Rage - Afterlifelines

Review

Satte 40 Jahre sind RAGE nun schon als Band aktiv (wenngleich zu Beginn freilich noch unter dem Namen AVENGER) und dürfen sich somit zu den absoluten Urgesteinen der Metal-Szene zählen. Dabei ist ihnen das Kunststück gelungen, sich immer wieder neu zu erfinden, ohne die eigenen Kernkompetenzen aus den Augen zu verlieren. Insofern darf man sich auch 2024 noch über ein neues Studiowerk der aktuell wieder als Trio agierenden Formation um den in Würde ergrauten Bassisten und Sänger Peter „Peavy“ Wagner freuen.

Das erste Doppelalbum in der RAGE-Diskografie

Mit „Afterlifelines“ legen RAGE erstmals ein echtes Doppelalbum vor, das ziemlich clever die beiden Gesichter der janusköpfigen Band in Szene setzt. Die erste Scheibe – „Afterlife“ – perfektioniert jenen fetten Power-Metal-Sound mit harscher Thrash-Attitüde und subtilen Prog-Akzenten, den RAGE nach dem Weggang von Gitarrenvirtuose Victor Smolski auf den letzten vier Alben zur Entfaltung gebracht haben. Im zweiten Teil – „Lifelines“ – veredeln dagegen Orchesterarrangements die Songs, ohne die eigentliche Band aber so weit in den Hintergrund zu drängen wie in der Vergangenheit bei den Experimenten unter dem „Lingua Mortis“-Banner geschehen.

Was das Songwriting angeht, spielen RAGE ihre im Laufe von vier Dekaden erworbene Routine gekonnt aus. So wirkt das Doppelalbum trotz seiner knapp anderthalbstündigen Spieldauer angenehm kompakt und kurzweilig. Jedes Riff sitzt genau da, wo es hingehört, überflüssige Füllelemente gibt es keine. Auch der zehnminütige Longtrack „Lifelines“ und das folgende „Interlude“, welches aus einer orchestralen Aneinanderreihung bekannter Melodien aus der Bandhistorie besteht, geben sich in dieser Hinsicht keine Blöße und vermeiden lästige Längen.

Crowdpleaser und künstlerische Bankrotterklärung

An Hits mangelt es „Afterlifelines“ nicht. RAGE hatten schon immer ein feines Gespür für starke Melodien und fügen ihrem Repertoire mit Krachern wie „Under A Black Crown“, „Justice Will Be Mine“ oder dem fast schon in STRATOVARIUS-Sphären wildernden „Curse The Night“ weitere Perlen hinzu, die sich als Crowdpleaser für künftige Konzerte empfehlen. Vollkommen unverständlich bleibt jedoch, warum „Under A Black Crown“ kein vernünftiges Ende spendiert bekommen hat – einen Song einfach auszufaden, ist im Grunde eine künstlerische Bankrotterklärung und einer Band wie RAGE absolut unwürdig!

Das bockstarke Songmaterial tröstet über diesen kleinen Makel glücklicherweise schnell hinweg. Mit einer brutal ehrlichen No-Bullshit-Attitüde ersticken RAGE sämtliche Gedanken an die Musikerrente im Keim. Natürlich merkt man Peavys Stimme sein fortgeschrittenes Alter an, sein rauhes Organ weiß der charismatische Frontmann aber noch immer gekonnt in Szene zu setzen und atmet nach wie vor den erdigen Straßenkötercharme des heimischen Ruhrgebiets. Mit Gitarrist Jean Bormann und Drummer Vassilios „Lucky“ Maniatopoulos weiß er darüber hinaus zwei technisch versierte Mitstreiter hinter sich, die dem Bandkopf stets songdienlich den Rücken stärken und auch als Backgroundsänger eine gute Figur machen.

RAGE haben den Finger am Puls der Zeit

Textlich knüpft „Afterlifelines“ da an, wo der Vorgänger aufgehört hat. „Resurrection Day“ bildete einen Streifzug durch die Menschheitsgeschichte ab, während „Afterlifelines“ nun den Schritt von der Vergangenheit über unsere krisenschwangere Gegenwart in eine düstere Zukunft macht. Dabei liegt der Fokus auf Umweltverschmutzung, menschlicher Gier, Artensterben und dem Klimawandel. Den Krieg in der Ukraine haben RAGE hingegen zum Anlass genommen, mit „Dying To Live“ eine eindringliche Antikriegsballade abzuliefern, die als unmissverständlicher Stinkefinger in Richtung des Autokraten Wladimir Putin gelesen werden darf.

So bleiben RAGE auch nach vierzig Jahren Bandgeschichte relevant und liefern einmal mehr zeitgemäße Power-Metal-Kost ab, die die eigenen Wurzeln lustvoll abfeiert, ohne auf das verlockende Abstellgleis der selbstreferenziellen Nostalgieschiene umzuschwenken, auf dem bereits so viele alternde Rockbands zu Grabe getragen wurden und noch immer werden. Von der Rente sind Peavy und seine Mannen somit noch weit entfernt – wenn auch vermutlich leider keine weiteren vierzig Jahre.

27.03.2024
Exit mobile version