The Night Flight Orchestra - Amber Galactic

Review

THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA bittet mit „Amber Galactic“ wieder zum sexy Tänzchen bei nächtlichem Fluge. Also hinfort mit euch, Trauer und Trübsal. Hinfort auch mit euch, Zorn und Hass. Und macht hoch die Tür für einige der eingängigsten und geilsten Rock-Nummern dieses Jahres. Björn Strid, David Andersson und Co. haben den Hit-Faktor auf 11 hochgeschraubt und wollen euch beim heimlichen Tanzbeinschwingen erwischen. „Amber Galactic“ ist dabei noch einmal eine Stufe eleganter ausgefallen als sein Vorgänger.

Nach wie vor spielen die Herren melodischen, oft mit Synthesizern untermalten Rock, der mitunter auch den Geist von Funk und Disco atmet. Der hat seine großen Vorbilder jedoch zweifellos im US-Rock der Siebziger und Achtziger. Das bedeutet: große Melodien, große Riffs, große Synths und große Refrains, soweit das Ohr reicht. Die Band schämt sich dafür auch kein bisschen, sondern fühlt sich darin derart wohl, dass sie so richtig befreit aufspielen kann. Wer hierfür nicht aus dem Keller heraus gekrochen kommt, ist selber schuld.

Nachtflugverbot? Nicht mit Strid & Co.

Pech auch für Befürworter des Nachtflugverbots, denn das Nachtflugorchester lässt den offensiven Opener „Midnight Flyer“ ohne große Umwege steigen. Und hier macht sich direkt bemerkbar, was an „Amber Galactic“ so hervorragend funktioniert. Die Musik ist Strids Singstimme dermaßen gut auf den Leib geschneidert, dass man für die nächsten 50 Minuten glatt vergessen kann, für welche Kapelle der Mann normalerweise brüllt. Dieser glasklare, warme Sound schmiegt sich wunderbar an sein Organ an, während ihm die Songs haufenweise Steilvorlagen für überlebensgroße Refrains servieren, die in den Hirnwindungen hängen bleiben. „Sad State Of Affairs“ ist in dieser Hinsicht einfach nur göttlich, ebenso wie der Rausschmeißer „Saturn In Velvet“, der die Tanzfläche der Siebziger-Disco brennen lässt. Die Melodien sind allesamt eingängig, aber haben Charakter und verfallen nicht in plumpe Schemata.

Überhaupt ist der Umgang von THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA mit Melodien und Rhythmen ein virtuoser, ein gekonnter. Selten hat ein Album derart in sich stimmig geklungen wie dieses hier. Wie schon bei den Vorgängern gilt, dass Dreh- und Angelpunkt des Songwritings Strids variable Stimme ist. Diese beiden Elemente – Gesang und Musik – sind förmlich ineinander verschlungen. Man hat fast das Gefühl, dass Strid über die Wogen des musikalischen Ozeans gebietet, und dass dieser ihn umgekehrt nur so dahin trägt. Hier ist die Band einfach richtig gut aufeinander eingespielt. Das vermittelt ein Gefühl, das wirklich nur die wenigsten Alben zu vermitteln imstande sind.

Rock mit Herz, Charakter und Geschmack

Und dann sind da natürlich die Songs selbst. Die Hitdichte ist enorm, auch dank reichlich Abwechslung und technischer Finesse, die einem jedoch nie zu sehr aufs Brot geschmiert wird. Die Riffs sitzen wie maßgeschneidert: nicht zu straff, nicht zu locker. Zusammen mit dem Bass und den Drums haben sie diese wie locker aus dem Ärmel geschüttelte, technische Perfektion inne, die auch etwa STEELY DAN ausmachte. Die Synths holen indes aus jedem Song noch das Maximum an Stimmung und/oder Bombast heraus, ohne dick aufzutragen. Und jeder Track hat einen Refrain, den man umgehend mitsingen kann, weil die Gesangsmelodien einfach so geschmeidig in die Songs eingearbeitet sind und durch die Backing Vocals nochmals verstärkt werden.

Auch in puncto Songwriting lässt man sich nicht lumpen und bietet reichlich Abwechslung. So stellt „Star Of Rio“ seine afroamerikanischen Einflüsse offen zur Schau, besonders im Gospel-Einschub nach der zweiten Strophe, der sich wie selbstverständlich in den Song einfügt. MOTHER’S FINEST lassen herzlichst grüßen. Unterdessen taucht das Solo von „Sad State Of Affairs“ aus der ruhigen Bridge auf, nur um dann meisterhaft auf den Wellen des Songs zu reiten. Für die Fans des rockigeren „Internal Affairs“ gibt es die offensiven Rocker wie „Midnight Flyer“ und „Space Whisperer“. Für Verfechter der sanfteren aber nicht minder treibenden Gangart sind „Domino“ und „Josephine“ zur Stelle. Hier ist einfach für jeden etwas dabei.

Dazu hat der Sound dieses eigenartig sonnige Feeling. Nicht durchweg süßlich allerdings, sondern – wie bei einem guten Drink auch – mit dem gewissen Etwas versehen. Die Gegenwürze quasi, die erst die Geschmacksexplosion im Mund auslöst. In diesem Falle ist es ein leichter Schuss Melancholie, der wie eine frische Brise in der sonnigen Hitze wirkt. Es schmeckt und erfrischt. Plötzlich wird das Feierabendbier zum Mojito, der heimische Orkus zur Riviera, wahlweise auch zum cheesy Seventies-Disco-Raumhafen.

THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA bringen den Soundtrack für den Sommer

Und wenn selbst die Balladen, vor allem „Jennie“, über sämtliche Zweifel erhaben sind, kann man den Herren eigentlich nur zu „Amber Galactic“ gratulieren. THE NIGHT FLIGHT ORCHESTRA setzen sich über den angestaubten Retro-Rock hinweg. Statt stocksteifer Reproduktion holt die Band das Maximum aus seinen Vorbildern heraus und hat dabei den Spaß ihres Lebens. Das Ergebnis ist nicht weniger als sensationell und steht dabei vollkommen eigenständig dar. Das Tragen einer Retro-Fanbrille ist für den erfolgreichen Genuss nicht notwendig. Es ist ein Album, in das man einfach so einsteigen kann und das einen über Monate hinweg bestens unterhält. Diese Energie lässt selbst nach dem x-ten Durchgang nicht nach.

„Amber Galactic“ zeigt eine Band, die ihren Status als „Nebenprojekt bekannter Musiker“ weit hinter sich gelassen hat, und das derart überzeugend, dass das Namedropping zur reinen Formalität verkommt. Mehr noch: Es besiegelt diesen Schritt mit dem sprichwörtlichen Knall. Das hier ist Urlaub für die Ohren, wie man ihn besser kaum bekommen kann. Nix mit Gefrickel, nur geiler Rock zum Abgehen und Feiern. Oder einfach nur zum Genießen. Funktioniert beides bestens.

11.05.2017

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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