Das richtige Album zur richtigen Zeit. So könnte man „How Do We Want To Live?“ in aller Kürze beschreiben. Doch wie immer bei LONG DISTANCE CALLING ist die Kurzfassung absolut nicht genug, um diesem Werk gerecht zu werden.
LONG DISTANCE CALLING auf elektronischen Pfaden
Elektronischer denn je gehen die Instrumental-Rocker diesmal zu Gange. Und das hat einen Grund. Die Combo setzt sich auf „How Do We Want To Live?“ mit dem Zusammenleben von Mensch und Maschine auseinander.
Damit treffen LONG DISTANCE CALLING absolut den Nerv der Zeit. Im Angesicht von Corona wird die soziale Isolation immer stärker. Mehr Menschen arbeiten von zu Hause aus. Treffen mit Familie oder Freunden finden ebenfalls in erster Linie virtuell am eigenen Rechner statt. Ohne modernste Technik wäre die aktuelle Situation nicht zu meistern.
Doch so praktisch das alles ist, muss sich die Menschheit zunehmend fragen, ob Technik ihr Leben bestimmen soll. Diesen Zwiespalt vertont die Combo in ihren neuen Songs eindrucksvoll. Über die gesamte Platte lösen sich elektronische Beats und echtes Schlagzeug immer wieder ab. An anderen Stellen stehend sie ergänzend nebeneinander.
Gewohntes trifft auf Neues
Dazu kommen die gewohnt atmosphärischen Gitarrenparts, die auch im Jahr 2020 ein wenig an PORCUPINE TREE erinnern. Auf härtere Rockparts verzichtet die Band dieser Tage über weite Strecken.
Ein Problem stellt das allerdings mitnichten dar. Zum einen geben die Musiker den Atmosphärischen Parts dadurch noch mehr Raum zur Entfaltung. Zum anderen wirken die verzerrten E-Gitarren wie im Outro von „Voices“ durch den insgesamt sparsamen Einsatz umso kraftvoller.
Im Zwischenspiel „Fail / Opportunity“ setzen LONG DISTANCE CALLING derweil auf zarte Streicher. Das sorgt für eine unglaublich melancholische Stimmung, die wahrlich zu Tränen rührt.
„How Do We Want To Live“ – Ein schlüssiges Gesamtwerk
Was „How Do We Want To Live?“ über die gesamte Laufzeit zu Gute kommt, ist die organische Produktion. Wer wegen des erhöhten Elektronikanteils befürchtete, LONG DISTANCE CALLING klängen plötzlich klinisch-künstlich, atmet schon nach wenigen Minuten erleichtert auf.
Anstatt auf ausgelutschte Plug-In-Bibliotheken zu setzen, hat die Truppe alle hier zu hörenden Sounds selbst kreiert. Dazu kommt ein aufgeräumtes Klangbild, in dem jedes Instrument seinen klaren Platz hat.
Mit „How Do We Want To Live?“ fügen LONG DISTANCE CALLING ihrer Diskografie ein weiteres starkes Stück hinzu. Den konzeptionellen Überbau setzen sie zu jeder Sekunde der Platte schlüssig um. Dabei verlieren sie jedoch nie das Wichtigste aus den Augen: Tolle Songs.
Als Hörer der ersten Stunde (auch durch die Rezension hier auf metal.de) bin ich vollends zufrieden. Eindeutige Weiterentwicklung und fast jedes Lied bleibt hängen, was für instrumentale Musik ja wirklich eher selten der Fall ist. Übrigens waren auch alle vier Konzerte, die ich bisher sehen durfte, erstklassig.