Powerwolf
Am Stammtisch zu POWERWOLFs "Blessed & Possessed"

Special

Powerwolf

POWERWOLF kündigen neue Beute für ihr Rudel an, ein herrlicher Anlass mal am metal.de-Stammtisch über Sinn und Unsinn zu quatschen. Über Pandabären, „Phallus Sanctus Pornus“, die Frage ob POWERWOLF überhaupt noch zeitgemäß sind und die Frage, ob man im Metal lachen darf. Und falls ja, über was und wen? Das zänkische Quartett, bestehend aus El Endres (EE), Florian Schörg (FS), André Gabriel (AG) und Nadine Schmidt (NS), hat sich darüber (mehr oder weniger sachlich) ausgetauscht.


NS: Floh, leg mal los, was ist dein Lieblings-POWERWOLF-Song und wie stehst du zu der Truppe?

FS: Als alter Progger müssten die mir ja eigentlich viel zu stumpf sein, aber leider machen sie ihre Sache so verdammt gut, dass ich sie insbesondere live ziemlich abfeiere. Lieblingssong? Puh, das wechselt, aber ob „Resurrection By Erection” oder „Sanctified With Dynamite” – sooo groß sind doch die Unterschiede auch wieder nicht…

NS: André, wie sieht es bei dir aus? Du hörst auch Unterschiede und heulst gerne mit?

AG: Da ich überwiegend Black Metal höre, wurde ich natürlich schwarzmagisch vom Corpsepaint angezogen. Mich haben POWERWOLF zum ersten Mal einfach live überzeugt auf einem Festival, die Bierseligkeit hat ihr Übriges getan. Und ich habe sogar einen Lieblingssong: „Dead Boys Don’t Cry”. Das mit den Unterschieden ist allerdings so eine Sache. Eigentlich hört man die nur, wenn man das Debüt mit allem anderen vergleicht, nach dem ersten Album klingt vieles … sagen wir ähnlich.

NS: Die folgende Feststellung ist kein Scherz – ich höre minimale Unterschiede. Attila singt kratziger, in „Christ & Combat” stoppt der Song kurz und es gibt einen freigestellten Bass , nicht mehr nur durchgedrücktes Gaspedal und die Keyboards sind präsenter und fetter, fiel euch das auch auf?

EE: Ich will auch sagen, was mein Lieblingssong ist, ihr Saufköpfe! Mir hat es ganz besonders „Son Of A Wolf” angetan, für mich einer der perfektesten Metalsongs ever. Geiles, eingängiges Riffing, tolle Hooks, das Ding geht sofort ins Blut und ist einfach ’ne Meisterleistung. Erkennt man sowohl alkfrei als auch mit zwei Promille im Kopf. Was die Unterschiede allgemein anbelangt – POWERWOLF haben trotz der unüberhörbaren Einflüsse ihre eigene Schublade gefunden und damit Erfolg. Den Fans gefällt’s, ihnen scheint es auch zu gefallen, weshalb überhaupt was ändern? Auch das neue Album ist im Prinzip negativ überspitzt formuliert wieder dasselbe wie zuvor. Ich finde, POWERWOLF haben ihren Stil weiter verfeinert, die Soli sind noch geiler, die Riffs zündender, sie haben einfach am bewährten Rezept festgehalten. Geil! Außerdem waren RUNNING WILD früher meine Lieblingsband, ich stehe einfach total auf diesen Stil und auf das Festhalten an Bewährtem – wenn es um traditionellen Metal geht.

FS: Das mit den Unterschieden sagt sich auch so leicht dahin. Im Endeffekt kann man das ja auch sehen wie bei AC/DC: Die Jungs haben ihren Stil gefunden und bleiben dem treu, da muss man auch das Rad nicht neu erfinden. Die Songs sind ja trotzdem klasse und natürlich nicht völlig austauschbar.

AG: Da gebe ich dir total recht, zumal ich es eh schätze, wenn ich mich auf eine Band verlassen kann. CANNIBAL CORPSE zum Beispiel, da weiß man immer, dass man auf so ziemlich die gleiche Art und Weise aufs Maul bekommt, herrlich. So sehe ich das bei POWERWOLF auch, nix verkehrt dran. Und klar, wenn man detailliert analysiert wie du bei „Christ & Combat”, dann findet man auch hier und da Unterschiede, aber auf der anderen Seite würde man auch mindestens genauso viel Gemeinsamkeiten oder gar extrem ähnliche Passagen etc. finden, die POWERWOLF so schon mal veröffentlicht haben. So ging es mir beim Hören der neuen Scheibe jedenfalls.

EE: Stimmt, aber vielleicht nicht ganz so krass wie bei MANOWAR, Hail And Kill!

AG: Ach pff, MANOWAR, dann hört euch lieber MAJESTY an! Sorry, falls hier Offtopic nicht erwünscht ist. ^^

NS: Endres, du hast die neue POWERWOLF tatsächlich als Metal-Party-Platte des Jahres bezeichnet. Große Worte, fass‘ doch mal kurz zusammen, wie du zu dieser Feststellung kommst?

EE: Sehr gerne, die Dame, haha! „Blessed & Possessed” zeichnet sich wie die Alben zuvor durch eine extreme Eingängigkeit aus, die aber keinesfalls billig wirkt. Das sind richtig starke Riffs, tolle Melodien, hervorragender Gesang, wunderbar untermalende Orgel, Mitsing-Texte und -Refrains, Chöre, das Ding hat einfach alles, was ein nahezu perfektes traditionelles Metalalbum benötigt. Live zünden POWERWOLF sowieso und verwandeln egal ob Festival oder Konzert das Ganze zu einer lustigen und gleichzeitig kraftvollen Party, und die neuen Songs sind wieder einmal dafür prädestiniert, live gespielt zu werden. Wäre das Album vor 20 Jahren herausgekommen, wäre die Platte auf unseren Partys auf Dauerrotation gelaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass 2015 noch ein Album rauskommt, das dieses Gute-Laune-Metal-Party-Feeling übertrifft. Zum Wohl!

NS: „Wäre das Album vor 20 Jahren herausgekommen, wäre die Platte auf unseren Partys auf Dauerrotation gelaufen….” was meinst du damit, sind POWERWOLF irgendwie nicht mehr zeitgemäß?

EE: Also klar ist der Stil grundsätzlich eher 80er, aber das meinte ich damit nicht. In gesetzterem Alter feiert man weniger richtige Metalpartys, zumal viele schon Kinder haben. Aber das Feuer, die Euphorie ist noch da. Und das spüre ich auch immer wieder, wenn ich POWERWOLF auflege.

NS: Eure Prognose – klettert das Ding wieder auf Platz 1 der deutschen Charts?

FS: Boah, möglich ist das, die Qualität würde schon passen. Das hängt aber vor allem auch von den sonstigen Veröffentlichungen – gerade im Mainstream-Bereich – ab, die da parallel erscheinen werden. Hat einer von euch eine Ahnung, mit was die Wölfe da diesmal konkurrieren? Könnte das vielleicht sogar der Grund für die kurzfristige Verschiebung um eine Woche nach hinten gewesen sein? Oder ist das jetzt nur eine Verschwörungstheorie?

AG: Ich finde die neue Platte besser als „Preachers…“, daher gehe ich zwangsläufig davon aus, dass das kommen wird, ja. Natürlich hat mein werter Vorredner recht, da spielen auch noch Variablen mit rein, die man jetzt nicht so beurteilen kann. Aber meine Prognose lautet ganz klar: Platz 1.

EE: Da könntest du vielleicht tatsächlich recht haben. Ich denke aber, dass „Blessed & Possessed” durchaus von Haus aus das Zeug hat, ganz nach oben in die Charts zu klettern. Wer klassischen Metal liebt, kommt dieser Tage an POWERWOLF einfach nicht vorbei, und das scheinen offensichtlich doch einige zu sein. Dann spielt es POWERWOLF natürlich in die Hände, dass Metalfans tatsächlich noch Musik kaufen, was in anderen Genres ja nicht mehr so stark der Fall ist. Dadurch kommen trotz allgemein sinkender Verkaufszahlen Metalalben mittlerweile recht hoch in die Charts.

NS: Soweit ich weiß, sind weitere große Namen mit dem gleichen VÖ-Datum nur CRADLE OF FILTH und KATAKLYSM, beides keine Konkurrenz. Jetzt gibt es aber viele Truppen im Metal, die einen auf lustig machen und ganz ordentlich spielen können. Irgendeinen Grund muss es doch geben, dass gerade POWERWOLF auch an die Spitze der Charts kommen?

EE: Stimmt, CRADLE OF FILTH sind wirklich lustig, haha, Spaß beiseite, da gibt es natürlich einige. Ich finde POWERWOLF haben die richtige Mischung aus Humor/Ironie und Image einerseits, aber auch richtig zündenden Metalhymnen andererseits. Die Songs sind so supereingängig, aber eben auch nicht zu kitschig. Und man kommt sich auch mit Ende 30 nicht zu albern vor, wenn man euphorisch mitsingt. Ich denke, POWERWOLF sprechen ein recht breites Publikum an in unterschiedlichen Altersklassen.

AG: Also zunächst einmal wird hier nicht gegen CRADLE gebasht, ja, haha! Bei POWERWOLF spielt die Sympathie eine ganz wichtige Rolle, denke ich. Die Band liefert puren Kitsch, natürlich gut gespielt und so weiter, aber eben Kitsch, die sind dabei aber unheimlich sympathisch und das Ganze wirkt charmant. Davon abgesehen ist die Hit-Dichte auf jedem Album einfach enorm.

EE: Dani Filth stinkt, haha. Zum Teufel mit Flanders!

FS: Hence the name… haha!

Von Pandabärchen und J.B.O.

NS: Endres sagt, „Und man kommt sich auch mit Ende 30 nicht zu albern vor, wenn man euphorisch mitsingt..”, das ist genau der Punkt. Warum eigentlich nicht? Hallo? Die Typen treten als Wölfe auf und singen nur Müll?!

EE: Das ist eben die Kunst! Worte aneinanderreihen, die teilweise völliger Blödsinn sind, und dennoch damit den Humor vieler Fans ansprechen. Die Jungs nehmen sich doch selbst nicht ernst, und ich finde genau DAS kommt so verdammt sympathisch rüber. Wenn Attila während der Ansagen mitten im Satz seinen rumänischen Akzent „vergisst”, auch das ist so eine nette charmante Kleinigkeit.

FS: Warum sollte man sich denn bei POWERWOLF im Publikum alberner fühlen als bei so mancher Pandabärchen-Kapelle, die da auf der Bühne Kreuze anzündet und Tierkadaver schändet? Es ist halt Entertainment und im Grunde gehört das völlig übertrieben theatralische so fest zur Show, dass man da auch als Zuschauer im Kollektiv gerne die ein oder andere Albernheit mitmacht.

NS: Ich glaube, weil manche in das eine, falls du Black Metal meinst, eine Lebenseinstellung reininterpretieren, während das andere nur Quatsch ist?!

AG: Weil Pandabärchen trve sind!

FS: Sorry, aber die erwähnten Pandabärchen kann ich eben auch nicht ernster nehmen als POWERWOLF oder ALICE COOPER. Wenn man genau hinguckt, steckt hinter der Lebenseinstellung halt doch oft genug nur eine Menge heiße Luft und künstlich aufgeblasener Unsinn. Mir persönlich sind da die Bands deutlich lieber, die ihren Unsinn auch offen als solchen darstellen und das als lustiges Entertainment ausleben. Bei LORDI weiß jeder, dass da erwachsene Menschen in Monsterkostümen ein bisserl rumblöden. Gerade im Black Metal wird doch meist nur dasselbe in ein pseudo-spirituelles Mäntelchen gehüllt und den Leuten als ernsthafte Philosophie verkauft.

EE: Anderes Beispiel. J.B.O. wollen auch witzig sein, sind aber tatsächlich nur albern und platt. Früher war es ja ganz lustig, als die noch irgendwelche Coversongs mit albernen Texten gemacht haben. Seit J.B.O. aber verstärkt eigene Songs schreiben, nervt das doch nur noch und driftet in völlig belanglosen Kitsch ab. POWERWOLF sind demgegenüber aber die Summe aus grandiosen Songs und albernen Texten, die man eben auch nicht ernst nehmen darf.

AG: Oft genug vielleicht, aber definitiv nicht in allen Fällen. Und wenn man mit Schminke, Bühnendeko und Verkleidung auf lustige, ironische Weise unterhalten darf, warum sollte man das dann nicht auch auf „böse” Art und Weise tun? Es gibt jedenfalls genug Bands, die auf viele sicherlich albern wirken, das Ganze für sich aber durchaus ernstnehmen.

FS: So lange es die Leute als Entertainment begreifen, finde ich das ja alles okay. Wenn mir aber jemand Tierkadaverschändungen auf der Bühne oder andere billige Effekthascherei als spirituelles Ritual zu verkaufen versucht, finde ich das reichlich lächerlich.

AG: Schändung ist natürlich gleich ein sehr drastisches Beispiel 😀 Aber nimm eine Band wie WATAIN, da kommt der rituelle Charakter durchaus rüber während der Show und das gewiss nicht auf alberne Art und Weise, wie ich finde.

FS: Vor einer Weile gab es bei den Kollegen vom RockHard ein schönes Interview mit Tom Warrior und dem WATAIN-Typen. Da konnte man meiner Meinung nach sehr schön den Unterschied zwischen einem klugen, philosophisch veranlagten Künstler und einem auf billige Schockeffekte und oberflächliche hohle Phrasen setzenden Musiker erkennen.

AG: RockHard, was ist das? Haha! Mag ja sein, dass es da Unterschiede gab in dem Interview, ändert für mich aber nichts an der Tatsache, dass der Mann dem, was er da auf der Bühne macht, durchaus eine Wichtigkeit zuspricht, so kommt es jedenfalls rüber. Und solange dabei niemand zu Schaden kommt, habe ich davor Respekt, egal wie intellektuell jemand in einem Interview wirkt.

EE: Hm, ich finde, POWERWOLF könnten tatsächlich ein Black-Metal-Seitenprojekt starten. Der Wolf gehört ja sowieso zum Black Metal wie das Amen in die Kirche, Halleluja! Die Greywolf-Brüder sind dann eben die Blackwolfs, geschminkt sind sie schon, die Theatralik passt ebenfalls zum Black Metal. Könnte funktionieren. Aber zum Lachen müssen sie dann in den Keller statt auf die Bühne, harhar! Und eurem Lucifer könnt ihr sagen, er soll sich zur Hölle scheren!!

AG: Ja, ein neues Subgenre: Orgel Black Metal!

NS: Wir fassen zusammen – man darf im Metal lachen, aber jeder lacht über etwas anderes. Der Witz ist ja, dass POWERWOLF tatsächlich ein Riesen-Tam-Tam machen und dann aber auf einen Bassisten verzichten?! Eventuell weil es auch zuviel wäre… Was könntet ihr euch zum Thema POWERWOLF noch vorstellen? Eine Wölfin? Eine neue Facette? Die können das doch nicht ewig so durchziehen…

EE: Eine Band besteht eben nun einmal aus Musikern und einem Bassisten – oder wie im Fall von POWERWOLF doch nur Musiker. Tatsächlich könnte ich mir aber durch die Verpflichtung eines Bassisten noch eine minimale Steigerung vorstellen, Live würde da mehr Druck von unten kommen. Ich denke, die werden ihr Ding so weiter durchziehen. Was ich mir vorstellen könnte, wäre ’ne Kooperation mit KING DIAMOND oder GHOST, das wäre sehr passend und einfach fantastisch. Ansonsten, wenn Rock’n’Rolf mal wieder die Segel streicht, wäre wieder Platz für ’ne Band mit Piratenimage. Musikalisch sind sich POWERWOLF und RUNNING WILD ja doch sehr nahe, wobei POWERWOLF mit dem neuen Album eine größere Hitdichte haben als die norddeutschen Piraten zu ihren besten Zeiten. Oder sie wollen sich unbedingt weiterentwickeln und erfinden einen neuen Stil: Post-POWERWOLF?

FS: Prinzipiell lasse ich mich von Bands ja ganz gerne überraschen. Vielleicht schaffen das POWERWOLF ja mit ihrem nächsten Album dann, das aktuelle ist halt einfach mehr vom Gleichen, selbst wenn das noch so gut gemacht ist. Da finde ich die Cover-CD, die sie der Special Edition als Bonus beilegen, vom Grundkonzept her wesentlich spannender. Für manche mag es ja Gotteslästerung sein, wenn sie sich an Stücken von BLACK SABBATH, SAVATAGE oder GARY MOORE vergreifen, aber ich bin mir sicher, dass sie den Songs durch ihren eigenen Stil nochmal einen völlig neuen Twist verpassen können.

 

Quo vadis, POWERWOLF und Corpsepaint im Alltag

NS: Das heißt, ihr könntet euch schon vorstellen, dass POWERWOLF grob den Stil ändern oder irgendwann auch ändern müssen? Dynamite, Blood, Christus, Lupus, Animus, Pray, Religion… man könnte theoretisch auch das Wolfsthema behalten und nur Religion austauschen, mit POWERWOLF ist man ja darauf auch nicht festgelegt.

FS: Ehrlich gesagt, erwarte ich da momentan keinerlei stilistische Änderungen. Dafür funktioniert das Konzept aktuell einfach zu gut. Und wie oben bereits erwähnt, ist das ja auch nichts Schlimmes. Ich bin nur gespannt, was sie tun werden, sollten sich ihr Stil und ihr Image irgendwann abgenutzt haben.

AG: Das sehe ich auch so, siehste, schon sind wir uns wieder einig, hehe. In Nuancen kann man sich natürlich entwickeln, also einem neuen Album durch einen kleinen Kniff eine dezent neue Note verpassen, aber riesige Entwicklungsschritte, die dazu führen, dass sich ein neues Album plötzlich komplett anders anhört als der Vorgänger, warum? Dann kann man auch eine neue Band gründen!

EE: Da sind wir uns wohl alle einig. Ich glaube auch, dass die Band an ihrem Erfolgsrezept erst einmal festhalten wird. Ich kann es mir zumindest momentan nicht anders vorstellen. Aber gegen eine positive Überraschung hätte ich natürlich überhaupt nichts einzuwenden. Aber lasst mir ja die Finger vom Angelo Sasso, sonst gibt es eine Delle in die Gewürzgurke!

NS: Floh hatte eben die Bonus-CD angesprochen, POWERWOLF haben ja jüngst eine Bonus-CD namens „Metallium Nostrum“ gemacht und die dort zitierten Künstler sind auch nicht ernsthafter – AMON AMARTH mit ihrem Wikinger-Klischee, OZZY mit seinem ähm… OZZY-Ding, was rechtfertigt den Anstoß an POWERWOLF? Ist es besser, sich seine Schublade selbst zu schaffen und damit ein Aufsehen zu erregen, das man zumindest steuern kann?

EE: Klar, ich finde es fantastisch, wenn man seine eigene Nische hat. POWERWOLF erfinden ja auch das Rad nicht neu, die musikalischen Einflüsse sind deutlich hörbar. Geschminkte Bands gibt es auch schon lange, Texte die irgendwo was mit Wölfen und der Kirche zu tun haben ebenso, theatralisches Image, nur das POWERWOLF das Ganze auf die Spitze treiben. Das macht Spaß und ist authentisch! Und gerade wir Metaller mögen doch Authentizität! Ist mit jedenfalls lieber, als den zigtausendsten SLAYER-Abklatsch etc. Sein eigenes Ding durchziehen, das finde ich super!

AG: Aber ist etwas so sehr aufgeblasenes wirklich authentisch? Sind nicht gerade die reduzierteren Dinge irgendwie authentischer? Wie gesagt, ich höre POWERWOLF sehr gerne, nur irgendwie ist man da schon in einem Bereich, in dem Image langsam zu einer Marketingstrategie wird, denke ich.

EE: Authentisch deswegen, weil sie ihr Ding mit dem Kopf durch die Wand ohne Rücksicht durchziehen, und der Erfolg kam ja jetzt nicht über Nacht sondern wurde über viele Jahre Stück für Stück aufgebaut. Dass da mittlerweile ein schlüssiges Marketingkonzept dahintersteckt ist klar – wie bei jeder anderen erfolgreichen Band, die entsprechend vermarktet wird.

NS: „…in dem Image langsam zu einer Marketingstrategie wird…” woran machst du das fest, André?

AG: Das mit dem „durchziehen” finde ich auch super, aber ganz so viele Jahre hat es auch nicht gedauert, oder? Gleich beim Debüt hat man mit Nordström zusammengearbeitet, der immerhin schon mit IN FLAMES und HAMMERFALL zu tun hatte, man war bei Metal Blade, Touren mit großen Bands kamen auch recht fix und der erste Wacken-Auftritt hat auch nicht so ewig auf sich warten lassen. Was alles total in Ordnung ist, aber im Vergleich zu anderen Bands doch eher in Richtung Senkrechtstart geht, denke ich. Und das beantwortet dann deine Frage, Nadine: Es ist eben in der Gesamtheit doch ein sehr spezielles Image und Konzept, das letztlich ja auch gut funktioniert hat. Aber das heißt nicht, dass ich denke, dass die vorher ein Jahr lang jeden Tag zusammensaßen und sich das alles haargenau überlegt haben. Aber nur mal das Corpsepaint als Beispiel: Das haben sie aus einem komplett anderen Subgenre übernommen, das fällt natürlich erst mal enorm auf, weil man es in der Regel nicht zu dieser Art von Musik zuordnet, die POWERWOLF spielen. Authentisch wäre es jetzt, wenn die Mitglieder sich allgemein gerne schminken, aber das glaube ich nicht haha

FS: Och, dass die großen Spaß an der Schminkerei und ganz allgemein an den Verkleidungen haben, dass sie sich quasi gerne auf eine Bühne stellen und da ein wenig Theater spielen, das glaube ich schon. Und genauso wenig wie ich von einer Black-Metal-Band erwarte, dass sie außerhalb der Bühne ständig Pandabärchen-Make-Up trägt, sollte man das von POWERWOLF erwarten. Selbst wenn sie die Verkleidungen nur auf der Bühne durchziehen, macht es das für mich nicht weniger authentisch. Ansonsten kamen die Jungs ja aber auch nicht aus dem Nichts. Die Musiker haben davor in anderen, kommerziell weitaus weniger erfolgreichen Bands gespielt und stilistisch ganz andere Sachen gemacht. Natürlich leben die Jungs nun zu einem guten Teil von ihrem Image, aber daraus einen Vorwurf konstruieren zu wollen, läuft meiner Meinung nach halt ziemlich ins Leere. Dass einem bestimmten Image überproportional große Bedeutung beikommt, ist im Musikbusiness eher die Regel als die Ausnahme. Und gerade die Bands, die für besonders authentisch – um nicht zu schreiben: „trve” – gehalten werden, machen sich dessen doch allzu oft in ganz besonderem Maße „schuldig”.

AG: Dass man Corpsepaint auch im Alltag trägt, meine ich auch nicht, hier wirkt es nur eher konstruiert aus meiner Sicht.

EE: Über die genauen Hintergründe, wie es zum Deal mit Metal Blade kam und was die Beweggründe für die weiteren Entscheidungen waren, kann ich nichts sagen. Ich vermute, dass die Verantwortlichen hier viel Potenzial gesehen haben und an den Erfolg von POWERWOLF glaubten. Und die Musikindustrie hatte damals auch noch deutlich mehr Geld auf den Bankkonten zur Verfügung, um eine „neue” Band von der man überzeugt ist, gleich zu pushen.

NS: Mal ganz abgehen vom Image – Ich fühlte mich tatsächlich sehr oft an IRON MAIDEN erinnert, handwerklich kann man den Wölfen aber mal so gar nichts vorwerfen, oder?

FS: Ach, wer das unbedingt will, wird immer technisch bessere Bands, anspruchsvollere und abwechslungsreichere Kompositionen oder meinetwegen auch bessere Entertainer finden. Insofern wird jeder, der das möchte, auch was finden, wofür er die Jungs hassen kann. Ich persönlich sehe aber tatsächlich keinen Grund, ihnen handwerklich was vorzuwerfen, weil das Gesamtpaket einfach absolut stimmig und rund ist und mir keine krassen Defizite störend ins Auge/Ohr fallen. Mehr erwarte ich da doch auch gar nicht.

EE: Dem kann ich mich fast vollständig anschließen. Die Songs sind superarrangiert und gekonnt eingespielt, da gibt es nichts zu bemängeln. Natürlich steht bei POWERWOLF Eingängigkeit im Vordergrund, während IRON MAIDEN ja zumindest teilweise progressiver sind. Also POWERWOLF sind mit Sicherheit stark von IRON MAIDEN beeinflusst, kochen aber ihr eigenes Süppchen.

AG: Richtig, ihre Instrumente und das Songwriting beherrschen sie. Zudem ist es schon auch eine Leistung, aus nahezu jedem Song einen Hit zu machen. Die Eingängigkeit, die Hooks, all das haben die Jungs schon mächtig drauf.

NS: Immer wieder gerne diskutiert – das POWERWOLF-Bingo.“Armata Strigoi“ erinnert mich vom Gitarrensolo her etwas an „Hevenu shalom alechem“, hört ihr noch irgendwo Ähnlichkeiten raus, eventuell auch zu den alten POWERWOLFschen Hymnen selbst?

AG: Ganz ehrlich, vor allem in der zweiten Albumhälfte habe ich ständig diese Déjà-vu-Momente. Ich kann nichts genau sagen, an welche Songs mich die Passagen exakt erinnern, das müsste man mal gezielter analysieren, aber der gemächlichere Teil in „Higher Than Heaven” kommt mir bekannt vor, der Refrain von „Sanctus Dominus” und ein Riff in „Christ & Combat” ebenfalls … und das alles nur auf den POWERWOLF-Musikkosmos bezogen. Daher: Als stimmungsvolle Party-Scheibe grandios beziehungsweise nahezu perfekt, aber wenn sich mal jemand die Mühe macht, das alles haarklein auseinanderzunehmen, dann kann man sicherlich auf so einige Parallelen stoßen.

FS: Ich muss gestehen, dass mir da nichts explizit aufgefallen ist, aber Déjà-Vu-Momente im Hinblick auf die älteren POWERWOLF-Alben kann man nicht leugnen. Ich lehn mich da aber auch eher zurück und genieß die Musik, ohne aktiv nach irgendwelchen Parallelen zu suchen.

EE: Also mal ehrlich – Heavy Metal lebt doch von Zitaten. RUNNING WILD zitieren sich selbst, JUDAS PRIEST und W.A.S.P., LEGION OF THE DAMNED zitieren SLAYER, BLIND GUARDIAN zitieren QUEEN, EREB ALTOR zitieren BATHORY, MANOWAR und POWERWOLF zitieren sich öfter selbst als es andere Bands bei sich tun. Außerdem bin ich BOLT THROWER-Fan, die Meister des Selbstzitats. Alles gut.

NS: Womit wir bei der letzten und alles entscheidenden Frage wäre – Bester POWERWOLF-Song aller Zeiten, auch von denen die noch kommen werden?

EE: Grandiose Frage! Also: „Phallus Sanctus Pornus”, „Wolfnight Preacher”, „Hallelujah Dominus Lupus Kusskuss”, „Heaven Amen Sacristalum”, „The Evil Night Of The Bible Wolf”, „Schwanzus Longus Lupus”, „Pfui Deibel” und natürlich „Ich rrrrrriech dich du Opfer” harhar!

FS: Na der ist garantiert noch nicht geschrieben. Der wird im Jahr 2023 auf ihrem zehnten Album „The Curse of the Returned Big Bad Wolf of Pinksville” erscheinen und auf den grandiosen Namen „Stick it in, Aladdin!” hören. Remember where you read it first!

AG: Das kann nur ein Song mit dem Titel „Powerwolf” sein, der alles, aber auch alles bündelt, was ihren Sound ausmacht … und genauso klingt wie zig andere aus der Diskografie, haha!

17.07.2015
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