Testament - The New Order

Review

Hat eine Band bereits ein paar Alben veröffentlicht, ist es häufig das Debüt, das in den Herzen der Fans einen besonderen Platz einnimmt. Die Band habe nie mehr die Frische und das Unverbrauchte dieser Initialzündung erreicht, heißt es dann oft. Dass bei stilistisch ähnlichen Scheiben dann auch Vergleiche mit hineinspielen, ist unbestreitbar: Dieser Song klingt ein bisschen wie der von der ersten Platte, jener ist ähnlich aufgebaut wie dieser. Anderen Fans ist wiederum die Entwicklung wichtig – die Songs sind vielleicht ausgeklügelter und die Musiker insgesamt besser geworden. Was folgt sind leidenschaftliche Diskussionen darüber, welche Platte man denn jetzt bevorzugt. TESTAMENT-Fans geht es selbstverständlich genauso: Während die einen das Debüt „The Legacy“ von 1987 vergöttern, sehen andere beim Nachfolger „The New Order“ (erschien nur ein knappes Jahr später) die reifere Anlage.

„The Legacy“ oder „The New Order“? Oder doch beide?

Dass unter dieser Klassikerreview zu „The New Order“ nicht beispielsweise die Höchstwertung steht, liegt allerdings an ganz anderen Gründen als dieser Grundsatzdiskussion – daran ist nicht das Debüt und gewiss nicht die Präferenz des Rezensenten schuld. Und zunächst holen die fünf Jungs auch zum ganz großen Thrash-Rundumschlag aus. Die ersten vier Songs, „Eerie Inhabitants“, der Titeltrack, „Trial By Fire“ und „Into The Pit“, gehören zweifellos zum Besten, was der Bay-Area-Thrash je zu bieten gehabt hat – ganz unabhängig davon, ob da schon ein Album von TESTAMENT draußen war oder nicht.

Da gibt es fettes und ausgeklügeltes Riffing sowie häufige Tempowechsel. Da gibt es eindringliche und etwas kranke Melodien sowie aberwitzige Gitarrensoli von Alex Skolnick (man höre nur einmal den Beginn von „Trial By Fire“). Und da gibt es die alles beherrschende Stimme von Fronthüne Chuck Billy. Die Songs sind hart und groovig zugleich, und wer bei den Gangshouts bei „Into The Pit“ nicht die Fäuste recken und mitbrüllen möchte… nun ja. Dass danach mit „Hypnosis“ ein eher verhaltenes Instrumental kommt, sieht mancher schon als Minuspunkt; aber muss man doch zugeben, dass es stimmungsmäßig zu den Songs vorher perfekt passt.

Die zweite Albumseite (ja, damals war Vinyl noch das vorherrschende Medium) wird wiederum durch ein sanftes Instrumental eingeleitet, bevor die Band mit „Disciples Of The Watch“ und „The Preacher“ noch einmal ordentlich die Thrash-Keule schwingt. Dreschend im ursprünglichen Wortsinn und ausgeklügelt zugleich – so wie es eben nur wenige wie TESTAMENT können und konnten.

TESTAMENT schwingen ordentlich die Thrash-Keule …

Was danach folgt, ist allerdings dann auch der Grund dafür, warum „The New Order“ in seiner Gesamtheit nicht die Pole Position im Thrash Metal erreicht: Der AEROSMITH-Song „Nobody’s Fault“ wird zwar in der TESTAMENT-Version ein wenig eingethrasht, will aber einfach nicht zum Rest des Albums passen – und ist auch nur ein mäßig cooler Song. Das gilt tendenziell auch für „A Day Of Reckoning“, das aber immerhin mehr nach den Jungs aus Oakland, Kalifornien klingt. Und das abschließende „Musical Death (A Dirge)“ ist wieder ein Instrumental, das so klingt, als hätte man es in erster Linie aufs Album genommen, damit Alex Skolnick noch einmal zeigen darf, was er an der Gitarre kann.

So spektakulär „The New Order“ also anfängt, so unscheinbar plätschert es aus. Das ist natürlich einigermaßen schade, denn die Band hatte nach dem Debüt noch nicht ihr Pulver verschossen, sondern den eigenen Stil weiter verfeinert.

… und lassen zum Ende hin nach

Was danach kam, ist allgemein bekannt: Album Nummer drei, „Practise What You Preach“, konnte nicht mehr an die kreativen Höhenflüge anknüpfen, mit „Souls Of Black“ waren TESTAMENT aber immerhin rechtzeitig zur (europäischen) Clash Of The Titans-Tour am Start, einem der letzten Thrash Metal-Höhepunkte, bevor Grunge und Rock ihren Siegeszug antraten. Nach dem 1992er-Album „The Ritual“ zerfiel jedoch das Original-Line-Up, und für TESTAMENT begann eine lange Durststrecke, die erst Mitte der 2000er-Jahre endete. Für lange Zeit waren es also vor allem „The Legacy“ und eben „The New Order“, die besonders positiv im kollektiven Thrash-Gedächtnis geblieben sind. Bleibt also noch, ebenfalls das Debüt in diesem Rahmen zu würdigen – Herr Rothe, bitte übernehmen Sie!

12.06.2019

- Dreaming in Red -

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