Gamma Ray
Interview mit Sänger und Gitarrist Kai Hansen zu "Land Of The Free II"

Interview

Als langjähriger Fan der Band war die Gelegenheit auf ein Interview mit Sänger und Gitarrist Kai Hansen von GAMMA RAY natürlich wie ein gefundenes Fressen, um sich über das neue Album, Deutschlands „Altherrenriege“ und spirituelle Fragen zu unterhalten. An einem verregneten Abend des 29. Oktober 2007 glühte die Telefonleitung zwischen Hamburg und Bukarest und offenbarte einige interessante und auch aufschlussreiche Antworten. Aber lest selbst.

Hallo, Kai hier!

Hallo! Wie war für dich der Start in die neue Woche?

Naja, das Wetter in Hamburg ist scheisse… (lacht)

Ja, hier auch…es sind nur 11 Grad und wir haben Regen… OK, höchstwahrscheinlich ahnst du schon, welche Frage ich dir natürlich als erstes stellen muss. Viele GAMMA RAY-Fans warten schon sehnsüchtig auf das neue Album. Warum aber musste es ausgerechnet „Land Of The Free II“ sein und nicht zum Beispiel „Powerplant II“? Und welche Hauptidee steckte dahinter, als ihr an diesen zweiten Teil gegangen seid?

Das ist ganz einfach. Als wir anfingen über das nächste Album zu sprechen, ziemlich direkt im Anschluss an die „Majestic“-Tour, haben wir uns erstmal zusammen hingesetzt und über die Richtung sinniert, in die das Album gehen sollte. Wir haben uns gefragt, wo wir tatsächlich hin wollen und was wir verändern könnten. Letztendlich hatten wir eine ganze Liste von Punkten, die wir berücksichtigen wollten. Andererseits haben wir uns gesagt: „OK, wir versuchen ein Album mit positiver Energie zu machen und mit einer Art antreibender Atmosphäre.“ Ausserdem sollte diesmal alles noch melodischer werden und schliesslich bemerkten wir, dass das alles sehr nach „Land Of The Free“ klang. Vielleicht ist das auch das beste Beispiel dafür, eine Band wie GAMMA RAY zu beschrieben, und auch für uns selbst war klar, dass diese Richtung genau das war, was wir wirklich wollten. Natürlich sollte das alles auch etwas moderner klingen, aber dennoch diese positive Energie von „Land Of The Free“ transportieren. Wir haben dann gesagt: „OK, wenn uns das wirklich gelingt, wenn wir uns musikalisch auf „Land Of The Free“ zubewegen und das Material unserer Meinung nach gut genug ist, nennen wir das Album tatsächlich „Land Of The Free II“. Und wenn es uns nicht gelingt, bekommt das Album halt einen anderen Namen.“

Die Idee klingt spannend und du hast gerade auch schon über die musikalische Richtung gesprochen, in die ihr mit diesem Album gehen wolltet. Hattest du für „Land Of The Free II“ eigentlich ein paar Ideen oder Einflüsse anderer Bands im Kopf?

Natürlich ist jeder musikalisch irgendwie beeinflusst und ich denke unsere Einflüsse haben wir auch niemals verleugnet. Wenn jemand Einflüsse finden möchte, findet er auch welche. Aber Musik ist und bleibt Musik und wir denken nicht darüber nach, jemandem bewusst nachzueifern. Wenn soetwas geschieht, passiert das aus der Musik heraus, es ergibt sich einfach so. Bewusst verwenden wir aber keinerlei Elemente, nur um wie jemand anderes zu klingen.

Ich verstehe. Gut, ich möchte an dieser Stelle ganz kurz nochmal auf „Majestic“ zu sprechen kommen. Ich denke es ist kein Geheimnis wenn ich sage, dass bei diesem Album viele Leute den Eindruck hatten, alles vorher schonmal gehört zu haben. Und um solchen Meinungen jetzt zuvorzukommen, was ist denn an „Land Of The Free II“ der Reiz des Neuen, im Vergleich zum Vorgängeralbum?

Das ist sehr schwer zu beschreiben. Aber so ganz allgemein besteht der Unterschied hauptsächlich in der Stimmung und im Temperament. Du hörst diesen Unterschied ganz deutlich in der Musik selbst, in der Art, wie wir uns ausdrücken und auch in der gesamten Produktion. „Majestic“ war zum Beispiel ein dunkleres Album und auch sehr viel aggressiver, vielleicht kann man es deshalb auch nicht ganz so einfach verdauen. Ich mag das Album auf jeden Fall sehr gern, aber es ist schon sehr unterschiedlich zu allen anderen Alben. Ich denke auch, dass sich jedes unserer Alben irgendwie von den anderen unterscheidet. Das ist schwer zu erklären, aber so ist es. Vielleicht liegt das auch in der Natur unserer Sache, dass wir uns nicht ständig wiederholen möchten. Klar, selbstverständlich gibt es einige Elemente, die wir immer wieder benutzen, aber wir haben dennoch immer versucht, jedes Album unterschiedlich klingen zu lassen. Nimm‘ Bands wie STATUS QUO oder AC/DC zum Beispiel, da weisst du doch sofort, was dich erwartet. Bei GAMMA RAY läuft das ein klein wenig anders, denke ich, und das könnte auch der Punkt sein, weshalb einige Alben besser ankommen und andere eben nicht.

Wir haben jetzt über die Grundidee zu „Land Of The Free II“ gesprochen und wir wissen auch, dass ein weiterer wichtiger Teil des Entstehungsprozesses eines Albums natürlich das Cover-Artwork ist. GAMMA RAY sind für ihre „kosmischen“ Artworks bekannt und diesbezüglich macht auch das neue Album keine Ausnahme. Warum hält die Band an dieser Idee fest? Gab es denn keine Alternative?

Wir sind diesbezüglich etwas konservativ und ich denke für eine Band ist es wichtig ein gewisses Markenzeichen zu haben, auch in Bezug zu den Plattencovern. Wir hätten natürlich alles in 3D mit Computeranimationen erstellen können, etwas total modernes, aber soetwas mögen wir überhaupt nicht. Wir lieben diese typischen Heavy-Metal-Plattencover, die mit Farben oder als Airbrush gemalt sind, und sonst nichts. Wir hätten sicherlich Einiges ändern können, aber damit hätten wir uns selbst und unsere Absicht nicht wirklich respektiert. Wir lieben unsere Plattencover so wie sie sind.

Wir sprachen ein wenig über das neue Album und sind auch in der Zeit etwas zurückgegangen. Lass uns jetzt mal etwas allgemeiner werden. Wo siehst du heutzutage die etablierteren Bands Deutschlands, wie zum Beispiel RAGE, HELLOWEEN, RUNNING WILD und auch euch selbst, in Bezug zur Bedeutung der Metal-Szene und der (neueren) Hörerschaft verglichen mit neueren Bands? Wie wichtig ist die „Altherrenriege“ tatsächlich noch?

Ich denke ein grosser Unterschied ist natürlich der, dass wir „ältere“ Bands sind (lacht), das macht uns nicht immer professioneller oder routinierter, aber wir sind schon so lange im Business und auf der Bühne, so dass wir natürlich wissen wie der Hase läuft. Neue Bands haben natürlich diese gewisse Freiheit und eine unbedarfte Art, aber eigentlich habe ich darüber noch nie wirklich nachgedacht. Ich glaube, dass wir immer noch sehr gut bedient sind und vielleicht auch deshalb überall eine so grosse Akzeptanz erfahren. Wir haben weltweit viele Fans und wir können stolz darauf sein, wenn uns Newcomer-Bands als massgeblichen Einfluss nennen. Selbst wenn diese Bands etwas anders an ihre Musik herangehen wie wir, waren wir doch ausschlaggebend dafür, dass diese Leute Gitarrespielen lernen wollten und eine Band gründeten. Also können wir doch glücklich und zufrieden sein, wie unser Leben und unsere Karriere bisher verlaufen ist. Wir sind noch immer ein Teil der Szene und nicht einfach verschwunden.

Soviel zu den etablierteren Bands. Jetzt lass uns doch mal kurz auf die ganzen Newcomer zu sprechen kommen. Ich denke dabei auch an STORMWARRIOR, deren Produzent du ja bist. Stört es dich eigentlich manchmal, wenn man Vergleiche zwischen ihnen und GAMMA RAY macht?

Nein, das stört mich nicht im Geringsten. Ich denke das ist auch OK. Ausserdem bin ich der Meinung, dass wir hier zwei völlig unterschiedliche Bands haben. Natürlich habe ich STORMWARRIOR ein wenig meinen eigenen Stempel aufgedrückt, seitdem ich sie produziere, aber sie sind trotz allem völlig unterschiedlich zu uns. Sie haben ihre ganz eigenen Markenzeichen und ihre eigene Art und Weise an Dinge heranzugehen. Ich denke STOMRWARRIOR und GAMMA RAY kann man nicht vergleichen. Musikalisch sitzen wir zwar im selben Boot, aber sie klingen nicht wie ein Clone von GAMMA RAY oder HELLOWEEN oder so, sie sind STORMWARRIOR und das ist es auch schon.

GAMMA RAY ist eine der Bands, die sich deutlich häufiger im konzeptionellen Bereich aufhält als ähnliche Bands. Bist du der Meinung, dass tiefgründige Lyrics, die auf den ersten Blick vielleicht nicht als solche erscheinen, immer noch so eine Art Schlüssel zum Erfolg sind oder sein können, speziell auch im Hinblick auf die neue Generation von Metal-Hörern?

Ich glaube nicht, dass soetwas für Erfolg ausschlaggebend ist oder sein kann. Ich denke auch, dass für viele Leute die Lyrics eher zweitrangig sind. Denn nur diejenigen beschäftigen sich mit ihnen, die sich wirklich damit auseinandersetzen möchten, und das tun doch die wenigsten. Denn als erstes fährt man auf die Musik ab und auf den Gesang. Als ich damit anfing, mich für Musik zu interessieren, habe ich nur die wenigsten Lyrics wirklich verstanden, weil ich damals auch noch nicht so gut Englisch verstehen und sprechen konnte. Deshalb denke ich, dass gute Lyrics allein kein Album verkaufen und auch nicht am Erfolg einer Band teilhaben. Letztendlich aber bedeuten Lyrics für einen hingebungsvollen Fan natürlich die Welt. Wenn wir Lyrics schreiben, setzen wir uns nicht hin und denken darüber nach, den Leuten unbedingt eine Message mit auf den Weg zu geben. Das ist definitiv nicht unsere erste Intention, sondern wir beabsichtigen das, was wir in unseren Gedanken mit uns tragen, irgendwann, irgendwo und irgendwie einfach herauszuschreien. Aber es ist natürlich toll, wenn jemand auf uns zukommt und sagt: „Ich mag eure Lyrics wirklich und der und der Song berührt mich. Irgendwo hat er mir auch eine andere Sichtweise der Dinge vermittelt.“ Soetwas ist echt toll. Ich muss aber auch sagen, dass ich manchmal einfach nur irgendetwas singe, was gerade so zur Musik passt, irgendetwas, was mir gerade in den Sinn kommt. Das ist dann sehr spontan und vielleicht ergibt es zuerst auch keinen Sinn, aber wenn ich’s dann aufgeschrieben habe und nochmal durchlese, wird das, was dahinter steckt, etwas deutlicher. Das ist dann wie so eine Art Spiegel der Seele und gibt mir Kraft zu verstehen, wie’s zur Zeit in mir ausschaut.

OK, ich schlage vor, dass wir uns jetzt einem weiteren, sehr wichtigen Aspekt der Band zuwenden: euren Konzerten. Ihr hattet natürlich auch mal nicht so glückliche Momente auf der Bühne – Gott sei Dank, dass solche Situationen nicht die Regel sind. Aber welche lustigeren Momente kommen dir denn in den Sinn, vorzugsweise welche von Konzerten, die noch nicht so lange zurückliegen?

Das ist eine sehr schwere Frage für mich, denn sobald eine Show gespielt ist, hake ich dieses Erlebnis bereits ab und wende mich dem nächsten Gig zu. Natürlich bleiben immer ein paar Kleinigkeiten hängen, wenn zum Beispiel jemand gestolpert ist oder einer der Zuschauer auf die Bühne kommt, um seiner Freundin einen Heiratsantrag zu machen, aber das war’s dann auch schon. So spontan kann ich diese Erlebnisse aber nicht abrufen, die kommen mir eigentlich immer erst dann in den Sinn, wenn ich am wenigsten darüber nachdenke. Ich fühle mich immer total verloren, wenn es darum geht, Beispiele von schönen oder nicht so tollen Momenten zu geben. Sorry.

Ich verstehe… Nun, in Kürze werdet ihr während der „Hellish“-Tour unter anderem auch in Budapest, Sofia, Belgrad, Athen und Istanbul spielen, also auch viel in Ost-Europa unterwegs sein. Warum wurde der angekündigte Gig in Bukarest gestrichen?

Eigentlich weiss ich nicht so genau, warum gerade diese Show gestrichen wurde. Ich bin mir wirklich nicht sicher, aber ich denke uns wurde gesagt, dass die Halle, wo das Konzert ursprünglich stattfinden sollte, renoviert wird oder renoviert werden muss. Auf jeden Fall war irgendetwas nicht in Ordnung. Sowas ist auch immer die Sache unserer Booking Agentur und wir vertrauen ganz auf deren Arbeit, das deren Job.

Ihr seid auch häufig in Japan unterwegs. Wie erklärst du dir euren Erfolg in diesem Land? Jemand, der dort mehrere Jahre gelebt hat, hat mir erzählt, dass selbst grössere Musikläden in Tokyo fast ausschliesslich japanische Musik führen und nur sehr limitiert Musik von ausserhalb, ohne dabei auch nur an Metal oder Rock zu denken.

Die Zeiten ändern sich ständig, auch in Japan. Als wir in den Achtzigern zum ersten Mal nach Japan kamen, gab‘ es so gut wie keine japanische Metal-Band, die allgemein auf Akzeptanz stiess. Wir hatten dort einen unheimlich grossen Erfolg. In den Neunzigern begann sich dann das Bild zu wandeln. Heute gibt es viele japanische Bands, die in den Jahren zuvor quasi überhaupt nicht existent waren, und auch einen grossen Markt, so dass europäische Bands nicht mehr so präsent sind, wie sie es dort vielleicht einmal waren. Aber für GAMMA RAY läuft dort eigentlich noch alles richtig gut, denn wir können auf eine grosse Fanbasis aus unseren Anfangstagen zurückblicken und sogar ständig neue Fans hinzugewinnen, was sicherlich auch daran liegt, dass wir nach wie vor gute Alben abliefern.

Ich find‘ das alles sehr interessant, zumal wir sonst in unseren Breitengraden kaum oder eigentlich gar nicht über die japanische Szene zu hören oder zu lesen bekommen… Nagut, vielleicht ist die nächste Frage etwas zu persönlich, aber in einem der neuen Songs auf „Land Of The Free II“ gibt es einen Vers, der mich sehr neugierig gemacht hat: „God is an illusion and there ain’t no paradise.“ Glaubst du denn an Gott?

Ja, das tue ich. Aber ich habe meine ganz eigene Definition von Glauben. Ich bin nicht islamisch, ich bin nicht katholisch, ich fühle mich eher befreit von allen religiösen Grenzen. Mein Glaube an eine höhere Macht oder Kraft richtet sich eher daran, die Wunder des Lebens zu respektieren und an etwas, was ich nicht wirklich erklären kann. Zum Beispiel kannst du einen Baum wachsen sehen, das ist eher biologischer Natur, aber jenseits dieses Punktes oder dieser Funktion ist der Vorgang an sich wie ein Wunder, einzigartig und wunderbar. Der Punkt jenseits des biologisch Erklärbarem ist es, den wir nicht erklären werden. Nicht in diesem Leben. Manchmal fühle ich diese Art Spiritualität, und das ist etwas, was für mich Gott ist. Das bedeutet nicht, dass ich zur Kirche gehen und zum Himmel beten muss. Das ist meine Definition. „God is an illusion and there ain’t no paradise and there ain’t no Antichrist.“ und soetwas ist meine Art über Leute zu denken, die bestimmte Dinge zu wörtlich nehmen und einem vordefinierten Glauben oder einer Religion bedingungslos folgen. Die wichtigen und richtigen Dinge im Leben definieren Gott, du brauchst also niemanden, der dir sagt wie du zu glauben hast und an was. Ich brauche keine Bibel und ich muss mir auch keinen Jesus an die Wand hängen, nur um zu glauben. Alle Religionen dieser Erde wurden von Menschen definiert und aufgeschrieben, das macht sie sehr menschlich aber nicht spirituell. Hier gibt es eindeutig zu viele Interpretationsmöglichkeiten und Interpretationen sind nicht objektiv. Interpretationen sind immer subjektiver Natur.

Also bist du, ohne irgendeiner Religion anzugehören, dennoch ein gläubiger Mensch.

Ja, genau.

Kommen wir langsam zum Ende… Mal ganz spontan, was schwirrt dir jetzt gerade im Kopf?

Egal was?

Ja! Was kam dir soeben in den Sinn?

OK… (lacht) Ganz ehrlich, ich bin sehr hungrig, denn ich komme gerade von den Proben und denke darüber nach, was ich gleich essen könnte. Das ist jetzt keine so spirituelle Antwort, ich weiss… (lacht)

…aber sehr menschlich (lacht). Vielen Dank für deine Zeit und die interessanten Antworten. Ich wünsche euch viel Erfolg mit dem neuen Album!

Vielen Dank. Das ist nett. Tschüss.

02.12.2007
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