Insomnium
Alles hat ein Ende, nur die (Curry-)Wurst hat zwei

Interview

Heute ist der Tag gekommen, auf den INSOMNIUM-Fans seit Monaten – wenn nicht seit Jahren – gewartet haben. Mit „Heart Like A Grave“ veröffentlichen die Könige des finnischen Melodic Death ihr achtes Studioalbum. Wir hatten das Glück, die Scheibe schon Mitte August bei einem ganz besonderen Listening-Event hören zu dürfen. INSOMNIUM luden quasi zu sich nach Hause ein, in das in Nordkarelien gelegene Joensuu. Hier wurde die Band einst gegründet und hier wurden auch große Teile des heute erscheinenden Albums eingespielt.

Nach einem ereignisreichen Tag, über den ihr in unserem Erfahrungsbericht lesen könnt, setzten wir uns schließlich mit den INSOMNIUM-Gitarristen Markus Vanhala und Jani Liimatainen sowie mit Drummer Markus Hirvonen zusammen, um ein wenig über „Heart Like A Grave“ zu plaudern. Auch ihre Verbindung zu Deutschland kam zur Sprache. Lest hier, wie allein der Gedanke an deutsche Tankstellen-Currywurst die Band vor dem Tod durch Ertrinken rettete.

Hallo ihr drei! Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt. Jani ist ja „neu“ bei INSOMNIUM. „Neu“, weil er schon einige Jahre live dabei ist. Ich habe INSOMNIUM glaube ich öfter mit Jani gesehen als mit Ville, wegen seines Jobs.

Markus V.: Das stimmt höchstwahrscheinlich.

Ihr habt aber neulich auch als Fünfergespann gespielt.

Markus V.: Beim John Smith Festival. Das war aber das bisher einzige Mal.

Dafür müsst ihr die Songs ja für drei Gitarristen „umarrangieren“, richtig?

Markus V.: Ja. Das war schon etwas Arbeit. Aber wir haben ja sehr viele Gitarren-Tracks auf den INSOMNIUM-Alben. Das passt also gut für drei Gitarren. Wir könnten sogar noch mehr gebrauchen.

Jani: Ja, genau.

Stimmt. Da ihr ja so viele Gitarren-Tracks habt, werdet ihr versuchen, so oft wie möglich zu fünft zu spielen? Die Betonung liegt auf „versuchen“, denn offensichtlich gibt es da Einschränkungen.

Markus V.: Man weiß ja, wieso Jani jetzt in der Band ist und wieso er schon seit Jahren für Ville einspringt. Es sieht so aus, als ob Ville auch weiterhin nicht so viele Auftritte spielen wird. Wir werden aber, wenn möglich, bei besonderen Auftritten mit allen drei Gitarristen spielen.

Jani: Zu besonderen Anlässen.

Markus V.: Hochzeiten, Beerdigungen, Weihnachten [wir lachen].

Bleiben wir mal bei den Schichten. Ihr habt da wirklich viele, und zwar nicht nur Gitarren-Tracks. Dazu kommen die Streicher und so weiter. Könnt ihr grob – oder vielleicht sogar genau – sagen, wie viele Schichten es auf „Heart Like A Grave“ so gibt?

Markus V.: Laut Jens Bogren, der das Album gemixt hat, zu viele. Der hat nämlich viele Tracks gestrichen.

Gestrichen?

Markus V.: Ja, und das war glaube ich eine gute Entscheidung.

Jani.: Ja, in den meisten Fällen hatte er recht damit, etwas zu streichen.

Markus V.: Es passiert sehr schnell, dass man zu viele Tracks draufpackt.

Jani.: Man packt Schicht auf Schicht auf Schicht und am Ende verliert es seine Relevanz.

Markus V.: Du kannst dir wie der Größte vorkommen, wenn du alles im Studio aufnimmst. Aber dann musst du das alles mixen, und das ist der knifflige Teil. Es ist nicht immer Platz für alles.

Jani: Du kannst 20 Gitarren-Tracks haben, aber die Band hat außerdem noch einen Sänger. Und der ist schon auch wichtig.

Markus V.: Heute haben wir wirklich gute Technologien und können eine Millionen Tracks zusammenbauen. In den 80ern hatten sie nur um die 16 Tracks, und die haben auch dafür gesorgt, dass es am Ende gut klang. Und es klingt immer noch gut. Vielleicht sagt uns das was. Mehr ist nicht immer mehr.

Insomnium sind (v.l.): Markus Hirvonen, Niilo Sevänen, Jani Liimatainen, Ville Friman, Markus Vanhala. Copyright Jussi Ratilainen.

Bei INSOMNIUM transportiert ihr eine ganz bestimmte Art von Emotionen. Ihr habt viele dieser sehnsüchtigen Gitarrenmelodien. Woher kommen diese Emotionen? Was genau wollt ihr dem Hörer übermitteln?

Markus V. (sarkastisch): Wir wollen, dass die Leute traurig sind. Wir wollen, dass sie Leid und Trauer fühlen. [Pause] Das wars [Wir lachen].

Jani.: Das ist halt der Sound von INSOMNIUM. Die Sehnsucht, die Trauer, das Elend…

Markus V.: All diese finnische Melancholie… klassische finnische Emotionen. Auf „Heart Like A Grave“ tauchen wir sogar noch ein Stück weiter darin ein. Wir haben uns von finnischen Folklore-Songs aus den letzten 100 Jahren inspirieren lassen, die wirklich düster sind. Da kommen nicht mal SENTENCED ran. In deren Songs bringen sich die Leute um. In den alten Songs bringen sich die Leute nicht um, sie leiden einfach weiter und weiter, und am Ende erfrieren sie bei der Feldarbeit. Sie sterben wegen des Winters, Krankheit oder Hungersnot.

Markus H.: Es sind Gedankenbilder dessen, wie man sich das Leid damals vorstellt, und, wie das Leben damals war. Es geht nicht darum, sich selbst zerstören zu wollen, sondern darum, jeden Tag kämpfen zu müssen, um einigermaßen würdig leben zu können. Denn jeder Tag war ein Kampf.

Markus V.: Selbstmord und Weglaufen als Ausweg sind moderne Konzepte. Die gute, alte, finnische Art ist es, zu bleiben und zu leiden. Nicht den einfachen Ausstieg zu wählen.

Markus H.: Am Leben zu bleiben. Zu versuchen, sich das Leben irgendwie zurückzuerobern.

Markus V.: Es war zwar scheiße, aber damit musste man klarkommen.

Galerie mit 25 Bildern: Insomnium - "Heart Like A Grave" Listening Session in Finnland

Es geht also nicht um Herzschmerz, sondern die Trostlosigkeit des Lebens an sich.

Markus H.: Ja, davon handeln viele Songs in der traditionellen finnischen Musik aus den Fünfzigern und Sechzigern.

Markus V.: Die kennt ihr in Deutschland nicht, aber wir haben uns zum Beispiel von Tapio Rautavaara und Juha Vainio inspirieren lassen. Zum Beispiel der Song „Ontuva Eriksson“, den wir heute erst wieder gehört haben. Eine ziemlich traurige Geschichte über einen alten Trinker, der stirbt, um den aber keiner trauert. Er kann nicht mal in den Himmel eintreten, sondern ihn nur vom Tor aus sehen, aber sie lassen ihn nicht rein.

Wenden wir uns dem Schreiben zu. Wie habt ihr euch das bei „Heart Like A Grave“ aufgeteilt?

Jani: An diesem Album haben tatsächlich vier Leute mitgeschrieben.

Markus H.: Wie Jani sagt, haben vier Leute geschrieben. Jani hat mit daran geschrieben, Markus hat sehr viel geschrieben, Niilo und Ville natürlich auch.

Markus V. (bezogen auf Markus H.): Und er ist unser mentaler Anführer.

Markus H.: Ach, fick dich doch [wir lachen].

Jani: Genau das meinen wir. Man schickt ihm ein Demo und bekommt genau das als Antwort: „Fick dich doch“ [lacht].

Markus V.: Jeder braucht einen starken Anführer.

Markus H.: Es war toll, den Jungs bei dem zuzuschauen, was sie am besten tun. Und was dabei rausgekommen ist, verschlägt einem die Sprache.

Markus V.: Das war definitiv eine Leistung der Band als Ganzes.

Markus H.: Ja. Definitiv mehr als nur Einzelleistungen. Es gab Synergien.

Markus V.: Und so sollte es in Bands laufen.

Jani: Wenn jemand etwas geschrieben hatte, sind wir hingegangen und haben das durchgespielt, und zusammen arrangiert. Haben besprochen, was funktioniert und was nicht.

Habt ihr schon mal über finnische Texte nachgedacht? Besonders bei einem Album wie „Heart Like A Grave“, das seine Wurzeln in der finnischen Seele hat?

Markus V.: Ich glaube nicht, dass das bei INSOMNIUM funktionieren würde.

Jani: Das ist eine coole Idee, aber ich sehe auch nicht, wie das funktionieren sollte.

Markus H.: Ja, das sehe ich auch so. Das würde auch das Verständnis bei den Fans einschränken.

Markus V.: Vielleicht ein paar Sätze, aber keine ganzen Songs.

Jani: Das wäre so ein Nischen-Ding. Besonders zu sein, nur um besonders zu sein. Was normalerweise zu nichts führt.

Markus H.: Unsere Lyrics waren schon immer auf Englisch. Ich sehe keine Veranlassung, das zu ändern.

Markus V.: Wir müssen die finnische Melancholie in englische Lyrics übertragen. Das ist auch eine Herausforderung.

Jani: Ich schreibe keine Lyrics für INSOMNIUM, aber insgesamt finde ich es leichter, auf Englisch zu schreiben. Die Sprache ist nachsichtiger. Man kann Sachen sagen, die wirklich banal klingen würden, wenn man sie auf Finnisch sagt.

Markus V.: Auf „Heart Like A Grave“ haben wir zwar keine Texte übersetzt, aber jeder Song basiert auf einer Idee aus einem alten finnischen Song, die wir dann auf INSOMNIUM und Englisch angepasst haben.

Habt ihr ein Beispiel für so eine Geschichte?

Markus H. kramt sein Handy raus und ruft „Peltoniemen Hintriikan surumarssi“ von Tapio Rautavaara auf Youtube auf.

Markus H.: Das ist die Ära, mit der wir uns hauptsächlich befasst haben.

Jani: Die Lyrics sind wirklich verdammt trostlos.

Ich verstehe leider nichts…

Markus H.: Es geht um Armut.

Markus V.: „And Bells They Toll“ wurde von diesem Stück inspiriert. Es geht um ein armes Mädchen, das eine Handvoll Glück im Leben findet. Sie verliebt sich in einen Typ und die Hochzeitsglocken läuten. Aber dann stirbt er, und die gleichen Glocken läuten zu seinem Begräbnis. [Pause] Ein anderes Motiv ist das Älterwerden. Denn wir werden gerade alle 40. Es ist also auch unser 40s-Crisis-Album.

Das Midlife-Crisis-Album?

Markus H.: Endlife-Crisis-Album [lacht].

Markus V.: In vielen dieser finnischen Songs geht es um das Altwerden. Früher war alles besser, vieles wird bereut, alle guten Dinge gehen vorüber.

Markus H.: Wenn man „Heart Like A Grave“ mit einem Wort beschreiben sollte, wäre das wohl „Neverlasting“. Keiner kommt hier lebend raus.

Jani: Das Konzept von Sterblichkeit ist ganz klar vertreten.

Markus H.: Und was man am Ende bereut.

Die Dinge, die man im Leben nicht gemacht hat?

Markus H.: Und gleichzeitig die, die man getan hat.

Markus V.: Ich hatte mal einen Hoffnungsschimmer in meinem Leben, doch dann ist er verschwunden…

Markus H.: … doch dann bin ich aufgewacht [lacht].

Insomnium nicht so ernsthaft.

Ich glaube, das ist doch ein ziemlich guter Abschluss. Sehr düster, aber trotzdem.

Markus V.: Ich glaube, wir müssen jetzt runter an den Fluss…

… und uns ertränken?

Alle: Ja.

Markus H.: Lasst uns ein paar Piña Coladas trinken und uns ertränken.

Bevor wir absaufen, habt ihr noch was loszuwerden? Zum Beispiel eine Message an die INSOMNIUM-Fans?

Markus V.: Wir freuen uns, bald wieder in Deutschland zu sein, denn wir lieben Currywurst. In Finnland kriegt man nicht wirklich Currywurst.

Die könnt ihr doch einfach selbst machen?

Markus V.: Nein, da ist etwas Magisches in der deutschen Currywurst-Soße.

Ich glaube, das ist altes Frittierfett.

Jani: Es ist jedenfalls verdammt geil.

Markus H.: In Joensuu – das ist die nächste Stadt hier – gab es mal diesen internationalen Markt, unten am Fluss. Da gab eine Currywurst-Bude. Ich dachte mir, „yeah, jetzt hol ich mir eine richtig gut gemachte Currywurst“. Und dann war sie total scheiße.

Eine Enttäuschung, so wie alles im Leben?

Markus H.: Ja, genau! Überhaupt nicht mit denen an deutschen Tankstellen vergleichbar.

Galerie mit 23 Bildern: Insomnium - 70000 Tons Of Metal 2018 - 1. Tag

Wir waren gerade so philosophisch, und jetzt…

Markus V.: Wir haben es in Deutschland nur so weit gebracht, weil wir wegen der Currywurst ständig da sind.

Markus H.: Wegen der Tankstellen-Currywurst. Wir lieben sie.

Markus V.: Die Jagd nach der Currywurst.

Das nächste INSOMNIUM-Album wird also ein Konzeptalbum. „Die Jagd nach der Currywurst“.

Markus V.: Es war gut, dass wir darüber geredet haben. Jetzt will ich eine Currywurst, also werde ich mich heute Nacht glaube ich nicht ertränken. Die Deutschland-Termine stehen an, also gibt es Licht am Ende des Tunnels.

Jani: Das muss die bisher merkwürdigste Antwort auf die Frage gewesen sein, ob es eine Message für die Fans gibt [wir lachen]. Ja, die gibt es!

Markus H.: Ich denke, alle Fans, die das Interview lesen, werden zustimmen, dass Currywurst das Beste ist, was Deutschland je hervorgebracht hat.

Markus V.: Currywurst hat Mitglieder von INSOMNIUM gerettet. Heute. Vor dem Selbstmord durch Ertrinken.

Markus H.: Ihr habt tolle Skispringer und tolle Currywurst. [Pause] Das wars.

Danke euch für das Interview!

Alle: Danke dir!

Etwas philosophisch wird es im Anschluss an das Interview doch noch, als Markus H. sinniert, dass wir irgendwie alle dieses kleine, einsame Würstchen sind, das sich in der Auslage der Tankstelle vor sich hin dreht, das aber keiner will. Und wer den Jungs zum Trost nun gerne eine Currywurst mit zum Konzert bringen will, kann dies im Rahmen der bald startenden Tour Like A Grave tun.

Quelle: Markus Vanhala, Markus Hirvonen, Jani Liimatainen von Insomnium
04.10.2019

headbanging herbivore with a camera

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