Aborted
Interview mit Svencho

Interview

Aborted

Das neue Album „Strychnine.213“ der belgischen Death-Metal-Maschine ABORTED sorgt bei den Fans des älteren Semesters erwartungsgemäß für gepflegtes Naserümpfen, vielleicht sogar ein bißchen mehr. Machen ABORTED jetzt auf Core, wollen sie damit eventuell mehr Leute ansprechen? Sänger Sven stand bereitwillig Rede und Antwort, und erklärt ganz nebenbei auch die Sache mit seiner neuen Frisur…

Lass uns zunächst über den ersten Eindruck des Albums sprechen: den Titel und das Artwork. Der Begriff „Strychnine“ ist zwar im im Volksmund als „Rattengift“ bekannt und damit irgendwie selbsterklärend, aber wofür genau steht er in Verbindung mit dem Album? Wie passt er zum Covermotiv? Die bemitleidenswerte Dame sieht jedenfalls schon genug bedient aus, auch ganz ohne Gift…

Nun, es ist eine Kombination aus zwei Dingen, einerseits das Gift Strychnin, welches in kleineren Dosierungen auch in der Medizin Einsatz findet. Andererseits steht „213“ für die Nummer des Appartments von Jeffrey Dahmer, der Gift und Säurelösungen benutzt hat, um aus seinen Opfern Zombies herzustellen, was er natürlich nicht geschafft hat.
Diese ganze Sache ergab einen griffigen Zusammenhang mit einem morbiden Beigeschmack, deshalb hat es in unseren Augen perfekt zum Konzept des Albums gepasst. Die Dame auf dem Cover ist wahrlich gut bedient. Das ganze Album handelt von echten Verbrechen und Serienmördern, und sie ist ein bißchen inspiriert von den Opfern von Robert Berdella (US-amerik. Serienmörder in den 80er Jahren, Anm. d. Verf.).

Was für ein Gefühl habt ihr in Bezug auf das Album, welches ja seit einiger Zeit draußen ist? Neben der sicherlich vorhanden Zufriedenheit… seht ihr es als Risiko, Chance oder Experiment… oder etwas völlig Anderes?

Es ist einfach das, was wir machen wollten, man kann sich nicht ständig wiederholen, sonst stagniert man. Es gibt natürlich immer Dinge, die man als Band im Nachhinein gern anders machen würde, aber im Großen und Ganzen kommt dieses Album dem, was wir letztendlich erreichen wollten, sehr nahe. Die Songs sind kompakter und die Produktion lebhafter und weniger komprimiert. Der Klang ist einfach eigener, wenn du verstehst was ich meine.

„Strychnine.213“ ist auch als streng limitierte Auflage im sog. „Evidence Bag“ erhältlich. Heutzutage sind solche Sachen wie Steelbooks oder Digipaks mit Bonustracks fast schon obligatorisch, deshalb stechen solche ungewöhnlichen Editionen umso mehr heraus. Wer hatte die Idee dazu? Seid ihr selbst Fans von limitierten Editionen, sammelt ihr sowas?

Die Idee dazu hatte ich selbst. Die meisten Bands machen heute fast das gleiche, deshalb wollte ich eine etwas andere Edition, die zudem auch sehr gut zum Albumkonzept passt. Es geht um Serienmorde und wahre Verbrechen, deshalb ist diese echt aussehende Beweisstücktüte sozusagen das Tüpfelchen auf dem „i“.
Ich bin auch Fan von solchen Editionen und kaufe mir sowas. Gerade in den heutigen Zeiten digitaler Downloads ist es immer schön, etwas zu kreieren was noch mehr Kaufanreiz bietet, z.B. 20-seitige Booklets, solche Verpackungen oder was auch immer.

Ihr habt doch sicherlich schon etliches Feedback seit der Veröffentlichung bekommen. Wie sieht denn der Grundtenor der Kritiken aus?

Wie bei jedem Album, was wir bisher veröffentlicht haben, gibt es die Seite der Liebhaber und die der Hasser. Ich würde es auch gar nicht anders wollen, denn selbst wenn es gehasst wird, schlägt es Wellen. Nichts ist ärgerlicher als nichtssagende Durchschnittsmeinungen, das bedeutet nämlich, dass man weder geschockt noch sonst Eindruck hinterlassen hat, und letztlich alles für die Katz‘ ist. Die meisten Reaktionen waren sehr positiv, einige Oldschool-Fans sahen das anders, aber die sehen das schon seit Jahren anders. Lasst euch gesagt sein: Wir werden nicht zu „Engineering The Dead“ zurückgehen, weil das einfach keinen Sinn macht. Was hätte man denn davon, wenn eine Band ständig dasselbe macht? ABORTED sind ABORTED und wir sind immer noch sehr extrem, aber haben trotzdem unseren Horizont etwas erweitert, was denke ich auch unserem Gesamtsound sehr gut bekommen hat.

Ok, dann lasst uns allmählich zum Hauptthema überschwenken. Man kann wohl mit Sicherheit sagen, dass ihr mit jedem Album neue Fans angezogen habt, aber dass sich mit der Zeit bestimmte Gruppen unter ihnen herausgebildet haben, die alle ihre speziellen Favoriten haben. „Goremageddon“ und „The Archaic Abattoir“ scheinen dabei immer noch die Top-Favoriten zu sein. Was denkt ihr darüber?

Ich stimme dir zu, und ich bin mir sicher, dass auch „Strychnine.213“ seinen Platz finden wird, wobei es noch etwas zu früh ist, um das zu beurteilen. Aber für uns persönlich sind „Goremageddon“, „The Archaic Abattoir“ und „Strychnine“ ohne Zweifel die besten Alben!

„Strychnine.213“ wird viele Leute überraschen, sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne. Wir wollen auf beide Seiten eingehen.
Wofür stehen ABORTED anno 2008? Wie würdest du die Entwicklung in eurer Musik beschreiben, verglichen mit dem Vorgängeralbum „Slaughter & Apparatus“? Welches Ziel habt ihr diesbezüglich mit „Strychnine.213“ vor Augen?

Ich denke, wir haben die Schwächen, die „Slaughter & Apparatus“ hatte, beseitigt und die Songs insgesamt kompakter gestaltet, weitaus eingängiger und grooviger und trotzdem noch extreme as fuck. Die Produktion ist vielleicht nicht so extrem wie bei „Goremageddon“, aber man kann trotzdem alles klar heraushören, das ist das Wichtigste. Das Album braucht sicherlich ein paar Anläufe, gerade mit dem Anfang des Albums, der nicht so heftig ausfällt wie das Ende – aber so war es ja auch gedacht.
Die Zukunft hält für uns bestimmt noch einige Überraschungen bereit, wir haben da so einige Ideen, aber lass „Strychnine.213“ einfach noch ein bißchen Zeit, um zu wachsen 😉

Des einen Freud‘, des anderen ‚Leid‘: Was ich so kreuz und quer im Netz in den Metalcommunities über das Album gelesen habe, lässt darauf schließen, dass gerade die älteren Fans einigermaßen enttäuscht vom neuen Album sind (wenn auch nicht alle!). Ich will euch an dieser Stelle natürlich nicht in die Pfanne hauen, aber euch doch darum bitten, zu den Hauptkritikpunkten, die sich herauskristallisiert haben, Stellung zu beziehen.

Einige Fans vermissen die bestimmenden, CARCASS-inspirierten Leads der früheren Alben und bemängeln, dass die Musik einiges an Kraft und Energie eingebüßt hat. Hat ihr das Gefühl für euer Zerstörungspotential verloren?

Nein, dass kann ich nicht bestätigen. Ich stimme zu, dass wir weitaus weniger CARCASS-Einflüsse verarbeitet haben, weil wir uns mehr zu einem eigenen Sound bewegen wollten. Die Leads sind jetzt melodischer, aber wenn du das Material auf „Strychnine.213“ erst einmal live hörst, wirst du beeindruckt sein, wie aggressiv das auf der Bühne rüberkommt. Und genau das war auch die Absicht, die dahinter steckt.

Natürlich wäre es Nonsens, einer Band die Weiterentwicklung zu verbieten, denn das Gegenteil davon bedeutet schlicht und einfach Stagnation. Von vielen Fans kam die Meinung, ihr hättet euch an ein breiteres Publikum angepasst, in dem ihr eine ordentliche Portion Metalcore-Elemente und -Einflüsse ins Boot geholt habt. Weniger Brutalität, weniger Geschwindigkeit, dafür mehr Melodien und mehr Groove. ABORTED going Metal-/Deathcore?

Ich wusste, dass das kommt. Wir haben tatsächlich versucht, so weit wie nur möglich von dieser ganzen Deathcore Geschichte fernzubleiben. Ich meine, nichts gegen Bands wie DESPISED ICON, JOB FOR A COWBOY oder SUICIDE SILENCE, aber ich sehe da wirklich absolut keinen Vergleich zwischen ihnen und ABORTED. Wir klingen absolut nicht wie diese Bands, und manche Leute haben offensichtlich nichts Besseres zu tun, als solch‘ einen Müll zu labern. Ja, wir haben Groove, ja, wir haben Melodien, wir haben das schon seit unseren Anfangstagen, bevor es überhaupt etwas wie Metalcore oder Deathcore gab, denkt einfach mal drüber nach… Auf „Strychnine.213“ gibt es jedenfalls nicht mehr Breakdowns oder Groove oder Melodien, als z.B. auf „The Archaic Abattoir“.

Was lässt „Strychnine.213“ aus der Masse der monatlichen Veröffentlichungen herausstechen? Ist es nicht genauso gut, wie jedes bessere Standardalbum in dieser Sparte?

Der Wille, anders zu sein, und die Energie, die diese Band auf der Bühne entfacht. Viele Bands klingen absolut gleich heutzutage, und ich bin mir sicher, dass ABORTED es schaffen, ihre eigene Identität zu bewahren.

Ok, nun zu den positiveren Aspekten 😉 Was der Mehrheit der Hörer definitiv zu gefallen scheint, ist der Sound der Produktion, weil es nicht so klinisch und steril rüberkommt, wie bei „Slaughter & Apparatus“. Mein erster Gedanke war, dass ihr euch mehr zu den Wurzeln des Death-Metal-Sounds bewegt habt. „Strychnine.213“ klingt irgendwie rauher als seine Vorgänger. Was war euch bei der Produktion dieses Mal wichtig, und wer zeichnet sich dafür verantwortlich?

Dieser beschriebene Eindruck ist genau das, was wir erreichen wollten. Viele heutige Aufnahmen sind so dermaßen ausdefiniert und abgestimmt, zu Tode editiert; auf denen klingt alles übermenschlich perfekt, und wenn man dann die Band live sieht, ist das eine völlig andere Welt. Wir wollten ein ureigenes Album machen, welches genauso klingt wie die Band, wenn sie live spielt. Wir haben nicht großartig rumgefummelt, man kann kleinere Fehler heraushören, aber genau das macht den Sound lebendig und menschlich, und genau das bekommt man auch auf einem ABORTED-Konzert.
Wir wollten sozusagen in Oldschool-Manier einen modernen Sound hinkriegen… wenn das jetzt einen Sinn ergibt.

Ein herausstechendes Album kann eine Band nach oben treiben, Touren ankurbeln, neue Fans anziehen und sich nebenbei auch noch einigermaßen gut verkaufen. Gleichzeitig setzt ein solches Album aber auch hohe, manchmal scheinbar nicht zu übertreffende Maßstäbe.
Was ist wichtiger für euch – die Maßstäbe, die ihr euch selbst setzt, oder die von außen, von den Fans kommen? oder ist jedes Album eine Art Neustart für euch?

Nunja, dieser Druck existiert jedes Mal, aber als Band denken wir zuerst daran, was wir wollen, denn in diesem Musikstil macht man das Ganze ja nur, weil man es genießen kann, nicht, weil man damit reich wird. Wir versuchen einfach die besten Songs zu schreiben, die wir drauf haben, und genau das ist es auch, was ABORTED ausmacht: Gute Songs schreiben, nicht nur schnell, brutal, technisch oder melodisch – einfach gute Songs.

Auf den früheren Alben gab es ja immer das ein oder andere Gastspiel. Habt ihr euch auch für „Strychnine.213“ Verstärkung rangeholt?

Pläne dafür gab es, aber durch überfüllte Tourterminkalender kam es leider nicht dazu. Ein guter Freund von uns aus der Band DEDICTED singt in zwei Songs, bei denen er auch an den Texten beteiligt war, und er hat einfach eine Killerstimme. Ich fand es cool, in dabei zu haben, damit er auch noch ein bißchen bekannter wird. Hört euch mal DEDICTED an!

Seit eurer Gründung 1995 gab es ja auch eine Menge Besetzungswechsel. Welche Abgänge und Neuzugänge gibt es denn seit „Slaughter & Apparatus“ zu vermelden? Inwiefern tragen neue Mitglieder frische Impulse in die Band und die Musik? Ist konstante Veränderung auf allen Ebenen vielleicht die treibende Kraft hinter ABORTED?

Peter hat vom Bass zur Gitarre gewechselt, desweiteren haben wir einen neuen Schlagzeuger und Bassisten. Sie kamen schon in die Band, bevor „Slaughter & Apparatus“ veröffentlicht wurde, und seitdem ist die Bandbesetzung auch stabil, was sie denke ich auch bleiben wird. Die Neuen haben auf jeden Fall frischen Wind und neue Motivation in die Band gebracht, noch nie zuvor waren wir so energetisch, tight und brutal auf der Bühne, wie jetzt. Mein Wort drauf!

Eine Zeit lang wart ihr eine der stärksten Pferde im Stall von Listenable, nun habt ihr bereits das zweite Album für Century Media draußen. Fühlt ihr euch bei ihnen gut aufgehoben?

Es hat uns auf jeden Fall eine Menge Türen geöffnet, die uns vorher verschlossen waren, auch die Kommunikation mit dem Label und alles drumherum läuft super.

Euer nächster Trip in die Staaten steht bevor (bzw. sind sie gerade dabei – Anm. d. Verf.). Was kannst du uns über die derzeitigen Touraktivitäten erzählen? Wann werdet ihr wieder deutsche Bühnen vernichten und Köpfe rollen lassen?

Wir sind gerade dabei, eine Tour für den Herbst auf die Beine zu stellen, zusammen mit unseren deutschen Kollegen NEAERA wird das ein Killerpackage. Desweiteren spielen wir auf dem Summer Breeze sowie auf einigen Metalfest Shows – die Köpfe werden also zahlreich rollen!

Und wo wir grad beim Thema Köpfe und Headbanging sind, kommt jetzt die Jokerfrage: Warum hast du dir eigentlich die Haare abgesäbelt? Dein Haarrotor auf der Bühne war jedenfalls immer sehr beeindruckend! 😉

Tja, wenn man älter wird, fängt bei einigen Männern das Haar an, dünn zu werden. Leider gehöre ich zu diesen Männern, deshalb hab‘ ich lieber gleich alles abgeschnippelt, als irgendwann diesen Glatzkopf-Biker-Look zu haben 😉 Ansonsten mach‘ dir keine Sorgen, komm einfach zu einer Show und erlebe die pure Aggression der Band – du wirst garantiert nicht enttäuscht werden!

Ok Sven, ich danke dir für die ausführlichen und ehrlichen Antworten, auch wenn ich teilweise etwas hart mit euch ins Gericht gegangen bin. Wenn es noch etwas gibt, was du sagen möchtest, dann raus damit!

Danke auch! Wir sehen uns im Pit!

19.07.2008
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