Kissin' Dynamite
Der Kreislauf des Lebens

Interview

Für KISSIN‘ DYNAMITE stellt „Not The End Of The Road“ den bislang größten Umbruch in ihrer Karriere dar. Schließlich stieg im Vorfeld der Platte zum ersten Mal ein Bandmitglied aus. Sänger Hannes Braun blickt trotzdem optimistisch in die Zukunft. Im Gespräch erzählt er vom Auf und Ab im Leben einer Rockband, wie er mit Kritik umgeht und welche Rolle seine frühen Einflüsse heute noch für KISSIN‘ DYNAMITE spielen.

Ein unerwarteter Umbruch

Hey Hannes, bevor wir uns Eurem neuen Album widmen, einmal eine Frage zu etwas, das Anfang des Jahres passiert ist. Da ist mit Schlagzeuger Andi Schnitzer zum ersten Mal ein Mitglied aus der Band ausgestiegen. Hatte sich das schon länger abgezeichnet?

Im Februar hat er uns eines Abends seinen Ausstieg verkündet. Ganz ehrlich: Dass er wirklich die Segel streicht, hat keiner von uns kommen sehen. Es ist auch nicht so, wie man sich das manchmal vorstellt, wo sich Leute gegenseitig anschreien, Sachen an den Kopf werfen und dann sagt einer, er will nicht mehr in der Band spielen. Das war eher ein schleichender Prozess, der unter persönlicher Veränderung zu verbuchen ist, schätze ich mal. Wenn du es im Detail wissen willst, musst du mit Andi sprechen. Aber uns hat er damals gesagt, dass er sich in der Band seit längerem nicht mehr wohlfühlt. Er hatte immer mehr den Wunsch nach einer Veränderung in seinem Leben und das war anscheinend der Ausstieg aus KISSIN‘ DYNAMITE. Wir waren in dem Moment ziemlich geschockt, weil wir dachten, es müsse nur ein paar Sortierungsgespräche geben. Das hat keiner kommen sehen.

Euer neuer Schlagzeuger ist Sebastian Berg. Wie seid ihr auf ihn gekommen?

Via Vorspiel tatsächlich. Nach dem Ausstieg von Andi war uns recht schnell klar, dass das natürlich nicht das Ende von KISSIN‘ DYNAMITE ist. Aber wir wollten uns Zeit lassen, da jemanden zu finden. Denn noch wichtiger als einen guten Schlagzeuger zu finden, war für uns, einen richtigen Bro zu finden. Es war uns sehr wichtig, das Bandgefühl aufrecht zu erhalten. Wir hatten ja noch nie zuvor einen Line-up-Wechsel in 15 Jahren und uns das immer stolz auf die Flagge geschrieben und es ein bisschen belächelt, wenn andere Bands ihre Instrumentalisten wie die Unterhosen wechseln. Aber das belächelt man so lange, bis man selbst in der Scheißsituation ist. Da war für uns klar, dass wir jemanden finden wollen, der zu 100 Prozent in die Band passt. Zu diesem Zeitpunkt standen schon ein paar Gigs für dieses Jahr fest, die nur vier Monate weg waren. Wir haben uns dann keinen Druck gemacht. Wir haben zwar schnell mit den Auditions angefangen, aber entschieden, dass wir uns für diese Einzelshows zur Not einen Sessiontrommler engagieren, wenn wir bis dahin niemanden haben, der zu uns passt. Aber so hart uns der Ausstieg getroffen hat, so viel Glück hatten wir dann. In der ersten Audition haben wir acht Trommler von knapp 70 Bewerbungen eingeladen und da war Sebastian Berg direkt dabei. Er kam direkt nach der Mittagspause, da waren wir von der ersten Hälfte des Tages recht frustriert, hatten uns gerade eine Pizza reingedrückt und saßen etwas bocklos auf dem Sofa. Da kam er rein, total gut gelaunt und hat eine Energie in den Raum gebracht und dazu noch mega getrommelt. Wir tauschten Blicke aus und konnten uns alle unser Grinsen kaum verkneifen, was man dem Kandidaten im ersten Moment ja gar nicht zeigen will. Da wussten wir, dass wir unseren Mann gefunden haben. Wir haben ihn dann nochmal für eine ganze Bandprobe mit dem kompletten Set eingeladen und ihn anschließend bei einem Grillabend standesgemäß abgefüllt, um zu sehen, ob das wirklich ein feiner Dude ist und da hat alles gepasst. Bisher haben wir es auch nicht bereut, den wir wachsen mit allem, was wir zusammen machen, weiter zusammen.

Schlechtes Timing bei KISSIN‘ DYNAMITE

Auf den aktuellen Bandfotos seid ihr aber zu viert zu sehen. Wie kommt es, dass Sebastian da nicht mit drauf ist?

Das finde ich selbst schade. Die Promofotos sind entstanden, kurz nachdem Andi ausgestiegen ist. Das war schon lange geplant und bereits so gebucht. Zu dem Zeitpunkt hatten wir nicht die leiseste Ahnung, wie schnell wir jemanden finden würden und sind davon ausgegangen, dass es eine langwierige Kiste wird, wieder so einen Bro zu finden. Es ist, wie wenn du die Partnerin fürs Leben finden willst. Da rechnest du ja auch nicht damit, dass das in vier Monaten passieren wird. Deswegen haben wir die Bilder zu viert gemacht, denn wir wollten keinen nach außen kommunizieren, von dem wir nicht zu 100 Prozent überzeugt sind, hätten wir ihn schnell, schnell mit aufs Foto geholt. Das war natürlich schade, nachdem wir so schnell mit jemand neuem so ein gutes Gefühl hatten. Aber nichtsdestoweniger haben wir auch einige Bilder nachgeholt, wo wir zu fünft drauf sind und in den Videos sind wir auch zu fünft. Ich denke, damit setzen wir auch für die Fans das Zeichen, dass er für uns nicht nur ein Sessiontrommler ist, sondern das fünfte Bandmitglied.

KISSIN‘ DYNAMITE und die richtige Label-Heimat

Genau darauf wollte ich mit der Frage hinaus, weil ich mich gefragt habe, welche Rolle er in der Band spielt. Aber dann war das mit den Fotos nur unglückliches Timing.

Wie alles in den vergangenen zwei Jahren. (lacht)

Genau! Euer neues Album erscheint jetzt über Napalm Records, der Vorgänger kam über Sony und Metal Blade und davor wart ihr länger bei AFM. Wie kommt es, dass ihr mit KISSIN‘ DYNAMITE zuletzt recht häufig das Label gewechselt habt?

Bei AFM hatten wir drei Jahre einen Deal. Selbst wenn wir früher gewollt hätten, hätten wir nicht weggewollt. Bei der letzten Platte war Sony für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständigen. Metal Blade übernahm das Album für den Rest der Welt. Unser Ansprechpartner war die ganze Zeit Sony Music. Wir hatten da ein Team, mit dem ich sehr happy war und mit dem wir alle, glaube ich, happy waren. Aber auch da hat uns ein Unglück gebeutelt. Sony war in München ansässig, aber sind nach einiger Zeit mit ihrem gesamten Stuff nach Berlin umgezogen. Gerade unser Team, also die drei Leute, die wichtig für uns waren, wollten nicht mit nach Berlin. Das hat konkret bedeutet, dass sie sich zwischen einem Umzug nach Berlin oder einem Ausscheiden bei Sony entscheiden müssen und haben letzteres gemacht. Da war für uns klar, dass wir nicht bei Sony bleiben würden, obwohl die wollten, weil wir dort keinen gesehen haben, der KISSIN‘ DYNAMITE versteht, die Botschaft versteht und die Mucke kapiert. Denn ich sag dir ganz ehrlich: Es kommt am Ende des Tages nicht darauf an, bei welchem Label du bist, sondern es kommt nur darauf an, wer für dich zuständig ist. Da hatten wir kein gutes Gefühl mehr und das beendet. Dann waren wir labelfrei und das sollte erstmal so bleiben, weil ich ganz in Ruhe diese Platte schreiben wollte, ohne dass mir wieder die Businessfraktion im Nacken sitzt und sagt „Guck mal auf die Uhr, in drei Wochen ist Abgabe.“ Ich wollte genau wie bei „Ecstasy“ ganz in Ruhe, ohne Druck von außen Musik schreiben. So nach der Hälfte der Platte haben wir langsam angefangen, im Musikbusiness zu verlauten, dass wir gerade labelfrei sind und etwas suchen. Da kamen schnell Angebote und mit Napalm hat es sich schlicht und ergreifend am besten angefühlt.

Interpretationsspielraum tut gut

Die Veröffentlichung von „Not The End Of The Road“ steht jetzt kur bevor. Als erste Single hattet ihr den Titelsong veröffentlicht. Der ist wohl als euer Statement zur Corona-Krise zu verstehen, oder?

Das schöne ist, was wir festgestellt haben und so nicht auf der Pfanne hatten: Den interpretiert jeder für sich in seine ganz persönliche Krise. Ich habe den nämlich als Bewältigung meiner persönlichen Krise geschrieben, sag ich ganz ehrlich. Und das war eine Geschichte, die unschön ist, aber erzählenswert. An dem Abend, als Andi seinen Bandaussteig verkündet hat, gings uns nicht so dolle und mir relativ scheiße. Am nächsten Morgen war ich bockig, traurig, enttäuscht – es war ein Mix aus schlechten Gefühlen. Da hat mich meine Freundin gefragt, wie es mir geht und was ich mit dem Tag anfangen würde. Da habe ich relativ bockig gesagt: „Keine Ahnung, aber ich schreib heute sicher keinen Song.“ Und die Ironie der Geschichte ist, dass ich gar nicht anders konnte. Ich habe es vorhin schon angedeutet. Aus diesem Cocktail der schlechten Gefühle wurde Trotz so nach dem Motto „Fuck, nein, KISSIN‘ DYNAMITE gibt nicht auf, wir machen weiter und kommen stärker zurück als jemals zuvor.“ Das hat wirklich so einen positiven Aufwind bekommen. Mir hat sich die Zeile förmlich aufgedrückt. Aus „This is not the end“ wurde „This is not the end of the road.“ Ich habe den Song innerhalb von einer paar Stunden geschrieben und abends war er fertig. Als wir den Song fertig hatten, wussten wir, das ist ein wichtiges Statement, zum einen als Signal an die Fans bezüglich unseres Fortbestehens, denn die Frage, ob wir weitermachen, hing ja in der Luft. Das wollten wir mit diesem Song klären. Und zum anderen haben wir extrem viele Nachrichten bekommen, teilweise sogar über das Radio, dass der Song ganz vielen Leuten hilft, sei es wegen Depressionen, der Pandemie, dem Verlust des Partners oder einem Beziehungsaus. Es ist unglaublich. Und es ist natürlich das allergrößte Kompliment für einen Künstler, wenn du mit einem Song nicht nur Erfolg hast, sondern auch noch Menschen helfen kannst. Für uns war das eigentlich eine Art Selbsttherapie.

KISSIN‘ DYNAMITE erzählen Geschichten aus dem Leben

Eine weitere Single war relativ zeitnah „What Goes Up“. Wenn ich den Text richtig verstehe, handelt der Song davon, nie mit sich zufrieden zu sein. In Verbindung mit dem Video kann man ihn auch als Geschichte über das stetig Auf und Ab im Leben einer Rockband lesen. Inwieweit ist das autobiografisch inspiriert?

Du hast es super getroffen. Ich möchte aber trotzdem eine dämlich witzige Anekdote kurz vorweg erzählen. Der Refrain, so wie er ist, viel mir am Flughafen ein. Ich hatte nichts zu tun und den Flugzeugen beim Starten und Landen zugeschaut und dachte so, es ist doch logisch, alles, was hochgeht, muss auch wieder runterkommen. Natürlich habe ich dann kein Lied über Flugzeuge geschrieben, sondern das als eine Art Pseudo-Lebensweisheit verpackt. Für mich hatte es die Bedeutung, dass du im Leben alles erreichen kannst, was du willst, das überall als erstrebenswert angepriesen wird, beispielsweise eine fette Butze, ein schönes Haus, fettes Auto, tolle Freundin mit dicken Titten und so. Aber im Endeffekt bringt dir das gar nichts und macht dich auch nicht glücklich, denn sonst würden sich nicht so viele Superreiche das Leben nehmen. Diese Tragik haben wir in dem Song natürlich ironisch verpackt, wir prangern ja nicht bitterböse das Leben per se an, aber diese Tragik kennt jeder von uns und ich glaube, auch jeder da draußen. Man strampelt sich ab, gibt viel von sich und fällt doch auf die Fresse. Das passiert manchmal. Der Protagonist im Song ist drogensüchtig und versucht High-Gefühle durch Substanzen zu erzeugen, aber merkt, dass das nicht das wahre ist und er selbst das Problem ist. Es ist die Geschichte eines „shattered Rockstars.“

„Für mich steckt in dem Song und in dem Video eine ganze Menge Schmerz“

Als ihr im vor der Veröffentlichung der Single ein Bild aus dem Video veröffentlicht habt, auf dem du inmitten von einigen leicht bekleideten Frauen zu sehen warst, gab es online in den Kommentaren den Vorwurf des Sexismus, obwohl die Leute weder das Video noch den tatsächlichen Inhalt des Songs kannten. Wie gehst du damit um, wenn Menschen schon so ein hartes Urteil fällen, ohne das Werk wirklich zu kennen?

Das dürfen sie. Das ist deren Meinung, das lese ich, höre ich mir an und muss ich mir auch gefallen lassen. Wir haben ehrlich gesagt nicht darüber nachgedacht, wem das gefallen könnte, weil uns das, ganz ehrlich, scheißegal ist. Wir hatten einfach nur eine geile Zeit haben. Der Song ist typisches 80er-Jahre-Stadion-Riffing, da war uns klar, das Video muss nicht kleckern, sondern klotzen. Wir wollten auch, dass es nicht billig aussieht, sondern fett daherkommt. Wir hatten unserem Videoproduzenten so salopp die Idee in den Raum geworfen, das doch auf Malle zu drehen, mit der Erwartungen, dass dann zurückkommt, dass es zu Teuer ist und nicht ins Budget passt, aber dann überraschend die Zusage bekommen. Und die Mädels, die darin zu sehen sind, sind tatsächlich alles Freundinnen und Bekannte von uns, die wir haben einfliegen lassen. Wir haben drei schöne Partytage da verbracht. Das Video hat also einen ehrlichen Kern. Dass das Video mit Klischees beladen ist, wollten wir genauso haben. Sex, Drugs and Rock’n’Roll sagt man so schön. Dass das 2021 nicht jedem gefällt und manch anderem sogar extrem aufstößt, haben wir nicht mit einbezogen, aber selbst, wenn wir es einbezogen hätten, hätten wir es trotzdem gemacht.

Okay. Ich fand aber auch im Blick auf den Inhalt des Songs war das gar kein Abfeiern dieser Klischees, sondern man kann das auch anders interpretieren.

Genau. Für mich steckt in dem Song und in dem Video auch eine ganze Menge Schmerz, das ist für mich nicht so etwas wie „Party Like Tomorrow Is The End Of The World“ von STEEL PANTHER, sondern hat einen tragischen, wahren Kern und das kommt im Video schön raus. Es geht nicht nur darum, irgendwelche Mädchen flachzulegen.

„Wir wollten noch mehr machen.“

In unserem Gespräch zu „Ecstasy“ hatte ich damals etwas scherzhaft gefragt, ob Gastsängerinnen auf KISSIN‘ DYNAMITE-Alben jetzt zur Tradition werden. Da hattest du noch gesagt, ihr würdet es nur machen, wenn ihr das Gefühl habt, dass es passt. In „Good Life“ sind jetzt gleich zwei Gastsängerinnen zu hören und auch Alea von SALTATIO MORTIS. Wie kam es dazu und möchtest du noch etwas zur mit dem Song verbunden Charity-Aktion erzählen?

Das ist uns sehr wichtig, da muss ich ein bisschen ausholen. 2009 wurde ein Junge, Tobias hieß er, aus unserem Nachbardorf krank. Er hat die Diagnose Leukämie bekommen. Wir waren geschockt, er war in unserem Alter und quasi in unserer Heimat. Es hätte genauso gut einen von uns treffen können. Wir wollten einfach etwas machen und haben ein Benefizkonzert veranstaltet, dessen Einnahmen wir an ihn und seine Familie gespendet haben. Bei Leukämie musst du deinen Bluttyp bei der DKMS für eine mögliche Spende registrieren lassen und das ist der einzige Weg da raus. Du musst einen Spender finden und das ist extrem selten. Dementsprechend haben wir uns selbst typisieren lassen und unsere Fans bei dem Konzert und auch danach, dazu aufgerufen, sich typisieren zu lassen. Am Ende konnte Tobias wirklich geholfen werden. Er hat einen Spender gefunden und ist heute gesund. Dieses kleine Wyunder hat uns nicht losgelassen. Wir haben gemerkt, wir konnten was tun, wir wollten was und es hat funktioniert. Wir wollen uns nicht anmaßen, wir hätten den entscheidenden Stein ins Rollen gebracht, denn darum geht es nicht. Trotzdem haben wir das über die Jahre weiter forciert, und zwar mit einem Verein, der hier in Tübingen sitzt, dem Förderverein für krebskranke Kinder Tübingen e.V., ganz in der Nähe meines Wohnorts und dem meines Bruders. Für die haben wir im vergangenen Jahr einen Mitschnitt unseres Auftritts beim Summer Breeze 2019 kostenlos gestreamt und dazu aufgerufen, an den Förderverein zu spenden. Das lief gut, aber wir wollten noch mehr machen. Wir wollten einen Charity-Song schreiben und die Einnahmen daraus direkt an den Förderverein spenden. Damit das nicht nur unsere Fans mitbekommen, sondern möglichst viele, haben wir uns entschieden, die Muckerkumpels zu fragen, die wir über die Jahre getroffen haben und wertschätzen. Das waren am Ende eben Jörg Roth von SALTATIO MORTIS, Charlotte Wessels von ex-DELAIN und Guernica Mancini von THUNDERMOTHER. Letztere hat sogar selbst schon eine Krebsdiagnose hinter sich. Daraus haben wir mehr oder minder einen bunten Song gemacht, der die Leute dazu bewegen sollte, mal wirklich darüber nachzudenken, ob man nicht selbst etwas machen kann. Das haben wir in ein schönes Video verpackt, damit die Botschaft klar wird, dass einzelne nicht unbedingt etwas bewirken können, es sei denn du bist Milliardär und spendest zehn Millionen an jemanden, aber das ist nicht Botschaft, die wir nach draußen bringen wollen, sondern dass wir als Gemeinschaft wirklich was reißen können. Das soll zum Nachdenken anregen und jeder Erlös aus Single soll gespendet werden.

Abrechnung mit der Snobgesellschaft

Dann mal zu einem Song, der vielleicht nicht ganz so ernst zu verstehen ist. „No One Dies A Virgin“ ist mir als Titel direkt ins Auge gefallen. Wie ist der Song denn gemeint?

Du kennst ja Kurz Cobain. Der hat mal gesagt: „Nobody dies a virgin.“ Ich glaube, damit hat er gemeint, dass es egal ist, wie sehr du dich abstrampelst, egal was für eine dicke Villa du besitzt und egal, wie sicher zu dich fühlst: Am Ende fickt dich das Leben. Ob es durch eine plötzliche Krankheit ist, ob du pleite gehst oder einfach durch die Tatsache, dass du am Ende stirbst. Das Leben fickt dich auch im übertragenen Sinne. Das ist natürlich alles wieder höchst ironisch. Aber wir rechnen sarkastisch mit der Snobgesellschaft ab. Da haben wir über die Jahre gerade in Businesskreisen viele Leute kennengelernt und fanden die nicht so super.

KISSIN‘ DYNAMITE halten Rock’n’Roll am Leben

In „All For A Halleluja“ heißt es „Rock’n’Roll is still alive.“ Da möchte ich natürlich gar nicht widersprechen. Trotzdem habe ich mich gefragt, inwieweit in diesem Statement ein gewisser Trotz gegen die aktuelle Musiklandschaft steckt. Wenn man sich insbesondere die weltweiten Singlecharts anschaut, spielt Rockmusik da gefühlt kaum noch eine Rolle und vor allem jüngere Menschen interessieren sich da gefühlt immer weniger für und legen ihren Fokus eher auf andere Genres.

Ja, da ist die Definitionssache wichtig. Für uns ist Rock’n’Roll am Leben, weil es immer noch uns und andere Bands gibt, die ihn spielen. Da ist nicht wichig, wie viele Leute das hören. Solange ihn Leute spielen, ist Rock’n’Roll am Leben. Punkt. Im Übrigen ist uns auch kackegal, ob das Mainstream ist oder nicht. Wenn wir richtig Kohle hätten machen wollen, wären wir keine Musiker geworden, sondern Bänker oder so und hätten Leute übers Ohr gehauen. Und selbst wenn wir trotzdem Musiker geworden wären, hätten wir HipHop gemacht oder Schlager oder sowas. Aber da das nicht unsere Motivation ist, sondern Rockmusik im Stile der 80er Jahre, also BON JOVI, SCORPIONS, DEF LEPPARD und so weiter, unsere Passion ist, machen wir eben das. Doch es freut uns natürlich, wenn das einen gewissen Erfolg hat. Das ist alles geil zu sehen. Aber das ist nicht die Grundmotivation, aus der wir uns dafür entschieden haben.

Welche Rolle spielen die von dir erwähnten Bands denn heute noch für euch? Zu „Money, Sex & Power“-Zeiten habt ihr noch sehr plakativ die 80er-Glam-Metal-Keule geschwungen, sowohl im Image als auch musikalisch. Heute habt ihr euch davon etwas weiterentwickelt.

Weiterentwicklung trifft es, weil es vergleichbar ist mit Erwachsenwerden im allgemeinen Sinne. Geschmäcker und Sichtweisen verändern sich eben. Früher stand ich total auf Nutella-Brot. Heute mag ich das nicht mehr. (lacht) Ich glaube, so platt ist das. SCORPIONS sind trotzdem nicht weniger als meine Helden. Die begleiten mich, seit ich fünf oder sechs Jahre alt war. Das ist meine Lieblingsband und die höre ich auch heute noch gerne. Wir müssen nur jetzt leider zum Schluss kommen, gleich geht mein nächstes Interview los. Aber eine Frage mach ich noch.

KISSIN‘ DYNAMITE schaffen den Dreh aus der Krise

„Not The End Of The Road“ ist für mein Gefühl euer bislang schlüssigstes Gesamtwerk. Auf vorherigen Platten gab es oft einige Songs, die richtig hervorstachen und den Rest überschatteten. Diesmal hat jeder Track seinen Platz. Seid ihr anders an das Songwriting herangegangen, um das zu erreichen?

Erstmal freut mich das, das nehme ich erstmal als Kompliment wahr.

Absolut.

Danke. Ich kann das nur bestätigen. Auch wenn das jetzt geschwollen klingt, geht es mir ebenso mit dem Album. Es repräsentiert ein bisschen das Leben selbst. Es ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen. Es ist auch mal scheiße und man ist traurig. Insofern ist es unser ehrlichstes Album, weil all diese Emotionen in den Songs einen Raum bekommen haben. Das Album ist über zwei Jahre erstanden, mit der Pandemie, den Auf und Abs, persönlichen Umstrukturierungen und der persönlichen Lebensgeschichte jedes Einzelnen verändert sich so viel jeden Tag und dass mal ehrlich zuzulassen, zu akzeptieren und in Songs zu verarbeiten, ist für mein Gefühl sehr erwachsen und deswegen klingt das Album so rund. Wenn du den letzten Song „Scars“ anhörst, endet er recht offen und etwas tragisch. Wenn du die Platte dann von vorne anhörst, bekommt es mit „Not The End Of The Road“ einen Dreh aus der Krise in den Optimismus und das ist für mich ganz entscheidend, denn das ist der Kreislauf des Lebens.

Quelle: Foto: Holger Fichtner & Patrick Schneiderwind
20.01.2022

"Irgendeiner wartet immer."

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