Heaven Shall Burn - Of Truth & Sacrifice

Review

Interessant, wie unterschiedlich sich Metalcore-Bands entwickeln, wenn sie ihren Sound nicht nur ins neue Jahrzehnt gerettet haben, sondern sich dabei noch einer geradezu lächerlich immensen Popularität erfreuen können: PARKWAY DRIVE haben ihren Metal entsprechend längst auf Arenagröße hochskaliert, während ihr teutonisches Quasi-Gegenstück HEAVEN SHALL BURN immer noch mit einer beinahe jugendlichen Leidenschaft lärmt, als steckten wir mitten in den 2000ern fest. Wer hat den Nerv nun besser getroffen? Geschmackssache. Aber eine Lanze, die man definitiv für die Thüringer brechen muss, ist, dass sie trotz Popularität, trotz massigem Andrang immer noch richtig hart und unverdünnt auf die Kacke hauen.

Die volle (Doppel-)Packung HEAVEN SHALL BURN

„Of Truth & Sacrifice“ ist nach „Wanderer“ der neunte Streich in voller Länge und kommt als solcher in Form eines Doppelalbums daher. Man stelle sich das vor: Anstatt in die angekündigte, verdiente Pause zu gehen, klatschen uns die Jungs ein fucking Doppelalbum auf den Tisch. Und wie Gitarrist Maik Weichert laut Presseninfo zur Beschaffenheit von „Of Truth & Sacrifice“ zu Protokoll gibt: „Wir […] wollten den Leuten ganz bewusst so einen Brocken hinstellen, mit dem sie sich beschäftigen müssen“. Das ist mutig in der heutigen Zeit, selbst wenn man es sich erlauben kann. Den versprochenen Brocken haben uns die Herren also definitiv hingeworfen.

Der Elefant, der hier ebenfalls im Raum steht, ist natürlich, ob Masse gleich Klasse ist und ob sie – so vorhanden – den Umfang rechtfertigt. Offensichtlich ist, dass es hier massig an Material zu verdauen gibt. Schließlich gibt es genügend Köpfe, denen in den heutigen Zeiten mal gehörig der Scheitel gezogen gehört. Und der drückende Sound, den die Mannen hier wieder einmal brachial in den Äther hinaus pusten, ist der passende Soundtrack für Faust auf Gesicht, kommt aber mit dem gewohnten Quäntchen an Melodic-Death-Würze daher. Die Riffkonstrukte sind also definitiv in Richtung Göteborg orientiert errichtet, wirbeln aber genug Erde auf heimischem Boden auf.

Schwere Zeiten verlangen nach harten Schlägen ins Gesicht

Und HEAVEN SHALL BURN haben wahrlich ebensowenig an Heaviness gespart wie an ihren typischen, sozial- und politkritischen Lyrics, die in Versatzstücken wieder einmal auch in deutscher Sprache vorgetragen werden. Die Riffs haben richtig Fleisch auf den Rippen und krachen mit einer beeindruckenden Durchschlagskraft auf den Hörer nieder, während die filigraneren Melodien elegant um die Eruptionen herum tänzeln wie die züngelnden Flammen eines Feuers. Doch so richtig geht es bei „Of Truth & Sacrifice“ eben immer dann ab, wenn die Musik dem Hörer mit Schmackes die Falten in der Visage glatt zieht und so richtig schön in die Nackengegend rein fährt, besonders wenn die Produktion einfach nur so unfassbar feste drückt.

Klar, Melodien sind nett und so und die Band beweist definitiv ein Händchen für filigrane, mehrstimmig jubilierende Leads, aber da sich die Thüringer dann schon oftmals mehr so aus dem Readymade-Göteborg-Baukasten bedienen, ist der grobe Hardcore-Handkantenschlag definitiv die Waffe der Wahl. Das ist gar nicht mal herabwertend gemeint und wenn man sich den hiesigen Sound mal wie die Axt, die er nun mal ist, durch den Kopf gehen lässt, kommt man schnell auf den Trichter: HEAVEN SHALL BURN sind sich dessen scheinbar vollstens bewusst und schalten entsprechend souverän zwischen beiden Modi hin und her, ohne sich in Belanglosigkeit zu verlieren.

„Of Truth And Sacrifice“ zwischen Härte und Kreativität

„Eradicate“ ist darin ziemlich gut und trennt die heftigen Parts ziemlich klar von den melodischeren Spielereien. Das erlaubt den Herren, auf die epische Passage im Solopart stimmungsvoll zuzuarbeiten, sodass diese ihre volle, monumentale Wirkung entfalten kann. „What War Means“ ist da noch kompromissloser unterwegs und nimmt mit seiner grobschlächtigen Fuchtelei noch eine gute Idee melodischer wie brutaler Friedhofserde mit. „Truther“ zieht in Sachen Brachialität mit, reduziert aber den Anteil an Melodien, um wie ein wüster Orkan durch die Boxen zu fegen, während die Thüringer in „Critical Mess“ ein paar rockendere Grooves einarbeiten.

Klingt ja alles schon nach einer geradlinigen, runden Sache zum fröhlichen Schädelspalten, ist aber nicht gerade das, mit dem man knapp 100 Minuten Gesamtspielzeit unterhaltsam füllen kann. Auch hier haben HEAVEN SHALL BURN natürlich einen Schritt voraus gedacht und an passenden Stellen einfach mal drauf los experimentiert. Beim einer Art Credo gleich kommenden „Expatriate“ nimmt das noch möglicherweise übertrieben predigende Formen an, unterlegt diese aber mit stimmungsvollen, elegischen Orchestral-Arrangements. Auch der Rausschmeißer „Weakness Leaving My Heart“ wird von diesen Arrangements getragen, die dann in ein krachendes Finale münden.

HEAVEN SHALL BURN erfüllen die Erwartungen

Noch spannender machen es die Herren an anderer Stelle: „Uebermacht“ kommt mit ominöser Synth-Untermalung daher, die dem Song gekonnt düstere Vibes verleiht. „La Resistance“ geht einen Schritt weiter und stopft den krachenden Sound der Thüringer in einen köstlich käsigen Industrial-Banger, was mit konsequenterer Ausfeilung sogar richtig Potential für tiefer gehendes Songwriting hätte – gerade wenn sich die Herren einen entsprechend kompetenten Producer vielleicht sogar aus der Synthwave-Szene angeln. Regelrecht dramatisch wird es mit dem vielschichtigen „The Sorrows Of Victory“, das mit klaren Gesangspassagen aufwartet, die entfernt an einen clean singenden Mikael Stanne erinnern.

HEAVEN SHALL BURN nutzen den Raum, den das Doppelalbum bietet, also definitiv aus und toben sich aus. Einerseits geschieht das natürlich im übertragenen Sinne, schließlich hauen die Herren hier kräftig auf den Putz. Aber andererseits haben es sich Bischoff, Bischoff und Co. nicht nehmen lassen, hier und da auch mal etwas kreativer zu werden. Langweilig wird es auf „Of Truth & Sacrifice“ jedenfalls zu keinem Zeitpunkt – und HEAVEN SHALL BURN untermauern ihre Vorreiterstellung, die sie mindestens auf teutonischem Boden inne haben, einmal mehr. Sie übertreffen zwar keine Erwartungen, aber erfüllen sie mit Bravour – und rücken trotz den Anflügen von Experimentierfreude doch nicht vom eingeschlagenen Weg ab.

Jetzt natürlich die Preisfrage, um zum einleitenden Statement zurück zu kehren: Team PARKWAY DRIVE oder Team HSB? Oder vielleicht doch lieber friedlich wütende Koexistenz bei einer Co-Headliner-Tour?

19.03.2020

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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