The Cancer Conspiracy
"Omega" - eine etwas andere Listening-Session.

Special

Spätestens mit ihrem Debüt-Album „The Audio Medium“ (2002) konnten THE CANCER CONSPIRACY einen Achtungserfolg in der Post-Rock- und Progressive-Rock-Szene erringen. Wie keine andere Band schaffte es das Trio aus Burlington, VT, USA scheinbar spielend, eine völlig eigene Nische zu besetzen, die sich den üblichen Genre-Schubladen verweigert. Das Glück war der Band leider nicht immer hold, und auch das Schicksal meinte es wohl nicht gut, so dass nach einer ganzen Reihe von kleineren Unglücken der größte Schlag kam: Während ihres Touraufenthaltes in New York 2003 wurde der Band der Tourbus und sämtliches Equipment, welches sich darin befand, gestohlen. Schon kurze Zeit später verkündeten Daryl Rabidoux, Greg Beadle und Brent Frattini das Aus von THE CANCER CONSPIRACY. Bald schon verdichteten sich Gerüchte, dass die Band (ohne Frattini, der sich nun DAUGHTERS angeschlossen hatte, dafür mit Johnny Northrup) an neuem Material arbeiten würde, doch jahrelang blieb es bei halbgaren Wahrheiten und Gerüchten. Im späten Herbst des Jahres 2007 war es dann endlich offiziell: Nach zähem Ringen und juristischen Reibereien gelang es, die Band aus Vertragsfängen zu befreien und ihr Vermächtnis, die letzten acht Songs, die sie aufgenommen haben, zu veröffentlichen. Die Metal.de-Redakteure Matthias und Bastian trafen sich zu einer privaten Listening-Session, um zusätzlich zum ebenfalls bei metal.de erschienenen Review ein etwas anderes Licht auf „Omega“ zu werfen. Kopfhörer aufgesetzt, und los geht’s…

The Cancer Conspiracy

[Das Album beginnt… mit „i“…]

Matthias: Das Album wird gleich mit einer enormen Atmosphäre eingeleitet. Sehr fein.

Bastian: Ja… Ich muss da sofort an einen schönen Morgen, in einer sommerlichen Berglandschaft denken, auch wenn das Saxophon nicht unbedingt prototypisch dafür steht – aber hier geht’s ja immerhin um Stimmungen.

Matthias: Ich bin ja in der Regel kein großer Freund von Tröteninstrumenten, aber diese sanften Sax-Töne passen wunderbar.

Bastian: Es ist irgendwie Weite… aber das Ganze könnte auch wunderbar auf eine Großstadt passen, die gerade erwacht.

[„ii“]

Bastian: Ah, die Nummer 2. Dieses Riff weckt für mich sofort Erinnerungen an frühen, amerikanischen Indie-Rock

Matthias: Jo, da gehts gleich etwas flotter zur Sache. Die Drums spielen locker flockig. Genau…Hat was von Indie-Rock.

Bastian: Die frühen Neunziger… da hab ich ein paar feine Underground-Juwelen im Regal, nach denen heute kein Hahn mehr kräht.

Matthias: Geil… die Gitarre. Sehr fein in den Vordergrund gestellt… Der Sound hat fast schon Post-Rock-Kaliber. Dieser leichte Hall…

Bastian: …auch der Bass ist nicht zu verachten… dezent im Hintergrund, aber sehr verspielt. Hat zum Teil Improvisations-Charakter.

Matthias: Stimmt, geil was da abgeht. Der spielt richtig was zum Hinhören und nicht einfach nur stützende Parts. Weißt du eigentlich, warum es keine Track-Namen gibt?

Bastian: Dazu konnte ich leider nichts finden… vielleicht, um aus den Songs über einen kleinen Umweg doch noch so etwas wie ein Konzept herauszuholen. Denn eigentlich haben wir es ja hier mit losen Werken zu tun, „left overs“, die bislang nicht veröffentlicht wurden.

Matthias: Hm ja, könnte sein, obwohl ich das Album recht homogen finde vom Feeling her. Also… die Songs passen wunderbar zusammen, wie aus einem Guss.

Bastian: Geht mir genauso… man würde den Hintergrund des Albums gar nicht vermuten. Das klingt wie aus einem Guß… wie aus einer überlangen Jam-Session.

Matthias: Absolut… Und dann noch mit Anspruch.

[„iii“]

Matthias: Oh, das war’s schon mit Nummero 2… Na dann hören wir mal weiter.

Bastian: Eben noch der leise Ausklang… und mit „iii“ spannungsgeladene Drum-Rolls.

Matthias: Spontan fällt mir auf, wie unverfälscht der Sound ist. Hör dir nur den Wirbel auf der Snare an, der das Lied einläutet… Da wurde nix gedreht oder verfälscht… So klingt einfach eine echte Snare.

Bastian: Als ob man bei der Band im Studio zu Gast wäre.

Matthias: Sehr fein… Die Musik konzentriert sich besonders auf die Gitarren. Die stehen ganz klar im Vordergrund.

Bastian: Jetzt beginnt ein sehr schöner Teil von „iii“.

Matthias: Sehr schön ist trotzdem auch die Drum-Arbeit und natürlich, wie erwähnt, der Bass, aber die Klampfen bilden mit ihren Melodien eindeutig den Mittelpunkt.

Bastian: Ja, und da wir es hier ausschließlich mit instrumentalen Stücken zu tun haben: Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Gitarren fast eine Art instrumentaler Gesang sind.

Matthias: Da ist wieder dieser Hall-Effekt. Sehr fein herausgearbeitet und besonders schön zur Geltung gebracht, dieses verträumte Feeling.
Ja, das klingt gut: Instrumentaler Gesang. Die Gitarren ersetzen fast schon die Gesangslinien.

Bastian: Was TCC alleine in diesem Song an guten Ideen verbraten, würde manchen Bands für ein ganzes Album reichen.

Matthias: Das stimmt allerdings. Besonders stark finde ich auch, wie scheinbar spielend leicht es diese Band schafft, Stimmungen zu erzeugen…

Bastian: …jetzt wird es richtig beschwingt…

Matthias: …und dabei auch noch musikalisch äußerst hochwertig voran geht. Genial, wie mit Hektik gearbeitet wird, ohne dass es nervig klingt.

Bastian: Bei aller Komplexität bleibt die Musik eine überraschend leichte Kost, wie ich finde.

Matthias: Die Jungs haben definitiv einiges auf dem Kasten. Sehr schade, dass sich die Band aufgelöst hat. Weißt du mehr darüber?

Bastian: Ich weiß zumindest, dass es ein paar einschneidende Ereignisse gab, dass ihnen z.B. das gesamte Equipment gestohlen wurde.

Matthias: Wie ärgerlich.

Bastian: …was für eine Band vom Format TCC fast wie eine Bankrotterklärung ist… äußerst hart.

Matthias: Absolut.

[„iv“]

Bastian: …und ganz unbemerkt befinden wir uns schon bei „iv“.

Matthias: Sie haben sich ja fast schon eine eigene Nische erspielt… Ich meine, die Musik liegt irgendwo zwischen Post Rock und Progressive Rock… Absolut phantastisch.
Das Stück versetzt mich sofort 25 Jahre in die Vergangenheit. Klingt wie eines der abgefahrenen Spielereien von YES.

Bastian: Sowas live im Konzert zu erleben, muss großartig gewesen sein. Wenn Songs plötzlich doppelt so lang werden, und die Band eins mit dem Publikum wird.

Matthias: Absolut… und die Musik von TCC bietet sich ja förmlich dafür an, zu improvisieren und Lieder nahezu endlos auszudehnen.

Bastian: Vielleicht – im Gegensatz zum ersten Album, welches sehr genau formuliert war – auch ein Grund für die namenlosen Songs. Namen würden vielleicht schon zuviel definieren und zuviele Annahmen beim Hörer provozieren.

[„v“]

Matthias: Oh, hör mal die schnellen Wirbel über die Toms zu Beginn von „v“. Geil, oder?

Bastian: Jop, jetzt kommt wieder richtig Bewegung ins Album… und die zwei-stimmigen Gitarren, dazu der Bass… herrlich.

Matthias: Absolut!

Bastian: Trotz der vielen Ideen, die TCC verarbeiten, bleibt immer eine Konstante in den Songs erhalten… ein Spannungsbogen, von Anfang bis Ende.

Matthias: Im Grunde muss man diese Musik selbst gehört haben. Sehr abwechslungsreich mit viel Laut-/Leise-Dynamik… und dabei immer spielerisch äußert hochwertig. Während viele Post-Rock-Bands nur auf Atmosphäre zielen, zeugt die Musik von TCC auch von enorm viel Können.

Bastian: …und versprüht so eine gewisse Leichtigkeit des Seins… nichts überfordert, nichts ist zu komplex, zu abgedreht… daran könnten vielleicht sogar Leute Gefallen finden, die ansonsten einen Bogen um solche Musik machen. Der hohe Anspruch von TCC schleicht sich sozusagen ganz unbemerkt heran.

Matthias: Ja, definitiv. Prog-Rocker, die nicht unbedingt Gesang benötigen, sollten auch einfach mal reinhören, natürlich ebenso wie Post-Rock-Liebhaber.

Bastian: …und die Junggebliebenen, die sich damit an die guten alten Zeiten erinnern können.

[„vi“]

Matthias: Und schon steht „vi“ vor der Tür. Unglaublich, wie kurzweilig das Album erscheint.

Bastian: Ja, die Zeit vergeht hier wie im Fluge.

Matthias: Ah, ein paar leise Töne zwischendurch. Mit seinen rund 37 Minuten ist das Album auch nicht gerade überlang, aber es reicht trotzdem aus. Ich bin ja ohnehin der Meinung, dass ein Album nicht lang sein muss, um gut zu sein.

Bastian: Das unverfälschte Piano und die verträumten Synths… da muss ich gleich an meinen Lieblingsjapaner von WORLD’S END GIRLFRIEND denken.

Matthias: Manchmal langt einfach auch eine halbe Stunde, solange der Inhalt super ist.

Bastian: Allerdings. Früher hat man die Platte einfach wieder umgedreht 😉

Matthias: Haha, jo.

Bastian: …und Omega kann man problemlos auf Dauerrotation stellen. Dieses Album wird so schnell nicht langweilig.

[„vii“]

Matthias: Aha, „vi“ war also nur eine Art Zwischenspiel.

Bastian: …und ein sehr starker emotionaler Moment.

Matthias: Mit „vii“ geht’s dann wieder voll instrumentiert weiter. Schön sanfter Anfang, feinfühlig und sensibel.

Bastian: Um noch Mal auf das anfängliche Bild des Morgens zurück zu kommen… die Zeit ist im Schnelldurchlauf vergangen, und jetzt, mit „vii“ scheint sich die Sonne über dem Horizont zu senken. Es wird Abend auf dem Album… so komisch das klingen mag.

Matthias: Ja, das klingt gut. Auch so eine Art Sonntagsmusik irgendwie für mich. Am Besten zu genießen, wenn man alleine ist… In Gesellschaft und nebenbei gehört verfehlt die Musik bestimmt ihre Wirkung.

Bastian: …für Nebenbei und im Hintergrund ansich völlig ungeeignet…

Matthias: Weil man da zuhören muss. Das ist nichts, was man „mal eben so“ hört.

Bastian: Genau… und man wird ja auch mehr als fürstlich entlohnt, wenn man sich einmal auf das Album eingelassen hat.

Matthias: Besonders bei diesem Lied fällt wieder auf, dass vieles sehr improvisiert wirkt.

Bastian: TCC sprengen den gewöhnlichen Rahmen eines Songs, in dem sie sich scheinbar keinerlei Grenzen auferlegen.

Matthias: Die eine Gitarre links aus der Box spielt die ganze Zeit dasselbe… und die rechts übt sich in Effektspielereien… das Schlagzeug spielt sich ziemlich einen ab… dieser beschwingte Beat… und der Bass unterstützt die Drums.
Im Grunde ist „vii“ simpel… aber die Wirkung stimmt.

Bastian: Ja… es fällt auch auf, wie leicht sich die Grundstimmungen des Songs ändern… jetzt klingt alles sehr losgelöst und befreit.

Matthias: Mit wenigen Mitteln zum Ziel. Es muss also nicht immer alles hochtechnisch sein. Wobei… hochtechnisch wäre bei TCC auch übertrieben ausgedrückt… aber im gehobenen Bereich bewegen sie sich auf jeden Fall.

[„viii“]

Matthias: So… nun also der letzte Track.

Bastian: Nummer „viii“… und weckt Erinnerungen an das Eingangsriff von „ii“, schließt somit irgendwie den Bogen.

Matthias: Cooler Beat. Ich mag diese ungeraden Elemente. Nicht immer langweiliger Standard.

Bastian: Ja, das belebt den Song ungemein, gerade diesen.

Matthias: Und wieder drängen sich die Gitarren mit ihrem verhallten Sound in den Vordergrund. TCC haben auf jeden Fall ihren Stil für sich entwickelt. Sehr schade, dass die Band aufgegeben hat. Da wäre sicherlich noch viel Gutes gekommen.

Bastian: Zu schade, dass wir ihn auf keinem weiteren Album erleben dürfen… aber man darf ja noch hoffen. Bei so vielen überflüssigen Reunions in den letzten Jahren wird es mal Zeit für eine, die sich wirklich lohnen würde.

Matthias: Ich meine, das große Geld wird man mit derartiger Musik nicht verdienen können, das ist klar.

Bastian: …was die ewige Krankheit von großartiger Kunst zu sein scheint.

Matthias: Ich kann auch nicht dieses Gefasel verstehen, wenn jemand Post-Rock als ‚Hype‘ bezeichnet – zu dem TCC nur am Rande gehören, aber ich schiebe sie jetzt einfach mal in die Schublade – denn welche Band in diesem Genre macht das große Geld?

Bastian: Keine… aber man kennt dieses ewige Kommerz-Gejammer ja zur Genüge… es quillt einem mit nicht enden wollender Penetranz aus den Ohren heraus.

Matthias: Kaum gibt es einen „neuen“ Stil, wird gleich Hype und Ausverkauf geheult. Albern ist das.

Bastian: Eine interessante Anekdote nebenbei… ursprünglich haben TCC sich mal um einen Sänger bemüht, es dann aber schnell dabei belassen, ein instrumentales Trio zu bleiben.

Matthias: Sehr schön wie das Stück Ende nochmal an Fülle gewinnt.

Bastian: …und irgendwie vermisst man den Gesang in keiner Sekunde.

Matthias: Absolut nicht.

[„viii“ klingt aus, wir sind am Ende von „Omega“.]

Matthias: Hui, das war aber mal ein abruptes Ende.

Bastian: Und vorbei… das ging schnell. 37 Minuten können verdammt schnell vorbei sein.

Matthias: In diesem Falle ja. Definitiv ein Album, dass ich mir auf den Einkaufszettel schreiben werde. Das Erste gefiel mir schon, und da gehört „Omega“ auch ins Regal.

Bastian: Bei mir steht es schon… es war schon in meinen Top-Alben von 2007, und es wird ganz bestimmt eines der Alben, für die ich alles andere stehen und liegen lassen würde. Ein großartiges Werk.

Matthias: Dem stimme ich vorbehaltlos zu. Die Sitzung ist geschlossen, verehrte Damen und Herren, und nun husch husch in den Laden und „Omega“ kaufen gehen!

Bastian: Das unterschreibe ich! Na los, worauf wartet ihr noch??

09.01.2008

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