The Ocean - Phanerozoic I: Palaeozoic

Review

THE OCEAN haben ihre Karriere der Verarbeitung irdischen Lebens innerhalb eines sich kontinuierlich neu definierenden Ausdrucksraumes zwischen Musik, Lyrik und Lichtkunst gewidmet. Ein aberwitzig ambitioniertes Unterfangen, dem abseits des hochrespektierten Kollektives um Mastermind Robin Staps wohl die wenigsten Musiker unserer Zeit gewachsen wären. Doch was anderswo bis dato prätentios und Prog-typisch überladen gewirkt hat, haben THE OCEAN bereits mehr als einmal mit einer künstlerischen Tiefe versehen, die dem Bandnamen zu anhaltender Gerechtigkeit verhilft.

Post-metallische Riffberge über wabernder Ursuppe

Das „Phanerozoikum“ umfasst aktuell einen Zeitraum von 541 Millionen Jahren und dauert bis in die Gegenwart an. Ein griechischer Wikipedia-Gelehrter übersetzt es als „Zeitalter des sichtbaren Lebens“. Normaler thematischer Rahmen für ein Metal-Album, möchte man frotzeln. Aber in der Tat sprießt und vergeht das Leben in den Takten von „Phanerozoic I: Palaeozoic“, in beispielloser Art und Weise, die die Wartezeit bis zum für 2020 angekündigten zweiten Teil des Konzept-Doppels wie weitere 541 Millionen Jahre erscheinen lässt.

Alles beginnt mit „The Cambrian Explosion“, die erhaben über die auslaufenden Wellen der Ursuppe heranwabert, bis eine pulsierende Synth-Spur das melodische Thema in „Cambrian II – Eternal Recurrence“ in post-metallische Riffberge übersetzt.  Gleich zu Beginn schaffen THE OCEAN hier eine Art Blaupause des majestätischen Post-Metal-Epos. Das melodische Hauptmotiv durchzieht den Achtminüter so subtil wie packend, während Shouts und mitreißender Klargesang eine perfekte Symbiose eingehen.

THE OCEAN gehören noch immer zu den ganz Großen

Diese so zarte wie prägnante Melodieführung durchzieht „Phanerozoic I: Palaeozoic“ auch im weiteren Verlauf. THE OCEAN erzählen die Geschichte der belebten Welt so, dass auch die selbsternannte Krone der Schöpfung sie problemlos erfassen kann: Vielschichtig und doch eingängig, musikalisch komplex und gleichzeitig durchzogen von Motiven der Wiedererkennung. Das Leben ist ein Kreislauf.

Es sind die bekannten Namen, zu denen sich Parallelen auftun, doch bei THE OCEAN verbietet sich der Vergleich mit den Meistern nun absolut nicht. OPETH, MASTODON und GOJIRA klingen deutlich an, das getragene „Devonian – Nascent“ veredelt zudem KATATONIAs Jonas Renkse mit seinen so melancholischen wie fesselnden Gesangslinien. Dazwischen spielt sich die Violine NE OBLIVISCARIS-gleich in den Vordergrund, nur um letztlich im düster treibenden Synthesizer-Takt aufzugehen.

Ein fragiles Memento Mori

Nach diesem komplexen Höhepunkt eines Albums und Zeitalters gleichermaßen leiten Post-Rock-Gitarren  „The Carboniferous Rainforest Collapse“ ein. Die Skalen und Klangfarben werden düsterer, das große Sterben beginnt. „Phanerozoic I: Palaeozoic“ endet auf einer fragilen Note, die gleichsam als Memento Mori fungiert. Eines aus der Kategorie „schöner sterben“ wohlgemerkt: „It’s the beginning of every dying. Soon it will be over.”

Teil eins der neuen geowissenschaftlichen Abhandlung von THE OCEAN ist ein eindrucksvolles Gesamtkunstwerk, das in seiner Schlüssigkeit und rohen Emotion die Weltspitze progressiver Musik spiegelt. Einzig das Artwork ähnelt der Vegetationsanimation eines PC-Rollenspiels der frühen 2000er und wirkt geschmacksabhängig hässlich, mindestens aber unspektakulär. Und auch das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil ansonsten alles so perfekt ist.

02.11.2018
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