The Ocean - Heliocentric

Review

Als die Menschheit (besser gesagt: ein Großteil davon) langsam erkannte, dass die Erde (und damit auch der Mensch) nicht im Mittelpunkt des Universums steht, veränderte sich das Denken grundlegend. Die wissenschaftlichen Beweise für dieses neue Weltbild waren und sind innerhalb ernst zu nehmender Fachkreise unangefochten gültig, dennoch gibt es immer noch Leute, für die die Welt gerade einmal 5000 Jahre alt ist, von Gott in sieben Tagen erschaffen wurde und der Mensch die Krone der Schöpfung ist. Gerade dieser Bevölkerungsgruppe haben sich THE OCEAN in diesem Jahr angenommen. “Heliocentric“ ist nur der erste Teil eines erneuten Doppelalbums, von dem der zweite Teil, “Anthropocentric“ im Herbst erscheinen wird.

Und auch für THE OCEAN ist ein neues Zeitalter angebrochen. Vorbei sind die Zeiten, zu denen zwanzig Musiker als “Kollektiv“ agierten, vorbei die Zeit des “Oceanlands“, dem alten, umgebauten Keller einer U-Boot-Fabrik. Auch vorbei sind die Zeiten des ungestümen Hardcore, wie er zu “Aeolian/Fluxion“-Zeiten regierte und auf “Hadean/Archaean“ Teil eins von “Precambrian“ noch präsent war; was von früher bleibt, ist das unverkennbare Gefühl, dass THE OCEAN seit jeher vermitteln. Nur diesmal ohne Geschwindigkeitsräusche, auszuckenden Schreipassagen oder ausufernden Frickeleien, sondern subtiler, hintergründiger, ja fast schon intellektueller. Eingängigere Melodien und Hooks sowie klare Gesänge stehen weiter im Vordergrund als noch auf “Proterozoic“ und gleich drei extrem ruhige Stücke mit überwiegend klassischen Instrumenten haben es auf die Scheibe geschafft. Aber keine Angst: Auch wenn sich THE OCEAN ein Stück weit vom Krach entfernt haben, ist dieses Album immer noch hart genug, um alte Fans zu begeistern!

Details besitzt “Heliocentric“ eine Menge, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Songs nicht nur von Robin Staps, dem ehemaligen Alleinherrscher der Band, geschrieben wurden, sondern Loic (Vocals), Jona (Gitarre), Louis (Bass) und Luc (Drums), die nun wirklich eine Band bilden, ebenfalls ihre Einflüsse und Ideen spielen ließen. Dieser Reichtum führt auch dazu, dass der Einstieg in dieses Album ein wenig schwieriger ist als zu den doch mehr geradeaus agierenden letzten Releases. Keine Angst: es lohnt sich trotzdem, dem Album seine Zeit zu geben, denn hier wird thematisch und musikalisch Großes geboten.

Textlich geht “Heliocentric“ recht chronologisch vor: die Erschaffung der Erde und der Gestirne aus biblischer Sicht steht am Anfang, darauf folgt ein Sprung zu Kopernikus, der erkannte, dass das Ptolemäische Weltbild, nach dem die Erde im Mittelpunkt des Universums steht, falsch sein musste. Der Verfolgung dieser aufgeklärten Denkweise durch die Kirche wird ebenfalls Platz eingeräumt, bis das Album schließlich mit Darwins Lehre von der Evolution und Richard Dawkins aufgeklärtem Atheismus beschlossen wird. Dass sich diese letzten beiden Songs “The Origin Of Species“ und “The Origin Of God“ das Hauptriff teilen erweist sich schon beim ersten Hören als absoluter Geniestreich, da der textliche Zusammenhang auf der Hand liegt, sich die zwei Stücke aber in völlig unterschiedliche Richtungen entwickeln.

Wer die Band ein wenig kennt, der weiß auch, dass einförmiges Songwriting absolut nicht mit THE OCEAN zusammenpasst. So findet man hier vom überlangen, dynamischen Epos (“Firmament“, “The Origin Of Species“) zu recht kompakten, ruhigen Stücken (“Epiphany“, “Catharsis Of A Heretic“) viel Abwechslung und vor allem ein sehr zusammenhängendes, organisches Gefüge zwischen zart und hart, inklusive aller Schattierungen dazwischen (was ja früher nicht immer selbstverständlich war). Geschichten, historische wie biblische oder auch ganz persönliche, werden von der Musik sehr treffend untermalt, ohne einem Zwang zu gewissen Stilen zu folgen. So finden neben bekannten klassischen sogar jazzige Klänge ihren Weg auf das Album.

Als einzigen kleinen Kritikpunkt kann man anführen, dass die klassischen Instrumente nicht immer effektiv genug eingesetzt werden, sondern recht oft nur das Notwendigste spielen. Hier könnte man die Möglichkeiten noch etwas mehr ausloten. Dennoch ist es THE OCEAN gelungen, genau den richtigen Weg zu gehen und das letzte Überalbum “Precambrian“ nicht zu kopieren, sondern weiter zu entwickeln. Freunde anspruchsvoller Musik kommen nicht um “Heliocentric“ herum!

26.03.2010
Exit mobile version