1914
"Wir machen keine Musik zum Feiern, Trinken oder für Partys."

Interview

1914 veröffentlichen heute ihr neues Album „Viribus Unitis“. Aus diesem Anlass sprachen wir mit der Band über die Platte, Veränderungen und Konstanten, die Umstände der Aufnahmen, die geschichtlichen Hintergründe und die Featuregäste. Herausgekommen ist ein intensives und eindringliches Gespräch.

Hi, und danke, dass ihr euch die Zeit für das Interview nehmt. Wie geht’s euch kurz vor der Veröffentlichung eures vierten Albums?

Wir leben noch – und das bedeutet heutzutage schon einiges. Unser Gitarrist dient in der Armee, der Rest von uns hilft als Freiwillige im Krieg: Wir liefern Drohnen, Fahrzeuge und medizinische Ausrüstung an unsere Soldaten. Das Leben geht weiter – zumindest bis die nächste russische Drohne oder Rakete entscheidet, es zu beenden.

Warum habt ihr „Viribus Unitis“ – das Motto von Franz Joseph I. – als Albumtitel gewählt?

Es geht dabei nicht wirklich um Franz Joseph selbst. Für ihn stand das Motto für die Einheit des Reiches – alles geschah durch die vereinten Kräfte von Millionen Menschen aus verschiedenen Nationen. Doch die Geschichte zeigte: Als das Reich zerfiel, begannen diese Nationen gegeneinander zu kämpfen, um ihre Unabhängigkeit. Die Balkanländer gingen eigene Wege, Ungarn, Tschechen, Polen und Rumänen besetzten nach dem Ersten Weltkrieg zeitweise Teile der Ukraine, und die meisten slawischen Völker gründeten schließlich eigene Staaten.

„Mit vereinten Kräften“ galt also nur, solange das Reich durch sein Militär und Unterdrückung zusammengehalten wurde. Danach zerstreute sich alles. Unsere heutige Interpretation ist eine andere: Wir müssen wieder zusammenstehen – diesmal aus eigener Entscheidung – um denselben Feind zu bekämpfen, der schon vor über einem Jahrhundert, dann im Zweiten Weltkrieg und jetzt erneut in dem Krieg, den wir als den Dritten Weltkrieg gegen das russische Imperium des Bösen bezeichnen, über uns herfiel. Nur durch die Einheit der Nationen können wir diese totalitäre Maschine aus Konzentrationslagern, militarisiertem „orthodoxem“ Rotfaschismus und Angst zerschlagen.

Lasst uns vereinen – denn in der Einheit liegt die Stärke.

1914 - Viribus Unitis

Die Songs basieren auf realen Ereignissen und den Aufzeichnungen eines ukrainischen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Wie bist du an diese Dokumente gekommen, und was geschah mit ihm nach dem Krieg?

Ich habe etwa ein halbes Jahr recherchiert – in Archiven in Lwiw, Wien und Rom. Ich habe Briefe, Memoiren, Bücher, Frontberichte, Studien und tausende Dokumente durchgesehen. Auf meinem Computer gibt es einen Ordner namens „new album“ mit über 300 Quellenlinks.

Ich wollte der Welt zeigen, dass die Geschichte Galiziens, Lwiws und der Ukraine ein wichtiger Teil der europäischen Geschichte ist – auch wenn viele das heute ignorieren. Die größten Schlachten der Ostfront im Ersten Weltkrieg fanden hier statt: die Brussilow-Offensive mit fast 2,5 Millionen Opfern, die Karpaten-Winteroffensive, die Belagerung von Przemyśl, die Schlacht um Galizien und mehr. Europa hat diesen Teil der Geschichte vergessen – und es ist ihm egal. Also erinnere ich sie daran.

Das Schicksal der Hauptfigur ist tragisch, wie das von Hunderttausenden Ukrainern, die für Freiheit und Unabhängigkeit kämpften – und es noch immer tun. Er kam aus italienischer Gefangenschaft zurück, umarmte seine Frau und Tochter in Wien, und zwei Wochen später zog er erneut los, um seine Heimatstadt Lwiw zu verteidigen, die von Polen mit Unterstützung der Franzosen, Amerikaner und der Entente besetzt war – weil sie die Ukraine als neue politische und militärische Macht in Europa fürchteten.

Er fiel am letzten Tag der Chortkiw-Offensive, der größten Schlacht zwischen Ukrainern und Polen im Sommer 1919. Sein Grab ist unmarkiert, irgendwo bei Lwiw. Das ist keine Geschichte, zu der man feiert oder Bier trinkt. Man muss lesen, nachdenken, zuhören – und wirklich hören.

Wie würdest du das neue Album im Vergleich zu euren ersten drei beschreiben? Was hat sich verändert, was ist geblieben?

Es ist unser aggressivstes Album. Wütend. Schnell. Voller Zorn. Es trägt all unsere Wut, unseren Schmerz, den Hass auf die Besatzer, die Verachtung gegenüber diesem verdammten Russland und seinen dummen Orks, die Trauer um gefallene Freunde, das Leid unseres sterbenden Volkes, das durch den Krieg zerstört wurde, und den Schmerz der Trennung von den Liebsten. Alles ist hier drin. Dieses Album ist Emotion.

Verglichen mit unseren früheren Werken ist es das persönlichste und zugleich konzeptionell stärkste, das wir je gemacht haben. Ehrlich gesagt finde ich es wesentlich eindringlicher als das letzte oder „The Blind Leading The Blind“.

Ihr habt mit Nick Holmes und jetzt Aaron Stainthorpe gearbeitet. Ist britischer Doom- und Gothic Metal eine eurer Haupteinflüsse?

Ja, die britische Szene war für mich immer sehr wichtig – angefangen beim Punk. Der ’77-Punk und UK82 hatten einen riesigen Einfluss auf mich; ich bin als Teenager-Punk damit aufgewachsen. Über Bands wie NAPALM DEATH, DISCHARGE, EXTREME NOISE TERROR, DOOM, ELECTRO HIPPIES, AMEBIX kam ich dann zum britischen Metal: BOLT THROWER, BENEDICTION, CARCASS, CATHEDRAL, PARADISE LOST, MY DYING BRIDE, ANATHEMA. Diese Szene war – und ist – extrem prägend für mich.

Ich würde mich aber nicht als „Metalhead“ bezeichnen – ich stehe eher auf elektronische und industrielle Musik. Auch da vor allem britisch: COIL, CURRENT 93, THROBBING GRISTLE, NURSE WITH WOUND, DEATH IN JUNE, CABARET VOLTAIRE usw. Also ja, die britische Szene war ein riesiger Einfluss.

Mit Aaron zu arbeiten war für mich ein Kindheitstraum – und eine Ehre. Seine einzigartige Stimme bringt dieses liturgische, tragische, apokalyptische Gefühl perfekt rüber. Man verwechselt seine Stimme mit niemandem.

Jérôme Reuter und Christopher Scott sind zwei weitere Gäste auf dem Album, deren Hauptprojekte aus ganz anderen Genres kommen. Warum habt ihr euch für sie entschieden?

Fangen wir mit Christopher an: Ich bin einfach Fan seiner Band PRECIOUS DEATH – ich liebe ihre Musik seit den späten Neunzigern. Ihre Alben „Southpaw“ (1994) und „If You Must“ (1996) sind Meisterwerke, perfekte Mischungen aus Crossover, Groove, Grunge, Funk – allem. Außerdem ist er eine Art christlicher Prediger. Da dachte ich: Warum nicht jemanden einladen, dessen Musik ich seit über 25 Jahren bewundere? Wer könnte Leid, Gefangenschaft, Tod und Schmerz besser verstehen als ein Prediger?

Bei Jérôme ist es noch einfacher: Ich bin Fan seit seinen COLD-MEAT-INDUSTRY-Tagen – ich habe die Platten gesammelt. Seine Stimme ist einzigartig, tief, eindringlich – sie geht direkt unter die Haut. Als ich den Song schrieb, wusste ich sofort: Der ist für ihn. Hätte er abgelehnt, wäre der Track wohl nicht aufs Album gekommen.

Und über die Musik hinaus – Jérôme ist ein wahrer Freund der Ukraine. Er war einer der ersten Künstler, die nach Beginn der Invasion hier auftraten. Er hat sogar ein wunderschönes Album über die Ukraine aufgenommen, mit Songs über Kyjiw, Mariupol und Oleniwka. Es ist eine große Ehre, mit so einem Menschen zusammenzuarbeiten.

Alle Kollaborationen auf diesem Album sind mit Menschen, die mir persönlich etwas bedeuten – Künstlern, deren Musik mich bewegt und inspiriert. Es geht hier nicht um Hype, Marketing oder Trends. Es geht darum, was uns menschlich macht.

Das Album erscheint als eine Art „Vinyl-Geschichtsbuch“ mit vielen Hintergrundinformationen. Könntest du dir vorstellen, so etwas auch für andere Alben zu machen?

Ja, ich habe ein kurzes Buch zum Album geschrieben. Leider passte im Earbook-Format nicht alles rein – ich musste fast 50 Seiten kürzen – aber es vermittelt trotzdem ein umfassendes Bild: was an der Front geschah, die Bedeutung jeder Zahl, jedes Datums, jedes Songs, jedes einzelnen Lebens.

Vielleicht mache ich so etwas auch für kommende Alben, wer weiß. Wie ich schon sagte: Wir machen keine Musik zum Feiern, Trinken oder für Partys. Es geht ums Nachdenken, Zuhören, Lesen, Verstehen, Forschen und Lernen.

Werdet ihr das Album auf Tour vorstellen können?

Wie der Blinde einst sagte: Wir werden sehen. Der Krieg geht weiter, und jede Nacht kann eine Drohne oder Rakete mein Haus treffen – wie überall in der Ukraine. Natürlich hoffe ich, dass wir das neue Material live spielen können – und dann sehen wir weiter.

Danke für eure Zeit – letzte Worte?

Ich hasse den Ausdruck „letzte Worte“. Ich hoffe, meine kommen nicht so bald. Cheers!

Galerie mit 21 Bildern: 1914 – Walpurgisnacht 2024 Vol. 3 in Berlin
Quelle: Mail-Interview mit 1914
14.11.2025

Redakteur für alle Genres, außer Grindcore, und zuständig für das Premieren-Ressort.

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