Type O Negative - Slow, Deep And Hard

Review

Im Jahr, als die Mauer zwischen den beiden deutschen Staaten fiel und sich das Ende des Kalten Krieges zwischen den USA und dem Ostblock abzeichnete, kroch in Brooklyn, New York City die neue Band Peter Steeles unter dem nuklearen Ascheregen seiner berühmt-berüchtigten Thrash-Kombo CARNIVORE hervor. Ursprünglich noch REPULSION und SUB-ZERO benannt, veröffentlichte das Quartett im Juni 1991 als TYPE O NEGATIVE – auf den Namen brachte sie die Werbung einer Blutbank im Telefonbuch – über Roadrunner Records das Debüt „Slow, Deep And Hard“.

Und sie hätten schwerlich einen passenderen Titel für dieses Werk wählen können, dass noch deutlich näher an der rohen Urgewalt und kontroversen Attitüde CARNIVOREs ist, als an dem gemäßigteren und gotischen Sound und Image, für den und das TYPE O NEGATIVE ab 1993 mit „Bloody Kisses“ und den nachfolgenden Alben weltweit bekannt werden sollten. Die Lyrics des Debüts sind in bester CARNIVORE-Tradition fernab von dem, was sich Political Correctness schimpft. Durchgehend zynisch und alles andere als zimperlich rechnet Steele mit seiner fremdgängerischen Perle (sowie deren Liebhaber und „gesellschaftlichem Abschaum“ in Nebenrollen) ab. Das Aufarbeiten von Vertrauensbruch und enttäuschter Liebe führt von Selbstmitleid über extreme Rache- und Gewaltphantasien bis hin zu Suizidgedanken. Die unbändige Wut und die Gelüste nach Vergeltung sind dabei die treibende Kraft hinter der Scheibe, die wohl eines der besten musikalischen Mittel überhaupt zur Bewältigung von Trennungsschmerz und Betrug durch den Partner ist.

Die kontroversen Texte und der Titel „Der Untermensch“ brachten TYPE O NEGATIVE hierzulande Sexismus- und Rassismus-Vorwürfe ein und führten bei der ersten Deutschland-Tour der Band zu Widerstand durch linke politische Organisationen. Steele betonte daraufhin, dass sich die Texte nicht gegen Frauen generell, sondern nur gegen eine ganz bestimmte richten würden und die Band entkräftete weitere Unterstellungen allein durch ihre Herkunft und ihr Umfeld.

Schmerz, Eifersucht, Hass und Genugtuung werden von Herrn Stahl hauptsächlich in aggressivem Gebrüll und Geschrei, aber auch (schon) in tiefem und dunklem Gesang und Geflüster oder gar triumphierendem Lachen perfekt umgesetzt. Die mitunter zwölfminütigen Lieder sind regelrechte kleine Epen, die sich durch verschiedene und konstrastierende Emotionen und Tempi bewegen, dabei aber nie willkürlich wirken: In den flotten und tobenden Abschnitten zwischen Thrash-Metal- und Hardcore-/Punk-Riffs erinnert es stark an CARNIVORE, aber ergänzend kommen viele zähfließende Doom-Passagen, melodische Keyboards, sakrale Gesänge und unterlegende Industrial-Anklänge wie Bohrergeräusche oder Hammerschläge hinzu. All das macht „Slow, Deep And Hard“ zu einem sehr eigenen, unverwechselbaren und auch nach fast zwanzig Jahren und einer mindestens zehnfachen Anzahl an Durchläufen immer noch spannenden Gebräu, bei dem natürlich auch Peters stark verzerrter Bass, eines der Markenzeichen von TYPE O NEGATIVE, allgegenwärtig ist.

Die fünf „richtigen“ Stücke des Albums und das schaurige Instrumental „Glass Walls Of Limbo (Dance Mix)“ – die einminütige Stille von „The Misinterpretation Of Silence And Its Disastrous Consequences“ außen vor – können allesamt begeistern, wobei sich die beiden Lieder mit der längsten Spielzeit („Unsuccessfully…“ und „Prelude To Agony“) als besonders genial herausstellen.

Das eröffnende und äußerst abwechslungsreiche „Unsuccessfully Coping With The Natural Beauty Of Infidelity“ setzt sich mit seinem extrem eingängigen und wohlbekannten „I Know You’re Fucking Someone Else“-Mitgröhl-Refrain und einem für das gesamte Album repräsentativen Text zwischen fast schon poetischen Zeilen („Trust And You Will Be Trusted Says The Liar To The Fool“) und wüsten Beschimpfungen („Slut! Whore! Cunt!“) für Tage im Kopf fest. Primitiv? Vielleicht. Amüsant? Definitiv. Die Nummer ist eine fast dreizehnminütige – und trotzdem wie im Flug vorüberrauschende – Anklage der treulosen Freundin, die im bitterbösen „Xero Tolerance“ mit der Ermordung ihres neuen Typen („And Now You Die!“) gesteigert wird, um dann im nächsten blutigen Wunschtraum zu kulminieren: Das zähflüssige „Prelude To Agony“ ist zusammen mit dem Opener das absolute Meisterstück des Albums, feiert mit seinem mächtigen Aubruch in der zweiten Hälfte die Vergewaltigung der ehemaligen Liebe mit einem Presslufthammer („For The crime Of Burning Me I Give To Thee Jackhammerrape“), Samples von einem solchen und Schmerzensschreie der Dame inklusive – das ist natürlich so übertrieben, dass man ums Schmunzeln kaum herum kommt.

Etwas weniger erbost als die Nummern dieser dreiteiligen Geschichte und das Stück „Der Untermensch“, dafür deutlich niedergedrückter, kommt das abschließende “Gravitational Constant: G = 6.67 x 10^-8 cm^3 gm^-1 sec^-2” daher, dass wie eine Art finale Subsummierung Selbstmord und das Recht des Einzelnen, sich selbst zerstören zu dürfen („Suicide Is Self Expression“) behandelt.

Musikalisch als auch inhaltlich weit entfernt von allen anderen TYPE O NEGATIVE-Veröffentlichungen, wirkt das wutschäumende und auch textlich völlig ungezügelte „Slow, Deep And Hard“ noch eher wie ein inoffizielles drittes CARNIVORE-Album (mit einigen Erweiterungen und Vorboten der zukünftigen Entwicklung im Klang). Es ist der lange und tief in Zorn getränkte Soundtrack für die Betrogenen und Desillusionierten; ein sowohl höchst orignelles als auch emotionales Werk voller hasserfüllter Hymnen, die sich in ihrem irrsinnig anmutenden abrupten Hin- und Herwechseln, Neben- und Übereinander vom Suhlen in Seelenqualen und dem Spucken von Gift und Galle selbst zu feiern und immer wieder aufs Neue aufzuwiegeln scheinen.

Obwohl sie in den folgenden 16 Jahren durchweg überzeugendes Material veröfentlicht haben – so grandios und ausdrucksstark wie auf ihrem frühen Zenit „Slow, Deep and Hard“ sollten TYPE O NEGATIVE nie mehr sein.

01.04.2010
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