, dass das insgesamt ’ne politische Platte ist?

Wolf: Ähm, ne, das wäre mir zu doll. Also sagen wir mal, das klingt für uns nicht passend. Das ist natürlich inspiriert von aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Aber wir sind eben keine politische Band und wollen auch keine bestimmte Message verbreiten. Wir haben keine tiefen Botschaften darin oder präsentieren uns als Weltverbesserer. Wir schreiben einfach über das, was uns beschäftigt und wollen die Leute dazu anregen, selber nachzudenken.

Okay, „The Rise Of Chaos“ ist ja auch das erste Album seit dem Ausstieg von Herman Frank und Stefan Schwarzmann. Was genau ist damals eigentlich passiert, dass beide am selben Tag die Band verlassen haben?

Wolf: Ach, das ist doch alles schon Schnee von gestern. War schon vor zwei Jahren. Viel interessanter ist doch wie wir seitdem weiter machen.

Das wäre auch direkt meine nächste Frage.

Wolf: Wir haben zwei Leute gefunden, die fantastisch ins Team reinpassen. Sagen wir mal unser Prozess, wie wir die Alben machen, der ist eh seit Jahren unverändert und jeder, der bei uns einsteigt, kommt gar nicht mit der Erwartungshaltung dazu, dass er jetzt bei uns was ändert. Wir wollen schließlich die Traditionen von ACCEPT weiter nach vorne bringen. Das ist alles in festen Bahnen bei uns und der Ausstieg der beiden Kollegen hat jetzt keine großen Wellen geschlagen. Also wie gesagt, wir haben da jetzt Uwe Lullis an der Gitarre, einen super Gitarristen, den wir als Freund schon vorher lange kannten. Christopher Williams hingegen ist ein Drummer aus Nashville, der uns hier lokal schon bekannt war. Das Team ist super und ich denke wir sind jetzt noch besser als vorher.

Du hast ja selber gerade schon gesagt, dass es bei ACCEPT sehr feste Bahnen gibt. Aber was hebt „The Rise Of Chaos“ denn von euren letzten drei Alben seit der Reunion ab?

Wolf: Gar nichts eigentlich. Es soll sich nichts abheben, es soll ja nur besser werden. Es soll so sein wie immer, nur besser denn je. Das ist so unser Motto. Weißt du, wir haben ja seit vier Jahren den gleichen Produzenten, immer das gleiche Label, also im Grunde genommen bleibt alles beim Alten. Wir haben jetzt auch kein Album geschrieben, was sich irgendwie abheben soll. Vielleicht durch die Qualität, aber nicht durch Andersartigkeit.

Unser Motto ist auch immer Songs zu schreiben, die wir schon früher hätten schreiben können. Am besten in den 80er Jahren schon, als wir alle Kinder waren, denn das ist ja unser Stil. Den wollen wir gerne beibehalten. Ich mein jeder sagt immer: „Ah, wir gehen zurück zu den Wurzeln oder wollen zurück zu den Wurzeln.“ Das ist das, was man dauernd hört. Aber das ist gar nicht mal so einfach und gelingt auch nur den allerwenigsten. Doch ich glaube, das ist uns diesmal schon wieder gelungen, ein Album zu schreiben, das vom ersten Ton an nach ACCEPT klingt und einfach geile, neue Songs hat.

Da stimme ich dir auf jeden Fall zu und ich finde vor allem „Analog Man“ ist ein Song, der besonders hervorsticht. Das dort behandelte Thema betrachtet wohl jeder anders, je nachdem aus welcher Generation er kommt. Worum genau geht’s in dem Song und was hat euch dazu inspiriert?

Wolf: Haha, ich mein es erklärt sich im Grunde von selber, warum es da geht. Der Spruch „I’m an analog man, living in a digital word“, sagt ja eigentlich alles. Den Spruch hat unser Sänger Mark Tornillo seit Jahren auf der Lippe, immer wenn irgendwo ein Computer abstürzt oder die Technik streikt, sagt er: „Ich hasse diesen Scheiß. Von mir aus könnten wir das alles einstampfen und wieder zurückgehen zu 1982.“ Letztendlich geht das aber nicht. Jetzt haben wir gesagt: „Lass uns doch mal einen Song darüber schreiben, das ist ein prima Thema und kennt jeder.“

Jeder ärgert sich gelegentlich über Technikprobleme. Wir sind ohne diesen ganzen Kram aufgewachsen. Die Kids von heute, die jetzt 15 oder 20 sind, die kennen es gar nicht anders. Aber wir kennen es noch anders und blicken manchmal eher sehnsüchtig zurück und denken es wäre schöner, wenn der ganze Kram nicht da wäre. Aber es geht halt nicht anders und ich selber bin auch nicht so der „Analog Man“. Ich find‘ das schon ganz okay alles. Ist aber auf jeden Fall ein interessantes Thema, mit dem sich jeder identifizieren kann, denke ich.

Wie spiegelt sich das denn in eurer Arbeitsweise wider? Gibt es stimmen in der Band, die lieber zurück zu alten Aufnahmetechniken wollen oder setzt ihr voll auf die Digitale Methode?

Wolf: Also ich setze voll auf moderne Digitaltechnik, sowohl auf der Bühne als auch im Studio. Die Vorteile überwiegen letztendlich doch. Das ist natürlich alles super, solange es funktioniert. Manchmal gibt es Momente, das kennt jeder, da geht irgendwas aus irgendeinem Grund nicht. Das ist dann ärgerlich. Aber wir können das Rad eben nicht zurückdrehen. Natürlich könnten wir jetzt hingehen und alles wieder total analog aufnehmen. Aber ich denke, das ist in unserem Fall nicht besonders förderlich. Wir haben unsere Arbeitsweise gefunden und sind damit auch ganz happy.

Ein weiterer Song, der mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, ist „Koolaid“. Was genau besingt ihr da denn?

Wolf: „Koolaid“ ist dank des Spruchs „Don’t drink the Koolaid“ ein geflügeltes Wort in Amerika. Das soll eigentlich heißen: „Lass dir nix vormachen. Glaub nicht jeden Mist, den dir irgendjemand erzählt, sondern sei vorsichtig.“ Wir hatten diesen Spruch als Idee für den Song und haben dann mal gegooglet, woher der eigentlich kommt. Der Ursprung ist tatsächlich eine historische Gegebenheit, bei der jemand 900 Leute dazu überredet hat, sich mit Zyankali selbst umzubringen. Die haben dann halt dieses Fruchtpulverzeug da rein gemischt, das heißt Kool-Aid, damit das besser schmeckt.

Aber letztendlich haben da fast 1000 Leute Selbstmord begangen, weil ein Typ das gesagt hat. Dabei hat er selber das nicht mal getrunken. Aber lange story short. Der Spruch kommt auf jeden Fall von dieser wahren Begebenheit und so hat sich der Song dann auch von selbst geschrieben, denn wir erzählen nur diese wahre Begebenheit. Recht gruseliger Zusammenhang, aber der Spruch „Don’t drink the Koolaid“ ist eben trotzdem irgendwie cool.

Ich hatte auch beim Hören das Gefühl, dass es eher ein Partysong ist.

Wolf: Ja ja, das ist im Grunde ein leichtfüßiger Song, hat aber einen grausamen Hintergrund.

Eure neue Platte werdet ihr ja auch passend zum Release beim Wacken Open Air präsentieren. Im Rahmen dieses Auftritts wird es auch Stücke aus deinem Soloalbum „Headbanger’s Symphony“ zu hören geben. Wie genau können sich eure Fans das vorstellen? Wie wird das Ganze ablaufen?

Wolf: Also die wichtigsten Punkte hast du ja schon genannt. Erst kommen ACCEPT und stellen die Songs des neuen Albums „Rise Of Chaos“ vor. Im Grund genommen sind das drei Shows back-to-back, drei Shows zusammengefasst in einer. Das nächste Segment sind dann Songs von meinem Album „Headbanger’s Symphony“, Instrumentalsongs mit einem 50-Mann-Orchester. Als letztes kommen dann die ACCEPT-Musiker wieder und spielen bekannte ACCEPT-Songs mit Orchesterbegleitung. Wobei das jetzt nicht so ’ne typische Begleitung in dem Sinne ist, sondern die Songs sind extra für das Orchester neuarrangiert worden.

Wie ist denn die Idee dazu entstanden? Kam die von euch oder sind die Veranstalter vom Wacken auf euch zugekommen?

Wolf: Beides. Es hat sich so Schritt für Schritt entwickelt. Wir waren schon länger mit Wacken im Gespräch, ob wir als Headliner zum Festival zurückkommen. In der Zwischenzeit ist dann mein Album „Headbanger’s Symphony“ erschienen und dann meinten die eben: „Macht doch beides zusammen!“ Also „Headbanger’s Symphony“ als Weltpremiere vorstellen und mit ACCEPT auftreten. Der nächste logische Schritt war dann auch ACCEPT-Songs mit dem Orchester zu spielen, so als Novum. Das war ja schließlich auch noch nie da.

Und wird das denn auch ein solches Novum bleiben oder ist vorstellbar, dass ihr in Zukunft noch mal mit Orchester auftrete beziehungsweise dass auch Songs deines Soloalbums noch mal aufgeführt werden?

Wolf: Ach Gott, jetzt machen wir erst mal das und dann schauen wir weiter. Wir haben noch nichts konkretes geplant, aber wenn das gut läuft, kann man da mal drüber sprechen.

Mit all euren Alben seit der Reunion seid ihr in Deutschland in den Top-10 der Charts gelandet. „Blind Rage“ ging sogar auf eins. Bedeutet dir das nach über 40 Jahren im Musikgeschäft noch was?

Wolf: Natürlich bedeutet mir das noch was! Da müsste man schon ganz schön abgestumpft sein, wenn man sagt: „Nö, geht mir am Arsch vorbei.“ Was das am Ende wirklich bedeutet, ist natürlich sekundär. Aber besser als eins geht eben nicht, zumindest in der Woche, und das ist ein ganz tolles Ereignis.

Was Chartplatzierungen angeht toppt das sogar eure Erfolge aus den 80ern.

Wolf: Ja, total! Es ist immer ein bisschen schwierig zu vergleichen, denn damals wurden viel mehr Platten verkauft und heutzutage wesentlich weniger. Aber ich würde mal argumentieren, dass wir heute eigentlich mehr Erfolg haben, insgesamt gesehen, als damals. Die Zeiten haben sich aber wie gesagt komplett geändert. Man kann das so schlecht vergleichen wie Apfelsinen und Bananen. Aber mir kommt es auf jeden Fall so vor, als wären wir jetzt mindestens so erfolgreich oder sogar eher noch erfolgreicher, als in den 80ern.

Kannst du dir in irgendeiner Weise erklären, woher dieses gesteigerte Interesse an ACCEPT kommt?

Wolf: Keine Ahnung. Es ist aber auch gar nicht meine Aufgabe. Wir machen’s ja nur. Ich will auch gar nicht hinterfragen woher das kommt und warum. Mir werden ja oft so Fragen gestellt wo ich denke: „Hey Leute, das ist doch gar nicht meine Aufgabe. Das ist eure Aufgabe.“ Auch die Metalszene zu beurteilen oder andere Bands zu beurteilen, das ist gar nicht mein Job. Wir machen das, was wir machen können, unsere eigene Musik und unsere Auftritte. Da kann ich was zu sagen. Ich bin natürlich froh, dass sich das Publikum für uns entscheidet. Aber warum, das muss ich jetzt nicht hinterfragen.

Hattet ihr denn bei der Wiederbelebung der Band konkrete Zielsetzungen? Habt ihr euch vielleicht gesagt: „Wenn das nicht so gut läuft, lassen wir es doch wieder sein“?

Wolf: Nein, überhaupt nicht. Das kann man auch gar nicht. Du kannst dich nur daran setzten und sagen: „Wir geben unser Ganzes und dann schauen wir mal.“ Alles andere ist ja vermessen. Du kannst dir keine konkreten Vorgaben oder Ziele setzen. Man hofft auf das Beste und der Rest ergibt sich dann.

In den letzten Jahren sind vermehrt Retro-Tourneen in Mode gekommen, bei denen alteingesessene Bands ausschließlich ihr Klassiker-Material auspacken. Käme sowas auch für ACCEPT in Frage oder liegt euer Fokus da zu sehr auf euren aktuellen Sachen?

Wolf: Ne, wie du schon sagst, unsere aktuellen Sachen sind mir wesentlich wichtiger. Uns war auch immer ganz wichtig, dass wir nicht in so ein Nostalgieprogramm verfallen. Als wir uns vor acht Jahren wieder zusammengesetzt haben, haben wir uns deshalb auch gesagt: „Wenn wir das machen, dann machen wir auf jeden Fall wieder Platten und CDs.“ Wir geben Vollgas. Wir wollen Songs und Alben schreiben, die mit den alten Sachen konkurrieren können und nicht nur alte Songs spielen. Nostalgieprogramm war wie gesagt nie unser Ding. Stattdessen wollen wir relevante Alben machen, die auch mit dem alten Kram konkurrieren können. Ich denke, das haben wir auch geschafft. Heutzutage spielen wir genauso viele alte wie neue Songs und die Fans sind dankbar dafür.

Ist Udos „Farewell to ACCEPT Tour“ dann auch uninteressant für dich oder hast du dir mal eine der Shows angeguckt?

Wolf: Ich sag dazu generell nix, zu dem Thema. Auch die anderen Kollegen, die ausgestiegen sind, sind irgendwann weg vom Radar. Dazu sag ich dann nix mehr, das ist ganz normal. In seinem Fall ist es schon über 30 Jahre her, dass er die Band verlassen hat, oder fast 30 Jahre. Ich hab da natürlich ’ne Meinung zu und jeder kann sich ausdenken wie die ist. Aber ich sag dazu öffentlich gar nichts.

Alles klar. Wie sehen denn eure Zukunftspläne so aus? Die Zahl der Abschiedstourneen wird ja immer Größe. Denkt ihr bei ACCEPT manchmal auch über das Ende nach?

Wolf: Überhaupt nicht! Wir waren ja schon alle mehr oder weniger im Ruhestand und haben uns freiwillig wieder zusammengetan, aus Spaß an der Freude. Wir hatten noch viel vor, haben noch Songs in uns und sind einfach gerne Musiker. Da macht es eigentlich wenig Sinn, jetzt schon wieder über ein Retirement nachzudenken. Vielleicht funktioniert auch deshalb gerade alles so gut im Moment, weil jeder seine Auszeit schon hatte. Wir kommen ja freiwilligen zurück. Deshalb macht es wenig Sinn, da an’s Aufhören zu denken. Es läuft so gut und wir machen es wirklich aus Freude an der Sache.

Als es die Band nicht gab, hat sich die Fotografie zu deiner großen Leidenschaft entwickelt. Verfolgst du das denn auch immer noch weiter?

Wolf: Notgedrungen immer weniger, weil ich einfach zu wenig Zeit dafür habe. Es sind aber zwei Dinge passiert. Zum einen ist auch da die digitale Geschichte passiert und auf dem Feld bin ich doch eher ein „Analog Man“. Ich vermisse die Zeiten von alten Filmkameras. Das macht mir nicht so viel Freude wie früher. Das andere ist eben, dass ich so viel mit ACCEPT unterwegs bin, dass ich kaum Zeit habe, da ernsthaft noch Fotoaufträge anzunehmen. In den ersten Jahren seit unserer Reunion habe ich das immer noch parallel weitergemacht. Aber seit letztem Jahr hab ich gesagt: „Schluss jetzt, das hat überhaupt keinen Sinn mehr.“ Denn ich bin ständig mit ACCEPT unterwegs und im Studio und man kann eben nicht alles machen.

Aber trotz ACCEPT hast du ja mit „Headbanger’s Symphony“ noch ein Soloalbum gemacht. Kann man in der Richtung noch mehr von dir erwarten?

Wolf: Absolut. Denkbar ist das total und ich würde es auch gerne machen. Aber ACCEPT hat immer Vorrang. Die nächsten Monate bin ich da auch total eingespannt und muss mal gucken, wie das so dazwischen passt. Der Tag hat nur 24 Stunden und ich hab so viel auf der Pfanne, dass ich auch so kaum alles schaffe. Mein Leben ist ganz schön voll. Aber das ist ja ’ne gute Sache. Ich bin froh und dankbar darüber und will mich das jetzt nicht beklagen. Ich finde es fürchterlich, wenn sich Musiker darüber beklagen, dass das alles so anstrengend ist. Das ist schließlich alles freiwillig.

Also konkrete Pläne oder Ideen für ein neues Soloalbum hast du noch nicht?

Wolf: Äh, ne, da hab ich überhaupt keine Zeit zu. Ich bin jetzt gerade erste mit dem letzten ACCEPT-Album fertig geworden, was quasi ein Jahr gedauert hat. Dann gehen wir sofort auf Tour, jetzt steht erst mal diese Wacken Kiste an, dann gehen wir wieder auf Europatournee und dann irgendwann mal fängt man wieder an und macht sich über sowas Gedanken.

28.07.2017

"Irgendeiner wartet immer."

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