Katatonia - Night Is The New Day

Review

Wie Donner brechen die Gitarren über mich herein und bezeugen: das Warten hat ein Ende. KATATONIA, deren letztes Release immerhin schon drei Jahre zurückliegt, veröffentlichen mit „Night Is The New Day“ ihr nunmehr achtes Studioalbum. Acht Alben, zehn Jahre Zusammenarbeit mit Peaceville Records und 18 Jahre Bandbestehen; Zahlen, die sich sehen lassen können, die für sich sprechen. Passenderweise sind die Schweden schon seit 18 Jahren im Geschäft, haben damit ihre „Volljährigkeit“ erreicht, kurzum: sind erwachsen geworden.

„Night Is The New Day“ präsentiert KATATONIA tatsächlich als eine gereifte Band, eine erwachsene Band, die ihren Stil gefunden hat. Mehr noch: Mit „Night Is The New Day“ bringen KATATONIA ihren eigenen Stil endgültig zur Perfektion. Das Album sei immer noch 100% KATATONIA, versicherte mir Jonas Renkse, es sei nur hochauflösender, habe mehr Megapixel. Wer den Werdegang der Band verfolgt hat, wird bereits erahnt haben, wie „Night Is The New Day“ klingen könnte. Die Schweden setzen das, was sie auf „Viva Emptiness“ eingeführt und mit „The Great Cold Distance“ vertieft haben, im Grunde konsequent fort. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich auf ihren Lorbeeren ausruhen und bei dem verweilen, was in der Vergangenheit gut funktionierte; es bedeutet, dass die Band unaufhaltsam nach vorn prescht, in die Richtung, die sie als richtig erachtet. Was heißt das im Klartext? Es heißt, dass KATATONIA immer noch nach KATATONIA klingen – und dennoch völlig neue Seiten zeigen. Die Songs werden immer noch geführt durch die Wechsel harter, lauter, brachialer Momente und ruhiger, melodischer, atmosphärischer Passagen. Die Gitarren sind weiterhin dominant, zaubern sowohl grandiose Melodien, als auch nackenbrechende Ohrwurmriffs. Die – in einigen Songs mit extrem viel Hall und Chorus versehene – Stimme Jonas Renkses ist weiterhin das Markenzeichen.

Was also gibt es auf „Night Is The New Day“ Neues zu entdecken, was nicht die beiden Vorgänger schon lieferten? Als erstes fällt auf, dass KATATONIA dieses Mal weit mehr elektronische Elemente in ihre Musik einfließen lassen als jemals zuvor; teilweise über fünf Synthesizerspuren auf einmal tragen die Songs, bilden – nebst den Gitarren – ein Gerüst, auf dem die Songs schweben. Das eröffnet neue Horizonte, entführt den Hörer in zuvor unbekannte Klanglandschaften: Momente, wie der entzückende Gitarrensolopart bei „Consternation“ finden sich auf dem neuen Album weitaus häufiger. Das klingt teilweise fast nach Post-Rock, obwohl ich KATATONIA dieses Label nicht aufdrücken möchte. Ich bin allerdings gespannt, ob sich das auch live adäquat umsetzen lässt.

„Night Is The New Day“ ist das wohl komplexeste Album, das die Band je schuf. Die Songs wirken viel feiner gearbeitet, weit filigraner und passagenweise auf eine beinahe komische Art und Weise, die von der Band selbst mit starken Riff- und Gitarrenwandboliden ad absurdum geführt wird, fragil. KATATONIA erzeugen die Spannung in ihren Songs auf eine viel subtilere Art und Weise, als es ehemals auch nur denkbar gewesen wäre. Dadurch gewinnen die Songs eine wertvolle und besondere Schönheit, wirken verblüffend und irisieren.

Wer jetzt denkt, KATATONIA hätten ihren Biss verloren, und schwelgten nun nur noch in schönen Melodien, der irrt natürlich gewaltig. Es gibt weiterhin – und hier wiederhole ich mich, aber es kann gar nicht deutlich genug gesagt werden – diese fantastischen KATATONIA-Momente, die, man denke hier etwa an den Refrain von „Evidence“, in voller Härte mit laut aufgedrehten Gitarren auf den Hörer hereinbrechen, und ihn gleichsam bei der Hand nehmen und emotional berühren. Diese Momente sind zwingend. Vielleicht ist das das Geheimnis der Band, des Albums: KATATONIA sind zwingend. Der Hörer, der mit dem Stil grundlegend etwas anfangen kann, kann der Band kaum entgehen. Es erscheint unmöglich, sich nicht mitreißen zu lassen, nicht zu träumen, nicht laut mitzusingen, oder nur andächtig dazusitzen, wenn KATATONIA zu Höchstform auflaufen.

Auf „Night Is The New Day“ sind diese ganz besonders wertvollen Momente in einer solchen Häufigkeit vertreten, wie ich es zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Das macht das Album nicht nur zu dem komplexesten und reifsten Werk der Band, sondern zu dem besten seit „Brave Murder Day“.

Wenn in „Idle Blood“ der Song nach einem kurzen Intro beinahe in media res beginnt und den Hörer ab der ersten Sekunde mitreißt, hinfortspült wie eine Flutwelle, wenn der Refrain von „Liberation“ sich schon beim ersten Hören irreversibel ins Gehör einbrennt und damit der vielleicht stärkste Ohrwurm seit „Evidence“ ist, wenn bei „New Night“ Gitarren und Gesang in perfekter Synchronität den Atem rauben, wenn bei „Inheritence“ ein völlig organisch eingewebter Streicherpart entzückt und wenn der Hörer bei „Day & Then The Shade“ schließlich vor seinem geistigen Auge über neue Welten fliegt, dann bleibt kein Auge trocken und es wird klar: „Night Is The New Day“ ist genau das Album geworden, das man sich erhofft hat. „The finale is almost too much to bear.“, schreibt OPETH-Frontmann Mikael Åkerfeldt über den letzten Song „Departer“, und hat damit absolut Recht. Wenn Krister Linder dem wohl zerbrechlichsten KATATONIA-Song seit „Day“ seine Stimme leiht, dann ist es beinah zu viel, um es zu ertragen.
Um „Night Is The New Day“ führt kein Weg herum; es ist ein Muss für jeden KATATONIA-Fan.

25.10.2009
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