Cult Of Luna
In der Hitze des Moments!

Interview

Seit beinahe 25 Jahren folgen CULT OF LUNA ihrer Vision, ihrer ureigenen Definition des Post Metal / Core, die beständig dem eingeschlagenen Pfad der dynamischen Klanglandschaften folgt, bewusst den Moment lebt, aber gleichzeitig auch immer wieder abseits des Wegs nach neuen Erkenntnissen sucht, mit neuen Akzenten den Sound zu neuen Dimensionen führt. Auch das neue Album „The Long Road North“ nimmt den Hörer mit auf einen weiteren Trip. Wir sprachen darüber im Interview mit Johannes Persson.

Cover Artwork von CULT OF LUNA – „The Long Road North“

In den letzten Jahren wart ihr ziemlich produktiv. 2019 habt ihr euer letztes Album „A Dawn To Fear“ veröffentlicht, letztes Jahr kam die „The Raging River“-EP, und jetzt habt ihr ein neues Album namens „The Long Road North“ herausgebracht. Ist das auf die Corona-Pandemie zurückzuführen oder gibt es andere Gründe, warum ihr so kreativ seid?

Ich glaube, die Zeit war nicht so sehr produktiv, wenn man das mit unserer Vergangenheit vergleicht. Wenn man zum Beispiel auf die Jahre 2001 bis 2008 zurückblickt, in dieser Zeit hatten wir fünf Alben veröffentlicht. Das war damals natürlich ziemlich viel und schnell aufeinander. Zu dieser Zeit verwendeten wir aber auch alles, was wir machten. Nun hat jeder von uns Familie, fast jeder mit Kindern. Daher ist es schwierig, die Abfolge beizubehalten.

Aber auch, wenn du zurückschaust auf die Bands der Siebziger wie BLACK SABBATH, solche Bands hatten teilweise zwei Alben im Jahr veröffentlicht. Wenn du das im Vergleich betrachtest, kamen unsere Veröffentlichungen in den letzten Jahren nicht so schnell hintereinander.

Wir hatten 2018 die Aufnahmen zu „A Dawn To Fear“ im Studio in Norwegen, und die Ideen kamen aus uns wie ein Tsunami. Für „The Long Road North“ konnten wir einige dieser alten Ideen wieder aufgreifen, welche wir damals nicht verwendet hatten. Es waren damals über 2,5 Stunden an Musik, die wir geschrieben hatten! Natürlich waren nicht alle Sachen gut, die nicht so guten Ideen hatten wir nicht weiter beachtet. Dann gab es aber gute Sachen, die wir aber nicht verwenden konnten, da sie nicht zum damaligen Albumfluss passten. Sie passten nicht zur Dynamik von „A Dawn To Fear“, manches wäre dadurch monoton geworden, und gerade die Dynamik ist uns wichtig, damit ein Album nicht langweilig wird. Wir geben uns immer viel Mühe, die richtige Dynamik zu finden.

Auf jeden Fall waren wir aus meiner Sicht seit 2018 kontinuierlich produktiv. Daher sehe ich auch diese drei Veröffentlichungen als miteinander verbunden. Sie klingen nicht gleich, aber sie stammen im Grund alle drei aus derselben Phase des Songwritings. Das Feeling ist dasselbe. Daher endeten einige Songs, die wir in Norwegen aufgenommen hatten, auf „A Dawn To Fear“, einige auf „The Raging River“ und einige auf „The Long Road North“. Sie gehören also alle drei zusammen. Die Pandemie hatte darauf definitiv auch einen Einfluss. Unter normalen Umständen hätten wir zwischendurch auch häufiger getourt.

Es ist ein großes und cineastisch klingendes Album. Ich denke, einer der Gründe, warum wir in den letzten Jahren so produktiv sein konnten, ist, dass wir konsequent mit dem Herzen geschrieben haben. Wir haben uns von unseren Instinkten leiten lassen, und ich denke, es wird immer klarer, wohin wir gehen.

Wieder habt ihr es geschafft, ein großartiges Album zu machen, voller Dynamik, intensiver, dichter Atmosphäre, voller Energie, vielschichtig, spannend und unkonventionell. Wie verlief das Songwriting dieses Mal und wie haben sich die Songs im Laufe der Zeit verändert und entwickelt?

Das ist schwierig zu beschreiben. Selbst als Hörer möchte man etwas Besonderes erschaffen, eine Art von Mystizismus, eine besondere Atmosphäre, es soll auch etwas Rätselhaft sein. Aber grundsätzlich schreiben wir Material, dass wir mögen. Meistens kommt jemand von uns, zumeist bin das auch ich, mit einer Grundidee für einen Song. Dann arbeiten wir alle gemeinsam an den Riffs oder Melodien. Wir arbeiten und ändern auch die Struktur des Songs. Gerade bei diesem Album haben wir viel an den Songs noch gefeilt, und das dieses Mal auch ziemlich spät im Gesamtprozess. Normalerweise hat man viel Zeit, nach den eigentlichen Aufnahmen noch den Mix und das Master anzuhören, bevor man die Aufnahmen dann endgültig abliefert. Da aber in der Zwischenzeit insbesondere die Presswerke für Vinyl vollkommen ausgelastet sind, mussten wir bis zu einem bestimmten Tag die finale Aufnahme ausliefern, um die anvisierten Termine zu halten. Daher mussten wir mit dieser Deadline arbeiten.

Ich hörte mir also den finalen Mix des Albums an und musste feststellen, dass die Dynamik so nicht funktionierte. Das betraf einige Songs, aber auch das Album als Gesamtes, also die Songdynamik. Wir legten also nochmals Hand an und entwickelten alles weiter. Das war sehr nahe am Abgabetermin, kurz vor dem finalen Master. Einige Songs wurden neu arrangiert, einige Songs wurden abgeschnitten. Ich denke, das war auch wirklich gut, wir hatten eine gute Perspektive auf die Songs und auch das Album. Wir trafen also einige richtungsweisende Entscheidungen sowohl an den Songs als auch an der Struktur des Albums und hatten dafür sehr wenig Zeit. Es hätte auch alles schief gehen und in der Hölle landen können, aber ich denke wir trafen die richtigen Entscheidungen.

Ihr habt mit der Gastsängerin Mariam Wallentin für „Beyond I“ und Colin Stetson für „Beyond II“ und „An Offering To The Wild“ zusammengearbeitet. Dazu noch Christian Mazzalai und Laurent Brancowitz von der französischen Band PHOENIX für die Gitarren zu „Blood Upon Stone“. Wie ist diese Idee entstanden und wie lief die Zusammenarbeit? Was hat die beiden für euch so Besonders gemacht, dass ihr mit ihnen etwas machen wolltet?

Colin und Mariam sind beide mit Thomas (Hedlund, Schlagzeuger von CULT OF LUNA, Anmerk. d. Verf.) befreundet. Wir hatten die beiden Versionen von „Beyond“ für das Album geschrieben und hatten tatsächlich auch davon mehr Material, als letztendlich auf dem Album verwendet wurde. Ich kenne Colin von seiner fantastischen Arbeit am Soundtrack von „Hereditary“ und seine Art zu Spielen ist perfekt für die Atmosphäre, die wir haben wollten. Wir sind sehr fasziniert von Colins experimentellen Kompositionen und waren begeistert, dass er bereit war, dem Stück „An Offering To The Wild“ seinen Stempel aufzudrücken und seine Interpretation von „Beyond II“ anzubieten. Wir sind ein echtes Risiko eingegangen, indem wir ihn seine eigene Interpretation des Songs schreiben ließen. Wir hatten keine Ahnung, was dabei herauskommen würde, auch wenn wir volles Vertrauen in ihn hatten.

Was Mariam anbelangt kannte ich sie tatsächlich vorher nicht. Sie ist eine schwedische Sängerin und Multi-Instrumentalistin und hat eine Band namens WILDBIRDS AND PEACEDRUMS, ein progressives Jazz-Duo. Thomas brachte sie bei uns ein. Du kannst ihre Stimme hören, diese fantastische Stimme, da ist so eine starke Präsenz in ihrer Stimme. Ich war schnell zuversichtlich, dass sie einen fantastischen Job machen würde.

Was die Gitarren anbelangt im Song „Blood Upon Stone“ – wir hatten ihn aufgenommen und währenddessen darüber gesprochen, dass da so ein richtig typischer PHOENIX Teil enthalten ist. Daher war es naheliegend, einfach Christian und Laurent von PHOENIX zu fragen, ob sie das Einspielen möchten. Wir kennen sie bereits seit langer Zeit. Thomas spielt zum Beispiel auch mit ihnen zusammen. Sie waren so großzügig, uns mit ihrer Zeit und Kreativität zu helfen. All diese großartigen Musiker haben uns geholfen, etwas zu erschaffen, was wir alleine definitiv nicht geschafft hätten.

Das alles waren schnelle, kurzfristige Entscheidungen. Es war kein langer Prozess oder ausgearbeiteter Plan, eher eine Idee, die man in der Hitze des Moments bekommt. Also Christian und Laurent kamen direkt während der Aufnahmen dazu, während die Idee zur Zusammenarbeit mit Mariam und Colin während des Songwritings entstand.

Wie viel kreativen Spielraum haben Sie ihnen bei ihrer Interpretation gelassen?

Sie hatten alle Freiheit von uns. Sie durften alles tun, was auch immer sie wollten! Das ist genau die Sache, wenn wir solche Kollaborationen eingehen. Wir fragen diese Leute, weil wir volles Vertrauen in sie haben. Das ist natürlich auch sehr aufregend, da du nie weißt, was du genau bekommst. Wir sind da also schon auch ein gewisses Risiko eingegangen, indem wir sie die Songs auf ihre Weise interpretieren ließen.

Wie wichtig sind für dich Kollaborationen mit anderen Künstlern? Und inwiefern denkst du, dass sie CULT OF LUNA eine weitere Dimension geben könnten?

Das ist ein sehr interessanter Aspekt! Es bringt uns weiter, führt uns dahin, wo wir alleine nicht hinkommen würden. Und um ehrlich zu sein, nachdem wir jetzt mit CULT OF LUNA schon sehr lange aktiv sind, ist es auch sehr erfrischend, mal andere, neue Aspekte in unserem Sound zu haben. Wir hatten aber Gäste auf nahezu allen Alben. Nur bei „Vertikal“ hat kein Gast mitgewirkt.

Man könnte also fast sagen, dass es bei CULT OF LUNA eine Tradition ist, Gäste auf den Alben zu haben?

Ja, tatsächlich, haha!

Das neue Album heißt „The Long Road North“. Bezieht sich dieser Titel auf eine Art Heimreise, da ihr in Umeå im Norden Schwedens lebt, oder auf eine Art Symbolik für eine mentale Reise?

Ich würde sagen, dass beides zutrifft! Interessant daran ist, dass der Song „The Long Road North“ der erste Song nach der Session zu „Mariner“ war, den wir schrieben. Das bedeutet, dass ich in damals mental an einem vollkommen anderen Ort war, als ich die Texte geschrieben habe. Da steckt eine tiefe Bedeutung dahinter, es symbolisiert die mentale Reise, die ich vor ein paar Jahren durchgemacht habe. Der Prozess, den ich durchlaufen habe, war herausfordernd, aber ich bin den Antworten, die ich gefunden habe, treu geblieben, so dass ich mich jetzt an einem ganz anderen Ort befinde, als ich damals war. Es gab viele Veränderungen und ich realisierte, was mir wirklich wichtig ist.

Ich war geografisch gesehen nicht am richtigen Ort. Das ist es, wenn man den Titel wörtlich nimmt, „The Long Road North“. Es enthält auch die symbolische Bedeutung über unseren Kampf darüber, den Ort zu finden, welchen wir als Zuhause empfinden. Das muss nicht unbedingt da sein, wo man jetzt Zuhause ist, aber das, was man als Zuhause sieht, fühlt. Das muss auch nicht einmal unbedingt ein geografischer Ort sein. Es könnte auch das soziale Umfeld sein, dein Netzwerk, deine Familie, solche Dinge. Für mich war es auch etwas, wie ich einen Ausweg aus einem Gefühlschaos gefunden habe.

Jedes eurer Alben wurde mit einer klaren Erzählung im Kopf geschrieben, mit einer Geschichte, die ihr erzählen wolltet. Worum geht es in den Texten auf „The Long Road North“, was hat dich dazu inspiriert?

Jedes Album von uns hat sein eigenes Narrativ. Die Sache ist, dass wir zu jedem Album bis hin zu „Mariner“ eine Erzählung im Kopf hatten, die wir durch die Musik darstellen wollten. Seit „A Dawn To Fear“ erzählen die Songs die Geschichte. Wir machen uns schon Gedanken über die Themen für das Album, aber wir entscheiden individuell, was in den einzelnen Songs passiert. Und wir versuchen selbst herauszufinden, wo wir waren und wo wir jetzt gerade stehen. Ich lasse dabei meinen Instinkten freien Lauf. Einige der neuen Songs versuchen, meine eigene Umwelt in Worten zu zeichnen. Ich kann nicht malen, aber ich kann Musik machen und Texte schreiben, das ist meine Form des Ausdrucks. Seit ich hierher gezogen bin, bin ich viel in den nördlichen Teilen Schwedens unterwegs gewesen, und die Umgebung und die Landschaften des Nordens haben mich definitiv dazu inspiriert, sie mit Worten zu malen. Einige der Texte sind da schon recht konkret, aber ich mag es nicht, alles preiszugeben. Mir gefällt es, wenn da auch immer etwas Mystizismus ist, in der Musik als auch in den Texten. Daher möchte ich nicht jedes einzelne Wort erklären, die Bedeutung dahinter. Die Wörter nehmen auch etwas von der Dramatik der Musik.

Wenn ihr anfangt, an einem neuen Album zu arbeiten, Texte zu schreiben, die Musik zu komponieren, Gedanken über das Artwork und den Sound zu machen – habt ihr dann von Anfang an eine klare Vorstellung vom Ergebnis? Und wenn ja, wie weit ist das Endergebnis von eurer ersten Vision entfernt?

Das hängt davon auf. Insbesondere bei unseren frühen Werke hatten definitiv von Anfang an eine Idee darüber, was wir erzählen wollten. Wie es klingen sollte. Aber die letzten drei Alben sind eher wie eine Art Reise, wir lassen uns nun stärker von den Songs selbst leiten, die dann uns erzählen, was sie benötigen, um fertiggestellt zu werden. Es ist jetzt dynamischer und organischer. Aber auch etwas härter bei der Arbeit, wenn du noch nicht entschieden hast, was die Geschichte ist. Gleichzeitig ist es aber auch sehr interessant, die Dinge völlig spontan zu entscheiden. In der Hitze des Moments.

Seit einigen Jahren betreiben Sie Ihr eigenes Label namens Red Creek. Ist das etwas, das schon länger in der Pipeline war, oder war es durch ein bestimmtes Ereignis inspiriert? Und wie sind eure bisherigen Erfahrungen damit?

Wir hatten die Idee, ein eigenes Label zu gründen seit langer Zeit. Wir haben auch darüber einige Veröffentlichungen gemacht. Aber es war nicht wirklich ein Label, eher einfach ein Name. Die Idee war lange da, wurde aber nicht richtig umgesetzt. Aber durch die Corona-Pandemie hatten wir auf einmal zusätzliche Zeit, die wir vorher nicht hatten. Dadurch konnten wir uns stärker darauf konzentrieren und wir waren auch überrascht, wie viel Arbeit tatsächlich dahintersteckt. Ich hatte auch keine Idee darüber, wie viel Geld es erst einmal benötigt, um die Dinge anzufangen. Aber wir haben eben jetzt unser eigenes Label, und wir werden einige Veröffentlichungen rausbringen. Wir planen da einiges, es wird auch viele andere Künstler geben, welche wir veröffentlichen. Wir haben da einige spannende Signings, die wir bald bekanntgeben können.

Es wird eine Zusammenarbeit zwischen dir und James Kent (PERTURBATOR) auf dem diesjährigen Roadburn Festival geben, das hoffentlich stattfinden wird. Was kannst du uns darüber erzählen und wie ist diese Idee entstanden?

Das war die Idee von James. Ich traf ihn, als er vor einigen Jahren in Stockholm war. Ich bin ein großer Fan seiner Arbeit. Wir kannten uns damals noch nicht. Ich ging einfach zu seiner Show, dort kamen wir ins Gespräch und hingen die ganze Nacht miteinander rum. So lange, bis wir aus dem Club geschmissen wurden. Er wurde von Roadburn gefragt, ob er mit jemandem eine Zusammenarbeit für das Festival machen könnte. Und dann fragte er einfach mich und ich war interessiert. Ich dachte erst an harte Arbeit, aber es stellte sich als sehr einfach heraus. Er schrieb die Songs, ich fügte Gitarre und Gesang hinzu. Es fühlt sich durch all die Verschiebungen mittlerweile an, als ob das vor langer Zeit war. Aber die Songs sind geschrieben, alles ist fertig, wir hoffen jetzt dass wir dieses Jahr auftreten können, das wäre unser Ziel.

Hast du auch andere Bands/Projekte/Kollaborationen laufen oder geplant?

Ja, geplant schon. Aber mein Problem ist momentan, dass ich nicht viel Zeit habe. Aber es gibt viele Dinge, die ich im Kopf habe. Die Sache ist, dass ich momentan in meinem Leben viel zu tun habe. Ansonsten hoffen wir natürlich, möglichst bald wieder auf Tour kommen zu können.

02.02.2022

Geschäftsführender Redakteur (stellv. Redaktionsleitung, News-Planung)

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