Corvus Corax - Cantus Buranus

Review

Jeder von Euch kennt sie, auch wenn keine einzige Klassik-CD in Eurem Plattenregal zu finden ist: die „Carmina Burana“. Kein anderes in Nordeuropa entstandenes Kunstwerk begleitet unsere Zivilisation schon so lange wie diese mittelalterliche Liedersammlung. Ihre größte Popularität erreichte sie durch die von Carl Orff ausgearbeitete Vertonung im Jahre 1937. Seitdem kreuzte sie unseren Weg in hübscher Regelmäßigkeit, z.B. als Filmmusik von „Excalibur“ oder auf THERIONs „Deggial“, wo ihr bekanntestes Stück „O Fortuna“ einen leicht metallischen Anstrich bekam. Stets stand hierfür jedoch die Orff’sche Fassung Pate.
Vor 2 1/2 Jahren begannen Deutschlands bekannteste Spielleute CORVUS CORAX mit ihrer ganz eigenen Umsetzung der „Carmina Burana“, die nun nach langer und harter Arbeit endlich das Licht der Welt erblickt. Ein Mammutprojekt ist es geworden. Die Berliner Band reduziert die weltlichen Weisen von Wein, Weib und Gesang nämlich nicht allein auf ihre mittelalterlichen Instrumente. Um dem monströsen Charakter des Faszinosums „Carmina Burana“ gerecht zu werden, bezogen sie in die Ausarbeitung von Anfang an einen Chor und ein Orchester von insgesamt 160 Mann Stärke ein.
Größenwahn? Mitnichten. Vom ersten bis zum letzten Ton spürt man förmlich das Herzblut, den Eifer, den künstlerischen Anspruch, die Detailverliebtheit und den Respekt gegenüber dem Original und untereinander, mit dem hier zu Werke gegangen worden ist. Mystisch, bombastisch, majestätisch, nachdenklich, im gleichen Maße aufbrausend, spitzbübisch, packend, wuchtig, spannend, bilderreich… Das alles sind Attribute, die auf diese zwölf ausgewählten Lieder zutreffen, sie aber immer noch nicht ausreichend beschreiben. Das Zusammenspiel von klassischem Orchester (das Cottbusser Staatsorchester), Chorgesang (Prager Vocal-Ensemble Psalteria, Chor Ivan Pl. Zajc) und CORVUS CORAX vermag es, einen schlüssigen Bogen vom Mittelalter (die bekannten CORVUS-Trademarks) über die Klassik (Orchester/Chor) bis hin zu modernem Rock (die Einstellung, mit der alles dargeboten wird) zu schlagen, während einen die lateinische Sprache in einer völlig von Geheimnissen umwobenen Welt verharren lässt. Innerhalb dieser 55 Minuten werden zeitliche, räumliche, musikalische und szenenbezogene Grenzen völlig außer Kraft gesetzt, und erst, nachdem der letzte Ton von „Ergo Bibamus“ (eine passende Schlußfolgerung übrigens!) verklungen ist, findet man sich im hauseigenen Sessel wieder, wie aus einem Traum erwacht.
„Cantus Buranus“, das übrigens so genannt wurde, um Verwechslungen mit Carl Orffs Version auszuschließen, ist ein Meisterwerk, das seinesgleichen sucht. Sowohl kompositorisch als auch musikhistorisch, weswegen es weit über Genregrenzen hinaus große Beachtung erlangen wird. Lasst Euch verzaubern! Wenn etwas Kunst ist, dann das hier!

26.07.2005
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