The Ocean - Precambrian

Review

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Spätestens mit dem letzten Album „Aeolian“ haben die Berliner von THE OCEAN weltweit auf sich aufmerksam machen können. Lief der Vorgänger zur neuen Veröffentlichung aber eher als Versuch, die sonst so üppige Instrumentierung auf das klassische Rock-Line-Up zu beschränken, hat man sich für die Arbeiten zu „Precambrian“ wieder des kompletten Programms, will sagen eines Klaviers, diverser Streicher und etwa eines Tambourins bedient, auch wenn der Fokus der Musik natürlich weiterhin auf Gitarre, Bass und Schlagzeug liegt. Nach den ersten vier Milliarden Jahren der Erde wurde das neueste Werk also benannt, und diese werden erdgeschichtlich streng chronologisch abgehandelt, zumindest, wenn es nach den Titeln der Stücke geht.

Für die Vertonung hat sich das Riesengespann – über 20 Musiker, die zahlreichen Gastsänger und andere Gastmusiker eingerechnet – dann aber doch keine Texte über Bakterien in der Ursuppe ausgedacht, sondern auf fremde Texte unter anderem von Nietzsche oder Baudelaire, aber auch auf eigene zurückgegriffen. Die sind dann auch nicht ganz so abgefahren wie das Konzept der Platte, sondern eher genretypisch gehalten und befassen sich mit melancholischen Stimmungsbildern und abstrakten Metaphern. Stichwort Genre: Natürlich wandelt auch „Precambrian“ wieder auf den Spuren von Bands wie NEUROSIS, MESHUGGAH und ähnlichen, die meist umständlich mit seltsamen Worten beschrieben werden, die irgendwann auf „-core“ enden. Solcherlei Musik ist natürlich prädestiniert, wuchtig-aggressive und dabei doch seltsam berührende Bilder in Töne zu fassen und tatsächlich könnte man sich kaum bessere Szenarien für ein Album wie „Precambrian“ vorstellen als ein zäher Lavastrom, der sich nach einem Vulkanausbruch einen Berghang hinunterwälzt.

Hadaikum und Archaikum stehen natürlich an erster Stelle der Erdgeschichte und fallen dementsprechend wüst und öde aus, hier regiert durchweg der Knüppel. „Hadean / The Long March of the Yes-Men“ beginnt in der Mitte des Geschehens, das den Hörer durch das punkig-schräge „Paleoarchean / Man and the Sea“ bis zu „Neoarchean / To Burn the Duck of Doubt“ führt. Besonders herauszuhebende Stücke gibt es keine, aber das dafür auf konstant hohem Niveau – so schön kann Urzeit-Chaos sein.

Nach 22 Minuten voll vor den Latz schlägt „Proterozoic“ in eine ganz andere Kerbe. Mit den ersten Lebensformen tauchen ruhigere Töne auf, „Siderian“ beginnt mit jazzigen Lounge-Klängen, die schließlich im superben Elfminüter „Rhyacian / Untimely Meditations“ münden (was rede ich, „Proterozoic“ als Ganzes ist ein superber Sechzigminüter!), der im Prinzip alles vorwegnimmt, was „Proterozoic“ auszeichnet, sodass die restlichen Stücke das gesteckte Niveau bestenfalls noch erfüllen können: Wunderbar abgedrehte Gitarrenläufe, herrlich eingesetztes Glockenspiel, ein dezentes Klavier und perfekt abgestimmte Ausbrüche aus der ruhigen Klangwelt, die zwischendurch so richtig auf den Putz hauen. Von Quoten-Synthesizeratmosphäre zur Spielzeitstreckung nicht die geringste Spur, im Gegenteil, ohne die akustischen und instrumentalen Teile wäre „Proterozoic“ zusammenhangslos und überflüssig. Überhaupt sind die Arrangements so stimmig gelungen, dass man sich nach Brüchen oder Kanten in der Führung der Atmosphäre gar nicht erst umzusehen braucht. So gesehen hätte „Proterozoic“ richtig langweilig werden können, wäre nicht die Ausführung so gelungen. Trotz allem ist es nämlich kein vergeistigtes, dem Irdischen längst entschwebtes Album geworden, sondern immer bodenständig und fassbar, wenn auch sehr verspielt und komplex arrangiert. Gerade in Sachen Komplexität braucht sich „Proterozoic“ vor nichts und niemandem zu verstecken. Eine komplett durchkomponierte Scheibe, die den Hörer nicht loslässt und mit einem riesigen Berg Ideen erdrückt, sodass der nach dem aberwitzigen Schluss von „Tonian – Confessions of a Dangerous Mind“ im von Klavier und Streichern vorgetragenen Ausklang „Cryogenian“ langsam wieder zu denken anfängt und sich wundert, wo die letzte Stunde geblieben ist…

Gerade, wenn es zu Sache geht, hört man aus den wuchtigen Rhythmen, die Gitarren und Schlagzeug in sperrigen Synkopen vor sich her wälzen, deutlich die Einflüsse. Vor allem „Hadean / Archean“, in spärlich gesäten Momenten auch „Proterozoic“, ist daher eine riesige Verneigung gegen die musikalischen Paten, was aber nicht zu schmerzen braucht, denn besser bekommen es auch die nicht hin. THE OCEAN klauen sich die Ideen keinesfalls bloß zusammen, sondern verleihen ihnen mit der orchestralen Instrumentierung und der romantisch anmutenden Bildhaftigkeit erst die nötige Reife, um das Album nicht nur einfach der metalliebenden Hörerschaft zugänglicher zu machen, sondern tatsächlich auch das Konzept damit zu unterstützen – alles steht da, wo es seinen Sinn hat. Damit ist nun vor allem „Proterozoic“ gemeint, welches sich als geschlossenes Ganzes präsentiert und in Einzelteilen auch gar nicht zur Genüge genossen werden kann. „Hadean / Archean“ ist da eigentlich „nur“ noch eine verdammt gute Zugabe.
Ein Monument gegen eine kurzlebige Musikkultur und eine Musikauffassung, die nur vom benötigten Festplattenspeicher ausgeht, wollten THE OCEAN mit diesem Album setzen – ein gewagter Anspruch. Ob ihnen das gelungen ist, hängt nun vom Publikum ab. Wer sich aber richtig damit auseinandersetzt, wird jedenfalls nicht umhinkommen, sich „Precambrian“ in aller Ruhe zu Gemüte zu führen.

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16.12.2007

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7 Kommentare zu The Ocean - Precambrian

  1. Matthias sagt:

    Naja, naja…. also zunächst mal halte ich das Wort MESHUGGAH in Zusammenhang mit THE OCEAN etwas unpassend und auch die ergreifende Klasse von NEUROSIS wird hier zu keiner Sekunde erreicht. "Precambrian" ist wahrlich kein schlechtes Album geworden, aber von einem Glanzstück ist es dennoch noch etwas entfernt. Besonders gesanglich haben THE OCEAN noch einiges nachzuholen, denn anstatt variabel wie die Musik zu agieren wird hier durchgebrüllt bis der Arzt kommt. Mag zwar (wie immer) Geschmacksache sein, aber wer auf Abwechslung steht, kann hier schnell gnadenlos vom brachialen Organ des Brüllwürfel niedergemäht und somit dauerhaft enttäuscht werden. Nur mit der Keule erreicht man heutzutage halt keine Preise mehr… Ganz nett ist jedenfalls die Kombination mit Hardcore-Elementen und gelegentlichen Post-Rock-mäßigen Sound-Spielereien, die jedoch von den tatsächlichen Vertretern genannten Genres besser zitiert werden. Insgesamt gesehen haben THE OCEAN aber trotzdem ein durchaus gutes, aber eben keineswegs überragendes Album abgeliefert. Auf jeden Fall merkt man der Band an, dass sie vorankommt und zukünftig sicherlich noch einiges zu bieten hat.

    7/10
  2. Anonymous sagt:

    Dir muss man leider unterstellen, das Album gar nicht wirklich gehört zu haben, ist Dir doch offenbar leider entgangen, dass es auf der zweiten, ruhigen Hälfte, dem eigentlichen Hauptteil der Doppel-CD, durchaus diverse cleane Gesangspassagen gibt, z.T. sogar dreistimmig – und zwar bei insgesamt 5 von 9 tracks, wobei 3 weitere songs ohnehin komplett instrumental sind. Dem Satz \\\"nur mit der Keule erreicht man heutzutage gar nichts mehr\\\" kann ich nur beipflichten, doch wird er diesem ungeheur vielfältigen Album sowas von gar nicht gerecht, dass man sich fragen muss, wo das wohl herkommen mag… Meshuggah allerdings höre ich hier auch kaum.
    Ich stimme dem Rezensenten in seiner Meinung zu, dass wir es hier mit einem wirklich herausragenden Album zu tun
    haben.

    10/10
  3. sickman sagt:

    Mir ist keineswegs entgangen was auf der zweiten Hälfte passiert, sonst hätte ich sicherlich nicht die Verknüpfungen zum Post Rock und Hardcore gezogen. Und die wenigen clean- und von mir aus auch 3- oder 20-stimmig gesungenen Passagen sind ja nun wirklich nicht der Rede wert! Die harte Stimme überwiegt deutlich auf dem Album, das ist Fakt! Die Keule war auf das eintönige Geröchel bezogen nicht auf die Musik; sollte eigentlich auch deutlich gewesen sein! Ich spreche ja nicht von einem schlechten Album, sondern nur von einem, das für mich eben kein absolutes Meisterwerk. Unterschiedliche Meinungen sind zudem extrem wichtig! Aber Geschmäcker sind ja auch zum Glück unterschiedlich…

    7/10
  4. lazarus sagt:

    Precembrian ist für mich eines der geilsten Post-core Alben die ich kenne. Schon der äusserlichen Aufmachung sieht man die liebevolle Gestalltung an und bei der musik ist das auch nicht anders. Auf de ersten mini CD (Hadean/ Archean) geht es rabiater und trotzdem experimentell zur Sache (beim ersten Hören war ich etwas enttäuscht). Bei der 2. CD (Precembrian) Ist die Musik sehr spannungsgeladen (und damit genau so wie ich es mag^^)diese fand ich daher auch von Anfang an sehr geil. Mann merkt zwar irgentwie nicht das dort 9 (!!!) Sänger am Werk waren, aber das tut dem Ganzen kein Abbruch denn es wird eine sehr dichte Athmosphäre aufgebaut. Einfach anhören und träumen; echt geniale musik!!!

    9/10
  5. leo sagt:

    Nach den vielen guten Kritiken (besonders der auf dieser Seite) und der tollen Aufmachung hat mich das Album enttäuscht, was sich auch nach mehreren Hördurchgängen nicht zu ändern scheint. Sicher ist es abwechslungsreich und komplex arrangiert, aber das monotone Growling nimmt doch eindeutig zu oft überhand, wie sickman auch sagt. Eine Verbindung zu der Entstehung der Erde oder Bilder von wälzenden Lavaströmen hab ich bis jetzt auch nicht gesehen. Dafür durchaus ein paar Gemeinsamkeiten mit Meshuggah wie z.B. der verschobene Rhythmus zu Beginn der ersten CD oder eben das erwähnte monotone Growling. Bei Meshuggah mag es zum Konzept passen, hier fehlt mir jedoch der emotionale Charakter. Precambrian wirkt zu durcharrangiert, zu ausgearbeitet, zu perfektionistisch. Mir fehlen die Ecken und Kanten, die doch gerade für eine Vertonung des Anfangs unserer Erdgeschichte obligatorisch wären.

    7/10
  6. Matthias sagt:

    So, nach langer Zeit des Hörens und nach einigen tollen „THE OCEAN-Erfahrungen“ muss ich dann doch nochmal ein paar Sätze zu „Precambrian“ loswerden. Mittlerweile sehe ich mich als Anhänger der Band („Heliocentric“ und „Anthropocentric“ sind einfach nur göttlich) und mag einiges aus der frühen Phase der Band, „Precambrian“ will jedoch nach wie vor nicht wirklich zünden. Die Instrumentalfraktion ist gut bis sehr gut, der letzte melodische Kick fehlt mir nach wir vor. Zu ungriffig, zu zerfahren teilweise. Die meiste Kritik muss aus meiner Sicht nach wie vor der Gesang einstecken, denn hier fehlt es einfach am nötigen Feingefühl und (ebenfalls) mitreißenden Momenten. Es wird viel um den heißen Brei herumgespielt aber auf den Punkt kommen die Jungs eher selten auf dem Album. Einige Songs mag ich, andere gehen mir gar nicht ins Ohr und nerven sogar regelrecht. Unterm Strich runde ich meine Bewertung nochmal einen Punkt nach unten auf 6/10.

  7. Elil sagt:

    Die Reviews von Sickman hören sich meiner Meinung nach eher nach Reviews zu Aeolian an. Ich finde Precambrian auch auf gesanglicher Ebene insbesondere im Gegensatz zu eben genanntem Aeolian extrem vielschichtig und auch melodisch. Natürlich ist das eine andere, weitaus forderndere Melodik wie auf z.B. Heliocentric, aber nach einigen Durchläufen wusste das Album trotz der Tatsache, dass ich The Ocean durch Anthropocentric etc. kennengelernt habe vollends zu überzeugen. (9/10)