Overkill
"Händeschütteln und Headbangen."

Interview

Das Jahr 2018 neigt sich dem Ende entgegen. Draußen fällt der erste Schnee des Dezembers, drinnen wartet der Autor dieser Zeilen auf einen Anruf aus Übersee. Ein Blick auf die Uhr verrät, dass es noch zehn Minuten bis zum Termin sind. Ist noch Zeit, um eine Tasse Tee aufzusetzen? Nein – denn auf einmal bimmelt das virtuelle Telefon. Am anderen Ende der Leitung befindet sich ein hörbar gut gelaunter Bobby „Blitz“ Ellsworth, Frontmann der Thrash-Metal-Veteranen OVERKILL, der direkt drauf losplappert.

Hi Bobby, wie geht es dir und wie ist die Lage bei OVERKILL?

Hi Marc. Weißt du, wir haben etwas getan, über das wir uns sehr freuen, was uns auch ein bisschen in Aufregung versetzt. Wir bereiten uns auf die Veröffentlichung unseres neuen Albums „The Wings of War“ vor, außerdem auf die kommende Tour. Für mich ist das eine angenehme Situation, verstehst du? Es ist „business as usal“, was es nun einmal ist, wenn du seit 35 Jahren in dieser Szene drinsteckst.

In der Vorbereitung steckt also schon viel Routine, aber sicher auch viel Stress. Was fühlst Du dich, wenn das Album dann endlich draußen ist?

Am Tag der Veröffentlichung selbst? Oh, das ist so, wie ein tiefer Atemzug, erleichternd. Die Promotion für das Album ist dann größtenteils erledigt und die Vorbereitung auf die Tour kann beginnen. Ich fühle mich dann meistens so, dass ich Lust darauf bekomme, einfach rauszugehen, um mir Pizza und Bier zu holen (lacht).

Was würdest du sagen, was der größte Unterschied zwischen „The Grinding Wheel“ und eurem neuen Album, „The Wings of War“?

Es gibt eine neue Chemie innerhalb der Band. Das liegt natürlich daran, dass Jason Bittner (Schlagzeug, Anm. des Verf.) jetzt in der Band ist und erstmals mit uns im Studio war. Weißt du, für mich gibt es zwei Möglichkeiten, um Veränderungen zu betrachten. Du kannst dich entweder darauf einlassen und Teil davon werden oder du kannst es leugnen und versuchen, die Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken. Wir haben uns für den ersten Weg entschieden, es einfach akzeptiert und geschehen lassen. Gerade weil wir wussten, dass es uns zu neuen Ergebnissen führen wird. Klar, wir wussten natürlich nicht, was am Ende dabei rumkommen wird. Da haben wir uns einfach auf optimistische Vorkalkulation verlassen (lacht).

Wir wussten ja, was Jason draufhat und wo der Rest der Band mit „The Grinding Wheel“ stand. Da konnte eigentlich nur etwas Großartiges bei rumkommen. Ich denke, dass es schon ein kleines bisschen riskant war, so an das Album heranzugehen, aber es hat sich gelohnt. Wir vier haben uns auf Veränderungen eingelassen und sie dann auch einfach zugelassen – das Ergebnis ist „The Wings of War“.

Du hast ja Jason erwähnt. Wie groß war denn sein Einfluss auf das Songwriting?

Weißt du, meiner Erfahrung nach – nach 35 Jahren – ist ein neues Bandmitglied, ganz besonders im Studio, das mit der meisten Aufregung (lacht). Der Rest der Band ist eher zurückhaltend, abgebrühter. Das meinte ich gerade damit, wie wichtig das ist, ob du Veränderung annimmst oder ablehnst. Jasons freudige Aufgeregtheit hat uns jedenfalls schnell angesteckt, bereits als wir mit den ersten Demo-Aufnahmen angefangen haben. Er schickte uns täglich Dateien mit Rückfragen und Vorschlägen zu den Songs. Dieses Engagement war richtig motivierend und wir haben es auch alle positiv aufgenommen. Was mir schnell auffiel, war, dass unsere Songs durch seinen Einstieg – egal wie melodiös sie waren oder wie sehr sie nach OVERKILL klangen – sich auf einmal viel brutaler und viel präziser anfühlten, was das Schlagzeugspiel anging. Wie ein Chirurg, der genau weiß, wo er die perfekten kleinen Schnitte setzen muss, um etwas zu verbessern. Das gab uns allen sehr viele neue Möglichkeiten.

Frischer Wind bei OVERKILL – „Jasons freudige Aufgeregtheit hat uns angesteckt.“

Zuerst fiel mir das bei Dave Linsk auf, der viel mehr Melodien als sonst um das Schlagzeug herum aufbaute. Das führte dazu, dass auch ich mehr Melodien in meinen Gesang einbaute. Ebenso inspirierte es D.D., ein paar Sachen für die finalen Aufnahmen seiner Parts zu ändern. Ja, man kann es so sagen: Jason, als Neuling in der Band, war der Motor bei den Aufnahmen zu „The Wings of War“, der uns alle motivierte und zu Höchstleistungen anspornte.

Wie kommt es eigentlich, dass ihr so lange gebraucht habt, einen Song zu eurer Heimat New Jersey aufzunehmen? Mit „Welcome to the Garden State“ habt ihr jetzt ja einen.

Besser spät als nie (lacht). Ich habe Jersey im Laufe der Jahre ja schon oft in unseren Songs erwähnt. Zum ersten Mal, glaube ich, geschah das auf „Killbox„. Seitdem baute ich immer mal etwas über New Jersey ein, sei es auch nur ein einzelnes Wort. Weißt du, ich glaube, dass man über uns als Band sagen kann, dass wir lokal denken, aber global handeln. Wir nehmen unsere Heimat mit uns, egal wohin uns die Reise führt. Es hat also nicht lang gedauert, unsere Heimat als solche anzuerkennen. Sie aber mit einem Song zu idealisieren, der zeigt wie sehr wir den Ort lieben, von dem wir kommen, hat eine Weile gedauert.

Die Heimat reist also im Herzen mit. Habt ihr Rituale auf Tour, die das widerspiegeln?

Also, ich denke, dass die tägliche Kommunikation mit meiner Familie auf jeden Fall dazugehört. Das ist wohl nur natürlich. Auf der anderen Seite habe ich natürlich auch ein paar spezielle persönliche Rituale, wenn ich unterwegs bin. Manche davon reichen bis zur „Taking Over“-Tour zurück, unserer ersten richtig langen Tour. Zum Beispiel warmsingen, klar, ein paar Bier mit den Jungs kippen, mit ihnen Karten spielen, Würfeln mit Dave Linsk… (kurze Pause)

Weißt du, ich sehe das schon professionell. Wir sind eine Band und Musik machen ist unser Business, klar. Aber ich sehe das auch so, dass der Großteil der Arbeit schon getan ist, wenn du auf Tour gehst. Die Tour ist mehr so etwas wie eine Bonus. Ich sehe sie als Vier-Wochen-Urlaub, wo fünf Typen und eine Crew, die uns jedes Jahr begleitet, zusammenkommen und gemeinsam eine gute Zeit haben. Diese relaxte Einstellung hat uns bisher jedenfalls keinen Schaden gebracht. OVERKILL machen nun einmal, was OVERKILL machen und OVERKILL lieben was OVERKILL machen (lacht). Wir sind einfach nur dankbar dafür, dass wir dieses Leben führen können.

Und jetzt gibt es ja wieder ein neues Album. Wisst ihr eigentlich schon, welche Single die Veröffentlichung begleiten wird?

Also die Lead-Single kommt jetzt am Freitag raus. Dabei handelt es sich um „Last Man Standing“, den Opener von „The Wings of War“. Dazu gibt es dann ein Lyric-Video, dass in Deutschland von einem Typen namens Igor bei Nuclear Blast gemacht wurde. Es ist ohne Frage gut geworden. Ich persönlich bin aber nicht so der Fan von Lyric-Videos. Ich finde, du konzentrierst dich dann eher aufs Mitlesen und weniger auf den Song. Aber hey, ich weiß um den Wert solcher Videos für die Promotion. Ein weiteres Musikvideo kommt kurz vor Release von „The Wings of War“ raus. Wahrscheinlich im Januar, kurz bevor wir auf Tour gehen.

Worum geht es denn eigentlich in dem Song „Last Man Standing“? Habt ihr da wen bestimmtes im Kopf?

Was wir mit diesem Song ausdrücken wollen, ist, naja, du musst dir nur den Text im Lyric-Video durchlesen (lacht). „They line up everywhere“. Es geht nicht nur um einen einzelnen Mann, sondern um uns alle, die wir eine bestimmte Geisteshaltung und bestimmte Prinzipien teilen. Prinzipien, durch die Thrash Metal, dieses ganze Sub-Genre, am Leben gehalten wird. Es geht dabei um Hingabe. Sei es jetzt die Hingabe einer Band zur Musik oder die Hingabe der Fans zur Band. Diese Hingabe kann ansteckend sein und hält dadurch den Laden am Laufen. In dem Song geht es also darum, einen Platz zu finden, an dem du diese Hingabe spürst und sie mit anderen teilen kannst.

Hingabe scheint ihr ja auch bei eurem Label gefunden zu haben. Mit Nuclear Blast arbeitet ihr ja schon seit über zehn Jahren zusammen – so lange wie mit keinem anderen Label zuvor, wenn ich mich nicht irre. Warum funktioniert das so gut und wie kam die Zusammenarbeit damals zustande?

Oh Mann, großartig. Darüber habe ich noch nie nachgedacht (stockt kurz). Das fragt mich zum ersten Mal jemand, also dreht sich mir gerade ganz schön der Kopf. Gib mir kurz einen Moment (lacht). Du hast recht, Mann, wie wunderbar ist das (überlegt kurz)?

Wie war das nochmal? Also, OVERKILL waren damals in Europa auf Tour zu unserem Album „Immortalis„. Das wurde auf einem Label namens Bodog veröffentlicht. Irgendwie gab es auch Verbindungen nach Deutschland, glaube ich, aber der Typ, der es aufgemacht hatte, saß in Vancuover, in Kanada. Soweit ich weiß, hatte er den Großteil seines Geldes mit Glücksspiel gemacht. Ihm gehörten ein paar Kasinos und so. Dann hat er das Label aufgemacht. Es war nicht schlecht, aber ich wusste damals schon, dass es nur eine kurze Beziehung mit diesem Label geben würde.

Jedenfalls waren wir mit EXODUS auf Tour und die waren damals bei Nuclear Blast unter Vertrag. Bei einer Show meinte Gary (Holt, Gitarrist von EXODUS, Anm. d. Verf.), dass ihr A&R-Typ Jaap Wagemaker vorbeikommen würde. Ich erinnere mich noch, wie ich damals irgendwo in Deutschland backstage rumhing, als Gary mir Jaap vorstellte. Wir kamen schnell ins Gespräch und wurden uns bald einig, dass wir noch einmal in Ruhe nach der Tour miteinander telefonieren sollten. Aber eigentlich war die Sache da schon klar. So einfach war das (lacht). Das übliche hin und her gab es nicht. Nur Händeschütteln und Headbangen. Das erschien mir direkt richtig und ich hatte ein gutes Gefühl. Ich habe mir gesagt, wenn der Rest des Labels so unkompliziert ist, dann kann es nur gut werden. Offensichtlich arbeiten dort jede Menge Metalheads, die auch hinter der Musik stehen, dachte ich mir. In den letzten zehn Jahren haben wir dann auch tatsächlich mit einer Menge Leute zusammengearbeitet, die in diese Kategorie des „Last Man Standing“ passen.

Aktuell geht es auf den Jahresabschluss zu und viele Bands teilen in Social Media zum Beispiel ihre Streaming-Zahlen bei Spotify. Wie stehst du eigentlich zu diesen Themen, Streaming und Social Media?

Ich denke, du musst die Gegenwart und die Zukunft so nehmen, wie sie ist oder kommt. Sonst bleibst du irgendwann auf der Strecke. Das siehst du doch an einigen anderen Bands, dass du schnell als Dinosaurier giltst, wenn du den Anschluss verlierst. So einfach ist das. Das gilt auch für die Musik. Wenn du bei „The Wings of War“ auf „Play“ drückst, den Anfang von „Last Man Standing“ hörst, oder den letzten Song „Hole In My Soul“, dann wird klar, dass wir uns der gegenwärtigen musikalischen Entwicklungen bewusst sind und sie akzeptieren. Klar, wir vergessen unsere Wurzeln nicht, aber wir versuchen mit jedem Album, uns weiter zu entwickeln.

Gilt auch für OVERKILL: „Wenn du nicht mit der Zeit gehst, dann bleibst du auf der Strecke.“

Ich denke, dass das auch notwendig ist, wenn du dir das Musik-Business anguckst. Wenn du nicht mit der Zeit gehst, dann bleibst du auf der Strecke. Ganz persönlich habe ich mit Social Media überhaupt nichts am Hut. Mein Social Media ist in der Batschkapp in Frankfurt, in Clubs in Tokio, Los Angeles, im Vereinigten Königreich oder in New York. Das ist Social Media, wie ich es 80 Mal im Jahr erlebe. Händeschütteln und Headbangen, du verstehst? Aber klar, wir nutzen Social Media, um mit den OVERKILL-Fans in Kontakt zu bleiben, sie auf dem Laufenden zu halten, warum auch nicht?

Bleiben wir mal beim Jahresabschluss: Hast du vielleicht ein Album, das dieses Jahr erschienen ist und du an dieser Stelle empfehlen möchtest?

Oh, da weiß ich direkt was. „Woodshed“ von VESSEL OF LIGHT. Ein Freund von mir, Dan Lorenzo, hat die Platte geschrieben, deswegen bin ich drauf gestoßen. Mit ihm hatte ich in 2007 mal ein Nebenprojekt namens THE CURSED. Viele der Riffs auf „Woodshed“ erinnern mich an damals. Das ist einfach Dans Stil: Doom, aber auch ein Schuss Rock ´n Roll. Diese Platte zu hören, hat mir direkt ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, weil ich dabei auch an Dan denken musste. Zwar ist alles ein bisschen depressiv, aber es erinnert mich an die gute Zeit, die wir damals mit THE CURSED hatten (lacht).

Bevor wir depressiv werden, dann noch etwas launiges zum Schluss: Woher kommt eigentlich dein Spitzname Blitz?

Das kommt aus den ganz frühen Tagen der Band. Ich hatte diese Over-the-top-Einstellung und viel zu viel Energie für einen braven Jungen meines Alters. Es musste alles immer schneller und schneller gehen und stets war Alkohol im Spiel. Wenn man über jemand anderen sagte, dass er „blitzed“ ist, dann meinte man, dass er ziemlich schnell zugedröhnt war – und auf mich traf das wohl sehr oft zu (lacht).

Das war es dann von meiner Seite aus, Bobby. Vielen Dank schon einmal für deine Zeit. Möchtest du noch etwas loswerden?

Danke dir auch. Es war ein nettes Gespräch. An eure Leser: Hört auf jeden Fall in „The Wings of War“ rein. Es ist frisch und wahrscheinlich das OVERKILL-Album mit dem brutalsten Drumsound. Kommt uns auch auf Tour besuchen! Wir sind im März in Deutschland unterwegs, zusammen mit euren Local Heroes DESTRUCTION, FLOTSAM AND JETSAM und einer australischen Band namens MESHIAAK. Also ein fröhlicher Abend voller Double-Base-Attacken. Kommt vorbei!

Das hört sich doch gut an. Auf wiederhören, Bobby.

Stay Strong and see you on the road. Bye.

Overkill auf dem Summer Breeze Open Air 2017

 

 

Quelle: Interview mit Bobby Ellsworth/OVERKILL am 12.12.2018
21.02.2019
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