The Ocean
"Eigentlich ist es ein gutes Jahr, um Musik zu veröffentlichen"

Interview

Mit „Phanerozoic II: Mesozoic | Cenozoic“ haben THE OCEAN den zweiten Teil ihres hochgelobtes Epos über das bis heute andauernde Erdenzeitalter des Phanerozoikums abgeliefert. Im Interview mit metal.de erzählt Hauptsongwriter Robin Staps, wie er und die Band den Lockdown erlebt haben, wieso er mit THE OCEAN Narrenfreiheit genießt und wie es dazu kam, dass seit Kurzem ein neuentdecktes Fossil nach der Band benannt ist.

Hey Robin! Wie geht’s dir und euch in der aktuellen Situation?

Momentan geht es uns sehr gut. Wir haben gerade ein neues Album veröffentlicht, was immer mit enormer Freude verbunden ist. Darauf haben wir extrem lange hingearbeitet.

Als das Ganze los ging, hat das natürlich erstmal für großen Frust gesorgt. Ich persönlich bin durch verschiedene Phasen gegangen: Zunächst war da Leugnung (lacht), dann habe ich irgendwann gecheckt, dass an dem ganzen Scheiß schon was dran ist. Und dann ging es auch schon los mit den ganzen Absagen. Zu den ersten gehörte das Prognosis Festival, das wir am 21. März hätten spielen sollen. Dann hatten wir eine Athen-Show beziehungsweise ein Griechenland-Wochenende im April geplant. Und im Mai hätte eine Südamerika-Tour angestanden. Das war sicherlich das, was am meisten gefrustet hat, weil ich extrem viel Zeit investiert habe, dort eine Tour zu buchen mit zwölf oder 13 Shows in sieben Ländern. Ich habe mich lange daran festgehalten, bis ich dann letztlich doch gecheckt habe, dass es nichts bringt und wir alle in derselben Situation feststecken. Dass es keinen Sinn ergibt, sich über einen Virus aufzuregen. Und dann ist Ruhe und Frieden eingekehrt und ich habe den Fokus komplett auf andere Dinge umgeschaltet.

Darunter viele Projekte, die ich schon lange geplant hatte und angehen wollte, wie zum Beispiel „Pelagic“-Kaffee. Aber auch OCEAN-Sachen, wie zum Beispiel das Fotobuch, das jetzt mit der Vinylversion kommt. Das ist ein 130 Seiten starkes Fotobuch mit Bildern vom „Phanerozoic“-Tour-Zyklus 2019. Ich wusste, dass wir das Material haben, habe mich aber noch im Januar dagegen entschieden, etwas daraus zu machen, weil ich wusste, dass das Layout und das Klären der ganzen Rechte mit den Fotografen so zeitaufwändig würde. Als Corona aber dann passierte, dachte ich sofort: Ok, dann machen wir es jetzt.

Ursprünglich sollte „Phanerozoic II“ schon 2019 veröffentlich werden – was war der Grund für die Verschiebung?

Kurz gesagt: eine viel zu optimistische Planung. Wir waren einfach 2019 das ganze Jahr auf Tour. Seit dem Erscheinen von „Phanerozoic I“ waren wir im Prinzip fast ununterbrochen unterwegs. Das Album kam Ende Oktober beziehungsweise Anfang November 2018 raus. Dann hatten wir eine Headliner-Tour im Oktober und November. Dann waren wir ab dem 4. Januar in Indien, Australien und Neuseeland bis tief in den Februar hinein. Im März waren wir in Europa unterwegs, dann waren Sommerfestivals, dicht gefolgt von dieser Russland-Japan-Kasachstan-Armenien-Georgien-Tour im Sommer, also Juli, August, September. Und ab Oktober waren wir wieder mit LEPROUS unterwegs. Insofern gab es keine Zeit, das Album fertigzumachen. Wir mussten unsere Aufnahmesessions immer irgendwie zwischen die Tourdaten quetschen. Wir haben tatsächlich noch Bassparts auf Tour mit LEPROUS aufgenommen, weil wir den Mix für direkt nach der Tour gebucht hatten.

Insofern bin ich eigentlich fast überrascht, dass es dann doch zu Ende 2019 fertig geworden ist. Aber diese Deadline im Nacken hat uns letzten Endes auch ganz gut getan.

„Die Leute sitzen zuhause und haben tendenziell Bock auf Musik.“

Und 2020 nochmal zu verschieben war – trotz Pandemie – keine Option?

Doch, wir haben das Ganze durchaus kontrovers diskutiert und es gab auch Stimmen, die gesagt haben: Lasst uns das Jahr abwarten und das Album verschieben. Wir haben uns am Ende dafür entschieden, das Album zu releasen, wohl wissend, dass wir nicht zu der Zeit touren werden können. Das hatte verschiedene Gründe: Zum einen will man, wenn ein solches Album fertig ist, dass es auch rauskommt. Wenn sowas dann einfach nur auf der Festplatte altert, fühlt sich das nicht gut an. Das war so ein emotionaler Aspekt bei uns allen.

Dann haben wir aber auch gedacht: Eigentlich ist es ein gutes Jahr, um Musik zu veröffentlichen. Die Leute sitzen zuhause, haben tendenziell Bock auf Musik, weil sie gelangweilt sind. Das haben wir auch bei Pelagic Records gesehen. In diesem Jahr haben wir einen riesigen Zuwachs an Bestellungen verzeichnet trotz Corona oder gerade wegen Corona.

Da haben wir uns dann natürlich auch für OCEAN gedacht: Naja, es ist eigentlich gar keine dumme Zeit, um ein Album zu veröffentlichen. Dazu kam auch noch der Gedanke, dass im Herbst releasemäßig wahrscheinlich relativ wenig los sein wird, aber das ist ja nun schon wieder hinfällig: Jetzt haben wir am gleichen Tag veröffentlicht wie DEFTONES. Nicht ganz so ideal (lacht). 

Releasen einfach mal am gleichen Tag wie DEFTONES: THE OCEAN

Erzähl nochmal kurz zur Entstehungsgeschichte des Albums: Sind alle Songs auch in der gleichen Songwriting-Session mit dem ersten Teil entstanden und auch in einer Sitzung aufgenommen worden?

Das Material für beide Teile ist in den Jahren 2016 und 2017 entstanden. Die Drums für beide Teile haben wir Anfang 2018 in Island aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt war das Material für beide Teile eigentlich zu 90 Prozent fertig. Für „I“ zu 100 Prozent und für „II“ zu 90 Prozent. Dann haben wir uns erstmal auf den ersten Teil konzentriert und den fertiggemacht, sind damit auf Tour gegangen und haben währenddessen Teil zwei fertiggestellt beziehungsweise eher Stück für Stück finalisiert.

Wie kommt es, dass die Alben dann so unterschiedlich klingen? War von vorneherein klar, dass ihr Material für zwei Alben aufnehmt?

Das hat sich schon während der Songwriting-Sessions abgezeichnet, dass das Material sehr verschiedenartig ist. Ich hatte beim ersten Teil von Anfang an eine relativ klare Vorstellung davon, welche Songs auf diesem Teil landen sollten und auch in welcher Reihenfolge. Da gab es für mich von Beginn an einen sehr durchgängigen, kohärenten Vibe.

Das Material für Teil zwei war dann das, was noch übrig war. Hier war sofort klar, dass es stilistisch sehr viel breiter gestreut ist, als das, was auf Teil eins landen würde, und das haben wir dann auch bewusst so ausgearbeitet und uns dazu bekannt. Ich hatte am Anfang ein paar Bedenken, dass dieser zweite Teil am Ende nicht zu einem wirklichen Album werden würde, sondern eher einer Kollektion von aneinandergereihten Songs ähneln würde. Das hat sich dann aber in Luft aufgelöst, als wir weiter daran gearbeitet haben und das Ganze dann erstmal in einem einheitlichen Soundgewand vor uns stand. Aber ja, es war von Anfang an klar, dass „Phanerozoic II“ ein experimentelles Album wird. Irgendwo sperrig, aber trotzdem mit Songs, die doch auch recht eingängig sind.

„Musik und Geografie sind zwei Dinge, die mich immer interessiert haben.“

Aber trotzdem handeln beide Teile das Erdenzeitalter des Phanerozoikums chronologisch ab?

Der Ablauf ist streng chronologisch, ja. Teil eins setzt direkt nach dem Präkambrium mit dem Paläozoikum ein, welches die erste Ära des Phanerozoikums ist und Teil zwei setzt sich dann ab dort weiter fort mit dem Mesozoikum und dem Känozoikum. Und in dieser Zeit befinden wir uns auch noch jetzt.

Und auch die musikalische Umsetzung ist vor diesem Hintergrund natürlich sinnvoll. Am Anfang des Paläozoikums entstanden die ersten, noch sehr simplen Lebensformen. In der Folge hat dann im Verlauf des Phanerozoikums eine fortschreitende Diversifizierung und ein Zuwachs von Komplexität stattgefunden. Deshalb klingt das Känozoikum, sprich, die letzten Tracks auf dem zweiten Album, auch so anders als die sehr brachialen Stücke am Anfang. Es war also schon der Gedanke, das musikalisch auch so umzusetzen.

Du klingst so, als würdest du dich ganz gut auskennen in Sachen Erdengeschichte?

Ich habe tatsächlich Geografie studiert und deswegen ja auch schon vor über 13 Jahren angefangen, das irgendwie mit Musik zu verbinden. Als ich „Precambrian“ geschrieben habe, habe ich immer versucht, mir die Musik zu verbildlichen, und ständig kamen mir Bilder von prähistorischen Landschaften und Lavaströmen vor das geistige Auge. Das hat einfach gepasst. Musik und Geografie sind schon zwei Dinge, für die ich mich immer interessiert hab. Irgendwann hat es einfach Sinn ergeben, diese beiden Themen zusammenzuführen.

THE OCEAN sind nun auch in der Wissenschaftscommunity ein Begriff.

Als Botschafter für die Geowissenschaft ist seit diesem Jahr nun offiziell ein Fossil in einem Luxemburger Museum nach euch benannt. Erzähl doch mal, wie es dazu kam?

Die Wissenschaftler waren tatsächlich Fans von THE OCEAN und haben uns bei einem Konzert in Luxemburg darauf angesprochen, dass sie ein neues Fossil entdeckt haben und das nach uns benennen wollen. Das fanden wir natürlich sehr cool und so wurde es dann durchgezogen. In der Wissenschaft ist es tatsächlich so, dass, wenn jemand eine neue Art entdeckt, er oder sie die völlige Freiheit der Namensfindung hat. Im wissenschaftlichen Text dazu muss aber die Etymologie, also die Herkunft des Namens, erklärt werden. Da hatte ich auch anfangs ein paar Bedenken, ob wir das überhaupt vernünftig kommuniziert kriegen, weil das Ding ja „Ophiacantha oceani“ heißt. „Oceani“ kann ja auch einfach heißen: „aus dem Meer kommend“, und muss sich nicht zwangsläufig auf die Band beziehen. Aber deswegen gibt es eben diesen Paragrafen in dem Text, in dem eindeutig gesagt wird, dass es sich auf die Berliner Band THE OCEAN bezieht. Und das ist natürlich eine tolle Anekdote, die wir da jetzt haben. (lacht)

Das „Phanerozoikum“ hält bis zum heutigen Tag an. Geht es demnächst für euch thematisch in die Zukunft?

Jetzt touren wir erstmal mit dem Album und dann wird sich so langsam abzeichnen, was wir mit dem nächsten Album machen werden. Ich denke da wirklich von einem zum nächsten und habe nicht schon die nächsten zehn Konzeptalben fertig ausgeplant. Vielleicht wird es auch mal ganz was anderes und einfach ein stumpfes Rock-Album – könnte auch mal geil sein. Aber im Moment kann ich dazu noch nichts sagen. Der Fokus liegt klar auf „Phanerozoic“.

„Es ist wirklich alles erlaubt!“

Du hast das mit dem Rock-Album gerade so scherzhaft gesagt, aber könnte unter dem Banner THE OCEAN wirklich alles passieren?

Grundsätzlich ist mit der Band alles möglich und wir haben viele Jahre darauf hingearbeitet, dass das so ist. Am Anfang haben sich immer irgendwelche Leute beschwert. Das fing an, als wir unser erstes Album „Fogdiver“ veröffentlicht haben, das noch rein instrumental war und danach, 2004, „Fluxion“, das vom Vibe her eigentlich nicht so anders war, da auch die Songs aus derselben Zeit stammten. Es war aber eben harter Gesang dabei und sofort haben sich die ersten Leute beschwert, was das denn nun solle? Und so ging es dann weiter. Als wir „Heliocentric“ veröffentlicht haben, das erste Album mit Loic, hieß es, das sei kein Metal mehr. Also die Leute haben eigentlich immer gemeckert, bis sie irgendwann nicht mehr gemeckert haben. Das war ungefähr zur Zeit von „Pelagial“. Und mittlerweile ist es glaube ich so, dass wir uns eine Fan- und Supporter-Gemeinschaft herangezüchtet haben, die gerade zu schätzen weiß, dass man eben nie genau weiß, was man mit dem nächsten OCEAN-Album zu erwarten hat und die es geil findet, wenn man auch mal Experimente wagt und nicht immer genau dort musikalisch angesetzt wird, wo das vorherige Album aufgehört hat.

Und ich bin sehr dankbar, dass das so ist. Für uns bedeutet das eine gewisse Narrenfreiheit, die uns erlaubt, alles zu tun. Genau das wollte ich immer mit dieser Band. Es sollte keine Schubladen geben, durch die wir uns verpflichtet fühlen müssen, irgendetwas auf eine bestimmte Art zu machen, oder die uns irgendetwas verbieten. Es ist wirklich alles erlaubt.

Die Tour-Aktivitäten liegen bis Ende nächsten Jahres erstmal auf Eis. Könnte es denn trotzdem sein, dass ihr euch bis dahin noch eine Kleinigkeit überlegt, um die Zeit etwas zu überbrücken? Ein Live-Stream vielleicht oder bestuhlte Konzerte?

Wir haben einen Gig im November, der stattfinden wird. Das ist das Gloomaar-Festival in Neunkirchen. Der Veranstalter da ist gewillt, das Ganze durchzuziehen – bestuhlt und mit sämtlichen Auflagen die da so kommen mögen. Das wird also mit Sicherheit stattfinden. Am selben Wochenende werden wir dann auch noch eine Radio-Session machen und tatsächlich ist ein Livestream gerade eine Überlegung. Das macht gerade jeder, insofern gibt es da auch ein bisschen Skepsis bei uns. Auf der anderen Seite kann man auch gerade nicht wirklich etwas anderes machen, um den Leuten irgendeine Form von Show zu bieten. Und wir hätten schon auch Bock darauf, das Ganze schön aufzuziehen und das Album in kompletter Länge zu spielen.

Proben müssen wir eh, denn für Januar ist die Tour geplant. Sollte die nicht stattfinden können, gibt es Back-up-Termine für Juni. Insofern werden wir früher oder später touren und dafür müssen wir proben. Das haben wir uns jetzt für den November vorgenommen, damit wir fit werden für das Album. Und wenn das passiert ist, können wir es eigentlich auch filmen und streamen. Ich denke, das wird der Plan sein.

02.10.2020
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