Iron Maiden - Senjutsu

Review

Schon klar: Der Rhythmus in dem IRON MAIDEN zuletzt Alben veröffentlicht haben, ist mit den ungestümen Anfangsjahren nicht zu vergleichen. Zumal die Nachfrage den Markt bestimmt und eines sind Maiden-Fans zweifellos: Erwartungsfroh und geduldig. Allzu schwer kann einem das wiederum nicht fallen, denn zu fast jedem Neuling erscheint alsbald ein Live-Album der dazugehörigen Tour. Für ausreichend Content zwischen den Platten ist also gesorgt. Und jetzt – inmitten einer weltweiten Pandemie – veröffentlichen die Veteranen, die Begründer eines Sub-Genres, diejenigen, die jungfräuliche und unschuldige Jugendliche millionenfach zum Heavy Metal verführt haben, quasi im Handumdrehen und doch nach immerhin sechs Jahren mit “Senjutsu” das heiß ersehnte, siebzehnte Studio-Werk. Das allein ist Grund genug, die Platte ordentlich zu sezieren und die Songs in dieser Rezension einzeln unter die Lupe zu nehmen.

IRON MAIDEN machen es asiatisch

Nach den sehr progressiven Pfaden, die man auf “The Final Frontier” noch beschritten hatte, stellte “The Book Of Souls” eine aktuelle Reinkarnation der Ägypten-Saga “Powerslave” im lateinamerikanischen Gewand dar. Auf dem Cover zu “Senjutsu” wird man von einem grimmig grinsenden Eddie in Gestalt eines Samurai begrüßt, womit man sich also wieder mit einer gewissen Ethnie befasst hat. Der Titeltrack lässt sich beim ersten Hören allerdings keineswegs mit asiatischen Klängen und Melodie-Mustern in Verbindung bringen und schleppt sich unerwartet heavy durch seine über acht Minuten Spiellänge. Im letzten Teil biegen sich die äußeren Mundwinkel des Hörers unwillkürlich nach oben, denn immerhin wechselt das Main-Riff in eine Art Powerslave-Testimonial, während ein düsteres Solo und noch düsterere Keyboards über die Flanken kommen.

Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen

Reminiszenzen werden auch mit dem folgenden “Stratego” geweckt. “Fates Warning” vom ungeliebten “No Prayer For The Dying” feiert im Pre-Chorus ein kleines, sehr starkes Revival, während sich der Track im Tanzmuskel reizenden Mid-Tempo eingroovt. Speziell der instrumentale Mittelteil besitzt wieder die orientalisch angehauchte IRON-MAIDEN-Dynamik, die für Freunde der 1980er Ära nicht fehlen darf. Spätestens mit dem bereits bekannten “The Writing On The Wall” beweisen die Briten dann, dass sie durchaus in der Lage sind, ihre Musik auch von – im positiven Sinne – Klischees zu befreien und ein stampfendes Country-Beat-Intro aufzufahren. Erklänge dabei eine Lap-Steel oder Resonator-Gitarre in offener Stimmung, es könnte sich auch um eine moderne Heavy-Southern-Rock-Nummer handeln. Mit dem breit angelegten Chorus wirft Bruce Dickinson allerdings den Haken aus und zieht den Hörer in sicheres Maiden-Fahrwasser zurück. Auch der Melodie-Teil könnte live zu Tränen rühren, wenn abertausende Menschen inbrünstig einstimmen. Leider ist die Stelle etwas zu kurz geraten, um dauerhaft Bestand zu haben.

Wohlbekannte Trademarks und einige Überraschungen

Auch der klassisch balladesk anheimelnde Schmachtfetzen in Form von “Lost In A Lost World” fehlt nicht, wobei mit dem recht käsigen Auftakt nach gut zwei Minuten Schluss ist und der Song glücklicher Weise in das zielführende Format des klassischen Maiden-Genickbrechers schlüpft. Die Gitarren klingen unheimlich hart und rau, die Stimme wird teilweise mit einem Panorama verbreitert, was vielleicht zu dick aufgetragen ist. Bruce Dickinson klingt noch immer wie ein zwanzigjähriger und zeigt eine fast schon einschüchternde Präsenz. Und dann kommen sie endlich: Die Twin-Guitars, die sich harmonisch in einer, zugegeben recht vorhersehbaren, dafür aber auch einfahrenden Melodie duellieren. Dennoch kennt man in diesem Kontext bessere Tracks aus der Epic-Schmiede der Band (“Fear Of The Dark”, “Alexander The Great”). “Days Of Future Past” ist ein Song, den man auf “Somewhere In Time” sicherlich nicht als Überraschung erlebt hätte und bietet einen wirklich großartigen Chorus. An den nicht gerade bescheiden eingesetzten Keyboards werden sich Old-School-Maiden-Heads sicherlich stören, haben sie nämlich einen noch höheren Stellenwert als seiner Zeit auf “Seventh Son Of A Seventh Son”.

“Senjutsu” ist eines der dunkelsten IRON-MAIDEN-Alben

Auch mit “Time Machine” frischen IRON MAIDEN wieder durch einen a-typischen Auftakt den Output auf. Keyboards und sehnsüchtig tragende Gitarren gehen eine Symbiose mit der Nicko-McBrain-Maschine und Dickinsons Harmonien ein. Zum zweiten Drittel hin nimmt der Song eine rhythmisch unberechenbare Wendung, die man in dieser Form nur von eben dieser Band kennt. Die Solo-Parts finden dreigeteilt statt, was natürlich zur Besetzung passt. Puristen nörgeln ja gern an Janick Gers und seinem Beitrag herum. Der Mann bedient die sechs Seiten mittlerweile allerdings schon rund dreißig Jahre für IRON MAIDEN und gerade in solchen Momenten wie hier werden alle individuellen Trademarks wunderbar ausgespielt. Die jeweilige Rhythmusarbeit macht “Time Machine” vielleicht zum Höhepunkt der gesamten Platte. “Darkest Hour” schiebt sich dann wieder ähnlich bedrohlich wie “Wasting Love”, einer der besten “Fear Of The Dark”-Songs durch die Boxen.

Eine Werkschau über die frühe und mittlere Schaffensperiode der Band

Die letzte halbe Stunde auf “Senjutsu” setzt sich gleichzeitig aus den letzten drei Songs zusammen, die jeweils die Zehn-Minuten-Marke überschreiten. Das Intro zu “Death Of The Celts” gehört Bandchef Steve Harris allein, wobei der gezupfte Bass ein wenig brillanter als gewöhnlich klingt. Parallel wird das Arrangement zunächst nur durch Keyboards und Vocals ergänzt. Die später einsetzenden Gitarren scheinen erneut mit schwerer Bewaffnung bestückt zu sein, klingen sie ungewohnt präsent und hart im Vergleich zum ansonsten stets präsenten Bass. Gleichzeitig fabuliert man ob der Tragweite dieser Komposition in Erinnerung an “The Clansman”, womit auch der Blaze-Bayley-Phase Tribut gezollt wird.

Würde das anschließende “The Parchment” auf den Namen “Powerslave II” hören, es würde wohl niemanden überraschen. Nicht etwa, weil sich der Song in irgendeiner Art mit dem Original vergleichen ließe. Die morgenländischen Melodien lassen den Hörer aber unwillkürlich unter einem imaginären Himmelszelt im Wüstensand liegen, während hie und da ein paar Sternschnuppen vorüberziehen. Ein wenig störend wirkt dabei lediglich das durgehend tönende Keyboard.

Einen Abschluss findet “Senjutsu” dann mit dem sehr getragenen “Hell On Earth”, das im Vergleich den beiden vorgenannten Tracks in Sachen Dynamik und Epik in nichts nachsteht. Zwar zerrt die über zwei Minuten dauernde Aufwärmphase an den Nerven, weil erneut flache Keyboard-Klänge auf dieser Strecke eine ätzende Frequenz treffen. Ein wenig Geduld lohnt sich aber, denn im geliebten Galopp-Rhythmus beginnt der eigentliche Song und beschwört die alten Geister aus der IRON-MAIDEN-Hit-Schmiede. Peu à peu baut sich aber ein Arrangement auf, dass wieder untypisch für die Briten wirken mag, auch wenn klammheimlich alle Markenzeichen addiert werden. Jedenfalls ist “Hell On Earth” eine wunderbare Laut-Leise-Nummer, die aber nicht unbedingt am Ende dieser opulenten Veröffentlichung stehen müsste.

IRON MAIDEN melden sich mächtig zurück

Auf “Senjutsu” werden Freunde jeder jeweiligen Band-Epoche mindestens einen Song für das IRON-MAIDEN-Mix-Tape finden. Doch besonders die drei Alben vor dem Sängerwechsel scheint sich die Band vor den Aufnahmen noch einmal besonders unter die Lupe genommen zu haben. Die Produktion  und der Klang sind zeitgemäß, auch wenn man das Maiden-typische, sehr organisch abgestimmte Teamplaying jederzeit spürt. Mit einer ambitionierten Spielzeit von über achtzig Minuten, hat das Album natürlich seine Längen, auch wenn sich objektiv gesehen kein Füller darauf befindet. Nach zwei bis drei Durchläufen hat man die besten Melodien für ausgelassenes Mitsingen schon wieder vergessen, was den Hörer dazu verpflichtet, sich eingehend mit “Senjutsu” zu beschäftigen.

Eine echte Schwachstelle bilden die dauerhaft und eindimensional eingesetzten Keyboards. Es mag an der Soundwahl liegen und vielleicht auch an den Noten im höheren Frequenzbereich. Aber schlussendlich werden diese sehr naiv bedienten Tasten den mächtigen Liedern und dieser Band einfach nicht gerecht.

27.08.2021

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