The Ocean - Pelagial

Review

Dass die mittlerweile in der Schweiz heimisch gewordenen Experimental-/Post-Metaller ein besonderes Faible für monumentale Großprojekte haben, weiß man nicht erst seit seit den beiden letzten Langspielern „Anthropocentric“ und „Heliocentric“. Die Band um Kreativkopf Robin Staps hat mit diversen Mammut-Alben in der Vergangenheit bereits eifrig Felder wie die Erdgeschichte beackert oder sich mit dem Thema Religion auseinandergesetzt. Es ist somit wenig verwunderlich, dass auch das neue Werk „Pelagial“ – musikalisch wie inhaltlich – wieder epochale Ausmaße besitzt: Das achte Studioalbum der Band beschreibt eine Reise von der Meeresoberfläche hinab in die Tiefsee. Die elf Tracks waren aufgrund stimmlicher Probleme des Frontmanns Loic Rosetti zunächst als durchgängiger Instrumental-Opus geplant (live gibt es „Pelagial“ folglich im Ganzen und ohne Unterbrechung). Nach dessen schneller Genesung entschied man sich dann aber, auch eine „herkömmliche“ Variante mit Gesang aufzunehmen. Jedes Exemplar von „Pelagial“ enthält deswegen nun zwei Versionen des Albums – eine ohne und eine mit Vocals. Die Abmischung durch Jens Bogren (u.a. KATATONIA, OPETH) wurde dabei der voranschreitenden Reisedauer angepasst – sprich: je länger „Pelagial“ dauert, desto rauer und brachialer wird der Sound. Die spannendste Frage ist aber natürlich, wie die Band die Reise durch die verschiedenen Meeres-Schichten kompositorisch umgesetzt hat.

Mit „Epipelagic“ und zu verspielten Keys und Unterwasser-Samples taucht der Hörer sinngemäß in das Album ein. Und hat man sich auf das Konzept eingelassen, sind der eigenen Phantasie auf „Pelagial“ keine Grenzen mehr gesetzt: So ist es jedem freigestellt, welchen majestätisch durchs Wasser gleitenden Meeressäuger er sich bei den erhabenen ersten Minuten von „Mesopelagic Into the Uncanny“ vor Augen ruft, ob er die darauf folgenden, gelegentlichen Riff-Eruptionen als wilde Meeresstrudel begreift oder die delayverhangenen Gitarren-Slides am Anfang von „Bathyalpelagic I Impasses“ als Walgesänge interpretiert. Beim abschließenden „Benthic The Origin of Our Wishes“ wiederum spürt man förmlich die undurchdringbare Finsternis und den brachialen Druck, die in Abertausenden Meter Wassertiefe herrschen.

Dass, um solche Assoziationen mit einem Album hervorrufen zu können, ein enorme musikalische Variabilität und auch das nötige kompositorische Format seitens der beteiligten Künstler vorhanden sein müssen, ist selbstredend klar. In dieser Hinsicht hat Staps aber mittlerweile seit einigen Jahren eine äußerst fähige Truppe um sich geschart. Frontmann Loic Rosetti beispielsweise zeigt auf „Pelagial“ eine derart beeindruckende Wandlungsfähigkeit und ein herausragendes Melodiegespür, dass man den Mann spätestens jetzt zur ersten Riege der Genre-Vokalisten zählen muss. Das sehr versierte Drumming von Luc Hess, der über weite Strecken von Louis Jucker sehr melodisch bediente Bass sowie das für THE OCEAN mittlerweile typische, anspruchsvolle Riffing runden schließlich die starke Instrumentalperformance ab. Immer wieder wird das Klangspektrum zudem von getragenen Streicher-Passsagen, Piano-Parts und verschiedensten Samples erweitert.

Natürlich ist es bei dieser Art von Album schwierig, einzelne Songs isoliert zu betrachten – zumal einige Parts auch mehrmals verarbeitet werden. Am ehesten funktioniert das für meinen Geschmack noch mit „Hadopelagic II Let Them Believe“ und „Bathyalpelagic II The Wish in Dreams“, seine wirkliche Wirkung allerdings entfaltet „Pelagial“ nur im Ganzen. Dabei offenbaren beide Versionen des Albums ihre ganz speziellen Reize – während auf der instrumentalen Variante vor allem die vielen versteckten Details zur Geltung kommen, wird die Gesangs-Version wiederum jene Hörer besonders begeistern, die den Sound der „Anthropocentric“- und „Heliocentric“-Scheiben lieben.

THE OCEAN haben ein weiteres Mal bewiesen, dass sie zu den ganz großen Visionären der Metal-Szene zählen. Dass gilt übrigens nicht nur für Musik, sondern wieder einmal auch für die physische Aufmachung von „Pelagial“. So kommt das Album (in der mir vorliegenden Deluxe-Version) in einer aufwendig gestalteten CD-Box daher, einen 54-minütigen Film von Craig Murray, der integraler Bestandteil des Albums ist und auch live zu sehen sein wird, gibt es als Bonus obendrauf. Für all jene, die ihre Musik heuer im Internet erwerben und sich nicht für Verpackung und Konzept eines Albums interessieren, ist „Pelagial“ aber vor allem eines: 53 Minuten herausragend dargereichte Musik.

23.04.2013
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