Dark Tranquillity - Atoma

Review

„Diese Dinge gehen mit dem Alter nicht leichter von der Hand, so sehr man auch meinen sollte, dass Erfahrung und die Zeit, die wir über die Jahre mit dem Schreiben von Songs verbracht haben, uns etwas gelehrt hätten“, ließ DARK TRANQUILLITYs Mikael Stanne sich kürzlich in einem Interview zum Entstehungsprozess des elften Studioalbums „Atoma“ entlocken. „Wie sich herausstellte, haben sie das nicht.“

Auch wenn Stanne mit derlei Worten sicherlich etwas hart mit sich und seinen Mitstreitern ins Gericht geht, hatte das letzte Release der Göteborg-Melodeath-Mitbegründer „Construct“ in der Tat auf ein langsames Vergehen des zweiten Frühlings hingedeutet, den die Band drei Jahre zuvor mit „We Are The Void“ perfekt gemacht hatte. Die Tatsache allein, dass DARK TRANQUILLITY im Gegensatz zu IN FLAMES in der Lage waren, ihren todesmetallischen Sound der Anfangstage einer glaubwürdigen Frischzellenkur zu unterziehen, macht auch diese Band noch lange nicht unfehlbar. „Atoma“ fällt nun 2016 die enorm wichtige Aufgabe zu, die bemerkenswerte Qualitätskonsistenz im DT-Œuvre unter Verweis auf die vorangegangene Ausnahme zur Regel zu machen.

Starkes Songtrio zu Anfang

Und „Atoma“ startet fulminant. „Encircled“ spielt mit viel Atmosphäre, einem großartigen Hauptthema und starker Dynamik zwischen Verse und Refrain alle Stärken der modernen DARK TRANQUILLITY aus. Sogar die Klavierbegleitung erschließt sich hier völlig. Der folgende Titeltrack meldet danach einfach mal so Ansprüche auf das Erbe von „Misery’s Crown“ an. Stanne ist Gold wert, wenn er seinen mehr als hörbaren Klargesang derart variabel und im Wechsel mit seinen unverkennbar kehligen Growls einsetzt. „Forward Momentum“ hat kürzlich ein Video spendiert bekommen, und spätestens nachdem man das gesehen hat, kann einen dieser Song nicht mehr kaltlassen. Ganz starkes Trio zu Anfang!

Die hier aufgezeigte atmosphärische Dichte erreicht „Atoma“, so viel sei vorweggenommen, im weiteren Verlauf seiner Spielzeit nicht mehr ganz. „Neutrality“, „Force of Hand“ und das ebenfalls bereits vorab hörbare „The Pitiless“ sind gute Songs, lassen aber die großen Momente des Albumeinstieges vermissen. Zudem lässt sich ein von Kollege Kostudis schon in Bezug auf „Construct“ angesprochener Punkt nicht ganz von der Hand weisen: DARK TRANQUILLITY verlassen sich zu oft auf die gleichen Tonfolgen und bisweilen auch Songaufbauten. So ist beispielsweise „Our Proof of Life“ eine blasse Kopie des Titeltracks und einfach absolut verzichtbar.

Die Lorbeeren von DARK TRANQUILLITY waren einmal

Nach einem ordentlichen Durchhänger zur Mitte findet „Atoma“ im Ausklang dann noch den versöhnlichen Abschluss. „Merciless Fate“ weicht kompositorisch und auch spielerisch angenehm vom überperfektionierten DT-Schema ab, und „Caves and Embers“ ist einfach eine weitere dieser Midtempo-Hymnen, die DARK TRANQUILLITY aus dem Ärmel schütteln, ohne dass sie dadurch weniger gut würden.

Nein, DARK TRANQUILLITY werden mit „Atoma“ nicht, wie an anderer Stelle prophezeit, in der Bedeutungslosigkeit versinken. Dafür stehen den durchaus störenden Momenten liebloser und glatter Songwriting-Routine noch zu viele Lichtblicke gegenüber. Noch.

04.11.2016
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