Rammstein - Liebe Ist Für Alle Da

Review

Nach vier Jahren Pause verewigen sich RAMMSTEIN mit elf Songs erneut auf einem Silberling, der mit Sicherheit auch diesmal wieder mindestens in sechsstelliger Höhe verkauft wird, und das, obwohl die Zuhörer vorgeben ein feines Gespür dafür zu haben, wann es nur um plumpes Heischen nach Aufmerksamkeit geht und wann um mehr. Der Grund kann nicht mit instrumentaltechnischer, sängerischer oder schöpferischer Begabung verbunden sein, denn – soviel sei vorweggenommen – RAMMSTEIN spielen RAMMSTEIN, auch auf „Liebe Ist Für Alle Da“, sondern der Erfolg der Band liegt in einer nahezu perfekten, zu einem Großteil perfiden Mischung von Provokation und Hitcharakter.

Dass RAMMSTEINs Marketingstrategen die Sensationsgier des Publikums ganz offensichtlich auch diesmal nicht überschätzt haben, machte bereits vorab die Single-Veröffentlichung zu „Pussy“ und der dazu gehörenden Fleischbeschau sowie eine an Geschmacklosigkeit grenzende Werbekampagne klar: Die Welt zerreisst sich die Mäuler über (Un)Sinn und Geschmack und sich verwischende Grenzen von Perversität und Kunst. Den Berliner Herren jedenfalls hat das jede Menge Aufmerksamkeit beschieden. Die Rechnung scheint aufzugehen.

„Wer wartet mit Besonnenheit / Der wird belohnt zur rechten Zeit. / Nun das warten hat ein Ende / Leiht euer Ohr einer Legende.“

„Rammlied“ startet mit mystischen Chören, dem üblichen Gitarrendonner, scharf akzentuiert und mit fast schon krampfhaft wirkender Selbstgefälligkeit, eine Art „Rammstein“-Remake, auch wenn diesem Song dessen brachiale und minimalistische Gewalt fehlt, die textlich („Stacheldraht im Harnkanal…“) spätestens in der folgenden Sado-Maso-Hymne „Ich Tu Dir Weh“ zur Geltung kommt, genauso wie der RAMMSTEIN-typische, wuchtige Rhythmus, der sich letztendlich auch in den darauffolgenden Tracks wiederholt.

Als würde eine Liste abgehakt, folgt bald eine von zwei Balladen in gewohnter „Seemann“-Manier: „Frühling In Paris“ gefällt dabei nicht nur, weil sich der Song im Verlauf theatralisch steigert und mit überraschend gut vorgetragenem Französisch („Je ne regrette rien“) überzeugt, sondern Freunden echter Chanson-Kunst garantiert den Magen umdrehen lässt. Das macht Spaß, während die zweite Ballade („Roter Sand“) einfach nur langweilt. Auch die Hommage an Bertolt Brechts Dreigroschenoper oder die Aufarbeitung zum Fall Josef Fritzl in „Wiener Blut“ sind (eigentlich) nicht der Rede wert.

Wirklich überraschen können letztendlich nur zwei Songs: Das mit Waldhornklängen beginnende und als Ganzes sehr gehetzt klingende „Waidmanns Heil“, das mit einer ruhigen aber extrem rhythmischen Passage vor jedem brachialen Refrain daherkommt, und das sozialkritische „Mehr“, das sich gegen die neoliberale Umverteilung wendet.

„Die Anderen haben so wenig / Gebt mir auch das noch / Die brauchen’s eh nicht.“

Obwohl Till Lindemann das „R“ mal wieder rrrichtig rrrollt, provozieren oder schockieren viele Texte einfach nicht mehr so, wie sie es vor zehn Jahren noch getan haben. Die martialische Art und Weise des Debüts, die mit Abstrichen auch noch bis „Mutter“ zu hören war, ist völlig abhanden gekommen und macht auf Album Nummer Sechs, wie bereits auf den beiden vorherigen Alben, einer schaurig-schönen Gruselromantik Platz, die sich teilweise sogar ins Lächerliche verzerrt: Die Band klingt gezähmt, der Gesellschaft entsprechend einer durch Einwirkung der Medienberichterstattung und Internet 2.0 sinkenden Hemmschwelle gegenüber Sex, Drogen und Gewalt angepasst und ist, trotz gewissen Pop-Appeals, auch weiterhin nicht für den Mainstream geeignet. Überhaupt wird kaum noch klar, wo RAMMSTEIN aufhört und die Parodie auf RAMMSTEIN anfängt.

„Am Ende gibt es doch ein Ende.“

17.10.2009
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