King Diamond - Fatal Portrait

Review

Prolog: King Diamond & MERCYFUL FATE

Wir schreiben das Jahr 1984. MERCYFUL FATE haben soeben mit “Don’t Break The Oath” ein Jahrhundertalbum erschaffen, das sich als höchst einflussreich für die bereits parallel stattfindende Thrash-Metal-Welle und die spätere zweite Welle des Black Metals erweisen sollte. Trotz ihres verschrobenen, schwer zugänglichen Sounds, den extremen Vocals des exzentrischen Frontmannes King Diamond und dem okkulten Habitus etablieren MERCYFUL FATE rasch Kultstatus. Doch es offenbaren sich Risse im Bandgefüge, als Gitarrist und Hauptsongwriter Hank Shermann nach und nach die Lust an Heavy Metal und Horror-Thematik verliert und sich stattdessen eher in Richtung Pop Rock orientieren will. Shermann schlägt einen Kompromiss vor: King Diamond und Gitarrist Michael Denner sollen beim nächsten Studioalbum eine “harte” Seite schreiben und Shermann eine “softe”.

Da sich die Idee auch über 30 Jahre später noch fortgeschritten dämlich anhört und King Diamond ohnehin stärkere Ambitionen Richtung Bandleader hatte, nahm er kurzerhand Denner und Bassist Timi Hansen (R. I. P.) und schuf aus seinem Künstlernamen gleich den Bandnamen: KING DIAMOND. Mit dem jungen, seinerzeit unbekannten Gitarristen Andy LaRocque (bürgerlich Anders Alhage) und dem späteren MOTÖRHEAD– und SCORPIONS-Drummer Mikkey Dee scharte der King ein fast perfektes Line-up für seine neue Band um sich. Der hoch produktive Sänger hat schnell genügend Songs geschrieben und auch ein Deal mit dem ehemaligen MERCYFUL-FATE-Label Roadrunner Records war offenbar nicht schwer an Land zu ziehen, sodass “Fatal Portrait” Anfang 1986 das Licht der Welt erblicken kann.

“Fatal Portrait” – KING DIAMOND ambitioniert, aber noch unkontrolliert

Gut, “unkontrolliert” mag etwas übertrieben sein. Allerdings kommt man nicht umhin zu bemerken, dass KING DIAMOND im Laufe ihrer langen Karriere noch deutlich bessere Alben produzieren sollten. “Fatal Portrait” hat dabei noch kleinere Hürden zu überwinden. Das recht rotzige Songwriting sowie die Produktion stehen in deutlicher Tradition von “Don’t Break The Oath”, wobei jenes Album noch deutlich von Hank Shermanns unkonventionellem Songwriting und Gitarrenspiel geprägt war, was KING DIAMOND nicht vollends ersetzen konnten. Die inzwischen fest etablierte und produktive kreative Partnerschaft zwischen King Diamond und Andy LaRocque gab es in der Form noch nicht – der Gitarrist hat keinen einzigen Credit auf “Fatal Portrait”. Auch dessen perfekt ausgearbeiteten Soli und Leads prägen “Fatal Portrait” noch nicht. Stattdessen übernahm King den Löwenanteil der kreativen Arbeit mit gelegentlicher Unterstützung von Michael Denner.

Dabei finden sich auf “Fatal Portrait” schon gute Songs wie der Opener “The Candle” (der mit seiner kitschig-schönen Kirchenorgel und der verzerrten Stimme das Parade-Intro des Gruselns schlechthin, “Funeral”, vom Nachfolger “Abigail” vorwegnahm), “Dressed In White” oder das kultige “Halloween”. Daneben stehen allerdings einige ziemlich unausgereifte Nummern der Marke “Charon” oder “The Portrait”, das einige Passagen zu viel aus King Diamonds früheren Kompositionen für MERCYFUL FATE zitiert (allen voran den unsterblichen Klassiker “Come To The Sabbath”). Ein weiterer Schwachpunkt von “Fatal Portrait” ist das permanente Verharren des Sängers im Falsett. Sicher ist die Kopfstimme das Markenzeichen von KING DIAMOND, doch liegt der Reiz seines Gesangs ja in der Regel darin, die extreme Bandbreite verschiedener Stimmlagen und -farben des liebenswerten Verrückten abzubilden oder die verschiedenen Rollen seiner Horror-Konzepte zu interpretieren. Im Falle von “Fatal Portrait” ist der Gesang somit auf Dauer etwas anstrengend.

KING DIAMOND: Die Identität entwickelt sich erst nach “Fatal Portrait”

Apropos Horror-Konzepte: “Fatal Portrait” ist neben “The Spider’s Lullabye” das einzige KING-DIAMOND-Album, dem kein durchgängiger Erzählstrang zu Grunde liegt. Die ersten vier Songs “The Candle”, “The Jonah”, “The Portrait” und “Dressed In White” sowie der Closer “Haunted” erzählen zwar die lose Geschichte eines auf der Dachkammer eingesperrten Kindergeistes. Durch die thematisch unabhängigen Songs auf dem Album entwickelt sich aber im Vergleich zu “Abigail” oder dem sträflich unterbewerteten “The Eye” kein vergleichbares Kopfkino.

Nun soll das alles nicht zu kritisch tönen: Ein ernsthaft schwaches Album ist in der Diskografie KING DIAMONDs nicht zu finden. Ausrufezeichen! “Fatal Portrait” steht im Grunde genommen nur zu sehr im Schatten seines großen MERCYFUL-FATE-Bruders “Don’t Break The Oath”, gegen den es einfach nicht ankämpfen kann. Macht aber auch nichts, denn im Anschluss präsentierten KING DIAMOND eine Serie von mindestens vier völlig unfehlbaren Großtaten im Langspielformat, die (neben weiteren) in Zukunft hier in unserer “Blast From The Past”-Rubrik aufgearbeitet werden sollen. “Fatal Portrait” gehört in jede vernünftige KING-DIAMOND-Sammlung. Wer allerdings nur Geld für ein Album des Diamantenkönigs hat, schaltet in ein paar Wochen wieder rein.

30.12.2020

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

Exit mobile version