Bersarin Quartett - Bersarin Quartett

Review

Bevor überhaupt an Homevideos und privaten Filmgenuss zu denken war, waren Soundtracks die einzige Möglichkeit, das Leinwanderlebnis zurück ins Gedächtnis zu holen und wieder in die Bilder einzutauchen – und musste dafür noch nicht mal in einem großen Saal mit anderen Leuten sitzen. Kein lästiges Flüstern, Tütenrascheln oder andere Geräusche. Selbst als Ende der 70er Jahre mit dem Betamax-Format erfolgreiche Kinohits wie Star Wars endlich den Weg ins heimische Wohnzimmer finden konnten, war diese Technologie anfangs noch viel zu teuer für den Ottonormalverbraucher. Für die Leinwand im Kopf brauchte man nur den Plattenspieler.
Etwa in die gleiche Zeit fällt eine Entwicklung innerhalb der Musik, die sich von dem festen, visuellen Rahmen befreite: Musik nicht für Bilder, an die man sich nur erinnern muss, sondern für Bilder, die man sozusagen live im Kopf entstehen lässt, mit allen Freiheiten, die die eigene Vorstellungskraft bietet. Musik für einen Film, der gar nicht existiert, den aber jeder in seinem Kopfkino vorführen kann, während er ihn innerlich dreht. BERSARIN QUARTETT macht solche Musik.

Das „Quartett“ ist allerdings kein Musikerensemble, sondern ein Alter Ego des Münsteraners Thomas Bücker, der schon seit Jahren als „Jean Michel“ experimentelle Beats und Breaks produziert, die Plattenteller drehen lässt und auch schon BJÖRK remixt hat. Mit tanzbaren Rhythmen hat das selbst-betitelte Debüt indes wenig zu tun. Viele Werke mit dem Anspruch Soundtracks für den Kopf zu sein sind eher Freifahrtscheine ohne genauen Fokus. Orchestrale und elektronische Klänge mit recht willkürlicher Gestaltung, darauf hoffend, dass irgendwelche Bilder entstehen, ohne gezielt darauf hinzuarbeiten. Das Faszinierende an Soundtracks und Scores ist natürlich die immense Freiheit, das Losgelöstsein von Verbindlichkeiten wie Songs oder Tracks, festen Schemen und Strukturen. Und doch folgen sie einer Linie, einem Erzählstrang, und genau hier offenbaren sich die hohen Qualitäten von „Bersarin Quartett“.

Die Musik zum imaginären Film ist wie ein sich fortlaufend veränderndes Gemälde gemalt, bei dem schrittweise Details herausgearbeitet und betont werden. Schlüsselmotive entwickeln sich, werden von Cues durchbrochen und zeichnen Landschaften, Situationen und Charakter, die nur im Kopf des Hörers entstehen können. Mit zwei Stücken war Bücker bereits auf einem Sampler namens „Electronica Unplugged“ vom Aerotone Netlabel vertreten. Dieser scheinbar paradoxe Begriff trifft die Musik ziemlich genau: Ambient trifft auf Downtempo-Beats und wird mit modernen, klassischen Arrangements verbunden, zu denen Streicher, Bläser und Piano gehören. Ob gesampelt oder per VST-Instrumentation eingespielt ist eigentlich nebensächlich, wichtig ist das Endergebnis, welches einfach großartig gelungen ist.

Das „Quartett“ nimmt den Hörer mit auf eine Reise, die vom nahtlosen Übergang von dezenten Momenten und opulenten Klängen geprägt ist. Stellenweise erinnert das an die Ambientklassiker von GLOBAL COMMUNICATION, nächtliches Jazz-Ambiente á la BOHREN & DER CLUB OF GORE schleicht sich ein, das Piano bringt mich zu DEBORAH LURIE und die Synthesizer wiederum zu VANGELIS. Entfernt hört man auch die Nähe zu BOARDS OF CANADA und PLAID. Eine Stunde Abtauchen in eine absolut bezaubernde, emotional fesselnde Welt, die sofort ein warmes Gefühl der Vertrautheit ausstrahlt. So, als hätte man den Film schon gesehen, oder den Soundtrack schon irgendwann mal gehört, auch wenn dies nicht so ist. Eine Welt, in der man gern länger verweilen möchte und jederzeit gern zurückkehrt.

Die vor zwei Jahren auf dem kleinen Label Lidar Productions erschienene Erstauflage war schon seit einiger Zeit hoffnungslos vergriffen, wird nun aber neu aufgelegt. Und hier kann man im Prinzip auch völlig blind zugreifen – denn seine Augen braucht man für diese Musik nicht.

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17.03.2010

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