Immortal - Diabolical Fullmoon Mysticism

Review

1991 kam ein Wind auf in Norwegen und 1992 entfesselten unheimliche Mächte aus Blashyrkh diesen zu einem Sturm, der über die Welt hinwegfegen sollte. Nein, IMMORTAL waren nicht die erste Nordmänner, die auf die Idee kamen, Black Metal zu spielen. MAYHEM zum Beispiel waren früher, die schwedischen Nachbarn BATHORY auch. Aber: Deren erste Gehversuche sind noch deutlich im First-Wave-Black-Metal zu verorten. Die zweite Welle hingegen traten andere Protagonisten aus (hauptsächlich) Oslo und Bergen erst 1992 los. Mittendrin: IMMORTAL und ihr legendäres Debüt „Diabolical Fullmoon Mysticism“.

Was wir heute meinen, wenn wir „Black Metal“ sagen

Denn erst im März erschienen das selbstbetitelte BURZUM-Debüt sowie DARKTHRONEs „A Blaze In The Northern Sky“, mit dem sich letztere von der Death-Metal- zur Black-Metal-Band wandelten. EMPERORs legendäre Demo „Wrath Of The Tyrant“ hingegen erblickte erst zehn Tage nach „Diabolical Fullmoon Mysticism“ das Licht der Welt. Chronologisch stehen IMMORTAL also inmitten einer Entwicklung, welche die Welt des extremen Metals für immer verändern würde.

Wenn wir uns einmal mehr vor Augen führen, was für ein verdammt gutes Jahr 1992 für den Black Metal war, ist klar: IMMORTAL gehören zu den ganz frühen Grundsteinlegern der Zweiten Welle, mitverantwortlich für das Allermeiste, was danach noch kam. Klar: 1991 gab es schon zwei Demos der Band, und auch die anderen genannten Akteure (Ausnahme: EMPEROR) hatten vorher schon mal was veröffentlicht. 1992 ist aber schließlich das Jahr, in dem dieses obskure Ding aus Norwegen sich mit Full-Length-Alben und Plattenverträgen über die Welt ausbreiten sollte: Ring frei für die ersten legendären Alben jener Spielart, die wir heute meinen, wenn wir „Black Metal“ sagen.

Bei IMMORTAL gibts mehr Musik und weniger Skandale

Wo genau sich „Diabolical Fullmoon Mysticism“ im Vergleich mit „Burzum“, mit „Wrath Of The Tyrant“, mit „A Blaze In The Northern Sky“ einordnet – darüber lässt sich vortrefflich streiten. Dass IMMORTAL mit ihrem Debüt Genregeschichte geschrieben haben und mindestens denselben Einfluss auf das Geschehen hatten, wie die anderen genannten Bands, ist hingegen nicht wegzureden. Das schafft das Trio, das damals aus Abbath, Demonaz und Drummer Armagedda bestand, übrigens ganz ohne die üblichen Querelen der norwegischen Szene. Weder haben IMMORTAL mit Kirchenbrandstiftungen zu tun, noch mit Mordfällen oder Rechtsextremismus. In ihren Texten besingen sie Satan nicht aus Überzeugung (und, ähm, tun auch nicht so als täten sie es), sondern vom Horror-/Dark-Fantasy-Standpunkt aus. Im Gegensatz zu den anderen Bands ist das Trio also deutlich weniger skandalträchtig – dem Erfolg stand das nicht im Wege. Möglicherweise gilt sogar das Gegenteil.

„Diabolical Fullmoon Mysticism“: Musikalisch böser als das Image der Band!

Sind IMMORTAL also die Vorzeige-Schwiegersöhne der frühen norwegischen Black-Metal-Szene? Ähm, vielleicht. Musikalisch aber nicht, wie beim Genuss von „Diabolical Fullmoon Mysticism“ schnell klar wird. So kommt das Debüt der Herren im Vergleich mit dem 1993er-Nachfolger „Pure Holocaust“ noch etwas roher daher. Dass Olve „Abbath“ Eikemo und Harald „Demonaz“ Nævdal zuvor in den Death-Metal-Bands AMPUTATION und OLD FUNERAL gespielt haben (unter aanderem mit anderen Szenegrößen wie einem gewissen Kristian Vikernes oder Jørn Inge Tunsberg von HADES ALMIGHTY), ist im Sound des Albums fast noch ein wenig zu erahnen, klarer auf jeden Fall als es später auf „Pure Holocaust“ und dessen Nachfolgern sein wird. Mit dem ungestümen Beginn von „The Call Of The Wintermoon“ und dessen getriebenem Mittelteil – inklusive Gitarrensolo, das auch gut in die Erste Welle gepasst hätte – machen IMMORTAL trotzdem klar: Das, was wir euch jetzt auf „Diabolical Fullmoon Mysticism“ um die Ohren hauen, trägt nicht nur böse Namen, es klingt auch böse.

Das Hauptriff von „Unholy Forces Of Evil“ bietet im Anschluss an den Opener die Blaupause für jedes uninspirierte „Lass mal wie Norweger klingen“-Riff der 2000er. IMMORTAL sind jedoch nicht nur die ersten, die’s gemacht haben, sondern auch die besten: Mit den wenigen gespielten Tönen eine solche Abwechslung zu bringen wie in „Unholy Forces Of Evil“, ist eine Kunst für sich. Ganz klar einer der Höhepunkte von „Diabolical Fullmoon Mysticism“. Mit „Cryptic Winterstorms“ packen IMMORTAL daraufhin ihre atmosphärische Seite aus: Akustikgitarren geleiten in den Song und kommen immer wieder hervor, weder kreischen die Gitarren noch knüppelt das Schlagzeug, stattdessen dürfen die repetetiven Akkordfolgen, untermalt von Abbaths fiesem Keifen, ihre volle Wirkung entfalten.

„Cold Winds Of Funeral Dust“ geht den Weg der kryptischen Winterstürme weiter, beginnt erstmal mit einem stampfenden Midtempo-Riff. Insgesamt ist der Song jedoch weniger abwechslungsreich als sein Vorgänger, lediglich gegen Ende ziehen IMMORTAL einmal das Tempo an. Auch „Blacker Than Darkness“ macht das Midtempo zu seiner Maxime und kann wohl als so etwas wie der Hit der Platte gelten.

Zum Schluss von „Diabolical Fullmoon Mysticism“ wird es dann nochmal episch – nicht episch im Wikinger-, sondern im Frühneunziger-Black-Metal-aus-Norwegen-Sinn. „A Perfect Vision Of The Rising Northland“ ist ein Neunminüter, der mit Akustikgitarre anfängt und schließlich in ein IMMORTAL-typisches Mainriff samt für diese Platte so wichtigem Midtempo-Rhythmus überleitet. Im Mittelteil wird es schließlich melodisch, ein Keyboard legt flächige Sphärensounds unter Abbaths Krächzen, das sich mit verzerrten Spoken-Words-Passagen abwechselt. Im letzten Drittel packen IMMORTAL eine melodische Tremolo-Leadgitarre aus, die zwar noch deutliche Anklänge eines Solos hat, aber schon mal vorwegnimmt, was wenige Jahre später ein Trademark des Black-Metal-Genres sein wird.

Klanglich nimmt „Diabolical Fullmoon Mysticism“ einen ähnlichen Weg wie „Burzum“ und „A Blaze In The Northern Sky“ (mit ersterer Scheibe teilt sie sich schließlich auch einen Produzenten). So geht es ein Stück weit sumpfig zu, die klirrenden Höhen sind noch nicht so weit in den Vordergrund gearbeitet, wie es später im Black Metal Usus sein wird, die Gitarren haben Bass und auch das Schlagzeug einen gewissen Wumms. Dabei klingt das IMMORTAL-Debüt allerdings noch ein Stück sauberer und weniger dreckig als die genannten Vergleichsalben, fast ein wenig in Richtung des zwei Jahre später erscheinenden MAYHEM-Debüts „De Mysteriis Dom. Sathanas“. Nicht nur in Sachen Image sind IMMORTAL also sozusagen die Saubermänner der norwegischen Szene.

Ein Wegweiser für IMMORTAL, ein Wegweiser für den Black Metal

Aber wo steht „Diabolical Fullmoon Mysticism“ nun – im Kontext seiner Zeit einerseits und als einer der unumwerflichen Klassiker des Genres andererseits? Im Rahmen der IMMORTAL-Diskografie ist es auf jeden Fall ein guter erster Hinweis darauf, wohin es später mit der Band gehen würde. „Pure Holocaust“ ist ein wenig ungestümer und melodischer, „Battles In The North“ ist eingängiger – und trotzdem zeigt „Diabolical Fullmoon Mysticism“ bereits all das, was die Band später ausmachen wird, mindestens im Keime.

Im Vergleich mit anderen Bands bleiben ja eigentlich nur die zeitgleich ihre Debüts veröffentlichenden Truppen. So ist das von IMMORTAL weniger unberechenbar, ja sogar etwas geradliniger als DARKTHRONEs „A Blaze In The Northern Sky“. Es ist auch weniger wild als die frühen EMPEROR-Gehversuche und weniger chaotisch als das MAYHEM-Frühwerk. Es hat mehr Melodie als die meisten zeitgleich erscheinenden Black-Metal-Alben, aber weniger als das BURZUM-Debüt. Irgendwo in der Mitte all dieser Platten sortieren sich IMMORTAL mit „Diabolical Fullmoon Mysticism“ ein, haben dabei eine Menge Hit-Potenzial an Bord und machen wirklich rein gar nichts falsch.

Warum es für das Album trotzdem „nur“ neun von zehn Punkten gibt? Weil knapp anderthalb Jahre später, am 1. November 1993, „Pure Holocaust“ erschien und in fast jeglicher Hinsicht noch einen drauflegte. Wer übrigens mit dem Album an sich nichts anfangen kann, der sollte doch zumindest das Video zu „Call Of The Wintermoon“ lieben:

13.07.2022
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