

Unter "Blast From The Past" erscheinen jeden Mittwoch Reviews zu Alben, die wir bislang nicht ausreichend gewürdigt haben. Hier gibt es alle bisher erschienenen Blast-From-The-Past-Reviews.



Diese Woche präsentiert unser Blast From The Past ein Album, das wenige für diese Rubrik auf dem Schirm hätten. Erstens verpasst man leicht, dass Alben aus dem Jahr 2005 wie in diesem Fall heuer ihr 20. Jubiläum feiern. Zweitens sorgte “Majestic” zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bei Fans von GAMMA RAY für leichte Irritationen. Völlig unverständlich, gehört der Longplayer doch zu den besten Platten der Band und ist gleichfalls ein generelles Highlight im Schaffen von Kai Hansen. Ein guter Zeitpunkt also, “Majestic” in der Rückschau zu betrachten.
Ein Highlight von GAMMA RAY und Kai Hansen
Dass es dereinst zur weltweit gefeierten Reunion von HELLOWEEN mit Kai Hansen und Michael Kiske kommen würden, hätte 2005 niemand für möglich gehalten. Damals versuchten HELLOWEEN mit der dritten, leider reichlich zerfahrenen “Keeper”-Platte – und ihren beiden sehr durchwachsenen Vorgängern – eine kreative Dürre der frühen Nuller-Jahre zu überwinden. Die ewige, freundschaftliche Konkurrenzband GAMMA RAY hatte im direkten Vergleich qualitativ die Nase meilenweit vorn, wirkte zudem live seinerzeit stets enthusiastischer und hungriger. Kai Hansen hatte nunmehr ein seit vielen Jahren, Alben und Touren bewährtes Line-up mit Gitarrist Henjo Richter, Bassist Dirk Schlächter und Drummer Daniel Zimmermann um sich geschart und die Band befand sich auf dem Zenit ihrer Karriere. Speziell mit “Somewhere Out In Space” und “Power Plant” veröffentlichte das Quartett Klassiker des hymnischen Power Metals. “No World Order” von 2001 markierte zwar einen ganz leichten qualitativen Einbruch, deutete beispielsweise mit “Heart Of The Unicorn” jedoch an, dass sich GAMMA RAY in eine härtere, priestigere Richtung ausleben wollten.
Nachdem sich die Band auf dem kurz zuvor veröffentlichten Live-Album “Skeletons In The Closet” schon von ihrer ungeschliffeneren Seite zeigte, hatten GAMMA RAY auf “Majestic” offenbar den Wunsch, ihre bisher härteste Platte überhaupt aufzunehmen. Gleich im Opener “My Temple” wird man von einer immensen Gitarrenwand und pfeilschnellen Doublebass-Attacken weggeblasen. Grundsätzlich ist der Sound eher so mittelgut gealtert, die Gitarren clippen an manchen Stellen und die Finnvox-Studios haben die Snare-Drum mit 80s-Pop-Samples “angereichert” – das alles ist aber verschmerzbar, weil die Songs stimmen und dieser kleine Mangel sehr viele Power-Metal-Alben aus den Nuller-Jahren anhaftete, siehe beispielsweise STRATOVARIUS, EDGUY oder NIGHTWISH.
Der einzig typische Power-Metal-Song ist das von Henjo Richter komponierte “Fight”. Typisch, eingängige Kai-Hansen-Hits der Marke “I Want Out” oder “Heaven Or Hell” gibt es auf dem Album nicht wirklich. Dafür lebt der Gottvater des Power Metal im vorletzten Song “How Long” eine Vorliebe für Achtziger Pop aus. Mit seinem super eingängigen Chorus ist der Song sicherlich Geschmackssache – in Anbetracht der Coverversionen von BIRTH CONTROL und den PET SHOP BOYS ist diese Neigung allerdings keine Überraschung.
GAMMA RAY und die Querverweise
Es bleibt allerdings nicht bei Schlenkern in diese Richtung. Querverweise zu anderen Bands und Songs gab es im Gesamtwerk des Kai Hansen immer schon, auf diesem Album und dem Nachfolger “Land Of The Free II” trieb er die Tributzahlungen allerdings auf die Spitze. Schon “My Temple” zitiert überdeutlich “Sabbath Bloody Sabbath”. “Strange World” verweist, wie der Titel vermuten lässt, auf IRON MAIDEN. “Hell Is Thy Home” orientiert sich wiederum sehr deutlich an “Leather Rebel” von JUDAS PRIEST und übernimmt sogar eine kurze Gesangsmelodie von U2s “Sunday Bloody Sunday”, während der große Hit des Albums “Blood Religion” generell viel von den epischen MAIDEN-Songs aufweist.
Beachtenswert sind außerdem die beiden von Schlagzeuger Dan Zimmermann geschriebenen Songs “Condemned To Hell” und “Spiritual Dictator”, die zum härtesten Material von GAMMA RAY überhaupt gehören. Das Bassist Dirk Schlächter, dessen Songs häufig einen starken QUEEN-Einfluss aufweisen, zu “Majestic” kein Material geschrieben hat, dürfte dazu beitragen, dass das Album so außergewöhnlich heavy ausgefallen ist. Der abschließende Henjo-Richter-Longtrack “Revelation”, in dem man dessen Vorliebe für Michael Romeo und SYMPHONY X gut raushören kann, setzt zum Ende dazu noch mal einen schönen Gegenentwurf.
Kann man sich zum Klassiker machen
Sicherlich bleibt es dabei: “Majestic” geht bei vielen Fans leider etwas unter. Die großen Klassiker bleiben “Land Of The Free”, “Power Plant”, “Heading For Tomorrow” und, wenn man über den Tellerrand schaut vielleicht noch “Sigh No More”. Den seinerzeit gut angenommenen Vorgänger “No World Order” übertrafen GAMMA RAY mit diesem Album sogar; gegenüber dem stilistisch ähnlich gelagerten “Empire Of The Undead” hat “Majestic” ganz leicht die Nase vorn. Mögt ihr die härtere Seite der Band oder haben euch die streckenweise recht süßlichen Power-Metal-Hymnen der Hamburger noch nie so recht gefallen, ist “Majestic” die richtige Wahl, weil es neben Teilen von “Land Of The Free” so nah an den ganz frühen HELLOWEEN-Veröffentlichungen ist, dass auch reine Achtziger-Fans hier auf ihre Kosten kommen.
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