Drennan Whyte
"Ich will irgendwann einen Grammy holen."

Interview

Bereits mit dem jüngsten LUNAR-SHADOW-Album “Wish To Leave” zeichnete sich ab, dass sich die Vorlieben von Gitarrist und Songwriter Max “Savage” Birbaum etwas weg vom traditionellen (Epic) Heavy Metal hin zu alternativen und postigen Klängen bewegten. Bereits kurz nach der Veröffentlichung des Longplayers kündigte Max an, sich ein Homestudio aufbauen zu wollen und Ideen zu verfolgen, über die er völlige kreative Bestimmungsgewalt besitzt – ein Soloprojekt gewissermaßen. Dieses Vorhaben manifestiert sich in dem Alter Ego DRENNAN WHYTE, unter dem er vor einigen Wochen eine gelungene Drei-Track-EP veröffentlichte, bei der er abgesehen von den Drums sämtliche Zügel in den Händen hielt. Grund genug, den gebürtigen Rheinland-Pfälzer zum Gespräch zu bitten, das – im Gegensatz zum geplatzten LUNAR-SHADOW-Gesprächstermin im vergangenen Jahr – in Präsenz in unser beider Wahlheimat Leipzig stattfinden konnte.

Wir treffen uns an einem schönen Freitagnachmittag im April in einem großen Park. Interviews mit dem 33-Jährigen sind deshalb so interessant, weil sie auf ehrliche und authentische Art zwischen den Extremen pendeln: Höfliches Understatement trifft auf gesundes Selbstbewusstsein; ehrliche Selbstoffenbarung auf latent ironische Fassade. Auch im direkten Gespräch wirkt Max äußerlich wie ein etablierter Achtziger-Rockstar abseits der Bühne und könnte als Gewinner eines Steve-Clark-Lookalike-Contests durchgehen; spricht fest und mit ausladender Körpersprache, hört aber auch genau zu, nimmt fremde Eindrücke aufmerksam entgegen und denkt in Ruhe nach, bevor er zu einer elaborierten Antwort ansetzt. Viel Freude an einem Gespräch, in dem es neben DRENNAN WHYTE natürlich auch um einige Aspekte des LUNAR-SHADOW-Kosmos’ und vieles mehr geht.

Drennan Whyte | Foto: Sebastian Wünsche

LUNAR SHADOW und DRENNAN WHYTE – Die Anfänge

“Meine früheste Erinnerung ist, wie mein Bruder mit einem seiner besten Freunde anfing, bei uns in der Garage Musik zu hören, “Who’ll Stop The Rain“ von CCR blieb tatsächlich hängen. Das war der Song, bei dem ich das erste Mal bewusst Musik wahrgenommen habe. Irgendwann haben die sich eine Gitarre gekauft und angefangen ein bisschen rumzugniedeln und dadurch habe ich dann auch damit angefangen, da war ich zehn oder elf. Ich habe dann einfach immer weiter geübt und früh gemerkt, dass Unterricht nicht so meins war. Glücklicherweise konnte ich immer recht gut nach Gehör spielen.”, antwortet Max auf die Frage nach seinem Werdegang als Musikfan und Musiker.

Wie viele ambitionierte Jung-Metaller:innen sah auch er sich mit dem Problem der demografischen Struktur und der Verteilung bestimmter musikalischer Interessen konfrontiert: “Ich komme vom Land, etwas östlich von Köln. Eigentlich habe ich LUNAR SHADOW während meiner Schulzeit gegründet, aber ich war so ziemlich der einzige, der Metal, zumindest diese Art Metal, so intensiv gehört hat. Ich habe jahrelang niemanden gefunden, bis ich ca. 2012 auf einem meiner frühen KEEP-IT-TRUE-Besuche Sven und seinen Bruder Kay Hammacher [Bass bzw. Rhythmus-Gitarre bei LUNAR SHADOW – Anm. d. Red.] kennenlernte. Über die beiden konnte ich das restliche Line-up komplettieren und endlich meine eigene Musik einspielen und aufnehmen.” Gedacht waren LUNAR SHADOW stets als Max’ persönliche Vision von Heavy Metal. Da sich seine Einflüsse aus verschiedenen Quellen, von SOLSTICE bis DISSECTION speisten, boten insbesondere die ersten beiden Alben “Far From Light” und “The Smokeless Fires” klassischen, melodischen Heavy Metal mit einer höchst abgründigen Black-Metal-Atmosphäre und vielen Göteborg-Riffs. Irgendwann setzte Ermüdung ein.

„Ich hatte keinen Bock, irgendwas davon zu hören. Das hat mich schockiert.“

“Muss man wahrscheinlich so nennen, ja. Ich stand vor meiner Sammlung, literally vier- bis fünfhundert Alben und hatte keinen Bock auf irgendwas davon. DOKKEN, OMEN, LIEGE LORD – das waren integrale Bestandteile meines Lebens und sogar meines Charakters. Das hat mich fast schon ein bisschen schockiert – ohne das überdramatisieren zu wollen. Ich finde das alles immer noch gut und höre das alles auch noch gern; vor allem, wenn ich mit Freunden zusammen abhänge. Aber ausgelöst davon habe ich dann angefangen, mal in andere Sachen reinzuhören, die ich irgendwie mal aufgeschnappt und abgespeichert habe.”

Drennan Whyte | Foto: Lydia Resch

In anderen Stilen konnte Max so ähnliche Qualitäten wie im Metal finden. “Ich muss an dieser Stelle INTERPOL erwähnen. ‘Turn On The Bright Lights’ war ein wichtiges Album. So melancholisches Songwriting läuft bei mir eh gut rein, aber auch die Texte fand ich richtig gut. Darüber bin ich dann eben an Zeug wie die STROKES geraten, an EDITORS. Post Punk mochte ich schon länger, zum Beispiel PINK TURNS BLUE oder THE SOUND.”

 

Grenzenlose Kreativität

Bei einem Leben, das so reichhaltig und vielfältig mit Kreativität und musischen Dingen gefüllt ist (Max hat auch beruflich mit Kunst und Büchern zu tun), könnte man meinen, ihm falle es insgesamt leicht, selbst künstlerisch tätig zu sein, wenn man drei Alben und eine EP mit verspieltem LUNAR-SHADOW-Metal, eine Indie-EP als DRENNAN WHYTE und drei im Selbstverlag veröffentlichte Bücher bedenkt. “Ist etwas ambivalent. Da die Produktion der LUNAR-SHADOW-Alben oft ein monatelanger Prozess ist, bei dem ich die Hauptarbeit habe, fasse ich die Gitarre im Anschluss oft Monate lang nicht an. Erst nach einer Weile habe ich dann wieder Lust, ein bisschen auf der Gitarre zu klimpern und in GuitarPro [Notensatz- und MIDI-Software – Anm. d. Red.] zu arrangieren. Ich weiß, wie Schlagzeug und Bass klingen müssen, wie die Stimmung bzw. Atmosphäre sein und worum es grob in den Texten gehen soll. Wenn es mir am nächsten Tag noch gefällt, bleibt es.” Oft reifen bei ihm zudem die Ideen gedanklich, wenn er täglich spazieren geht.

Drennan Whyte | Foto: Sebastian Wünsche

Inzwischen hat Birbaum allerdings keine Ambitionen mehr, als Künstler seinen Lebensunterhalt zu bestreiten: “Mit LUNAR SHADOW war das eh nie unser Ziel. Dafür waren wir immer zu undergroundig und speziell. Mit DRENNAN WHYTE wäre es schön, wenn neben der Arbeit einfach ein bisschen Taschengeld reinkommt, aber nicht als Einkommen in dem Sinne. Früher wollte ich zwar unbedingt Schriftsteller werden, doch inzwischen komme ich beim Schreiben nicht voran und finde da auch keinen richtigen Spaß mehr dran.”

DRENNAN WHYTE: Der Reiz des Soloprojekts

Wenn man bedenkt, dass die gesamte Musik von LUNAR SHADOW von Max stammt und diese auf dem letzten Album “Wish To Leave” ebenfalls stärker in Richtung Indie und Post Punk groovten, so ist es zunächst etwas verwunderlich, dass Birbaum nun als DRENNAN WHYTE auf Solopfaden unterwegs ist. “Trotzdem sind wir da im Bandgefüge unterwegs gewesen und das hat gewisse Grenzen aufgeworfen, unter anderem, weil ich der einzige in der Band bin, der solche Musik hört. Daher wollte ich das in ein völlig neues Projekt tragen. Zudem hatte ich den Wunsch, mal ohne Band zu agieren, nur auf mich selbst angewiesen zu sein, mich mit niemandem abstimmen zu müssen. Ich habe mir ein kleines Studio zu Hause eingerichtet und kann mich so um fast alles selbst kümmern. Außerdem wollte ich endlich auch mal selbst den Gesang übernehmen.”

War es dafür nötig, dass du das auf den LUNAR-SHADOW-Songs “I Will Lose You” und “The Darkness Between The Stars” auf dem letzten Album schon mal ausprobiert hast? “Ja, kann man so sagen. Ich bin zu Max Hermann, mit dem wir bei LUNAR SHADOW seit ‘The Smokeless Fires’ zusammenarbeiten, in sein Studio, wo wir ganz entspannt verschiedene Vocal-Settings ausprobiert haben. Ich musste das alles erst mal ausprobieren. Dass ich singen kann, wusste ich gar nicht, mal dumm gesagt. Ich habe dann meine, wie ich sie nenne, BRYAN-ADAMS-Stimme entdeckt und festgestellt: Das gefällt mir sogar.”, lacht er. „Ich kann eh schwer Sachen abgeben und bin ein großer Perfektionist. Das ist manchmal ein Problem, das weiß ich, aber ich bin am zufriedensten, wenn ich das alles selber mache.“

Das Gitarrensolo auf der Indie-Platte …

Überraschend ist auch, dass bereits einige Leute meinten, gewisse Parallelen von DRENNAN WHYTE zu LUNAR SHADOW gehört zu haben. Gewiss hat Birbaum eine markante musikalische Handschrift und auch die für diese Musikrichtung ungewöhnlichen Classic-Rock-artigen Soli tragen seine Züge – doch gibt es hörbare Unterschiede in den Strukturen des Songwritings. “Absolut richtig. Gitarrensoli kommen typischerweise in dieser Musik nicht vor und das bemängeln auch einige Fans aus dieser Richtung an meiner Musik. Aber Leute wie Mark Knopfler oder Andy Latimer von CAMEL sind mir eben wichtig als Gitarrist. Ich kann mich ja auch nicht verstellen. Warum sollte ich einfach nur INTERPOL nachspielen? Mich haben die LUNAR-SHADOW-Vergleiche auch überrascht, ich wollte ja ein bisschen weg davon. Aber es stört mich auch nicht, anscheinend kriege ich das nicht raus.”

Das Cover fertigte Gary Ruddell an.

„Es geht um Liebe, Stadt, Sehnsucht …“

Im Gegensatz zu einigen Auswüchsen des LUNAR-SHADOW-Schaffens wirken Musik und Ästhetik von DRENNAN WHYTE, wenngleich nicht fröhlich, zumindest harmonischer, versöhnlicher, friedlicher. “Ich habe schon früh gemerkt, dass ich nicht wirklich super happy Musik schreiben kann. Das passt nicht zu mir, zu meinem Charakter. Aber du hast Recht, es ist nicht ganz so schwer, nur ein wenig wehmütig. Es geht um Liebe, Stadt, Sehnsucht, allerdings mit weniger persönlichem Bezug als bei LUNAR SHADOW.” Auch das Artwork versprüht ein sommerliches Flair. “Das ist von Gary Ruddell. Ich kenne ihn ursprünglich über seine Arbeiten im Sci-Fi-Bereich, z. B. von Dan Simmons’ ‘Hyperion’. Mitte der Neunziger ist er von Fantasy und Sci-Fi in Richtung Fine Arts gewechselt. Wie bei ‘Wish To Leave’ habe ich das Artwork gesehen und mich darin verliebt, weil es so gut zur Atmosphäre der Musik passt. Über fünf Ecken habe ich ihn dann kontaktieren können. Cooler Typ!”, strahlt Max zufrieden über die Zusammenarbeit. “Er ist so ein ‘Alt-Rocker’, der schon Jimi Hendrix und Grateful Dead live gesehen hat. Er hat es mir dann einfach so überlassen; er wollte nur seinen Namen abgedruckt sehen. Er ist übrigens sehr begeistert von ‘Vermillion’ und hat versprochen, es all seinen Freunden zu zeigen”, lacht er weiter.

Drennan Whyte | Foto: Lydia Resch

Daneben sind Max aber vor allem Kollaborationen mit Menschen, die er kennt und denen er vertraut, wichtig. “Einige Fotos hat wie bei ‘Wish To Leave’ mein guter Freund Sebastian Wünsche geschossen. Die Drums spielte Jonas [aka. Jon Apiarist – Anm. d. Red.] von FIRMAMENT [ehemals TENSION – Anm. d. Red.] ein.” Mit den Mitgliedern von TENSION bzw. FIRMAMENT ist Max ohnehin gut befreundet. Die Leipziger Heavy-Metal-Band hat vergangenes Jahr nach dem TENSION-Debüt eine Single veröffentlicht und sucht gegenwärtig nach einer neuen Person am Mikro. Apropos: Neben seinen guten Kumpels sind Max’ Lieblingsbands in der reichhaltigen Leipziger Szene die Black-Metal-Veteranen EVIL WARRIORS und die empfehlenswerten Kauz-Doomer GOAT EXPLOSION, zu denen wir über dieses Gespräch auch eine gemeinsame persönliche Freundschaft entdecken.

DRENNAN WHYTE, LUNAR SHADOW und die Zukunft

Aktuell tut sich im Hintergrund bei DRENNAN WHYTE, dessen Namen Max aus einem Onkel-Dagobert-Comic hat, durchaus weiterhin etwas. “Ein Song ist bereits geschrieben und mehr habe ich auch durchaus vor, aber ich kann nicht so gut an mehreren Sachen gleichzeitig arbeiten.” In allernächster Zukunft steht erst einmal die letzte LUNAR-SHADOW-Show auf dem Party.San Open Air an. Wie es studio- und albumtechnisch mit dieser Band weitergeht, ist aktuell jedoch ungewiss. Das gemeinsame Musikmachen im Proberaum, wie man es sich idealistischerweise bei einer Heavy-Metal-Band vorstellt, kickt Max eh nicht besonders. “Zudem leben meine Mitmusiker und ich teils mehrere hundert Kilometer auseinander. Als ich früher noch in Nordrhein-Westphalen gewohnt habe, haben wir regelmäßig geprobt. Das war schon witzig, miteinander abzuhängen. Aber das Proben selbst bestand hauptsächlich aus Lärm und mieser Proberaumakustik. So richtig professionell bemüht haben wir uns da auch nie. Mit dem Live-Spielen ist es ähnlich. Ich stehe auf der Bühne und habe während meines Gitarrensolos das Gefühl, dass es bitte bald vorbei sein möge. Was mir vordergründig fehlt am Live-spielen, ist der direkte Kontakt zu den Leuten vor der Bühne, der Austausch mit dem Publikum. Es war unglaublich krass zu sehen, woher die Leute alles angereist sind, als wir mit LUNAR SHADOW in London gespielt haben.”

Bliebe nur noch die Frage, welche Ziele DRENNAN WHYTE sonst noch verfolgen. “Kurz vor der Veröffentlichung der EP habe ich mit Mike von TENSION Bier getrunken und ihm gesagt, ich werde irgendwann noch einen Grammy holen, haha. Daran glaubte er zwar nicht, aber er wünscht mir viel Glück.” Dem kann ich mir nur anschließen.

Quelle: Max Birbaum
24.07.2022

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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